Ein Paar auf und neben der Bahn


Rolf Spriessler-Brander


 

Die Leichtathletin Simone Werner wurde im Juli 2013 in Luzern über 400 Meter erstmals Elite-Schweizermeisterin, dasselbe gelang Silvan Wicki im 200-Meter-Lauf der Männer. Die beiden trainieren bei derselben Trainerin, starten für die Old Boys Basel, sind privat ein Paar und wurden gemeinsam mit dem Sportpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2013 ausgezeichnet.


 

Der 27. Juli 2013 war ein besonderer Tag für die Riehener Sportgeschichte. Zuerst wurde Simone Werner auf der Luzerner Allmend ihrer Favoritinnenrolle gerecht und gewann über 400 Meter als saisonbeste Schweizerin erwartungsgemäss ihren ersten Elite-Schweizermeistertitel. Eineinhalb Stunden später folgte die Sensation. In Abwesenheit des 100-Meter-Meisters Reto Amaru Schenkel (LV Winterthur) und des 100-Meter-Vizemeisters Alex Wilson (Old Boys Basel) nutzte Silvan Wicki seine Chance, stürmte mit der besten Vorlaufzeit von 21,50 Sekunden in den Final, steigerte sich dort auf eine persönliche Bestzeit von 21,36 Sekunden und holte sich als 18-Jähriger vor den favorisierten Marc Schneeberger (TV Länggasse) und Pascal Müller (BTV Aarau) seinen ersten Elite-Schweizermeistertitel.


 

Vom Hochspringer zum Sprinter


Die Grundlagen der Leichtathletik lernte Silvan Wicki in der Jugendriege des Turnvereins Riehen, für den er seine ersten Medaillen gewann. Bald wechselte er zu den Old Boys – bei den ‹Gelbschwarzen› hatte schon seine Mutter ihre Erfolge gefeiert und dort war auch sein Bruder Nils bereits aktiv. Seinen ersten nationalen Titel gewann Silvan Wicki im Frühjahr 2010 als U16-Hallen-Schweizermeister im Hochsprung. Und es ging schnell höher: Noch als 15-Jähriger übersprang Silvan Wicki 1,92 Meter. Bald merkte er aber, dass er seine Schnelligkeit nicht in Höhe umsetzen konnte. Er musste entscheiden, ob er sich auf den Hochsprung oder auf den Sprint konzentrieren wollte. Er entschied sich für den Sprint, wo er so richtig «wüten» könne, wie er sagt, und gegen den ungeliebten «Kampf gegen die Latte». Als Hochspringer hätte er seinem älteren Bruder Nils nachgeeifert, der es im Hochsprung bis zum Hallen-Schweizermeister gebracht hatte. Doch Silvan machte sein eigenes Ding und es zeigte sich schnell, dass er mit seiner Entscheidung richtig lag.


 

Silvan Wicki hat von Natur aus einen hohen Muskeltonus. «Ich habe noch nie einen Sprinter erlebt, der im Training grundsätzlich nicht an seine Maximalgeschwindigkeit herangeht und trotzdem schnell ist», sagt seine Mutter und Trainerin Sabine Wicki, die selbst eine gute Sprinterin war. Silvan sei stark im Kopf, habe eine fabelhafte Koordinationsfähigkeit, könne seinen Körper unglaublich gut einschätzen und gebe gute und präzise Rückmeldungen. Er stellt hohe Ansprüche an sich selbst, aber ein Mann der grossen Worte ist er nicht. Er ärgert sich über Athleten, die grosse Taten ankündigen und dann an ihren eigenen Erwartungen scheitern. Er selbst setzt auf Taten. Und auch nach Erfolgen ist er kein Mann der vielen Worte. Auch nach Niederlagen nicht. Dann wird nicht lamentiert, sondern analysiert und gehandelt.


 

Seine persönlichen Ziele, die er durchaus hoch ansetzt, behält Silvan Wicki gewöhnlich für sich, und so war es für die meisten eine riesige Überraschung, als er am 17. Juni 2012 im Rahmen der Kantonalmeisterschaften beider Basel auf der Grendelmatte in Riehen mit der 200-Meter-Zeit von 21,51 Sekunden als erst 17-Jähriger die Limite für die U20-Weltmeisterschaften unterbot. An den Welttitelkämpfen der Junioren in Barcelona erreichte er in den 200-Meter-Vorläufen eine Zeit von 21,81 Sekunden und belegte als einer der jüngsten Konkurrenten den 49. Rang unter 62 Läufern. In der Saison 2012 wurde Silvan Wicki ausserdem U18-Schweizermeister über 200 Meter.


 

Im Winter 2012/13 hatte Silvan Wicki dann mit muskulären Problemen in Rücken und Oberschenkel zu kämpfen. Die Ursache war eine ungewöhnliche: die Verkrampfungen rührten daher, dass er seine Zähne beim Sprinten ungewöhnlich heftig zusammenpresste. Das Problem liess sich mit einer kreativen Massnahme lösen. Mithilfe einer Zahnschiene lernte Silvan Wicki, seine Kieferposition so zu verändern, dass er im Mundbereich lockerer wurde. Zuerst trat er auch mit dieser Zahnschiene an, bald hatte sich sein Körper aber umgestellt und es ging auch ohne dieses Hilfsmittel.


 

So startete Silvan Wicki zwar verspätet, aber umso fulminanter in die Freiluftsaison 2013. Problemlos unterbot er die U20-Europameisterschafts-Limiten über 100 und 200 Meter. In Rieti (Italien) verzichtete er zugunsten des Schweizer Staffelprojekts auf einen Einzelstart auf seiner Paradestrecke, den 200 Metern, lief stattdessen über 100 Meter in einer Zeit von 10,61 Sekunden in die Halbfinals und belegte in der Endabrechnung den 16. Platz. In der Schweizer 4 x 100-Meter-Staffel qualifizierte er sich zusammen mit Yanier Bello (Stade Genève), Brahian Pena (Amriswil-Athletics) und Sylvain Chuard (Lausanne-Sports) in der Junioren-Schweizerrekordzeit von 40,19 Sekunden für den Final und erreichte dort inmitten der europäischen U20-Sprintelite den sensationellen 6. Platz. Vom Coup an der Schweizermeisterschaft 2013 in Luzern war bereits die Rede. Im Herbst 2013 wurde Silvan Wicki dann auch noch U20-Schweizermeister über 100 Meter und U20-Vizeschweizermeister über 200 Meter.


 

Mit Beharrlichkeit nach oben


Führte Silvan Wickis Weg sehr steil nach oben, so ging es bei seiner zwei Jahre älteren Freundin Simone Werner – Sabine Wicki nennt die beiden «Seelenverwandte» – etwas gemächlicher bergauf. Und bewegt sich Silvan Wicki auf einem schmalen Grat, wenn es darum geht, seine Muskeln nicht überzutrainieren, so lebt Simone Werner von einer beharrlichen, kontinuierlichen Aufbauarbeit. Sagt Silvan Wicki schon mal Nein, wenn er das Gefühl hat, dass es nicht geht, so muss man Simone Werner in ihrem Ehrgeiz eher bremsen. Sie musste sich ihre Erfolge aber auch hart erarbeiten und gilt als äusserst gewissenhafte, strapazierfähige Athletin. Ihre Ausdauer stellte sie schon früh in Stadt- und Geländeläufen sowie auf den Mittel- und Langstrecken unter Beweis, ihre Vielseitigkeit als Mehrkämpferin und als technisch versierte Hürdenläuferin. Als Mehrkämpferin wurde Simone Werner für den Turnverein Riehen Team-Turnfestsiegerin am Eidgenössischen 2007 in Frauenfeld. Ihren ersten Nachwuchs-Schweizermeistertitel gewann sie 2009, ebenfalls noch im blauweissen Dress des TV Riehen, über 300 Meter Hürden.


 

Zwei Jahre später und nun für die Old Boys startend, machte Simone Werner erstmals auf internationaler Ebene auf sich aufmerksam. Mit der Schweizer 4 x 400-Meter-Staffel lief sie an den U20-Europameisterschaften 2011 in Tallin (Estland) einen Juniorinnen-Schweizerrekord, qualifizierte sich für den Final und lief auf den 7. Rang des Staffelwettbewerbs. In derselben Saison wurde sie U20-Schweizermeisterin über 400 Meter und erstmals zur Basler Leichtathletin des Jahres gewählt.


 

Im Jahr 2012 verteidigte Simone Werner, die sich inzwischen auf 400 Meter spezialisiert hatte, ihren U20-Schweizermeistertitel aus dem Vorjahr und wurde Vizeschweizermeisterin bei der Elite, und zwar sowohl in der Halle als auch draussen. Sie qualifizierte sich für die U20-Weltmeisterschaften 2012 in Barcelona und stürmte dort in der persönlichen Bestzeit von 54,70 Sekunden in die Halbfinals.


 

In der Saison 2013 war Simone Werner nicht nur erstmals Elite-Schweizermeisterin, sie war auch Mitglied der Schweizer Nationalmannschaft an der Team-Europameisterschaft in Dublin, wo sie im 400-Meter-Einzelrennen und mit der 4 x 400-Meter-Staffel antrat, und holte sich den U23-Schweizermeistertitel. Sie war nun die schnellste Schweizer 400-Meter-Läuferin der ganzen Saison. «Manchmal muss man Simone vor sich selber schützen, denn von sich aus gibt sie nicht zu, wenn sie an Grenzen stösst», sagt Sabine Wicki. «Bei ihr geht es nie nicht, bei Wind und Wetter zieht sie ihr Ding bedingungslos durch und ist so zwar jeweils in kleinen Schritten, aber doch stetig besser geworden, auch weil es ihr gelungen ist, parallel zum Stehvermögen ihre Grundschnelligkeit immer wieder zu erhöhen», lobt die Trainerin ihre Athletin, die neben dem Sport auch grossen Wert auf ihre Ausbildung legt. Seit Herbst 2012 studiert sie an der Universität Basel Medienwissenschaften und Soziologie.


 

Förderpreis im Hinblick auf zukünftige Ziele


Ausschlaggebend für die Auszeichnung mit dem Sportpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2013 an Simone Werner und Silvan Wicki – übergeben durch Gemeinderätin Christine Kaufmann im Rahmen einer öffentlichen Feier am 16. Juni 2014 im Haus der Vereine – waren die Elite-Schweizermeistertitel 2013 in Luzern. Doch betonte die Jury in ihrer Begründung, dass der Preis auch als Förderpreis im Hinblick auf weitere sportliche Ziele in der Zukunft zu verstehen sei.


 

Beide setzten in der Saison 2014 ihre Entwicklung fort. Simone Werner verbesserte ihre persönliche 400-Meter-Bestzeit und startete wieder für die Schweizer Nationalmannschaft an der Team-Europameisterschaft, Silvan Wicki schaffte die 100- und 200-Meter-Limiten für die U20-Weltmeisterschaften in Eugene (USA) und lief dort über 100 Meter in die Halbfinals. Im Frühjahr brach er den 150-Meter-U20-Schweizerrekord von Alex Wilson und will wie sein älterer Old Boys-Klubkollege künftig auch bei den Grossen an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen starten. 


 

Silvan Wicki und Simone Werner hatten aber 2014 auch mit Widerständen zu kämpfen. Silvan Wicki brachte sich mit einer kleinen technischen Umstellung beim Laufstil selbst in Schwierigkeiten und war an der Junioren-Weltmeisterschaft in Eugene nicht konstant in Topverfassung. Simone Werner hatte mit leichten gesundheitlichen Problemen zu tun und machte einen weniger grossen Schritt nach vorne, als sie es sich vorgenommen hatte. Dass sie allerdings ihren 400-Meter-Schweizermeistertitel im Juni 2014 nicht verteidigen konnte, lag mehr an der starken Konkurrenz als an der eigenen Schwäche. Die 200-Meter-Europameisterschaft-Starterin Lea Sprunger war eine Klasse zu gut. Doch Silvan Wicki und Simone Werner sind starke Persönlichkeiten, denen zuzutrauen ist, dass sie an Widerständen wachsen werden.


 

 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2014

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