Autoren aus Riehen Hans A Jenny

Dominik Heitz

An literarischen und kulturhistorischen Publikationen nimmt sich seine Liste beachtlich aus: 25 teils vergriffene, teils in mehreren Auflagen gedruckte Werke sind bisher aus seiner Feder geflossen; jüngstes Buch in der respektablen Reihe ist das mit dem Titel versehene «Schweizer Originale». Der einundsechzigjährige Hans A. Jenny legt damit einen weiteren Band vor, der sich dem Portraitieren bekannter und weniger bekannter Grössen widmet, wie sie schon spezifisch in seinem Werk «Menschen, Tiere, Sensationen» mit leichtem Unglauben zu bestaunen gewesen sind. Dort erschienen Wunderkatzen und Doppelhasen, Bartfrauen und was das schillernde wie bisweilen traurige Show-Panoptikum mehr an bemerkenswerten Gestalten bereitzuhalten vermag.

In seinem neusten gebundenen Sammelsurium hat Jenny nun eine Anzahl «helvetischer Individuen» in Wort und Bild zusammengetragen. Dabei findet auch das in Muttenz lebende «verkannte Universalgenie E. L.» Aufnahme unter den eidgenössischen Sonderlingen. Dass uns hier und an dieser Stelle gerade jenes Baselbieter Original erwähnenswert scheint, hängt weniger mit der Person als mit folgendem Umstand zusammen: Der im Bild Festgehaltene entspricht nicht dem vermeintlichen E. L. - nein, gezeigt wird ein anderer. In der Bildlegende heisst es dazu vielsagend: «Aus Diskretionsgründen veröffentlichen wir als Konterfei des streitbaren Muttenzers lediglich ein unkenntlich gemachtes <Phantombild>.» Der schwarze Balken über der Augenpartie des Abgelichteten vermag indes den sorgfältigen Betrachter nicht völlig in die Irre zu führen. Deutliche Anzeichen sprechen dafür, dass es sich beim Photographierten kurioserweise nur um Hans A. (Albert) Jenny handeln kann.

Und damit wären wir auch schon bei einem wesentlichen Charakterzug des Publizisten Jenny angelangt: SeinbPublikum nämlich kennt und schätzt ihn als verschmitztwitzigen Menschen, ja als einen jener Individualisten vielleicht, welche - wie er selber respektvoll über die Originale schreibt - «der Mut zum Ausserordentlichen und die Freude an einem wirklich selbstgestalteten und nicht nur fremdbestimmten Leben erfüllen... die ihr unverwechselbares Schicksal frei und manchmal auch frech gestaltet haben, ohne sich zuerst bei der diffusen <Allgemeinheit> ängstlich abzusichern».

Doch tasten wir uns zunächst über seine wichtigsten Lebensdaten an den Schriftsteller Jenny heran. Geboren wurde der einzige Sohn von Albert und Margaretha JennyBühler am 13. Juni des Jahres 1931. Die Kindheit verbrachte er in Riehen, zunächst am Bettingerweg 98 (heute Höhenstrasse 24), bevor er als Sechsjähriger mit seiner Familie an die Grendelgasse ins Morandini-Haus zog. Von hier aus führte ihn sein Weg als Primarschüler täglich ins Erlensträsschen und später als Realschüler ins Schulhaus an der Burgstrasse, wo er in Deutsch, Geographie und Geschichte von Lehrer Hans Renk Wissen vermittelt bekam, das ihn auf seinem späteren Lebensweg in mehrfacher Weise beeinflussen und animieren sollte: als Literat, Kulturhistoriker und nicht zuletzt als passionierter Sammler.

Beginnen wir mit dem Literaten Hans A. Jenny, so suchen wir heute vergeblich nach seinen ersten fünf Büchern, denn diese sind nicht unter seinem bürgerlichen Namen zu finden. «Es waren Gedichte und anderes mehr, die ich damals unter verschiedenen Pseudonymen verfasst habe, doch obschon ich sie zu meinen bisher erschienen 25 Werken hinzuzähle - dazu stehen kann ich heute nicht mehr», sagt Jenny selbstkritisch. Unter diesen «Jugendsünden», wie er es nennt, befindet sich auch eine Operette namens «Suleika», die er im Alter von zwanzig Jahren geschrieben hat. «Ich habe die Operette, deren Aufführungsdauer vier Stunden betragen hätte, in Wien mit Robert Stolz besprochen, doch dieser gab mir zu verstehen, dass er schon Besseres gelesen habe», erinnert sich Jenny amüsiert.

Dennoch: Das Schreiben liess den gelernten kaufmännischen Angestellten nicht los, begann aber eine andere Richtung zu nehmen - hin zu aktuellen und kulturhistorischen Themen. So war Jenny in der Riehener-Zeitung etliche Jahre unter dem Pseudonym «Erle-Hätzle» und «Riocho» mit Kolumnen vertreten, wurde erster Redaktor beim Doppelstab und wirkte als Mitarbeiter des Nebelspalters; dabei entwickelte er sich in diesen Jahren kontinuierlich zum Schriftsteller und Sachbuchautor. Ein erstes Zeugnis davon legen die Anekdoten-Bände «Baslerisches-Allzubaslerisches» (1961 und 1968) ab. Es folgten «Die Lof-Story» als frei erfundene und in nostalgisch-ironischer Sprache geschriebene Kitschpostkarten-Geschichte sowie «Prinzessinnen», eine Sammlung von zwar geschichtstreu wiedergegebenen, aber in romatischen Farben getönten Frauenschicksalen. Hier wie später in all seinen Werken manifestiert sich Jennys - wohl vom Journalismus geprägtes - Faible, historisch-kuriose Details in einer süffigleichten Sprache lebendig werden zu lassen, wobei die Illustrationen ernster wie nostalgischer und bisweilen leicht frivoler Art eine wichtige Rolle spielen. «Ich sehe mich als Grenzgänger, als Brückenbauer zwischen Schriftsteller und Sachbuchautor», beschreibt Hans A. Jenny denn auch seine Tätigkeit als Autor.

Woraus nun aber zieht der Verfasser von so unterschiedlichen Werken wie «Rund um den Marktplatz», «Morde, Brände und Skandale» oder «Heimatkunde Tecknau» sein scheinbar unerschöpfliches Wissen? Jenny ist wie eingangs erwähnt - nicht nur Literat und Kulturhistoriker, sondern auch Sammler. Wer ihn in seinem Hause in Tecknau besucht, wird dies mit einigem Staunen feststellen können. Im Verlaufe von 15 Jahren hat er das ehemalige Dreiständerhaus zu einer beinahe labyrinthartigen Bibliothek ausgebaut: über verwinkelte Treppen gelangt man vom Parterre unter das Dach, vorbei an grösseren und kleineren Räumen, alle bis unter die Decke angefüllt mit Dokumenten unterschiedlichster Provenienz. Werke von Pseudodichtern, Autokataloge, Reisereportagen und Typographisches findet sich; das Shakespeare'sche Œuvre reiht sich ein neben Druckerzeugnissen über Theater und Film; ein Raum ist Napoleon, der französischen Revolution und der Pariser Stadtgeschichte gewidmet, während sich unter dem Dach Vielfältigstes über Prominenz und Halbprominenz der weiblichen Welt von gestern und heute zu einem schillernden «Frauenkabinett» formt. Alles in allem können mehr als 50 000 Bände sowie über eine Million Illustrationen gezählt werden - thematisch zu 500 Sachdossiers geordnet.

«Ich sammle alles, was unter Kulturhistorie geht; ich schliesse nichts aus, sondern will alles integrieren», erklärt Jenny seine umfangreiche Dokumenten-Kompilation. In der Tat: Autographen haben genauso ihren Platz wie eine Poesiealben-Sammlung, die fast vollständige Riehener Jahrbuch-Reihe oder Zigarrenbinden mit dem Portrait Napoleons. Jenny sieht sich deshalb Goethes kompendialistischem Begriff verbunden, einer vernetzten Ordnung, und will seine Philosophie als eine der «totalen Integration» verstanden wissen. Am augenfälligsten wird dies vielleicht dem Besucher im grossen Saal, der ehemaligen Scheune vorgelegt. Hier, umgeben von rund fünf Meter hohen Bücherregalen, angefüllt mit Druckerzeugnissen über alle Lebensgebiete, lädt der Sammler Jenny auf Wunsch gelegentlich zu einer «Soirée sentimentale» ein, an der an einem langen Tisch, bei Kerzenlicht und romantischer Wiener Musik, einer anekdotenreichen Vorlesung beigewohnt werden kann.

Und was Vorlesungen anbelangt, so hat er damit seine guten Erfahrungen und Erfolge gesammelt. «Wissen Sie, ich bin zwar in erster Linie Schriftsteller», erklärt Jenny, «aber davon könnte ich nicht leben. So habe ich mit Volkshochschulkursen begonnen, wo ich meine Begeisterung über die Geschichte in extensivstem Sinne mitzuteilen versuche. Ich möchte den Menschen die Kulturfreude präsentieren; dabei sehe ich mich als Animator.» Betrachtet man sein Volkshochschul-Kursprogramm, dann scheint ihm seine Rolle als Initiator mehr als recht zu geben: An den Universitäten Basel, Bern und Zürich finden seine Vorträge - verbunden mit Exkursionen - regen Zulauf; sei es, dass er «Napoleon - total» zum Thema hat, über «Wien Zauber einer Stadt» referiert oder esoterische Reflexionen über das «Leben nach dem Tode» anstellt. «Ich lese zu den verschiedensten Themen und möchte eigentlich auch nirgends fixiert sein», so Jenny.

Und damit sind wir wieder bei seiner Dokumentation angelangt, die ebenfalls nichts ausschliesst - aber auch nicht unter Ausschluss der öffentlichkeit steht, im Gegenteil. Seine kulturhistorischen Friedhofsführungen in Basel, Bern, Zürich und Freiburg im Breisgau und seine, wie er meint, «untouristischen und speziellen» Studienreisen nach Wien und Paris werden - wie seine Bücher - weitgehend aus dem eigenen «Fundus» erarbeitet. Hans A. Jenny liegt daran, seine gesamten Kollektionen für jedermann genutzt zu sehen: «Dass ich einmal die ganze Bibliothek in eine Stiftung verwandle, ist durchaus möglich; sie muss aber so, wie sie jetzt ist, erhalten bleiben - als kompendialistische Sammlung.»

 

 

Riehener Anekdoten von Hans A. Jenny

DIE DOPPELTE HELENA Samuel von Brunn amtierte von 1635 bis 1684 als Pfarrer in Riehen. Er war mit dem Basler Stadtarzt Felix Platter befreundet. Beide liebten Helena Bischoff. Die schöne Helena konnte sich lange nicht entscheiden, heiratete aber schliesslich den prominenten Mediziner. Der pfiffige Theologe jedoch blieb weitere zwanzig Jahre unvermählt. Dann trat er mit der 19jährigen Helena (II), der jugendfrischen Tochter seines einstigen Nebenbuhlers, vor den Traualtar...

 

CHRISCHONAKULM RETOUR

Am 23. Oktober 1896 wurde dem Bundesrat das Konzessionsgesuch für eine elektrische Schmalspurbahn HörnliKiehen-Bettingen-Chrischona eingereicht. über eine Strecke von 6855 Metern und mit einem Höhenunterschied von 244,85 Metern war ein halbstündlicher Betrieb mit sechs Motorwagen, vier Anhängern und sogar zwei Güterwagen vorgesehen. Auf «Chrischonakulm» sollte eine Art Bergbahnhof erstellt werden. Obwohl der Bundesrat im Oktober 1897 die Konzession erteilte und im November 1912 ein Aktienprospekt aufgelegt wurde, scheiterte das Projekt schliesslich an Landkaufsproblemen und an der durch den Ersten Weltkrieg enstandenen Finanzkrise.

 

SCHWESTERN UND BRüDER

Auch «Soll»-Geschichten gehören zu den Anekdoten... So um 1920 etwa >spazierten zwei württembergische Schwestern auf der heute fernsehdominierten Chrischona. Die Mutter eines jetzt in Zürich lebenden Baslers will gehört haben, wie auf der Höhenpromenade eine der schwäbischen Diakonissen ihre Kollegin beim Erblicken zweier «Chrischonabrüder» gewarnt habe: «Schwester, schlach die Auge nieder - um die Ecke nahen Brieder!»

 

HEISSE LIEBE ZU «RIECHA»

Seit 1522 gehört Riehen zu Basel (oder Basel zu Riehen). 1922 feierte man die ersten vier Jahrhunderte dieser «Entente (quasi) cordiale». Der Bildhauer Hans Frei schuf dann 1923 eine Metallplastik bei der Haltestelle Burgstrasse, die «eiserne Lady von Riehen». Die Anwohner nannten das textilfreie Symbolfräulein auch «Riecha» - in freier Anlehnung an ihren «Bruder», den sagenhaften Dorfgründer «Riocho». Man weiss zwar immer noch nicht so recht, ob diese mit einjähriger Verspätung zur Welt gekommene Vereinigungs-Dame die Arme zu freudigem Willkomm oder diskreter Abwehr des städtischen Partners erhebt - sicher jedoch ist, dass unsere Riehener Schöne vor rund zwanzig Jahren Herz und Sinne eines wirklichen Liebhabers so sehr erhitzte, dass er «Riecha» nächtlicherweise in sein Domizil entführte. Der kuriose amouröse Kidnapper stiess aber offenbar bei der Brunnen-Dulcinea auf eisigeiserne Ablehnung, so dass er sie bald darauf wieder der Allgemeinheit überliess...

 

DAS MEER AN DER WIESE

Der Riehener Maler William de Goumois hatte eine besondere, ja eigentlich ausschliessliche Vorliebe für maritime Szenen. In seinem Atelier an der Aeusseren Baselstrasse hingen grossformatige Meerbilder mit grüngraublauen Wasserwogen. Inspirationen für seine Leinwand-Seestürme holte sich der Künstler aber nicht nur am Atlantik, sondern auch an der Wiese. Wenn es so richtig schüttete und wetterte, hüllte sich De Goumois (wir Kinder sagten ihm «Düggermaa») in seine Pelerine, setzte sich einen «Südwester» auf den Charakterkopf und marschierte die Grendelgasse hinab zu «Feldbergs lieblicher Tochter», die an solchen Regentagen manchmal ganz imposant daherwogte. Dort setzte sich der menschenscheue Artist unter eine Tanne und skizzierte fein säuberlich auf nachher ziemlich aufgeweichten Blättern wellige Details, die er zu Hause in seine Ozeanlandschaften «einbaute».

Publikationen

«Baslerisches-Allzubaslerisches», Basler Anekdoten, Basel 1961 (Band 1) und 1968 (Band 2 ), beide vergriffen; «Basler Souvenir», Basel 1964, vergriffen; «Morde, Brände und Skandale», Basel 1970, vergriffen; «Basler Taler», Basel 1971, vergriffen; «Die Lof-Story», Basel 1972; «Prinzessinnen», Basel 1972; «Reiseführer Thailand/Singapore», Berlin 1973, vergriffen; «Erinnerungen an das alte Stadttheater», Basel 1975; «Basler Memoiren», Basel 1978 (Band 1 und 2 , letzterer vergriffen) und 1979 (Band 3); «Rund um den Marktplatz», Basel 1983; «111 Jahre Nebelspalter», Rorschach 1985; «Menschen, Tiere, Sensationen», Rorschach 1986; «Heimatkunde Tecknau», Liestal 1987; «Wir bitten zu Tisch», Aarau 1988; «Wundertiere», Zürich 1988, vergriffen; «Basler Anekdoten», Basel 1990; «Schweizer Originale», Rorschach 1991 (Band 1) und 1992 (Band 2).

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1992

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