Die Zahlen hinter den Menschen


Michèle Faller

 

In Riehen gibt es Ausländerinnen und Ausländer unterschiedlichster Herkunft und sie sind hier an den verschiedensten Orten zu Hause. Statistische Daten geben Auskunft über Augenscheinliches und auch eher Unerwartetes.


 

«In Riehen gibt es ja gar keine Ausländer.» «Im Niederholz werden es immer mehr.» «Früher waren es die Italiener, heute gibt es immer mehr Leute aus Ex-Jugoslawien.» «Die meisten Ausländer wohnen in Riehen-Süd.» Um dem Wahrheitsgehalt dieser Aussagen auf den Grund zu gehen, die inhaltlich beliebig erweitert und auch aus anderen Gebieten der Schweiz stammen könnten, sollen die sprichwörtlichen ‹nackten Zahlen› befragt werden. Doch werden sie nicht ganz nackt präsentiert, sondern sozusagen ‹mit Kommentaren bekleidet›, da Nacktheit ja oft nicht nur provoziert, sondern auch verwirrt.


 

Weniger Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene


Zuerst zur Frage nach der Quantität. Am Jahresende 2011 wohnten 4475 Ausländer1 in Riehen; ihnen standen 16 312 Schweizer gegenüber. Im Kanton Basel-Stadt betrug das Verhältnis 64 430 zu 127 874 oder 34 zu 66 Prozent Grafik 1.2 Sehr ähnlich wie im Kanton heute sah das Verhältnis in Riehen um 1900 aus. Die Ausländerzahlen nahmen zu, gingen zu Beginn des Zweiten Weltkriegs etwa um die Hälfte zurück, um danach wieder kontinuierlich und bis in die 1970er-Jahre anzusteigen – wie die Schweizer Bevölkerung auch. Danach nahmen beide Bevölkerungsgruppen ab; die Ausländerzahlen stiegen aber bereits seit den 1990er-Jahren wieder. Im Jahr 2000 wohnten 2694 Ausländer in Riehen. Ihr Anteil an der Wohnbevölkerung stieg bis 2011 von 13 auf 22 Prozent.


 

Ein Blick auf die in Riehen vertretenen Aufenthaltskategorien Grafik 2 zeigt, dass die Niedergelassenen 2012 mit 64,2 Prozent den grössten Teil ausmachen, gefolgt von den Jahresaufenthaltern mit 34,6 Prozent. Kurzaufenthalter, also Personen, die weniger lang als ein Jahr in der Schweiz anwesend sind, machen genau wie internationale Beamte und Mitglieder diplomatischer Vertretungen je 1,3 Prozent der ausländischen Wohnbevölkerung aus. Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene sind mit 0,3 Prozent vertreten. Letztere sind Personen, die in der Schweiz kein Asyl erhalten haben, aufgrund der Situation in ihrem Herkunftsland aber nicht ausgewiesen werden können. Die Zahlen haben sich im vergangenen Jahrzehnt nur wenig verändert. Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene machten 2002 noch 2,2 Prozent der ausländischen Bevölkerung in Riehen aus. Bei den beiden häufigsten Aufenthaltskategorien ist seit 2002 eine Verschiebung von etwa 3 Prozent zugunsten der Jahresaufenthalter zu verzeichnen.


 

Die Zahlen Riehens sind mit denen des Kantons Basel-Stadt vergleichbar. Dort sind die Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen 2012 mit 1,3 Prozent etwas stärker vertreten als in Riehen, die Zahlen sind aber seit 2002 (1,8 Prozent) ebenfalls rückläufig. Auch die Abnahme der Niedergelassenen und die Zunahme der Jahresaufenthalter sind im ganzen Kanton zu beobachten, allerdings in stärkerem Mass als in der Gemeinde Riehen. Einigermassen auffällig ist der grössere Anteil von Kurzaufenthaltern in Basel-Stadt, der sich seit 2002 auf 4,2 Prozent verdoppelt hat. Der Rückgang der Niedergelassenen beziehungsweise die steigende Anzahl Jahres- und Kurzaufenthalter sind als Folge der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU zu verstehen.3


 

Zahlen ausserhalb der Statistiken


Eine Ausländergruppe, die nicht in den Statistiken vorkommt, sind die Sans-Papiers: Menschen, die sich länger als einen Monat ohne geregelte Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz aufhalten. Die wenigen vorhandenen Zahlen beruhen auf Schätzungen. Zahlen zu Riehen liegen keine vor, doch im Raum Basel leben bis 10 000 Sans-Papiers. Die Basler Anlaufstelle für Sans-Papiers geht davon aus, dass es in Riehen etliche Haushalte gibt, die Sans-Papiers beschäftigen. Es sei jedoch anzunehmen, dass die meisten ihren Wohnsitz in Basel hätten und nur in Riehen arbeiteten.4


 

Vielzahl der Nationalitäten


Die Ausländer in Riehen stammen aus 96 verschiedenen Staaten. Der mit Abstand grösste Teil kommt aus Deutschland. Die ebenfalls häufigen Nationalitäten Italien, Türkei, ehemaliges Jugoslawien und Spanien sind seit 2000 etwa gleich stark vertreten Grafik 3. Die Zahlen der übrigen Staaten wuchsen in dieser Zeit leicht, jene Deutschlands haben sich mehr als verdoppelt und machen 2012 46 Prozent der ausländischen Wohnbevölkerung Riehens aus.


 

Im ganzen Kanton hat sich die Anzahl deutscher Staatsangehöriger im letzten Jahrzehnt ebenfalls mehr als verdoppelt und macht 23 Prozent aller Ausländer aus. Abgenommen haben in Basel-Stadt seit 2000 die Zahlen italienischer und türkischer Staatsangehöriger.


 

Hohe Ausländerdichte auf der Bischoffhöhe


Die Dichte von Ausländern ist 2012 in den Wohnbezirken Moos, Kornfeld und Niederholz geringer als in den übrigen fünf Riehener Quartieren Grafiken 4 und 5. Zahlenmässig sind am meisten ausländische Staatsangehörige im Niederholz zu finden. Riehen-Dorf, Stettenfeld und Pfaffenloh sind die Quartiere mit den nächstgrösseren Zahlen. Diese Verteilung hat sich in den vergangenen zehn Jahren kaum verändert. Die niedrige Ausländerdichte und gleichzeitig hohe Ausländerzahl im Niederholz erklärt sich mit der Grösse und der generell hohen Bevölkerungsdichte in diesem Quartier. Dass die Bischoffhöhe und das Wenkenquartier hingegen eine niedrige Bevölkerungsdichte und eine vergleichsweise hohe Ausländerdichte aufweisen, führt zum Schluss, dass dort trotz relativ geringer Ausländerzahlen verhältnismässig mehr Ausländer wohnen als etwa im Niederholz – allerdings auf viel mehr Raum verteilt.


 

Die grafische Darstellung der Quartiere nach deren jeweils grösster Ausländergruppe fällt langweilig aus, denn in allen Riehener Quartieren sind die deutschen Staatsangehörigen 2012 am häufigsten vertreten Grafik 6. Eine Unterteilung nach der zweitgrössten Gruppe Grafik 7 zeigt, dass hinter den Deutschen zahlenmässig die meisten Ausländer in Riehen-Dorf, Kornfeld und Niederholz aus Italien stammen, im Stettenfeld aus der Türkei und auf der Bischoffhöhe, im Moos- und Wenkenquartier sowie im Pfaffenloh aus Grossbritannien.


 

Wanderungsgewinn dank Ausländern


Über Um- und Wegzüge sowie über beliebte Orte für die verschiedenen Neuzugezogenen gibt die im Juni 2013 erschienene Wanderungsanalyse des Statistischen Amts Basel-Stadt Auskunft. Sie hält fest, dass zwischen 2003 und 2012 10 032 Personen mehr nach Basel-Stadt zu- als aus dem Kanton weggezogen sind und dass dieser Wanderungsgewinn dank aus dem Ausland zugezogenen Ausländern zustande kam. Dabei ist die Zahl der Zuzüger aus dem wichtigsten ausländischen Herkunftsort Deutschland 2012 zwar deutlich höher als 2003, ging in den letzten vier Jahren aber zurück. Hier besteht möglicherweise ein Zusammenhang mit dem im August 2007 verabschiedeten Gesetz, das Deutsche zur Doppelbürgerschaft berechtigt: Die in den letzten Jahren vermeintlich verschwundenen Deutschen könnten in der Zwischenzeit auch Schweizer geworden sein.


 

Dass sich Zugezogene aus Deutschland, Österreich und Liechtenstein überdurchschnittlich häufig im Stadtquartier Am Ring, in Bettingen und Riehen niederlassen, ist seit zehn Jahren unverändert; neu hinzu kamen die Quartiere Wettstein und Hirzbrunnen. Von Umzügen, also Wanderungen innerhalb des Kantons, konnte Riehen ebenfalls profitieren. Gemeinsam mit den Quartieren Breite und Bruderholz verbuchte die Gemeinde wie schon vor zehn Jahren auch 2012 die stärksten Umzugsgewinne, und zwar durch Schweizer wie Ausländer.


 

Das Wanderungssaldo, das illustriert, aus welchen baselstädtischen Gebieten mehr Personen in andere Kantone oder ins Ausland abwandern als von dorther zuziehen, war bei den Ausländern 2003 und 2012 in Riehen genau wie in allen Basler Wohnquartieren positiv. Bei der Schweizer Bevölkerung ergaben sich in beiden Jahren wanderungsbedingte Verluste, hauptsächlich Richtung Baselbiet und Kanton Zürich. In Riehen betrug die Nettoabwanderung 2003 mehr als 100 Personen, 2012 sanken die Wegzugsüberschüsse aber markant auf weniger als 45 Personen.


 

Mehr Ausländer, weniger Segregation


Da beim Betrachten von Grafik 6 und 7 leicht ein falsches Bild entstehen könnte, sei hier ein weiteres Ergebnis der Wanderungsanalyse betont: Der Segregationsindex, der die räumliche Ungleichverteilung der ausländischen Einwohner beschreibt, sank im Kanton Basel-Stadt zwischen 2003 und 2012 deutlich. Je gleichmässiger die ausländischen Einwohner über das Kantonsgebiet verteilt sind, desto niedriger der Segregationsindex. Am stärksten segregiert, das heisst am häufigsten in denselben Quartieren anzutreffen sind Inder, Mazedonier und Portugiesen, eher schwach italienische und französische Staatsangehörige. Bei den Italienern ist die Segregation zudem am deutlichsten zurückgegangen. Am schwächsten segregiert sind die Einwohner mit deutschem Pass. Anders als die stark segregierten Ausländergruppen, die vor allem in Kleinbasel, Gundeldingen und St. Johann wohnen, sind Schweizer Staatsbürger im Bachletten- und Hirzbrunnenquartier sowie in Riehen am deutlichsten übervertreten.


 

Vielleicht wurden ein paar der eingangs gestellten Fragen widerlegt und andere bestätigt, vielleicht aber auch neue Fragen aufgeworfen: Müssten die Ausländer, die nicht in Riehen wohnen, aber dort täglich sichtbar sind, nicht auch dazugezählt werden? Zum Beispiel der ‹Surprise›-Verkäufer aus Somalia vor dem Grossverteiler, die badische Kassiererin drinnen und die Verkäuferin aus dem Elsass in der Bäckerei vis-à-vis? Ist nur eine in einer Genossenschaftswohnung in Riehen-Süd lebende Mazedonierin eine richtige Ausländerin oder auch eine Engländerin in einer Villa im Wenkenquartier? Und wie ist es mit dem hier geborenen Italiener, den man höchstens auf den zweiten Blick als Nicht-Schweizer erkennt? Komponenten wie Einkommen und Vermögen, Bildung, Sprachkenntnisse, Hautfarbe und Religion beeinflussen das Bild der Inländer von den Ausländern. Diesbezüglich operieren Zahlen ohne Vorurteile.


 

1 Im Folgenden sind bei der Verwendung der männlichen Form Frauen mitgemeint.


2 Quelle für alle Zahlen und Grafiken: Statistisches Amt Basel-Stadt.


3 Nathalie Grillon, Michèle Thommen: Kennzahlen zur Integration von Ausländerinnen und Ausländern in Basel-Stadt 2006, Basel 2008, S. 4.


4 E-Mail-Korrespondenz vom August 2013 mit Mariama Usman, Anlaufstelle für Sans-Papiers, Basel. Die Annahme, dass in Basel mehr Sans- Papiers leben als in den Landgemeinden, da sie die städtische Anonymität bevorzugen, ist auch im Schlussbericht im Auftrag des Bundesamtes für Migration nachzulesen, vgl. Longchamps et al.: Sans-Papiers in der Schweiz, Bern 2005, S. 31.


 

 

 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2013

zum Jahrbuch 2013