Jeder Stein strahlt Geschichte aus

Iris Bossart-David

Iris Bossart-David verbrachte ihre Kinder- und Jugendjahre in der Landvogtei, die damals ihren Grosseltern Sophie und Johannes David-Bertschmann gehörte. Eine Anfrage der Jahrbuchredaktion nach altern Bildmaterial rief ihr eine Fülle von Erinnerungen ins Gedächtnis, die sie spontan aufschrieb und uns zusandte.

Nach wie vor ist die alte Landvogtei für mich ein Stück Heimat. Viele Erinnerungen wurden wieder wach, die zum Teil eng mit dem Geschehen des Dorfes verknüpft sind. Meine Grosseltern David-Bertschmann haben das Gut als Bauernhof genutzt. Diese Zeit habe ich allerdings nicht mehr erlebt. Auch nicht mehr den Scheunenbrand, von dem

meine Grossmutter immer wieder erzählte. Es habe damals ein böses Gerücht gegeben. Erst später wurde eine ehemalige Magd vom benachbarten Pfarrhaus bei einer weiteren Brandstiftung erwischt. Die Scheune wurde wieder aufgebaut. Da aber die Versicherung nicht den vollen Schaden deckte, wurde die neue Scheune um einiges kleiner und niedriger gebaut. Die alte Brandmauer, sie stand auf der Parzellengrenze, wurde beim Bau der neuen Scheune wieder verwendet. Als Erinnerung blieb auch der übergrosse Giebel stehen, bis die neue Scheune um 1957 abgerissen wurde.

Die Landvogtei war auch für die Riehemer Feuerwehr ein beliebtes übungsobjekt. Manchen Samstagnachmittag wurde die grosse Leiter ausgefahren, sie reichte gerade bis zur Mansarde. Die Pompiers, wie sie im Dorf genannt wurden, mussten mit der Wasserspritze möglichst rasch hinauf- und hinuntersteigen, auch Verletzte auf einer Bahre hinunterlassen.

Nach dem Tod meines Grossvaters wurde die Scheune vom Gärtnermeister Emil Dahler-David, meinem Onkel, lange Zeit benutzt. Für uns Kinder war das Haus mit dem ganzen Umschwung ein Spielparadies. In Schopf, Scheune, Remise, Keller und Estrich gab es auch tagsüber dunkle Winkel und lange Schatten. überall knarrte und ächzte es. Laute, die mit etwas Fantasie alles bedeuten konnten. Im Zwischenboden auf dem Estrich sollen Skelette gelegen haben. Wir haben allerdings keine mehr gefund en. Aber in dem alten Gemäuer strahlte jeder Stein Geschichte, Freud, Leid, Schicksal aus. Mein Vater erzählte mir, dass früher die Landvogtei durch einen geheimen Gang mit der Kirche verbunden gewesen sei. Man habe den Gang einmal geöffnet, aber er sei teilweise verschüttet gewesen. So habe man alles wieder zugemacht und den Gang zugemauert. Er zeigte mir auch die Stelle. Damals war er selber noch ein Kind. Während der Mobilmachung wurde die Landvogtei in die Verteidigung einbezogen. Die Mauern wurden noch zusätzlich mit Sandsäcken verstärkt und das Haus wimmelte von Soldaten. Wir Kinder haben mitgeholfen und haben den Ernst der Situation erst begriffen, als jedes ein Namensschild um den Hals hängen musste. Die Kanonen dröhnten so laut, dass mehrere Male Scheiben gesprungen sind. Nacht für Nacht konnten wir den Krieg zwischen Deutschland, Tüllinger Hügel, und dem Elsass verfolgen. Sie verwendeten oft Leuchtkugeln.

Die Anbauschlacht, von Bundesrat Wahlen verordnet, machte auch vor unserem Garten nicht halt. Alle mussten mithelfen. So zogen in Garten und Stall wieder Tiere ein. Kaninchen, Hühner, Gänse und ein Schwein. Ein Störmetzger half bei der Schlachtung. Obst und Gemüse wurden gerüstet und gedörrt, als Vorrat für den Winter. Je länger der Krieg dauerte, desto findiger mussten wir werden, um über die Runden zu kommen. Hatte man Regenwasser zum Waschen, brauchte es weniger Seife. Auch Buchenaschenlauge ersetzte die kostbare Seife. Gesammelt wurde alles, Metalle, Leder, Knochen, sogar Kaffeesatz, zwei- bis dreimal abgekocht. Trotzdem haben wir wunderbare Feste gefeiert. Nachbarschaftshilfe war damals in Riehen selbstverständlich. Das Wort «Schlafstadt» existierte noch nicht. Schade, dass all die schönen Bräuche wieder verschwunden sind. Mit dem Tod meiner Grossmutter endete auch meine Kinderzeit. Aber der geheimnisvollen Ausstrahlung der Landvogtei bin ich lebenslänglich verfallen.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1990

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