Der Erfolg der strategischen Denker


Rolf Spriessler-Brander


Die Schachgesellschaft Riehen (SG Riehen) wurde in der Saison 2011 haarscharf hinter Réti Zürich Vizeschweizermeister. Für die sportlichen Erfolge der letzten Jahre, ihre Jugendförderung und ihre Verdienste als Organisatorin wurde die Schach
gesellschaft Riehen mit dem Sportpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2011 ausgezeichnet.


 

Es war der 23. Oktober 2011 im Hotel Crowne Plaza in Genf. Alle zehn Teams der National
liga A bestritten im selben Saal ihre letzte Begegnung im Rahmen der Schweizerischen Mannschaftsmeisterschaft im Schach: 80 Spieler an 40 Schachbrettern, viele davon Grossmeister und Internationale Meister – unter ihnen auch Schachlegende Viktor Kortschnoi, der seit Jahren für die Schachgesellschaft Zürich spielt. Stille, Konzentration, die Spannung war zum Greifen. Zwischen der Schachgesellschaft Riehen, Réti Zürich und Genève ging es um den Meistertitel. Riehen musste gegen Absteiger Joueur Lausanne unbedingt gewinnen und auf einen Punktverlust von Réti hoffen, das in der letzten Runde gegen Genève spielte. Doch aufgepasst: Genève durfte nicht zu hoch gewinnen, sonst würde auch hier die höhere Anzahl gewonnener Partien gegen die Riehener entscheiden. Lange sah es nach einem knappen Sieg für Genève aus, was Riehen gereicht hätte, das sich gegen Lausanne nach langem Ringen knapp durchsetzte. Doch der Réti-Spieler Vadim Milov drehte eine schon verloren geglaubte Partie in der Zeitnotphase und sicherte dem Zürcher Aufsteiger den entscheidenden Punkt.


 

Grösster Erfolg der Vereinsgeschichte


Die Schachgesellschaft Riehen hatte den Schweizerischen Mannschaftsmeistertitel ganz knapp verpasst, bei Punktgleichheit mit Réti um zwei Einzelpartien. Aber auch wenn am Ende ein wenig Enttäuschung mit dabei war: Die Schachgesellschaft Riehen war das Überraschungsteam der Meisterschaft gewesen, denn von der Klassierung ihrer Spieler her hätte sie nur einen Mittelfeldplatz belegen dürfen, während sich Réti mit hochkarätigen Spielern verstärkt hatte und die Schachgesellschaft Zürich sowie Genève mit gewohnt starken Kadern angetreten waren. Der Vizemeistertitel im prestigeträchtigsten Wettbewerb des Schweizer Schachs – damit feierte die Schachgesellschaft Riehen im vergangenen Oktober den bisher grössten Erfolg in der Vereinsgeschichte, nachdem das Team im Jahr 2009 schon den dritten Rang erreicht hatte. Es spielten Jörg Hickl, Ognjen Cvitan, Roland Ekström, Ralph Buss, Hansjürg Kaenel, Christian Flückiger, Matthias Rüfenacht, Oliver Brendel, Nicolas Grandadam, 
Bela Toth, Sebastian Schmidt-Schaeffer und Niklaus Giertz. Nach den Zuzügen von Topspieler Vadim Milov – einem gebürtigen Russen, der in der Schweiz lebt und inzwischen den Schweizer Pass besitzt – und des Österreichers Georg Danner ist die Schachgesellschaft Riehen zum Topfavoriten für die Meisterschaft 2012 aufgerückt.


In der Schweizerischen Mannschaftsmeisterschaft spielen in der Nationalliga A pro Team je acht Spieler, das ergibt acht Schachpartien pro Begegnung, pro Sieg gibt es einen, pro Remis – wie unentschiedene Partien im Schach bezeichnet werden – einen halben Punkt. Jede der zehn Mannschaften spielt gegen jede andere. Für einen Sieg gibt es zwei Mannschaftspunkte, für ein Unentschieden einen. Im Jahr 1979 stieg die Schachgesellschaft Riehen erstmals in die Nationalliga A auf und ist – nach einigen Jahren des Pendelns zwischen Nationalliga A und B – seit 2003 ununterbrochen A-klassig.


 

Nicht nur sportlich erfolgreich


Der Vizemeistertitel der Schweizerischen Mannschaftsmeisterschaft gab schliesslich den Ausschlag, dass die Schachgesellschaft von der Jury für den Sportpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2011 vorgeschlagen wurde – aber nicht nur. Denn die Schachgesellschaft Riehen auf ihre sportlichen Erfolge zu reduzieren, würde zu kurz greifen.


Die Schachgesellschaft Riehen ist ein Traditionsverein. Ihre Gründung erfolgte am 23. Februar 1928 in der damaligen ‹Rössli›-Kaffeehalle, als Willy Fackler den Verein zusammen mit zehn weiteren Schachfreunden ins Leben rief. Nach schwierigem Beginn zählte die Schachgesellschaft Riehen 1938 bereits stattliche 60 Mitglieder. Zum 25. Geburtstag des Vereins im Jahr 1953 wurde eine Jubiläumsfeier organisiert, es gab ein Jubiläumsturnier mit 80 Teilnehmern und man lud den Spitzenspieler Petar Trifunovic zu einer Simultanpartie ein – bei einem Simultan spielt derselbe Spieler gleichzeitig gegen mehrere Gegner. Die Schachgesellschaft Riehen florierte. Im Jahr 1960 spielte der Grossmeister Erich Eliskases in Riehen eine Simultanpartie, 1963 folgte ein grosses Stundenturnier mit fast 250 Teilnehmern und im November 1968 – zum 40. Geburtstag – gelang es, den dänischen Grossmeister Bent Larsen nach Riehen zu holen, um einen Vortrag zu halten und anschliessend ein Simultan zu geben. Das war ein grosses Ereignis, denn Larsen war seinerzeit zusammen mit dem Amerikaner Bobby Fischer der stärkste Schachspieler der westlichen Welt.


Ende der 1960er-Jahre legte die Schachgesellschaft Riehen einen wichtigen Grundstein für die weitere Entwicklung: Der Verein gründete eine Jugendschachgruppe und fördert seither den Nachwuchs konsequent und erfolgreich. Einer der Riehener Nachwuchsspieler – der 18-jährige Nicolas Grandadam – war im Verlauf der Meisterschaft 2011 bereits zum wertvollen Stammspieler in der Nationalliga A geworden. Grandadam wohnt im elsässischen Huningue und ist französisch-schweizerischer Doppelbürger, ist aber für den Schweizerischen Schachbund lizenziert und spielt schon seit einigen Jahren für die Riehener – wie auch sein jüngerer Bruder Patrik Grandadam. Beide haben schon international gespielt. Er wolle ein ganz Grosser des Schachs werden, sagte Nicolas Grandadam im Interview im Rahmen der Sportpreisübergabe vom 7. Mai 2012. Dafür trainiert er viel und hart. Ein guter Schachspieler zu werden, verlangt nicht nur Intelligenz und Talent, es ist auch eine Fleissarbeit, sich Eröffnungen, Strategien und Gegenstrategien anzueignen, um sie dann im richtigen Moment einsetzen zu können. Denn theoretisch gibt es für jede Stellung den idealen Zug. Diesen auch zu finden, macht die Klasse im Schachspiel aus. Und diese Klasse lässt sich durchaus auch messen. Im Schach wird auf der Basis der sogenannten ‹Elo-Zahl› eine Weltrangliste geführt. Die Punkte ergeben sich aus den Ergebnissen in offiziellen Partien, wobei auch die Stärke des jeweiligen Gegners bei der Punktevergabe berücksichtigt wird.


 

Die Welt des Spitzenschachs


Schach auf Spitzenniveau sei eine körperliche Höchstleistung, erläuterte Ruedi Staechelin, der an der Feier ebenfalls persönlich Auskunft gab. Ein Spitzenspieler könne während einer Partie mehrere Kilogramm Flüssigkeit verlieren und eine Niederlage auf diesem Niveau könne einem Spieler unwahrscheinlich zusetzen. Ruedi Staechelin ist Präsident der Schachgesellschaft Riehen und spielte eine wichtige Rolle, als es darum ging, Schach in der Schweiz als Sportart zu etablieren. Ausserdem beeinflusste er die Verbandspolitik entscheidend. Staechelin war 1991 bis 1995 Zentralsekretär des Schweizerischen Schachverbands, gestaltete die Fusion mit dem Schweizerischen Arbeiterschachbund massgeblich mit und war 1995–2001 erster Zentralpräsident des Fusionsverbands, der sich Schweizerischer Schachbund nennt. Inzwischen wurde Schach vom Schweizer Sportdachverband Swiss Olympic aufgenommen und damit als Sportart anerkannt.


Die Schachgesellschaft Riehen ist nicht nur im Spitzenschach stark. Der Verein ist in der Schweizerischen Mannschaftsmeisterschaft auch in der Nationalliga B in der 1., 2. und 
3. Liga vertreten und hat 2011 in der Schweizer Gruppenmeisterschaft, dem zweiten bedeutenden Mannschaftswettbewerb der Schweiz, den Aufstieg in die höchste Spielklasse, die Bundesliga, geschafft. Mehrere Einzelspieler der Schachgesellschaft Riehen durften tolle Erfolge feiern, wie zum Beispiel der mehrfache Schweizermeister Roland Ekström oder Schacholympiade-Teilnehmer Ralph Buss. Die Schachgesellschaft Riehen zählt über 90 aktive Mitglieder, fast ein Drittel davon ist nicht älter als 20 Jahre.


 

Anatoli Karpow als Ehrengast


Auch auf organisatorischem Gebiet hat die Schachgesellschaft Riehen schon Bedeutendes geleistet. Sie führte die Schweizer Einzelmeisterschaft und die Schweizer Juniorenmeisterschaft durch, war mehrmals Gastgeberin des Nordwestschweizer Schachtages und holte am 21. August 2003 den ehemaligen Schachweltmeister Anatoli Karpow nach Riehen für eine Simultanpartie.


Seit einigen Jahren ist die Schachgesellschaft Riehen massgeblich in die Organisation des Schachfestivals Basel eingebunden – eines internationalen Spitzenturniers, das jeweils Anfang Jahr im Hotel Hilton in Basel durchgeführt wird. OK-Präsident dieses Grossanlasses ist Peter Erismann, der Mannschaftsleiter des Nationalliga-A-Teams der Schachgesellschaft Riehen.


Sportliche Erfolge, organisatorische Tätigkeiten, Jugendförderung und Schach als Breitensport in allen Leistungsklassen – dieses Gesamtbild wollte die Jury mit ihrem Vorschlag würdigen. Die Übergabe des Sportpreises der Gemeinde Riehen für das Jahr 2011 erfolgte durch Gemeinderätin Irène Fischer im Rahmen einer öffentlichen Feier am 7. Mai 2012 im Haus der Vereine.


 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2012

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