Regula Huegli Eine Malerin unterwegs

Annemarie Monteil

Wie bringt man die Enden der Welt zusammen: das Harte und das Zarte, das Dunkle und das Helle, das Aussen und das Innen? Worte werden immer getrennt nebeneinander stehen. Aber vielleicht gibt es eine Bilderschrift, die die unterschiedlichen Positionen verwebt? Auf der Suche nach einer solchen Schrift ist die Malerin und Zeichnerin Regula Huegli seit vielen Jahren unterwegs. Ihre Werke sind persönliche Lese-Arten der Kräfte aus Licht und Dunkel.

Malerin von Geburt

Der Lebensanfang von Regula Huegli erinnert an jene antiken Legenden, da Künstler schon mit dem Stift geboren werden. Die noch nicht zweijährige Regula erhielt von ihrer Mutter Farbstifte und Papier, dann sass sie stundenlang still und zeichnete. Im Kindergarten gab ihr eine verständnisvolle Kindergärtnerin ein Sonderecklein zum Malen. «Mein Atelier», erinnert sich Regula Huegli. Sie sei zwar im Kreis der Kinder als Aussenseiterin angesehen worden. Aber das sei «angenehm gewesen»: Der Satz klingt wie eine Einübung in das spätere Schicksal. Und da gab es auch die Grossmutter aus dem Elsass, die sagte: «Och, des Kind het Gold in de Finger». Die «Malerin seit dem Kindergarten», wie sie sich selbst lächelnd bezeichnet, sah ihr Leben klar vor sich: Künstlerin. Nach der Matura besuchte sie die Kunstgewerbeschule Zürich, eigenwillig gegen den Einspruch der Eltern.

Es waren Jahre des Einsammelns. Hauptdozent war der Bildhauer Ernst Gubler (der Bruder der beiden Maler Max und Eduard Gubler), der sie den Umgang mit dem Räumlichen lehrte und sie ermunterte, «die gedämpfte Basler Palette abzustreifen». Zwei Jahre lang studierte sie zudem Archäologie an der Universität Zürich, erwog momentweise das Umsatteln. Die Frühklassik der Griechen und die Kunst der Etrusker blieben prägend.

 

Der Weg zur Künstlerin schien klar und problemlos. Aber dann geschah ein Einbruch, ein Versiegen der Kreativität, wie es bei Künstlerinnen ihrer und vor allem der älteren Generation nicht selten vorkam, weil weibliches Selbstvertrauen schwach war. Zehn Jahre lang fühlte sich Regula Huegli ausserstande, künstlerisch etwas hervorzubringen. Das Verstummen war nicht nur bedingt durch die häuslichen Pflichten einer Ehe mit drei Kindern, sondern mehr noch durch die negative Einstellung der nächsten Umgebung gegenüber ihrem gestalterischen Tun.

Wegsuche

In den siebziger Jahren ertastete sich Regula Huegli die Stufen zur Freiheit: Rückzug zu sich selbst, später Scheidung. Wäre es noch immer nach der Künstlerlegende gegangen, so hätte jetzt die angeborene bildnerische Lust der jungen Frau explosionsartig hervorbrechen müssen. Aber so war es nicht.

Den einst sicheren Boden, den sie als Kunststudentin begangen hatte, empfand sie als rissig. Bei Ernst Gubler hatte sie (nach damals aktuellem Meinungsstreit) gelernt, dass die figürliche Darstellung das einzig Richtige sei, nur schwächere Gestalter würden sich abstrakt ausdrücken. Nun aber hatte gerade die figürliche Welt, das heisst die Welt der Realitäten, für Regula Huegli die Verlässlichkeit verloren. Sie liess sich also nicht mit den früheren Mitteln und mit der einstigen frohen Gewissheit darstellen. «Ich musste von vorn anfangen», erinnert sich Regula Huegli, «mir ein Alphabet erfinden».

Die ersten «Lettern» dieses Alphabets waren Klümpchen aus weissem Ton, langsam aus knetenden Händen wachsend. Die kleinen organischen Figurationen steckte sie auf Draht und nannte sie «Equilibre». Und siehe, mit der modellhaften Erprobung der ästhetischen Balance stellte sich das eigene innere Gleichgewicht ein.

Für das Wiedergewinnen von Malen und Zeichnen half der Zufall - oder was man so nennt. Ein Christbaum mit brennenden Kerzen warf phantastische Schatten an die Decke. Regula Huegli sah hinauf, konnte die Augen nicht abwenden: «Das ist ja die abstrakte Kunst, die ich suche». In derselben Nacht wurde sie krank, ergriffen von Schwindel. In der wochenlangen Rekonvaleszenz zeichnete sie immer wieder die Schattenschrift des Lichter baums. Sie hatte eine neue Wirklichkeit gefunden, diejenige ihrer eigenen geschauten Welt. Auf dieser Basis konnte sie arbeiten.

Wachsen

In zwei Jahrzehnten ist ein Œuvre gewachsen, das bei vielerlei Entwicklungen Kontinuität aufweist: Zwei- und dreidimensionales Gestalten gehen parallel. Die Figurationen haben oft mit Behältern zu tun, geschlossenen oder geöffneten, bewahrenden oder verströmenden.

Zuerst waren es Couvert- oder Hausformen aus gefalteten, bemalten Papieren, die Geheimnisvolles zu bewahren schienen. Dass im Etruskischen das Zeichen «Haus» auch «Frau» bedeutet, entsprach ebenso den einstigen Studien wie der persönlichen Lebenssituation, der Suche nach «Behausung». Sie formte mit Seidenpapier Frauen, die sich aus Hüllen schälten, knittrig wie Schmetterlingsflügel vor dem Entfalten. Stets bedeckten schriftartige Zeichen die Flächen, legten sich zwischen linienfeine Koordinatensysteme, füllten Bücher.

Vieles in diesen Objekten und Bildern deutet auf Bewegung: fliessende Kalligraphien, Briefumschläge und Marken wie zum Wegschicken, gleitende Schlangen, Spiralen, sich befreiende Gestalten. Das Unterwegssein in jeder Beziehung gehört zum Lebensrhythmus von Regula Huegli. Und immer ist Reisen bei ihr auch Ankommen im Eigenen, von den Schriften im koptischen Museum Kairo bis zu den anthropomorphen Gefässen der Griechen.

Seit zehn Jahren ist der ferne Osten das wichtigste Ziel. Drei Monate in Peking (Austausch-Ateliers der Christoph Merian Stiftung) waren, so notierte sie es, «das Wagnis, meinen persönlichen westlichen Stil mit chinesischer Kalligraphie konfrontiert zu sehen». Die Chinesen fanden die herbe Bildschrift der Kollegin aus Basel zuerst befremdlich, aber dann - bewundernd: «It's so free».

Aus Peking brachte Regula Huegli Wasserfarben mit, der besonderen Grün- und Gelbtöne wegen, und den Rat eines tibetischen Mönchs, den sie um Unterricht bat und der nur sagte: «Meditiere. Das tat auch Michelangelo, man merkt es den Sonetten an.»

Wissen

Rasches Nippen ist Regula Hueglis Sache nicht. Vom östlichen Gedankengut, vom Meditieren wollte sie mehr erfahren, Genaueres. Seit 1985 verbringt sie fast jedes Jahr mehrere Wochen in einem Kloster in Nepal, malend, Meditationstexte auswendig lernend, verpflegt von Mönchen bei einfachstem Leben.

Es gehe darum, sagt sie, «ins Fremde hineinzukommen, ohne das Eigene zu verlieren». In ihr Tagebuch notiert sie den Satz von Ludwig Wittgenstein, der ihrem Zustand entspricht: «Das Unbegreifliche ist doch, dass sich nichts geändert hat, und sich doch alles geändert hat.»

Es begann mit den Papieren. Material kann stimulieren. Regula Huegli bemalte in Nepal die dort zum Einwickeln bestimmten hauchfeinen Blätter, liess sie sich falten unter Tusche und Wasserfarbe wie Runzelhaut, klebte sie zusammen, bis das Verletzliche und das Solide eins waren, jedes in seiner Art aber kenntlich. Dann kam die Farbe, erst jetzt, zwanzig Jahre, nachdem Ernst Gubler diese von der Schülerin gewünscht hatte. In Asien, sagt Regula Huegli, könne man sich der Farbe nicht entziehen. Mandalas seien für sie ein Blick ins Paradies gewesen.

Als Motiv bot sich das im Himalaya Gebräuchliche an, die Tasse, die Schale. Zuerst malte sie die Tasse geschlossen, mit Deckel - und war verblüfft, dass der Umriss eine Buddhafigur ergab. Dann erscheint das Gefäss geöffnet, leuchtend wie ein Gral.

Austausch

In der Schweiz war inzwischen Riehen zum idealen Arbeitsort geworden. Sie liebt das Dorf auch zum Wohnen: «Ein Grenzland, das mir behagt.» Von 1990 bis 1993 arbeitete sie im früheren Atelier des Malers Jean-Jacques Löscher (1884-1955). Grosses Fenster, Nordlicht, viel Gebüsch, ein Zauber sei dort gewesen: «Wie im Himalaya. Ich kam hinein und konnte sogleich arbeiten.»

Hier entstanden die grossformatigen Schalenbilder. Ihr ganzes «Vokabular» legte, respektive malte sie in die Gefässe: Kristalle, kalligraphische Zeichen, Fischgetier, geheimnisvolle Flüssigkeiten (Seite 141). Sie formte die Wölbung mit einem kräftigen Horn, sehr farbig um den sanft schimmernden Inhalt: Das Stossende und das Zarte, das Aggressive und das Nachgiebige schliessen sich nicht mehr aus (Seite 140). Die östliche Weisheit weiss es seit je: «Yin und Yang sind nicht unversöhnliche Gegenkräfte, sondern ... polare Kräfte, aufeinander bezogen und sich gegenseitig ergänzend» (Ching/Küng, Christentum und chinesische Religion). Viele Jahre bewahrten die Schalen ihre Inhalte. Seit einiger Zeit kehrt die Malerin sie um. Es ist nicht mehr notwendig, die Dinge zu behalten. Wer das Strömen gelernt hat, fürchtet keine Verluste.

In den jüngsten Bildern antwortet jeweils einer sich leerenden Schale eine sich füllende, eine Staffette besonderer Art. Wieder dient als Malgrund das feine Nepalpapier mit seinen Falten wie Narben. Die Gefässe sind mit leichtem Pinsel in schwarzer und weisser Farbe hingesetzt, trancehaft sicher. Die zeichnerische Struktur wird überglänzt von Farbe, indem Regula Huegli auf einzelne Teile farbig gemalte Blätter heftet. Die ihre Inhalte tauschenden Schalen fügen sich zu einer neuen starken Gesamtform in bandartigem Hochrechteck (Seite 141). Der Stoff aus Gedachtem, Erlebtem, Erlittenem - Regula Hueglis Lebensstoff - ist im Handwerk des Malens reines Bild geworden.

Biografisches

1936 geboren in Basel 1955 Maturität in Basel. 1955/56 Académie Chaumière Paris. 1956-1960 Kunstgewerbeschule Zürich, Schülerin von Ernst Gubler. 1958-1960 Universität Zürich, Archäologie und Kunstgeschichte. Lebt und arbeitet in Riehen und Basel.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1994

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