Blütenzeit im Wenkenhof

Dominik Heitz

Seit 1998 betreibt ProSpecieRara in der Gemeinde Riehen eine Beerensammlung von nationaler Bedeutung. Nun hat die schweizerische Stiftung in direkter Zusammenarbeit mit der Gemeinde im Wenkenhof ein Projekt im Bereich der Zierpflanzen gestartet.

 

Sie hat das Spiegelschaf und das Wollschwein vor dem Aussterben bewahrt. Sie hat alte Beerensorten der Vergessenheit entrissen und sich der Erhaltung einheimischer Obstsorten angenommen. Nun hat die schweizerische, nicht profitorientierte Stiftung ProSpecieRara als neuste Arbeit ein Projekt im Bereich der Zierpflanzen gestartet. Vor vier Jahren hat sie damit begonnen. Sie stöberte in Archiven, wälzte Bücher und suchte nach Blumen, die einst zwischen 1876 und 1946 in Schweizer Gärten gepflanzt worden waren, aber mit den Jahren und Jahrzehnten zum Teil wieder verschwanden. Nicht nur in der Schweiz suchte ProSpecieRara nach alten Zierpflanzen; sie streckte ihre Fühler auch nach England, Deutschland, Dänemark, Frankreich und Polen aus, ja sogar nach übersee reichten ihre Erkundungen.

Mit dem Zierpflanzenprojekt kommt ProSpecieRara einem vielfach geäusserten Wunsch nach. Eigentlich ist der Sortenreichtum bei den Zierpflanzen beeindruckend. Jährlich werden neue Sorten auf den Markt gebracht. Doch das Angebot unterliegt immer kurzlebigeren Modeströmungen und spiegelt die Vorlieben immer weniger Züchter. Es ist dies die Folge eines hart geführten Verdrängungskampfes. Heute bestimmen nur wenige weltweit den Markt ganzer Zierpflanzengruppen. Lokale, regionale und nationale Züchter resignieren angesichts dieser erdrückenden internationalen Konkurrenz und geben ihre Züchtungen auf. Die Folge ist der Verlust von alten Sorten, die in der Schweiz verbreitet waren und einst das Bild vieler Gärten geprägt haben. Damit verliert unser Land nicht nur einzelne Zierpflanzen, sondern es geht auch ein Teil seiner Identität unwiederbringlich verloren.

 

Diesem Umstand will ProSpecieRara mit ihrem Projekt der historischen Zierpflanzen abhelfen. Ein erster Schaugarten konnte in der Elfenau in Bern zusammen mit der Stadtgärtnerei Bern verwirklicht werden - auch dank dem Engagement von Coop. Mit der Ausstellung «Blütenzeit» im Wenkenhof in Riehen sind nun in diesem Jahr die Resultate ihrer Arbeit im Zierpflanzenprojekt erstmals einer breiteren öffentlichkeit präsentiert worden.

Die kleine, feine Blüten-Expo entstand in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Riehen und präsentierte vom 22. Mai bis zum 8. Juni über 300 alte und zum Teil sehr seltene Zierpflanzensorten. Dabei durfte man sich wundern, wo die uns teils vertrauten Pflanzen ihren Ursprung haben. Aus Peru kommt die kleine Kapuzinerkresse, aus Japan und Korea die Tellerhortensie, aus Amerika der Goldmohn.

Die Ausstellung ging deshalb in Text und Bild auch auf Jäger, Sammler und Züchter ein.

 Wie kam das «Tränende Herz» in unsere Gärten? Woher stammt der «Nastüechlibaum»? Wer brachte die «Königslilie» von China nach Europa? Mit der Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Ostasien waren nicht nur die Eroberungen neuer Kolonien verbunden. An den Expeditionen nahmen auch Wissenschafter teil mit dem Auftrag, neue Pflanzen nach Hause zu bringen. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Reisewelle dieser Pflanzenjäger zu Beginn des 19., eine zweite anfangs des 20. Jahrhunderts. Einer der unermüdlichsten Jäger war der Engländer Ernest Henry Wilson (1876-1930). über 1000 Pflanzensorten brachte er nach Europa und Amerika. Vor allem in China machte er bemerkenswerte Entdeckungen. Unter anderem sind ihm in unseren Breitengraden der Zimtahorn, mehrere Clematis, Rhododendren und Kamelien zu verdanken. Vor allem aber löste er einen regelrechten Boom nach Königslilien aus. Im Mintal in Nordchina hatte er riesige Felder dieser Blume gefunden. Dabei ging er recht unzimperlich vor; er schreckte nicht davor zurück, das Tal zu verwüsten, nur um über 6000 Zwiebeln nach Europa zu bringen. Als Erinnerung an diese Expedition trug er eine Beinverletzung davon, die ihn bis zu seinem Lebensende humpeln liess. Wilson nannte es lapidar «mein Lilienhumpel».

Zu den ausgeprägtesten Pflanzensammlern zählt Konrad Gessner (1516-1565). Der Zürcher, der in Basel zum Doktor der Medizin promovierte, verdiente seinen Lebensunterhalt als Arzt und Professor für Naturgeschichte. Er kaufte sich zwei Gärten, wovon der eine einem Forschungsgarten glich, indem er die Pflanzen auf ihre heilenden Kräfte hin untersuchte. Ab 1550 begann er eine Sammlung von Inventaren von Gärten anzulegen, um auf neue Pflanzen zu stossen. Zudem beobachtete und klassifizierte er Pflanzen und versuchte dabei der Verwandtschaft und Geschlechtlichkeit der Pflanzen auf die Spur zu kommen.

Stellvertretend für Pflanzenzüchter seien die Brüder Roggli erwähnt. In Ililterfingen am Thunersee gründete Rudolf Roggli 1904 seine eigene Firma. Bald stiegen seine beiden Brüder Ernst und Karl ins Geschäft ein und begannen mit der Zucht von Stiefmütterchen. Denn die damals handelsüblichen, eher blassen Sorten vermochten die Ansprüche der Brüder nicht zu befriedigen. Sie versuchten, eine Sorte mit grösseren und farbintensiveren Blüten zu züchten, und fanden damit Anklang. Die «Roggli-Pensées» feierten schweizweit grosse Erfolge. Ihre Kreationen benannten sie vorzugsweise nach Schweizer Bergen, Seen und Impressionen. Die Sorte «Eiger» hat auf leuchtend gelbem Grund ein schwarzes Auge, während die Blüte mit ebenfalls schwarzem Auge, aber leuchtend rotem Hof den Namen «Alpenglühn» erhielt. Noch heute widmet sich die Firma der Stiefmütterchenzucht.

«Blütenzeit» bestand aber nicht allein aus der Pflanzenausstellung. Ein Begleitprogramm ergänzte das Thema mit Diskussionsrunden, einem Zierpflanzenmarkt, einem vom Verkehrsverein Riehen organisierten Blütenball und der Ausstellung «Blütensaft» von Muda Mathis und Sus Zwick im KunstRaumRiehen. Es standen ein Dinner mit Tanzperformance des Choreografen Kinsun Chan, zwei Performances von Nezaket Ekici, ein Konzert des Ensembles Quattro Stagioni und verschiedene Familienveranstaltungen an.

Vor allem aber ist der angelegte Schaugarten im Neuen Wenken zu nennen, der über die «Blütenzeit»-Ausstellung erhalten und für das Publikum zugänglich bleibt. Damit setzen sich ProSpecieRara, die Gemeinde Riehen und die Alexander-Clavel-Stiftung als Eigentümerin des Neuen Wenken für die Nachhaltigkeit und den Schutz der Zierpflanzen ein. Bis mindestens ins Jahr 2013 soll diese Kooperation dauern. Als Ort für diesen Schaugarten entschied man sich für den ehemaligen Potager, den Gemüsegarten neben der französischen Gartenanlage. Sein Umfang war 1934 - dank der Begradigung der Bettingerstrasse - deutlich vergrössert worden. Die damalige Bepflanzung war nicht bekannt. Um 1969 lagen jedoch Vorschläge des damaligen Besitzers Alexander Clavel vor, die eine Neubepflanzung der Beete mit Rosen vorsahen. 1979/80 legten die beiden Riehener Gartenarchitekten Hans-Jakob Barth und Paul Schönholzer einen Blumengarten im alten Potager an, der 2006 vor dem Aus stand. Die Idee eines Schaugartens mit alten Zierpflanzen kam da gerade richtig.

Als Thema für den zu bepflanzenden Garten bot sich das Pflanzensortiment der Brüder Mertens aus Zürich an. Oskar und Walter Mertens waren von Alexander Clavel beauftragt worden, den 1736 entstandenen französischen Garten, der im 19. Jahrhundert zu einem englischen Landschaftspark mit geschwungenen Wegen umgestaltet wurde, wiederherzustellen. Dem Zeitgeist entsprechend legten die Brüder Mertens 1917/18 den Vorschlag für einen Architekturgarten vor, der eine geometrische Ausrichtung der Anlage vorsah. Er kam dem Barockisierungswunsch von Clavel entgegen und wurde entsprechend ausgeführt.

In Erinnerung an die Brüder Mertens, die zu ihrer Zeit renommierte Gartengestalter waren und in Feldmeilen bei Zürich eine grosse Baumschule und Staudengärtnerei besassen, hielt man sich bei der Bepflanzung des Staudenschaugartens an deren Pflanzensortiment.

Der Garten ist in vier grössere Abteile unterteilt, welche wiederum je vier Beete aufweisen. Diese sind je einem bestimmten Thema zugewiesen. Entlang der Mauer zum französischen Garten sind Pfingstrosen gepflanzt. Es gibt ein Beet mit Iris und Mohn, eines mit Edel- und Kugeldisteln, das in Blau- und Silbertönen gehalten ist, eines mit Staudensonnenblumen ganz in Gelb, Sonnenbräuten und Sonnenhüten, alten Rosen, Rittersporn und Phlox, Astern und Chinaschilf, Frühlings- und Sommerastern mit Fackellilien, Lilien und Glockenblumen, Taglilien mit Malven, Herbstanemonen und Eisenhut und eines mit diversen anderen Stauden.

Vom Frühling bis in den späten Herbst wollen blühende Beete die Besucher anlocken. Den Auftakt machen im März und April Tulpen, die bereits anfangs des 20. Jahrhunderts von den Brüdern Mertens verwendet wurden. Unter all den Stauden sind alte Bekannte, aber auch solche, die praktisch aus den Gärten verschwunden sind - wie zum Beispiel die Kompasspflanze, deren Blüten jenen der Sonnenblume ähnlich sehen. Die Pflanze wird zwischen 90 Zentimeter und drei Meter hoch. Wächst sie in praller Sonne, ordnen sich vor allem ihre unteren Blätter senkrecht in Nord-Süd-Richtung an, was ihr den Namen Kompass eingebracht hat.

 

ProSpecieRara

Die schweizerische, nicht profitorientierte Stiftung ProSpecieRara wurde 1982 gegründet, um gefährdete Nutztierrassen und Kulturpflanzen vor dem Aussterben zu bewahren. Als Folge der Artenschutzkonvention von Rio 1992 unterschrieb der Bund das Artenschutzabkommen von Leipzig. Damit verpflichtete sich die Schweiz, sämtliche Ressourcen bei Tieren und Pflanzen zu erhalten. ProSpecieRara arbeitet in diversen Projekten Hand in Hand mit dem Bund und erhält teilweise Projektgelder vom Bundesamt für Landwirtschaft.

In Riehen an der Dinkelbergstrasse führt ProSpecieRara seit 1999 eine einzigartige Beerensammlung von nationaler Bedeutung, das von der Margarethe-und-Rudolf-GsellStiftung finanziert wird. Und im Brühl unterhält sie einen schönen Obstgarten mit raren Obstsorten der Region. Die Stiftung ist über die Jahrzehnte zur Dachorganisation geworden und arbeitet heute eng mit den aus ihr entstandenen Zuchtvereinen und aktiven Züchtern und Anbauern zusammen. Zuchttiere, Obstbäume und Gemüse werden heute von über 2000 Privatpersonen und Institutionen betreut und gezüchtet. Der guten Zusammenarbeit innerhalb des Netzwerkes und der Unterstützung durch eine grosse Anzahl von Spenderinnen und Spendern ist es zu verdanken, dass die Vielfalt weiter besteht. Das Engagement von ProSpecieRara ist heute national wie auch international anerkannt und gilt in vieler Hinsicht als Pionierleistung.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2008

zum Jahrbuch 2008