Kunst in Riehen Eine Institution feiert

Luzius Gessler

Luzius Gessler, etliche Jahre Mitglied der Konzertkommission des kulturpolitischen Projekts «Kunst in Riehen», hält Rückschau auf fünfzig Jahre voll von Engagement, Mut und Beharrlichkeit.

Kunsttrunken komme ich aus dem Beyeler-Museum und schlendere mit dem sensibilisierten Blick, den dieses euphorisierende Haus seinen Besuchern schenkt, durch den lichtdurchwirkten Berower- und den schattigeren Sarasinpark, dann vorbei am gediegen renovierten, herrschaftlichen Haus der Musikschule durch herausgeputzte Gassen und Plätze am modernen Gemeindehaus vorbei und dem «Landgasthof» entlang zur Tramstation bei der Dorfkirche. Und hinter dem Bild des gepflegten, vom Sonntagmorgenlicht ausgeleuchteten Dorfs von heute tauchen meine Erinnerungen auf an das Dorf meiner Primarschulzeit im alten Schulhaus am Erlensträsschen. Die prächtigen Parkgärten, die ich soeben durchquert habe, schliefen in den frühen Vierzigerjahren, hinter undurchdringlichen Zäunen verwildernd, einen tiefen Dornröschenschlaf. Die Patrizierhäuser, die sich darin versteckten, hatten ihren Stolz eingebüsst; das Haus der heutigen Musikschule war zum glanzlosen Altersheim verblasst. Wo ich am Webergässchen soeben an der appetitlichen «Frischwelt» eines Supermarkts vorbeigekommen bin, safteten seinerzeit noch die Miststöcke eines der letzten aktiven Dorfkernbauernhöfe, ungepflegte Zeugen einer zu Ende gehenden Zeit. Jenseits der Schmiedgasse, wo heute das Gemeindehaus steht, frassen Holzwurm und Hausschwamm an der teilweise leerstehenden alten Laubstummenanstalt: «Zutritt auf eigene Gefahr!» Und gegenüber der Dorfkirche stand noch kein stolzer «Land gasthof», sondern hinter dem verblichenen Restaurant «Zum Tramstiibli» trauerten, idyllisch, aber verwohnt, Haus, Hof, Hinterhaus, Stall und Scheune des längst nicht mehr landwirtschaftlich genutzten ehemaligen StumpGehöfts jener Vergangenheit nach, in der Riehen noch ein selbstbewusstes Bauerndorf gewesen war. Und wenn mein Lehrer, Albert Wenk, uns jeweils am Geburtstag Hebels in seinem kernigen Riehener Dialekt dessen Vergänglichkeitsgedicht vortrug, so leuchtete mir angesichts der Dorfkulisse, die ich rings ums Schulhaus wahrnahm, dessen Botschaft vom unaufhaltsamen Zerfall aller irdischen Schönheit ganz unmittelbar ein, samt der düsteren Prophezeiung: «Und wemme nootno gar Zweitusig zellt, isch alles zsämmegheit.»

Wer hätte damals vorauszusagen gewagt, dass mitten in diesem glanzlosen Dorf schon in wenigen Jahren Künstler aus aller Welt in einem dorfeigenen Konzertsaal erlesene Musik erklingen lassen würden? Wer hätte geglaubt, dass dieser scheinbar so musenferne Ort, in dem man nirgendwo einen Flötenputzer oder gar eine Cellosaite hätte kaufen können, sich einst eine stattliche Musikschule leisten werde? Und wer hätte gar für möglich gehalten, dass noch vor dem ominösen Jahr 2000 dieses Riehen mit einem der schönsten Museen der Welt Kunstfreunde aus allen Kontinenten in Scharen ins Berowergut locken werde? Und doch erblühten alle diese - und eine Reihe weiterer - Kunstpflegestätten im Verlauf eben jener fünfzig Jahre, auf die wir heute zurückblicken, und zwar in eben dem Dorfgeviert, an dessen von Krisenjahren gezeichnetem Bild ich seinerzeit Hebels Feststellung begriff: «S chunnt alles jung und neu, und alles schliicht sim Alter zue, und alles nimmt en änd.»

Das kulturpolitische Projekt «Kunst in Riehen»

Den Gemeindebehörden war schon lange klar gewesen, dass Riehen, wenn es nicht zur blossen Schlafstätte verkommen, sondern zu einem neuen Charakter und Selbstbewusstsein finden wolle, ein anziehendes Zentrum brauche, das dem Magneten der nahen Stadt entgegenwirken könnte, und dass deshalb die Neugestaltung und Neubelebung des Dorfkerns zu ihren dringlichsten Aufgaben gehöre. Die nötigen Grundstücke hatte die Gemeinde schon vor dem Krieg erworben; aber erst die Nachkriegs zeit, die ihr einen mächtigen Zuwachs und Aufschwung brachte, erlaubte die Realisierung der Erneuerungspläne, die bedeutend mehr waren als nur ein Bauprogramm.

Der Bau des «Landgasthofs» wurde als erstes in Angriff genommen, und weil er ein eigentliches Kulturzentrum werden sollte, wurde ihm ein Saal angegliedert, der nicht nur Vereinsanlässen Raum und Rahmen geben sollte, sondern auch Konzerten und mannigfachen kulturellen Veranstaltungen, die über die Gemeindegrenzen hinaus ausstrahlen sollten. Dem Verkehrsverein, der sich hier mächtig engagierte, schwebte der Aufbau eines vielfältigen Konzert- und Theaterprogramms vor, das unter dem programmatischen Namen «Kunst in Riehen» kundtun sollte, dass das Dorf den Bauernkittel abgelegt habe und kulturell auch städtische Ansprüche seiner rasch wachsenden und anspruchsvoller werdenden Einwohnerschaft befriedigen wolle und könne. Die Alt-Riehener, gemeint sind die längst hier Ansässigen, und die Neu-Riehener, das heisst die in jüngerer Zeit Zugezogenen und auch die künftig Zuziehenden, sollten durch dieses Programm gemeinsam angesprochen werden. Sie sollten sich hier nicht nur begegnen, sondern auch zusammenfinden im Zeichen der Kunst und in einem neuen Stolz auf ihr Dorf, das, aus seinem Dornröschenschlaf erwacht, sich neben der nahen Stadt eigenständig zu profilieren und auch kulturell zu behaupten gedachte. Identitätsstiftung im Zeichen der Kunst, um nichts Geringeres ging es den Initianten dieses ehrgeizigen Projekts, unter denen neben Nicolas Jacquet, dem damaligen Präsidenten des Verkehrsvereins, und Georges Ott vor allem Alfred Bossert zu nennen ist, der sich mit wahrhaft missionarischem Engagement an die Realisierung dieser sozial- und kulturpolitischen Idee machte.

Alfred Bossert, der Organisator

Anlässlich des 40. Geburtstags von «Kunst in Riehen» hat Theo Schudel dem eigentlichen Vater des Projekts in einer unveröffentlichten Erinnerungsskizze ein Denkmal gesetzt. Der Bericht zeigt nicht nur, wie energisch Bossert zu Werk ging, sondern auch, wie schwierig es war, der Idee zum Erfolg zu verhelfen. Denn im immer grösser und heterogener werdenden Riehen hatte im Grund ja kaum jemand auf sein idealistisches Kultivierungs- und Sozialisierungsprogramm gewartet. Schudel schreibt: «Mit spontaner Freude und grosser Begeisterung sorgte, ja kämpfte Alfred Bossert zunächst einmal dafür, die Dorfbevölkerung zu den Konzerten und Theaterveranstaltungen überhaupt in den Saal zu bringen. Alle freie Zeit, die er sich erübrigen konnte, sah man ihn im Dorfzentrum. Wen er auch antraf und kannte - und er kannte das halbe Dorf -, sprach er an: <Hesch gseh? Hesch ghört? Nägschti Wuche isch Konzärt do z Rieche, im Dorfsaal, e maximal Programm! Kunnsch mit dyner Frau und bringsch au grad no dyni Kinder mit! Wievyl Billet bruuchsch?> Dann holte er ein Bündel Billette aus der einen Tasche, in der anderen hatte er einiges Münz. <Also, wievyl nimmsch?> Abschütteln Hess Bossert sich nicht so leicht. Er verkaufte, er verschenkte Billette. Er lud ganze Schulklassen gratis ein. Sein Grundsatz war: Ganz egal, wer zahlt und wer nicht; wichtig ist jetzt vor allem, dass der Saal gefüllt ist. Er war überzeugt, wer einmal da war, komme dann ganz von selbst wieder. Und nicht zuletzt sollte eben der Gemeinderat sehen, dass sein Projekt wirklich eine unterstützenswerte Sache sei und dass die Riehener zahlreich und freudig hinströmten, wenn es in ihrem Dorf auf einmal veritable Kunst zu hören und zu sehen gebe.»

Bis die Bevölkerung zu den Riehener Konzerten hinströmte, war allerdings noch viel Arbeit zu leisten, und vollends zu einem Flop wurden die Versuche, die Konzertreihe durch Abende mit Heimat- und Volkstheater zu ergänzen. Hier machte vor allem die Akustik des Dorfsaals den Organisatoren einen Strich durch ihre Pläne. So gut der Raum Kammermusik und Orchesterkonzerte klingen Hess, so grausam verschluckte er das gesprochene Wort. Theater war hier jedenfalls nicht zu machen und auch die erwogenen Dichterlesungen nicht. So musste «Kunst in Riehen» sich bald auf ein rein musikalisches Programm beschränken, das sich gezielt an die Freunde klassischer Musik wendete.

Schudels Bericht zeigt Bossert als rührigen Initianten, Promotor, Propagator, Kundenschlepper, Billettverkäufer und Plakataushänger von «Kunst in Riehen». Was er in all diesen Funktionen leistete, war aber der kleinere Teil seines Fotaleinsatzes. Vor allem machte er nämlich das Programm der Veranstaltungsreihe. Er war seit Jahren im Basler Musikleben engagiert und verfolgte die Konzertszene der Stadt als überall präsenter, aufmerksamer und urteilssicherer Hörer. Viele Basler Musiker gehörten zu seinem Freundeskreis. Er nutzte diese Freundschaften und überdies seine mannigfachen persönlichen Beziehungen zu Künstlern in aller Welt. Er konzipierte, organisierte, telefonierte, schrieb, verhandelte, engagierte, kalkulierte, terminierte, telegrafierte, bis sein Saisonprogramm und alle einzelnen Konzerte standen. Schon mitten aus der entscheidenden Sitzung, in welcher der Kreis der Initianten 1950 die Gründung von «Kunst in Riehen» beschloss, telefonierte Bossert, wie ein Zeuge sich erinnert, Paul Tortelier nach Paris, bestellte ihm einen freundlichen Gruss seines Basler Freundes Karl Engel, bei dem er die private Telefonnummer erfragt hatte, und gewann ihn auf Anhieb für ein Cellorezital. Ahnlich unkompliziert dürften die Engagements der Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf und der Pianistin Reine Gianoli verlaufen sein, der leuchtenden Stars der folgenden Winter. Und wenn die Künstler oder Künstlerinnen dann anreisten, holte er sie ab, brachte sie unter und betreute sie während und nach dem Konzert als aufmerksamer Gastgeber, der die gute Nachkonzertlaune seiner Gäste nicht selten dazu benutzte, sich die erfolgreichen Musiker gleich für eine nächste Saison wieder zu sichern. Administrativ unterstützte ihn übrigens in dieser Anfangszeit der damalige Psychologiestudent Ernst Wenk, bevor es ihn von Riehen nach Amerika zog, seiner dortigen professoralen Karriere entgegen.

Von der Ein-Mann-Intendanz zur Konzertkommission

Nach den ersten drei Konzertwintern wurde selbst dem unermüdlichen Alfred Bossert die Belastung durch seinen nebenberuflich und ehrenamtlich ausgeübten Organisationsjob zu viel. Die Verantwortung für «Kunst in Riehen» wurde einer Konzertkommission übertragen, einer Subkommission des Verkehrsvereins, in der Theo Schudel und Robert Zinkernagel an Alfred Bosserts Seite traten. In der Hoffnung, dem sich etwas zögerlich einstellenden Publikumserfolg der Riehener Konzerte liesse sich durch eine gründliche Professionalisierung des Unternehmens nachhelfen, wandte diese Kommission sich an die Basler Konzertagentur Pio Chesini und anvertraute ihr die Organisation der einzelnen Konzerte. Durchaus professionell spielte die Agentur in der Folge ihre Trümpfe aus. 1955 bis 1958 war in Riehen eine ganze Reihe der grossen Zugnummern der damaligen internationalen Musikszene zu hören. So spielten hier etwa der Geiger Joseph Szigeti, der Cellist Gaspar Cassado, der Flötist Jean Pierre Rampal, das Gewandhaus-Quartett, und es sang die Sopranistin Carmen Prietto. Aber der Preis für diese internationale Spitzenqualität überstieg auf die Dauer die Mittel, die der Kommission zur Verfügung standen, und der Hochglanz der Topkonzerte dämpfte überdies in unerwünschter Weise die Leuchtkraft des übrigen Programms, statt sie zu erhöhen.

So nahm von 1958 an die Konzertkommission die Programmgestaltung wieder selber an die Hand. Dieses wurde jetzt fast durchwegs von Künstlern bestritten, die in der Region zu Hause waren. Es wurde weitgehend ein Basler Programm, aber kein provinzielles. Für hohe Qualität sorgten Ensembles wie das Vegh-Quartett, das Strauss-Quartett, das Manoliu-Quartett, das Schneeberger-Trio, das Bläserensemble der BOG, das Ensemble der Schola Cantorum und Solisten wie Hansheinz Schneeberger, Paul Baumgartner, Karl Engel, Peter Zeugin, August Wenzinger und Joseph Bopp.

Die Ära Joseph Bopp Joseph Bopp stellte sich der «Kunst in Riehen» nicht nur als souveräner Flötist mehrmals zur Verfügung, sondern war von 1958 an während voller siebzehn Jahre der künstlerische Berater der Konzertkommission und als solcher der eigentliche Architekt der Saisonprogramme. Er war es auch, der die persönlichen Fäden zu den meisten der oben genannten Musikern spann und sich überdies dem von ihm geleiteten, stets schlank und gediegen musizierenden Orchester der Mozartgemeinde auch als Dirigent zur Verfügung stellte, sooft es Orchesterkonzerte zu ermöglichen galt. Das war nicht nur künstlerisch ein willkommenes Angebot, sondern auch ökonomisch, denn im Budgetrahmen, in dem die damals je sechs Abonnements konzerte einer Saison Platz finden mussten, war an das Engagement eines veritablen Sinfonieorchesters nicht zu denken. Bis dann das Radiosinfonieorchester Basel sein Hauptquartier von 1970 bis 1980 im «Landgasthof» aufschlug und vertraglich dazu verpflichtet werden konnte, sich der «Kunst in Riehen» pro Saison einmal für ein gross besetztes Sinfoniekonzert zur Verfügung zu stellen. Aus dem Pflichtdienst wurde bald ein Freundschaftsdienst, den das Orchester über seine zehnjährige Riehener Zeit hinaus regelmässig und gern leistete. Die Zusammenarbeit mit den sich ablösenden Dirigenten Erich Schmid, Richard Müller-Lampertz und dann vor allem mit JeanMarie Auberson und Matthias Bamert war immer gut und fruchtbar.

Auch die Bopp-Zeit spiegelt sich in Theo Schudels reizvollen Erinnerungen. «Die Kommissionssitzungen dieser Jahre sind mir in besonders froher und guter Erinnerung. Unter dem sich ablösenden Vorsitz von Robert Zinkernagel, Eberhard Wolff und Hans Schucan waren wir durch alle diese Jahre ein harmonisches und freundschaftliches Team, dessen Seele zweifellos unser musikalischer Berater Joseph Bopp war mit seiner phänomenalen Kenntnis der gesamten Musikliteratur, seinem gewinnenden Elsässer Charme, seiner ansteckenden Musikbegeisterung und seinem gemütvollen Humor. Oft sang er uns die Themen und Schlüsselstellen der Werke, die in unseren Sitzungen vorgeschlagen wurden, mit seiner sicheren, klaren Stimme vor, mimisch und im Klangtimbre die Instrumente nachahmend, denen sie anvertraut waren: mit gespitztem Mund ein exquisites Oboensolo nachzeichnend, mit aufgeblasenen Backen und gestülpten Lippen eine besonders humorvolle Fagottstelle oder gar eine virtuose Hornpassage. Mit hochgezogenen Augenbrauen liess er, wenn es dann um die Frage der Besetzung ging, nachdenklich seine Musikerfreunde Revue passieren, die diese schöne Musik angemessen interpretieren könnten, und dies natürlich - das war bei unserem engen Budget unabdingliche Voraussetzung - zu einem freundlichen Preis! Denn der Ostinatobass, der während all dieser Jahre unsere Sitzungen untermalte, war der obligate Hinweis des Kassiers auf die Begrenztheit der Mittel und unsere Pflicht und Schuldigkeit, den knappen Haushalt in der Balance zu halten! Trotz dieser leidigen Grundmelodie und obwohl jeder von uns mit Arbeit, Aufgaben und Verpflichtungen überlastet war, sind mir diese Sitzungen in schönster Erinnerung. Das Wechselspiel von Vorschlägen, Gegenvorschlägen, Argumenten und Einwänden und das harmonisch freundschaftliche Einander-Anregen und Aufeinander-Hören hatten selbst etwas eminent Musikalisches. Es waren glückliche Jahre!»

Wenkenhof-Konzerte

In den frühen Siebzigerjahren ging der englische Teil des Wenkenparks, der Park rechts des Bettingerbächlis, der in meiner Primarschulzeit ebenfalls zu den verschlossen und verwildert vor sich hinträumenden Riehener Gartenparadiesen gehört hatte, in den Besitz der Gemeinde über und öffnete sich. Und die Clavel-Stiftung stellte auch den Neuen Wenkenhof mit seinem französischen Garten der öffentlichkeit zur Verfügung. Die Konzertkommission wurde angefragt, ob sie Möglichkeiten sehe, Park, Gartensaal und vielleicht auch die Reithalle der ehemaligen Clavel-Residenz für «Kunst in Riehen» zu nutzen. Dieses Angebot eines zweiten Spielorts liess sich die Kommission nicht entgehen. Hier bot sich eine Möglichkeit, die grosse Reihe der Dorfsaalkonzerte, bei deren Gestaltung man im Blick auf den damit anzusprechenden möglichst grossen Abonnentenkreis keine Experimente wagen durfte, in höchst willkommener Weise zu ergänzen.

Das Kleine Konzert im Wenkenhof sollte der Kommission die Möglichkeit geben, auch junge und bei uns noch unbekannte Künstler auftreten zu lassen und sich überdies musikalischen Spezialitäten zu widmen, die ausserhalb des klassisch-romantischen Repertoires lagen, das den traditionellen Schwerpunkt der Konzerte im «Landgasthof» bildete. Der kleine Rahmen sollte auch Künstler und Hörer einander näher rücken und das Kommentieren von Musik, auch zeitgenössischer Musik, erlauben. Familienfreundlich wurden die Veranstaltungen auf den späteren Sonntagnachmittag gelegt. Auch Kinder wollte man dabei haben und lud sie zum kostenlosen Besuch ein.

Seither sind über hundert dieser lockeren Sonntagskonzerte im stilvollen Rahmen des Rokokosaals der ehemaligen Clavel-Villa über die Bühne gegangen. Die Realisierung des Projekts war im Wesentlichen bereits das Werk jener Konzertkommission, deren unermüdliches Kernteam - Arthur Hecker (seit 1970), Annemarie Bürgin und Renate Barth (beide seit 1972), Frank Nagel (seit 1974), Thomas Schucan (seit 1978) und Dorothee Gysin (seit 1985) - nicht nur die Wenkenhofkonzerte, sondern auch weit über hundert Konzerte der Grossen Reihe organisierte und dabei das heutige Gesicht von «Kunst in Riehen» massgeblich geprägt hat: zunächst noch unter der Leitung von Vater Hans Schucan (bis 1974) und Lajos Nyikos (bis 1977), dann aber vor allem unter Frank Nagel (Vorsitz bis 1986) und Thomas Schucan (Vorsitz bis heute), unterstützt von insgesamt 14 Kommissionskolleginnen und -kollegen, die sich nach kürzerem Engagement ablösten oder später zugestiegen sind.

Die hohe Kunst der Konzertorganisation

Aus den Erfahrungen der ersten 25 Jahre liess sich ableiten, dass die Fülle der Aufgaben, mit denen die erfolgreiche Organisation von zwei parallel laufenden Konzertreihen sich verbindet, jedenfalls nur von einem grösseren, gut eingespielten Team zu bewältigen war. Welche Qualitäten mussten sich in diesem Team zusammenfinden, damit das hohe Niveau von «Kunst in Riehen» nicht bloss gehalten, sondern womöglich noch gehoben werden konnte? Professionalität sollte sich in ihr verbinden mit der Unbefangenheit von «Dilettanten», Organisationskompetenz mit dem feinen Gespür für das in Riehen Wünsch- und Machbare, Erfahrung und Routine mit Improvisationslust, Verhandlungsgeschick mit psychologischem Feingefühl für Künstlerseelen, unbestechliches Urteil über Gehörtes mit untrüglicher Witterung für noch unentdeckte Spitzentalente.

Die Kommission, mit der zusammen Frank Nagel, Flötist und Leiter der Musikschule Riehen, und Lhomas Schucan, Physiker, «Kunst in Riehen» in den zweiten 25 Jahren ihrer Geschichte bei einem vergleichsweise bescheidenen Budget zu einer Konzertveranstalterin gemacht haben, um deren Kompetenz, Leistung und Generalprogramm Riehen weitherum beneidet wird, vereinte und vereint diese konträren Eigenschaften in besonders glücklicher Weise. Vier sind aktive Musiker, vier begeisterte Musikfreunde, drei verfügen über organisatorische Erfahrungen in grossen Betrieben, zwei über vielseitige Informatikkenntnisse, alle über langjährige Erfahrung in der Konzertorganisation. Die Talentspürer haben ihre Oh ren fast überall, wo es Musik zu hören gibt. Sie teilen sich in den Besuch möglichst vieler Konzerte, verfolgen aufmerksam musikalische Radioprogramme und Presseberichte über Konzerte und Musikwettbewerbe und halten sich so à jour über alles, was in der Musikszene geht. Indem sie die freundschaftlichen Kontakte mit den Künstlern, die in Riehen aufgetreten waren, nach Möglichkeit weiterpflegten, haben sie sich ein internationales Beziehungsnetz geknüpft. Und oft durften sie erfahren, dass Musiker, die sich gern an ihren Auftritt in Riehen erinnerten und an ihre Riehener Freunde, sich später wieder verpflichten Hessen: selbst dann noch, wenn der mittlerweile erspielte Welterfolg ein neuerliches Engagement für «Kunst in Riehen» finanziell schlechthin unmöglich gemacht hätte. über die gängigen kommerziellen Kanäle hätten sich Ensembles wie das Emerson-Quartett oder Künstler wie die Geiger Gidon Kremer und Thomas Zehetmair, die Pianisten Christian Zacharias und Krystian Zimerman, die Bratschistin Kim Kashkashian oder auch das herrliche Hagen-Quartett kaum für einen Auftritt in Riehen gewinnen lassen!

Entscheidend für den Erfolg der riesigen und wie zu Bosserts Zeiten noch immer nebenberuflich und ehrenamtlich geleisteten Kommissionsarbeit war und ist aber nicht nur das kunstvoll über den ganzen Erdball geknüpfte und liebevoll gepflegte Netz persönlicher Beziehungen zu den verschiedensten Künstlerinnen und Künstlern, sondern vor allem auch der Stil der Zusammenarbeit im Kommissionsteam. Theo Schudel schrieb über seine trotz der enormen Belastung als beglückend erlebte Kommissionsarbeit während der ära Bopp, dass der gegenseitige Umgang der Menschen, die seinerzeit die Programme machten, selbst etwas «Musikalisches» an sich gehabt habe. Wenn ich die erfolgreiche Kommission der ära Nagel und Schucan heute über ihr gemeinsames Wirken für «Kunst in Riehen» berichten höre, stelle ich fest, dass diese «musikalische» Art, miteinander umzugehen, offenbar durch die Jahrzehnte weitergepflegt und -entwickelt worden ist. Und hier dürfte denn auch das Geheimnis für die ungewöhnliche Qualität dessen Hegen, was diese Kommission in den letzten 25 Jahren zu Stande gebracht hat. Für ihren unermüdlichen Einsatz und alles, was sie aus «Kunst in Riehen» gemacht hat, hat sie sich den Dank der Gemeinde verdient.

 

Von der Wunderwirkung der Kunstförderung

Kunst fördert die, die sie fördern - diesem Credo der italienischen Renaissancefürsten anvertrauten sich Riehens führende Köpfe, denen das Dorf seine erstaunliche «Renaissance», sein heutiges Erscheinungsbild und seinen heutigen Stolz verdankt. Gebunden an demokratische Spielregeln (wie das 15. Jahrhundert sie noch nicht kannte!), hatten die Gemeindebehörden es allerdings nicht immer leicht, diesen fürstlichen Glauben an die Unverzichtbarkeit der Kunst zu verteidigen gegen den urbürgerlichen Zweifel an der Verantwortbarkeit von Investitionen in «Unnützes». Aber sie haben es mutig und erfolgreich verteidigt, wann immer es nötig war.

Kunst und Riehen: Diese zwei Begriffe wurden vor fünfzig Jahren als Gegensatz verstanden. Die Institution «Kunst in Riehen» sollte Kunst nach Riehen holen und so den Gegensatz überbrücken und die beiden schwer zu vereinenden Begriffe vermählen. Das war ein Stück bewusster Riehener Kulturpolitik - mit hoch gestecktem Ziel!

Die wunderbare Vermählung Riehens mit der Kunst oder der Kunst mit Riehen - um 1950 ein reichlich utopisches Projekt! - ist tatsächlich geglückt. Wo immer in der global vernetzten Welt der Kunstsammler und Malereifreunde die Rede ist von Kunst, die kein Kenner sich entgehen lassen wird, ist heute auch von Riehen die Rede. Diese Erfüllung kühnster Hoffnungen von damals verdankt sich allerdings - das muss gesagt sein - nicht gezielter Riehener Kulturpolitik, sondern jenem erstaunlichen Geschenk, das Ernst und Hildy Beyeler ihrem Wohnort Riehen gemacht haben, indem sie ihrer einmaligen Sammlung von Bildern der klassischen Moderne, nach welcher die etabliertesten Kunstmetropolen gierten, nicht irgendwo auf der Welt eine prestigeträchtige Bleibe erhandelten, sondern die Schätze in die Fondation Beyeler einbrachten und ihnen auf Riehener Boden ein herrliches Museum bauen Hessen.

Ist Riehens Glück tatsächlich einfach so vom Kunsthimmel gefallen, unverhofft und unverdient? Wäre es wohl just auf Riehener Boden gefallen, wenn dieser schwere Boden nicht durch eine kunstfreundliche Politik jahrzehntelang beharrlich gelockert worden wäre? Und hätte die neue Kunstpflegestätte hier wurzeln und wach sen können, wenn dieser Boden nicht durch liebevolle Kunstpflege kultiviert worden wäre? Wohl kaum. Und deshalb ist das erstaunliche Zusammenfinden von Kunst und Riehen letztlich vielleicht doch eine Frucht jener Politik, die auf die fördernde Kraft der Kunst vertraute und dadurch zu einer glücklichen Politik wurde.

Die Institution «Kunst in Riehen» hat im Sinne ihrer kunstgläubigen Gründer fünfzig Jahre lang an der beharrlichen Kultivierung des Riehener Bodens und des Riehener Klimas mitgearbeitet. Durch ihr glückliches Wirken im Dienste der Musik hat sie auf nicht voraussehbare Weise auch den bildenden Künsten den Weg nach Riehen bereiten helfen. Dass die bildenden Künste der Musik im Werben um und für Riehen nun gewissermassen den Rang abgelaufen haben, ficht die erfolgreichen Entwickler von «Kunst in Riehen» nicht an. Aber vielleicht müssten sie angesichts dieser jüngsten Entwicklung der Riehener Kunstgeschichte ihrer ausschliesslich der Musik verpflichteten Institution doch mit der Zeit einen neuen Namen suchen.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2000

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