Die Riehener Jugend und ihr Heimatverständnis

Dominik Heitz

Wenn in diesem Jahr der 700. Geburtstag der Eidgenossenschaft gefeiert wird, dann regt ein solches Jubiläum immer auch an, in Form von themenübergreifenden Aufsätzen, Essays oder wissenschaftlichen Büchern über Vergangenes und Gegenwärtiges der Schweiz zu schreiben, Historisches zu verifizieren oder Korrekturen am Geschichtsbild des eigenen Landes vorzunehmen. Vieles ist hierzu bereits geschrieben worden und manches wird noch schriftlich niedergelegt werden, das über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, Bestand haben wird. Ein solch grosses Ansinnen kann nicht die Aufgabe des Riehener Jahrbuches sein. Stattdessen möchte es streiflichtartig zum Thema «700 Jahre Schweiz» jene Bevölkerungsschicht zu Wort kommen lassen, die - gerade erst mündig geworden - den Grossteil ihres Lebens noch vor sich hat und somit auch die zukünftige Weiterentwicklung der Schweiz mitverfolgen und im kleinen oder grossen mitgestalten kann: die Jugend.

Mit sechs Frauen und Männern zwischen 19 und 23 Jahren hat die Redaktion des Riehener Jahrbuchs ein Gespräch geführt und sie über ihr Verhältnis zu Riehen, zur Eidgenossenschaft und ihrer 700 Jahr-Feier sowie über die Zukunft der Schweiz befragt.

Michel Barthe

Michel Barthe, 23jährig, ist in Riehen aufgewachsen und hat hier nach der Primarschule im Wasserstelzenschulhaus im Gymnasium Bäumlihof die Maturität erlangt. An der Universität Basel studiert er seit acht Semestern die Rechtswissenschaft. Sein Lieblingsort in Riehen ist der Wenkenhof.

Riehener Jahrbuch: Was schätzen Sie an der Gemeinde Riehen, was würden Sie ändern, was verbessern?

Michel Barthe: Ich schätze die Nähe Riehens zur Stadt, die Ruhe und die grünen Erholungsräume. Kürzlich habe ich einer Freundin aus Zürich unsere Gemeinde gezeigt; dabei hat auch sie festgestellt, dass es sehr viele schöne Orte in Riehen gibt. Insofern bietet Riehen mehr als nur eine Schlafgelegenheit. Meiner Meinung hat es in Riehen zuviel unnötigen Verkehr. Obwohl ich Auto fahren kann und jederzeit eines zur Verfügung hätte, fahre ich immer Velo - aus überzeugung; das Tram benutze ich selten. Für verbesserungswürdig halte ich die Wohnsituation in Riehen. Ich finde, dass vermehrt junge Leute in unsere Gemeinde kommen müssen. Andererseits bin ich der Meinung, dass auch die Stadt lebenswert bleiben und lebenswerter gemacht werden muss.

RJ: Nehmen Sie am politischen Leben in der Gemeinde teil?

M.B.: Seit mehr als einem Jahr bin ich Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Riehen, aber mein Interesse an der Politik wurde schon mit 16, 17 Jahren geweckt. Damals waren es allerdings eher nationale Probleme, die mich beschäftigten. Erst durch den Beitritt zur Partei ist mein Interesse an Riehen gewachsen.

RJ: 700 Jahre Eidgenossenschaft fühlen Sie sich von der Feier angesprochen? Wie sehen Sie die Feier?

M.B.: Ich fühle mich nicht direkt angesprochen. Ich könnte mir gerade so gut vorstellen, in sieben Jahren 150 Jahre Schweiz zu feiern.

Das Jubiläum sehe ich in erster Linie als Anlass, sich kritisch - in negativem wie positivem Sinne - mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Schweiz auseinanderzusetzen. Der Fichen-Skandal, der Fall Kopp oder «P 26» haben meiner Meinung nach gezeigt, dass es einen Sonderfall Schweiz nicht gibt: wir sind ein Land wie jedes andere - nicht schlechter und nicht besser.

RJ: Was wünschen Sie der Schweiz zum Geburtstag?

M.B.: Mehr Toleranz gegenüber Andersdenkenden, gegenüber Minderheiten und eine öffnung zu Europa.

 

 

Brigitte Binkert

Brigitte Binkert, 19jährig, ist in Riehen aufgewachsen, hat die Primarschule im Wasserstelzenschulhaus besucht, in diesem Jahr

die Maturität am Bäumlihofgymnasium erlangt und will an der Universität Basel ein Sprachstudium beginnen. Ihr Lieblingsort in Riehen sind die Kornfelder zwischen der Wiese und dem Mühleteich.

Riehener Jahrbuch: Was schätzen Sie an der Gemeinde Riehen, was würden Sie ändern, was verbessern?

Brigitte Binkert: Ich schätze das Grüne, die Ruhe; wenn ich von der Stadt her komme spüre ich, wie frisch es hier ist. Für die Jungen mag es vielleicht zu ruhig sein, denn es wohnen in Riehen relativ viele alte Leute, entsprechend gibt es wenig Unterhaltungsmöglichkeiten für unsere Generation; es fehlt an Bars und Restaurants - an Turnhallen. Wenn man etwas unternehmen will, muss man es eben selber machen. Die Freizeitanlage Landauer begrüsse ich sehr, denn sie bietet viel; doch die Jungen nutzen sie zu wenig.

Die Stadt ist halt sehr nah. Und doch ist Riehen keine Schlafstadt; der dörfliche kommunikative Charakter ist noch da.

RJ: Nehmen Sie am politischen Leben in der Gemeinde teil?

B.B.: Ich gehe abstimmen, aber nicht immer. Sonst bin ich politisch nicht aktiv; ich bin in keiner Partei, aber ich lese mich ein, informiere mich über die politischen Themen und versuche, mir eine eigene Meinung zu bilden.

RJ: 700 Jahre Eidgenossenschaft fühlen Sie sich von der Feier angesprochen? Wie sehen Sie die Feier?

B.B.: Ja, eigentlich fühle ich mich schon angesprochen. Ich war am «Tag der Begegnung» im Wenkenpark. Aber ich finde die Sache nicht so wichtig. Auf alle Fälle würde ich selber deswegen nichts organisieren. Doch ich meine, es ist gut, dass jene, die wollen, den Geburtstag auch entsprechend feiern; aber man sollte nicht übertreiben. Im Gegensatz etwa zur 200 JahrFeier vor zwei Jahren in Frankreich geht es in der Schweiz sehr gemässigt zu. Was ich nicht mag, sind Ansprachen; sie sind mir zu trocken. Das dreitägige Fest in Zürich fand ich super.

RJ: Was wünschen Sie der Schweiz zum Geburtstag?

B.B.: Ich wünsche der Schweiz - und damit den Schweizerinnen und Schweizern -, dass sie offener werden, dass die Ausländer hier von der Bevölkerung offener, herzlicher empfangen werden. Insofern glaube ich auch, dass sich die Schweiz mehr nach Europa hin öffnen sollte.

Rolf Müller

Rolf Müller, 20jährig, wohnt seit seinem fünften Lebensjahr in Riehen. Nach der Primarschule im Niederholz, schloss er seine Realschulzeit im Hebelschulhaus mit der Berufswahlklasse ab. Heute arbeitet er als gelernter Elektromonteur. Sein Lieblingsort in Riehen ist die nahegelegene St. Chrischona.

Riebener Jahrbuch: Was schätzen Sie an der Gemeinde Riehen, was würden sie ändern oder verbessern?

Rolf Müller: Die Grenzlage finde ich von Vorteil: Man ist schnell im Badischen oder im Elsass. Und dann geniesse ich in Riehen die Ruhe und schätze es, dass man sich hier gegenseitig noch kennt. Ich wohne und arbeite hier; in Riehen kenne ich deshalb viele Leute. Es ist zwar nicht wie in einer Stadt, aber Riehen ist ja nicht weit von Basel entfernt. Das heisst aber nicht, dass Riehen eine Schlafstadt ist. Zwar muss man selber für Unterhaltung sorgen, doch das finde ich gut.

RJ: Nehmen Sie am politischen Leben in der Gemeinde teil?

R.M.: Nein, eigentlich nicht. Ich nehme zwar regelmässig an den Wahlen und Abstimmungen teil, doch sonst engagiere ich mich in politischer Hinsicht nicht; ich gehöre keiner Partei an. Seit zwei Jahren bin ich aber Mitglied der Bürgerkorporation. Hier vertrete ich die konservative, traditionelle Einstellung: Gemeinschaftssinn, Besinnung auf die Heimat.

RJ: Fühlen Sie sich voti der 700 Jahr-Feier der Eidgenossenschaft angesprochen? Wie sehen Sie die Feier?

R.M.: Ja, ich fühle mich schon angesprochen. Ich finde die Feier auch sinnvoll. In den Urkantonen würde ich mich aber wohler fühlen; hier in Basel muss man sich ja fast schon schämen, wenn man patriotische Gefühle zeigt. Ich finde, gerade diese Feier sollte die Schweizerinnen und Schweizer dankbar werden lassen für die Freiheit und den Frieden, den sie haben. Man sollte daran denken, dass für all das früher Leute gestorben sind oder sich politisch dafür eingesetzt haben. Die Feier sollte deshalb auch das Zusammengehörigkeitsgefühl wecken.

RJ: Was wünschen Sie der Schweiz zum Geburtstag?

R.M.: Dass sie so erhalten bleibt, wie sie jetzt ist. Dass die Regierung im Angehen von Problemen mehr Ordnung und Verantwortung zeigt. Je reicher die Leute sind, desto egoistischer und unzufriedener werden sie - ich finde, man sollte mehr aufeinander zugehen und Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Mitmenschen walten lassen.

 

Gabi Hlinka

Gabi Hlinka, 20jährig, ist in Riehen geboren und aufgewachsen. Nach der Primarschule im Wasserstelzenschulhaus und vier Jahren im Bäumlihofgymnasium absolvierte sie die Handelsschule sowie eine dreijährige Banklehre. Gabi Hlinkas nächstes Ziel ist die Kunstgewerbeschule. Ihr Lieblingsort in Riehen ist der Wenkenhof.

Riebener Jahrbuch: Was schätzen Sie an der Gemeinde Riehen, was würden Sie ändern, was verbessern?

Gabi Hlinka: Ich schätze alles. Der Wald ist nahe, um schöne Spaziergänge zu unternehmen, es ist ruhig, und man kennt sich noch. Es ist nicht wie in einer Stadt, wo es auch viele Fremde hat. Dass Riehen eine Schlafstadt ist, wüsste ich nicht. Für mich ist es in seiner Art ein Dorf geblieben; es läuft zwar nicht sehr viel, aber ich wünsche es mir nicht anders. Was mich einzig stört, ist der Durchgangsverkehr.

RJ: Nehmen Sie am politischen Leben in der Gemeinde teil?

Ich gehe zwar stimmen und wählen und lese mich auch in die entsprechenden Abstimmungsunterlagen ein; auch helfe ich manchmal im Abstimmungsbüro mit, aber sonst bin ich politisch gar nicht aktiv. Ich bin weniger ein Mensch, der radikal seine Meinung vertreten kann. Zum Teil schreckt es mich auch etwas ab, wie gewisse Leute ihre politische Haltung lauthals vertreten.

RJ: Fühlen Sie sich von der 700 Jahr-Feier der Eidgenossenschaft angesprochen? Wie sehen Sie die Feier?

G.H.: Das Traditionelle zu betonen etwa den Rütli-Schwur oder ganz einfach die geschichtliche Entwicklung der Schweiz -, finde ich richtig und ebenso gefällt mir, dass Kantone gemeinsam etwas unternehmen. Auch kleine Feste zur 700 Jahr-Feier mag ich, aber nicht grosse Spektakel, die Geld verschlingen. Ferner finde ich es etwas abstossend, dass mit dem Jubiläum Geschäfte gemacht werden.

RJ: Was wünschen Sie der Schweiz zum Geburtstag?

G.H.: So wie ich es aus Diskussionen heraushöre, sollte die Schweiz nicht der EG beitreten. Die Schweiz sollte so neutral bleiben, wie sie das immer schon gewesen ist. Auch wenn der Fall Kopp nicht bagatellisiert werden darf, so ist doch zu sagen, dass es hier um eine einzelne Person gegangen ist; im Vergleich zum Golfkrieg ist das ja nichts Weltbewegendes. Man kann leben damit. Insofern finde ich es alles in allem gut, wie die Schweiz geleitet wird. Ebenso unterstütze ich die Haltung, dass man nicht zuviel Toleranz walten lässt, sonst gäbe es wohl schnell Aufruhr.

Didier Pasquier

Didier Pasquier, 21 jährig, kam mit sechs Jahren nach Riehen, besuchte hier die Primarschule im Niederholz- und anschliessend die Sekundärschule im Hebelschulhaus. Nach einem Jahr Berufswahlklasse schloss er die Lehre als Maler ab. Didier Pasquiers Wunsch ist es, in die Kunstgewerbeschule zu gehen. Sein Lieblingsort in Riehen ist der Wenkenhof.

Riehener Jahrbuch: Was schätzen Sie an der Gemeinde Riehen, was würden Sie ändern, was verbessern?

Didier Pasquier: Ich schätze die ruhigen Plätze hier in der Gemeinde, wie etwa den Wenkenhof. Was fehlt, sind Treffpunkte für Jugendliche über 16 Jahre; es gibt keine Pubs, keine Discos. So werden manche aggressiv, depressiv, nehmen Drogen oder hängen herum. Schliesslich wollen wir hier in Riehen bleiben, denn hier sind wir aufgewachsen.

RJ: Nehmen Sie am politischen Leben in Riehen teil?

D.P.: Politisch bin ich nicht aktiv, werde aber damit konfrontiert. Stimmen gehe ich ab und zu. Ich habe das Gefühl, wir Jungen werden zuwenig angehört. Viele von uns denken, die alten Leute sollten nicht mehr stimmen gehen. Ich habe mir schon überlegt, eine Initiative zu bestimmten Problemen einzureichen. Doch politische änderungen gehen mir zu wenig schnell. Für uns muss es jetzt passieren, denn wir sind jetzt jung. Ich habe nicht gerne Gesetze; jedes neue Gesetz ist für mich ein Backstein mehr in der 700jährigen Mauer.

RJ: 700 Jahre Eidgenossenschaft fühlen Sie sich von der Feier angesprochen? Wie sehen Sie die Feier?

D.P.: Die Feier, wie sie durchgezogen wird, sagt mir überhaupt nichts; sie ist etwas für Leute, die ein Geschäft machen wollen. Für mich geht es um 700 Jahre Freiheit. Doch heute hat die Schweiz ihren Namen nicht wegen der Freiheit, sondern wegen des Geldes, und Geld zerstört alles, besonders die Freiheit der Menschen.

RJ: Was wünschen Sie der Schweiz zum Geburtstag?

D.P.: Ich wünsche mir offene Grenzen: wenn die Schweiz der EG beitreten würde, wäre das wie eine offene Türe in der 700jährigen Mauer. Der Egoismus in unserem Land sollte abgeschafft werden, man sollte mehr Verantwortung zeigen, Selbstkritik üben, und Ehrlichkeit sowie Freiheit sollte wieder mehr Gewicht bekommen. Auch die Mentalität der Ausländer in der Schweiz sollte respektiert und nicht gleich verurteilt werden. Schliesslich sollte bei uns die «Abrüstung» des Geldes vorangetrieben werden.

 

Sacha Rovers

Sacha Rovers, Holländerin und 22jährig, kam mit acht Jahren nach Riehen und besuchte hier die Primarschule im Erlensträsschen sowie die Realschule im Hebelschulhaus. Nach der DMS 2 absolvierte sie eine Malerlehre und arbeitet seither auf diesem Beruf. Ihr Lieblingsort in Riehen ist der Mühleteich beim Bachtelenweg.

 

Riebener Jahrbuch: Was schätzen Sie an Riehen, was würden Sie ändern, was verbessern?

Sacha Rovers: Riehen gefällt mir, weil es für mich ein heimeliges Dorf mit einem richtigen Dorfkern ist. Riehen liegt nahe bei der Stadt und steht doch für sich. Was mir fehlt, sind gemütliche Beizlein für Junge; es gibt zwar viele Restaurants, die aber eigentlich für alte Leute sind.

RJ: Nehmen Sie am politischen Leben in Riehen teil?

S.R.: Politisch bin ich nicht aktiv; ich schaue mir zwar die Nachrichten am Fernsehen an und lese Zeitung, doch damit hat es sich. Da ich immer noch den holländischen Pass habe, kann ich zudem gar nicht wählen und stimmen gehen. Doch will ich diese Situation auch gar nicht ändern. Obwohl: Als alle meine ehemaligen Schulkolleginnen und -kollegen zur Jungbürgerfeier eingeladen wurden ausser mir, kam ich mir etwas komisch vor.

RJ: 700 Jahre Eidgenossenschaft fühlen Sie sich von der Feier angesprochen? Wie sehen Sie die Feier?

S.R: Die 700 Jahr-Feier lässt mich eigentlich kalt. Ich merke auch gar nichts davon. Als einziges kommt mir eigentlich der 1. August in den Sinn.

RJ: Was wünschen Sie der Schweiz zum Geburtstag?

S.R.: Ich wünsche mir für die Schweiz und die Schweizer mehr Toleranz gegenüber Ausländern. Denn ich habe den Eindruck, manche Schweizer sind ziemlich ausländerfeindlich. Wenn jemand eine braune Gesichtsfarbe hat, ist er gleich abgestempelt. Vor allem ist es der Ton, wie über Ausländer geschimpft wird, und das ärgert mich, denn ich bin auch Ausländerin. Ich fände es gut, wenn die Schweiz der EG beitreten würde, dann gäbe es mehr Möglichkeiten für die Schweizer, im Ausland Arbeit zu finden.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1991

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