Auch im Alter noch Lust am Schreiben


Daisy Reck


 

Der Dichter Theodor Fontane hat seine schönsten Werke erst als Greis verfasst. Bekannte Publizisten wie der bald 90-jährige Arnold Hottinger sind als Kommentatoren beharrlich gefragt. Was aber tun bescheidene Journalistinnen, wenn sie im Alter noch immer schreiben möchten?


 

Vor einer Woche war ich auf das Thema gestossen, das ich in meiner nächsten Kolumne einkreisen wollte. Seitdem tauchte es immer wieder in meinem Hinterkopf auf. Hier traf ich auf einen Bestandteil, der zu ihm passte, dort fand ich eine Spur, die ihm Würze geben konnte. Ein Bekannter von mir nennt das die ‹Inkubationszeit›, die Zeit des Reifens.


 

Früher hatte ich dieses Puzzle-Spiel des sich allmählichen Zusammenfügens von Ideen meinem Ehemann anvertrauen können. Er hatte mir geduldig zugehört, ohne mich mit eigenen Einfällen zu stören. Aber seit er gestorben ist, igle ich mich in dieser Phase lieber ein. Freunde, an denen es mir nicht fehlt, würden sich zwar für meine Pläne durchaus interessieren, aber sie würden mich mit persönlichen Ratschlägen gutmeinend bedrängen. Um mein Konzept abzurunden, gibt es deshalb in diesen Momenten nichts anderes als die Einsamkeit. Das hatte ich nach dem Verlust meines Partners nicht ohne Schmerzen gelernt.


 

Notwendige Selbstkritik


Im Alter habe ich im Zusammenhang mit dem Schreiben auch noch anderes nicht gerade schmerzhaft, aber doch manchmal bedrückend kennengelernt: nämlich das Gefühl des Zögerns und des Zweifelns. Als ich jung war, tippte ich meine Artikel zu allen mir anvertrauten Themen mit grossem Selbstbewusstsein, unglaublichem Tempo und nie erlahmender Energie in die Schreibmaschinentasten. Heute, mit Siebenundsiebzig, bin ich beim Formulieren nicht nur langsamer, sondern vor allem pedantischer. Manchmal suche ich zäh nach einem Ausdruck. Nicht, weil mir keiner einfallen würde, aber weil ich mich nicht mit irgendeinem zufriedengeben will. Den, der mir allein passend erscheint, möchte ich finden. Auch würde ich mich, anders als früher, nie mehr an jede mir offerierte Aufgabe heranwagen. Nur wenn mich etwas gefühlsmässig fesselt und ich mich urteilssicher glaube, gestatte ich mir eine öffentliche Äusserung. Die einst sehr impulsive, forsche Journalistin gibt es nicht mehr. Ich bin sehr viel kritischer gegenüber den eigenen Fähigkeiten geworden und sehr viel anspruchsvoller beim nach aussen getragenen Gestalten.


 

Diese professionelle Pflege der Sprache wird von den noch im Alter Schreibenden auch als etwas Selbstverständliches vorausgesetzt. Wer den Verantwortlichen, mit denen sie als selbstständig Erwerbende arbeiten, Mühe bereitet, ihnen Korrekturen zumutet, ihnen das Manuskript nicht in der verlangten Zeichenzahl zukommen lässt oder gar beim Einhalten der Lieferfrist schlampt, kommt nie mehr zum Zug. Die Härte, unter der alle, die den Journalistenberuf ausüben, seit Langem leiden, bekommen sie als erste zu spüren. Und im Allgemeinen werden auch noch – zu Recht – zuerst die Jungen berücksichtigt. Nur wer sich einen guten Bekanntenkreis geschaffen hat, den Kontakt zu ihm pflegt und sich immer wieder bei ihm in Erinnerung ruft, hat eine Chance. Dann kann man anknüpfen an frühere, verbindende Einsätze. Oder profitiert vielleicht von der Dankbarkeit eines Kollegen, den man vor vielen Jahren, als man selbst noch Einfluss hatte, in ein Team hereingeholt und ihm so zu einem guten Job verholfen hat.


 

Allmähliches Abbauen


Warum also wünsche ich mir, obwohl ich um all diese Schwierigkeiten weiss, als Betagte immer noch zur schreibenden Zunft zu gehören, hie und da eine Kolumne zu publizieren und manchmal einen grösseren Text zu verfassen? Das hat mit meinen Ursprüngen zu tun. Schon in der Schule wusste ich, dass ich Journalistin werden wollte. Meine Eltern und meine Lehrer waren dagegen. Das sei ein ungesicherter Beruf. Und fast so anrüchig wie die Schauspielerei. Für die damalige Zeit hatten sie damit nicht einmal so unrecht. Denn es gab noch keine Journalistenschulen. Man musste sich den Einstieg über kleine Aufträge erobern. Mit guten Einfällen und gutem Stil galt es, sich Stufe um Stufe an Wichtigeres heranzuarbeiten. Der Schritt vom Status einer Nichtangestellten zur Angehörigen einer Redaktion war gross. Und dann war ich auch noch, was früher in diesem Metier unalltäglich war, eine Frau. Der Tag, als ich ins Impressum einer bedeutenden Zeitung aufgenommen wurde, war für mich deshalb ein Glückstag. Nun war ich ‹promovierte› Journalistin. Ein Jugendtraum hatte sich erfüllt. Ein Jugendtraum, von dem ich nie wirklich loskomme.


 

Anders als viele meiner Kolleginnen und Kollegen, verbrachte ich aber nicht mein ganzes Berufsleben eingebunden in eine Redaktion. Das hatte teilweise mit privaten Ereignissen zu tun. Das hing aber auch damit zusammen, dass ich es zwar eine Zeit lang genoss, zu administrieren, in Sitzungen an Gemeinschaftlichem mitzugestalten, Ideen zu entwickeln und sie von anderen ausführen zu lassen. Aber immer stärker spürte ich, dass dabei das, nach was ich mich am Intensivsten gesehnt hatte, in den Hintergrund gedrängt wurde: das Schreiben. Deshalb war ich nicht unzufrieden, als das Geschick mich wieder dorthin trug, wo ich begonnen hatte: in die Situation einer freien Mitarbeiterin. Damit war ich vorzeitig in eine Art Frühpensionierung eingetreten. Der harte Bruch, den manche als beinahe unerträglich empfinden, wenn sie plötzlich keine festen Arbeitszeiten und kein abgesichertes Umfeld mehr haben, blieb mir dadurch erspart. Ich konnte gemäss meinen Wünschen und meiner Kraft tätig sein und ganz allmählich dem Alter entsprechend abbauen.


 

Anspornende Anerkennung


So dachte ich jedenfalls. Aber bald musste ich merken, dass dieses Tätigbleiben von ganz bestimmten Voraussetzungen abhing. Nachdem ich ein Leben lang mit dem Zweifingersystem die Schreibmaschine malträtiert hatte, war es jetzt unerlässlich, mich mit dem Computer vertraut zu machen. Ich besuchte Kurse bei Pro Senectute und war stolz, dass ich anfängliche Ängste überwinden und meine Manuskripte schon bald per E-Mail versenden konnte. Doch gleichzeitig war ich auch traurig. Denn hatten früher beim Abgeben meiner Artikel auf Papier immer gute Gespräche auf den Redaktionsfluren stattgefunden, so verlor ich jetzt wegen der Elektronik den Kontakt zu meinen Auftraggebern. Das Metier wurde anonymer. Die Distanz grösser. Mir fehlten die persönlichen Kontakte, bei denen ich auch hatte testen können, mit was ich noch immer ankam oder wo ich mich zu wenig an die konstanten Veränderungen anpasste.


 

In dieser Lage, die mich schon beinahe entmutigte, half es mir, dass ich mich schon früh auf ein mich persönlich faszinierendes Gebiet spezialisiert hatte. Wenn ich Reisepläne schmiedete, wählte ich stets ungewöhnliche Routen und strebte nach Zielen, die wenig bekannt waren. Für dieses Unabgedroschene interessierten sich meine Redaktionen. Darüber wünschten sie von mir zuerst zu hören und dann zu lesen. Ein persönliches Markenzeichen zu haben, nützt und fördert. Dank diesen Reisereportagen hatte ich auch das Glück, mir ein treues Publikum zu erhalten. Es sind Menschen, die mich lesend begleiten. Und mir das auch mitteilen. Es bedeutet Wertschätzung. Auf die man im Alter besonders angewiesen ist. Es bedeutet aber auch Ansporn. Und Freude, die mit dem Schreiben – allen Schwierigkeiten zum Trotz – immer untrennbar verbunden sein muss.


 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2014

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