Riehens Wahlpropaganda Im Trend der Zeit

Robert Schiess

Als «eine Skizze anhand eines unvollständigen Archivs» bezeichnet der Autor seinen Versuch, die Wahlkampfmethoden in Riehen zu erforschen und sich mit dem Wandel des politischen Propagandastils der Gemeinde zu befassen.

Riehens Wahlpropaganda: Im Trend der Zeit D ie politische Entwicklung in der Gemeinde Riehen verlief gemächlich. 1924 wurde ein Gemeindeparlament eingeführt. Zuvor wurden die Geschäfte in der Gemeindeversammlung getätigt. Der Gemeinderat wurde zwar schon seit 1799 von den Riehener Bürgern gewählt, aber erst ab 1876 galt das allgemeine Wahlrecht.

Bis zur Einführung des Gemeindeparlamentes waren die Wahlen eine Angelegenheit der Riehener Bürger. Sie machten sie unter sich aus. Einen Wahlkampf nach heutigem Muster gab es damals nicht; Propaganda ging von Mund zu Mund. In der Wirtschaft und auf dem Dorfplatz wurden die Probleme besprochen, die Koalitionen gebildet und die Intrigen geschmiedet. Parteien gibt es erst seit der Jahrhundertwende.

Wahlen waren auch damals nicht immer beschauliche Angelegenheiten. So wurde beispielsweise Otto Wenk (1872-1935, als Gemeindepräsident von 1906 bis 1935 im Amt) im Jahre 1912 in einem sogenannten «roten Büchlein» - ein Buchtitel, wie er im 19. Jahrhundert häufig für das Propagieren von politischen Ideen verwendet wurde scharf angegriffen. Unter dem Motto «Traurig, aber wahr! Drei Aufführungen aus dem 20. Jahrhundert! übersetzungsrechte vorbehalten!» lieferte man gepfefferte Attacken. So etwa einen Sketch über eine Frau, die Land verkaufen will und dabei vom Gemeindepräsidenten übertölpelt wird. Das «Wahlkomité aller bürgerlichen Parteien» stellte sich als Reaktion geschlossen mit einem «Aufruf» hinter ihren Kandidaten. Und Carl Strütt-Burckhardt meldete sich mit einem Flugblatt, in welchem er sich gegen die Verdächtigungen der Polizei, Autor des «roten Büchleins» zu sein, zur Wehr setzte. Otto Wenk blieb auch in späteren Jahren umstritten: Im Fasnachtszettel der Olympia im Jahre 1924, der zum vierseitigen «Riehener Hofanzeiger» wurde, steht einleitend ein «Aufruf an mein Volk», unterzeichnet von O. Weh, Rex.

Das Flugblatt als Werbemittel

Lange gab es keine Plakate, wie wir sie kennen. Man bediente sich der Flugblätter im Format A5 mit laufendem Text in Blocksatz und mit den in Fettdruck herausgehobenen Stichworten oder Namen der Kandidaten. Autorennamen sucht man auf diesen Flugblättern vergeblich, es sei denn, sie betrafen persönliche äusserungen wie Carl Strütt-Burckhardts Verlautbarung. Auch die Namen der Druckereien sind selten erwähnt. Aber auf der Rückseite der Flugblätter sämtlicher Parteien waren die ProporzWahlregeln in der Form von zehn Geboten aufgeführt. Offensichtlich bereiteten auch damals das Kumulieren und Panaschieren den Parteivorständen Kummer.

Die Bürgerlichen schrieben 1912 in Fraktur. Die Sozialisten brauchten eine der neuen Linearschriften. Aber mit der Zeit wandelte sich das Schriftbild: In den vierziger Jahren herrschten beispielsweise «germanische» Schriften wie Fraktur vor. Es wäre aber verfehlt, aus dem Schrifttypus auf die politische Haltung zu schliessen.

1928 tauchte erstmals ein Flugblatt der Bürgerlichen Vereinigung auf, das nicht im Buchdruck hergestellt, sondern das auf einer Schreibmaschine geschrieben und mit einem Umdruckverfahren vervielfältigt wurde. Und beim Wahlaufruf der Bürgerlichen im Jahre 1930 war offensichtlich ein Typograph zur Gestaltung beigezogen worden. Ab Mitte der dreissiger Jahre wurde das Format der Wahlaufrufe auf das Format A4 vergrössert.

Bemerkenswert ist auf einem Flugblatt der Bürgerlichen aus dem Jahre 1942 der als «Vorsatz» bezeichnete Aufdruck: «Falls Adressat im Militärdienst, bitte nachsenden!» Die Rückseite zeigt weiterhin die zehn Gebote der Proporzregeln.

Der Verdruss mit den Schleppern Die bürgerlichen Parteien schlössen sich über Jahrzehnte zum «bürgerlichen Wahlkomité» zusammen; sie belegten die Liste 1. In der Liste 2 waren die Sozialisten mit den Kommunisten verbunden. Und Liste 3 war die «Freie Liste». Da sich bis gegen 1948 zwei geschlossene Blöcke gegenüberstanden, waren die einzelnen Parteien nicht gezwungen, sich mit ihrem Erscheinungsbild voneinander zu unterscheiden. Wichtiger war, dass man alle Parteigänger an die Urne brachte. So wurde ein Kontrollsystem entwickelt: Einem Wahlaufruf, der an alle Parteimitglieder und Sympathisanten ging, wurde eine persönlich adressierte Schleppkarte beigelegt, in welcher der Adressat aufgefordert wurde, schon am Samstag zur Urne zu gehen und die Karte vor dem Wahllokal dem Kontrolleur der Partei abzugeben. Am Sonntag wurden dann die Saumseligen durch die Vertrauensmänner - so nannte man die Schlepper - besucht und mündlich aufgefordert, an der Abstimmung oder der Wahl teilzunehmen. Ein Vorgehen, das bei etlichen Wählern einigen Verdruss verursachte.

Anonymität verursacht änderungen Wahlplakate tauchen erstmals in den sechziger Jahren auf. Die Gemeinde war gewachsen. Die Parteien suchten sich selbst zu profilieren. Und zwischen Kandidaten und Wählerschaft trat trennend die Anonymität. Ein erstes Plakat aus dem Jahre 1966 der Liberalen Partei stand noch ganz in der Tradition der Flugblätter: Die Listennummer war Identifikationsmerkmal. Erst in den siebziger Jahren kamen die Porträtfotos und die Slogans auf. So beispielsweise auf dem Plakat der Vereinigung Evangelischer Wähler mit «Mir gän sorg zu Rieche».

Einige Plakate versuchten es nun mit dem politischen Schlagwort: so die Partei der Arbeit mit «Sozial statt Kapital» (achtziger Jahre), die Vereinigung Evangelischer Wähler mit einem Einkaufssack und der aufgedruckten Frage «Ware Mensch?» (1996) und die Grüne Partei mit dem Hinweis «natürlich grün» (1994). Nur wenige Plakate wurden von Künstlern gestaltet. In der Mehrheit sind jedoch jetzt die Grafiker tätig.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1999

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