Eine neue Ära im Landgasthof


Toprak Yerguz



Eine Sanierung für rund 6 Millionen Franken und der renommierte Pierre Buess 
als neuer Wirt: Die Neueröffnung des Landgasthofs weckte Befürchtungen 
und Erwartungen gleichermassen.


 

Der eine ging, der andere kam. Und sie stehen zueinander wie Gegensätze: Gegangen ist Willy Vollenweider, ehemaliger Boxer und einst aus Gundeldingen nach Riehen gekommen. Der Neue ist Pierre Buess, französisch angehauchter Feingeist, den man vor allem von seiner Tätigkeit im vornehmen ‹Stucki› auf dem Bruderholz kennt. Ein Wirt geht nach einem Vierteljahrhundert Wirken im Landgasthof, der nächste kommt und plant für das kommende Jahrzehnt. Zwischen der herzlichen Verabschiedung von Willy Vollenweider im Mai 2011 und der Neueröffnung unter Pierre Buess im März 2012 wurde der Landgasthof für rund 
6 Millionen Franken saniert. Das gemeindeeigene Gasthaus erstrahlt seither in neuem Glanz. Als ob die Unterschiede zwischen den beiden Wirten nicht schon deutlich genug wären.


 

«Schön, was aus dem verstaubten Landgasthof gemacht wurde», fand Gemeinderat Christoph Bürgenmeier bei der feierlichen Schlüsselübergabe an Pierre Buess. Mit seinem Urteil war er nicht allein: Das Resultat der Sanierung fand bei den geladenen Gästen durchwegs Anklang. Der ‹neue› Landgasthof nach Plänen des Architekturbüros Blaser Architekten wirkt heller, leichter, moderner. Haustechnik und Infrastruktur wurden auf den neusten Stand gebracht. Der hintere Teil des Gebäudes, ehemals ein langer, schlauchartiger Raum, wurde zur seitlichen Terrasse hin erweitert und beherbergt nun das französische Restaurant ‹Le Français›, in dem gehobene Küche angeboten wird. Links und rechts des Eingangsbereichs sind die Gaststube und die Wettsteinstube zu finden, wo italienische und gutbürgerliche Schweizer Küche auf den Tisch kommt. Im Untergeschoss befinden sich der Weinkeller sowie der Bürgerkeller, der als Fumoir dienen oder Anlässe wie einen Fondueplausch beherbergen kann.


 

Geglückte Hochzeit


Als angekündigt wurde, dass Pierre Buess als Wirt die Leitung des Landgasthofs übernehmen würde, schien eine Traumhochzeit wahr zu werden: Auf der einen Seite brachte die Gemeinde Riehen ‹ihr› Restaurant in die Ehe, das sie mit viel Geld restaurieren wollte – ein Gasthof, der unter den lokalen Restaurants eine Sonderstellung geniesst. Pierre Buess, der einen hervorragenden Ruf geniesst, sollte seinerseits etwas Glanz in die nicht sehr glamouröse Gastroszene Riehens bringen.


 

Alle Zeichen schienen also auf eine glückliche Vereinigung zu deuten. Nur eine Sache hätte die Hochzeit gefährden können: Beide Partner haben grosse, anspruchsvolle Familien. «Bevor ich mich für den Landgasthof entschieden hatte», weiss Buess rückblickend zu erzählen, «wurde ich gewarnt, dass die Riehener etwas länger brauchen, bis sie sich überzeugen lassen.» Tatsächlich war vor der Wiedereröffnung Unruhe in der ‹Riehener Familie› zu spüren. Die Parteien und Politiker hingen zwar durchaus an ihrem Landgasthof. Viele bezweifelten allerdings, ob es zu den Aufgaben einer Gemeinde gehört, ein Gasthaus zu besitzen und für dessen Sanierung auch noch viel Geld auszugeben. Die breite Bevölkerung hatte zudem Bedenken, ob Buess sie in ‹seiner› Familie willkommen heissen würde. «Es bestand die Angst, dass es im Landgasthof nur noch hochstehende Gourmet-Küche geben werde», erinnert sich Pierre Buess.


 

Von dieser Angst wusste auch die Gemeindeverwaltung. Sie verlangt deshalb vom neuen Wirt nichts weniger als die Quadratur des Kreises: Der Landgasthof müsse ein Restaurant für alle Bevölkerungsschichten sein. Die Gäste der Fondation Beyeler sollten sich genauso gut aufgehoben fühlen wie Familien beim wöchentlichen Ausflug oder die Stammtischklientel. Pierre Buess willigte ein.


 

Unter Beobachtung


Der renommierte Wirt hatte sich im August 2011 für den Landgasthof entschieden, nachdem er von seinen Riehener Gästen im ‹Stadthof Basel›, wo er zuvor tätig war, wiederholt auf die Suche der Gemeinde nach einem neuen Pächter hingewiesen worden war. Am Donnerstag, dem 1. März 2012, öffnete der frisch sanierte Landgasthof seine Tore. In den Medienberichten über dieses Ereignis stand für kurze Zeit auch Nora Dokhane im Rampenlicht. Pierre Buess’ Lebenspartnerin führt den Landgasthof gemeinsam mit ihm. Während er als bekannte Figur der Gastroszene das Gesicht des Landgasthofs sein wird, schaut sie im administrativen Alltagsgeschäft zum Rechten. Nora Dokhane bevorzugt es, im Hintergrund zu wirken.


 

Der Landgasthof geniesst als gemeindeeigene Liegenschaft eine Sonderstellung, die Sanierung war politisch nicht unumstritten und Pierre Buess ist kein Unbekannter. Kein Wunder also, dass das Wirtepaar gerade in den ersten Monaten unter besonderer Beobachtung stand. Das wissen auch die Betroffenen. Dass der Landgasthof ein Riehener Gesprächsthema ist, kommt ihnen gelegen. «Die Leute sind neugierig und schauen bei uns vorbei», sagt Buess. «Sie wollen wissen, wie das Haus jetzt aussieht, wie das Essen schmeckt.» Dass auch vier Monate nach der Neueröffnung immer noch Gruppen von Gästen durch die Räumlichkeiten wandern und sich einen eigenen Eindruck verschaffen wollen, wertet der Wirt als gutes Zeichen: «Wir leben von der Mund-zu-Mund-Propaganda. Wäre bei uns alles schlecht, hätten sich die Leute von uns abgewandt.» Besonders dankbar sei er für Reaktionen aus der Bevölkerung: «Die Riehener haben uns mit aufbauender Kritik bereits sehr stark geholfen. Das ermöglicht uns, besser auf ihre Wünsche einzugehen.»


 

Die Bilanz nach den ersten Monaten lässt Pierre Buess strahlen: «Die Ziele, die wir uns für das erste Jahr gesetzt haben, sind mehrheitlich bereits erfüllt.» Als wichtigstes Ziel nennt er das Zurückholen des ehemaligen Stammpublikums in ihre neue alte Beiz. Erfahrungsgemäss sei es ungewiss, ob und wann ehemalige Gäste nach einer mehrmonatigen Pause zurückkehren. Umso erfreuter zeigt er sich, dass dies bereits so kurze Zeit nach der Wiedereröffnung der Fall ist.


 

Buess weiss allerdings auch, dass damit erst ein Anfang gemacht ist. Weitere Schritte müssen folgen. «Unser Bestreben in den ersten Monaten war, die Gäste der vorderen Restaurants wieder zu uns zu holen und sie von unserer Arbeit zu überzeugen.» Nachdem dies erreicht wurde und das Alltagsgeschäft erfolgreich angelaufen sei, könne man sich nun der Detailarbeit und dem Rest des Hauses widmen, namentlich dem französischen Restaurant, dem Hotel und dem Saal. Zwar kann Buess im ‹Le Français› ebenfalls bereits einen Teil seiner alten Stammkundschaft aus ‹Stucki›-Zeiten begrüssen, doch noch ist dieses Restaurant nicht da, wo es der Wirt haben möchte.


 

Anders sieht es im Hotel aus, wo das Geschäft gut angelaufen ist. Die Lage «auf halbem Weg» zwischen dem Norden und dem Süden Europas, vor allem aber die unmittelbare Nähe zur Fondation Beyeler, einem Kunsthaus mit Weltruf, stimmen Buess zuversichtlich für die Zukunft des Hotelbetriebs. Dennoch sind für die 17 Doppel- und drei Einzelzimmer kleine Investitionen geplant, um den Räumen etwas mehr atmosphärische Wärme zu verleihen.


 

Klangraum Dorfsaal


Bleibt noch der Dorfsaal. Bei der Neueröffnung hatte Pierre Buess sein Ziel verkündet, den Saal aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Eine kleine Unsicherheit herrscht allerdings: Die Zukunft des Saals ist politisch ungewiss. Ob er erhalten bleibt oder weichen muss, wird noch Gegenstand von Debatten sein. Fragt man den neuen Pächter, was mit dem Saal geschehen soll, ist die Antwort klar: «Wünschbar wären kleine Investitionen, um Technik und Bühne zu modernisieren.» Allenfalls könnte dies auch für Toiletten und Umkleideräume gelten. Ansonsten solle der Saal aber so belassen werden, wie er sei.


 

Bereits jetzt aber ist der Dorfsaal unter Musikschaffenden äusserst beliebt wegen seiner Akustik. Im Verlauf der Sanierung wurde dem Saal lediglich ein neuer Anstrich verliehen, der alte Boden wieder hervorgeholt und eine neue Bestuhlung angeschafft. Einige Künstler kehrten bald nach der Wiedereröffnung zurück, um dort ihre Tonaufnahmen zu machen. Ideen, wie man den Saal noch intensiver nutzen könnte, schwirren in Buess’ Kopf zur Genüge umher: Kino, Theater, Tanz – alles wird angedacht.


 

Eine andere Nutzung des Saals sind Bankette. Erste Anfragen seien schon eingegangen. Weil aber kulturelle Anlässe und Bankette eine gewisse Vorlaufzeit brauchen und sich nicht von heute auf morgen planen lassen, gibt sich Pierre Buess für den Saal etwas mehr Zeit, bis er eine gute Auslastung erreicht haben will. Erst wenn der Betrieb ein bisschen in Gang gekommen ist, soll eine Bestandesaufnahme gemacht werden. Das wird nach rund zwei Jahren der Fall sein.


 

Ein Gasthaus für alle


Und so wirkt nun seit ein paar Monaten einer der Grossen der Gastroszene mitten in Riehen und freut sich über seine Gäste – egal in welches der drei Restaurants des Landgasthofs sie sich begeben. In seinem Haus gegenüber der Dorfkirche, wo historisch gesehen eigentlich der Dorfplatz sein sollte und nicht eine trennende Hauptstrasse, spielt sich nach der Sanierung wieder das Leben ab. Hier treffen sich die Einwohnerräte nach ihren Sitzungen, die Vereinsmitglieder nach ihren Anlässen im Haus der Vereine, die Baslerinnen und Allschwiler nach ihren Fährtchen im 6er-Tram, die Wanderer und Spaziergängerinnen nach ihren Ausflügen ins Grüne.


 

‹Sein› Haus? Pierre Buess sinniert: «Damit der Landgasthof erfolgreich ist, müssen alle zusammen ihr gemeinsames Interesse zeigen – wir, die Gemeinde und die Gäste, die sowieso am wichtigsten sind.» Das Projekt Landgasthof sieht er als «Gemeinschaftswerk».


 

Man könnte in seiner Aussage Kalkül wittern. Buess weiss schliesslich, dass er die Riehener auf seine Seite ziehen muss. Bisher ist ihm das auch mehrheitlich gelungen. Aber nicht, weil er berechnend ist. Buess hat bei der Neueröffnung versprochen, auch in der unteren Preisklasse auf hohe Qualität zu setzen und auf Kundenwünsche einzugehen. In den ersten Monaten ist er diesem Anspruch gerecht geworden. Seine Taten deuten darauf hin, dass Pierre Buess wirklich gewillt ist, den Spagat zwischen hochstehender Küche und Quartierbeiz zu schaffen. Der Zuspruch der Gäste scheint sein Konzept zu bestätigen.


 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2012

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