Heiri Strub 80 Jahre Intensität

Annemarie Monteil

Kunst ist Sprache: also im höchsten Sinn soziale Funktion.

Gerhart Hauptmann

 

Mit üblichen Übereinkommen und eingerasterten Ansichten hat Heiri Strub Mühe. Das kann bei einem Märchen beginnen. Er dachte sich Illustrationen aus für die «Bremer Stadtmusikanten», und dann fing er an zu zweifeln, als er zu jener Stelle kam, da Katze, Hund, Hahn und Esel mit dem blossen Durchsfensterschauen und Schreien eine Schar böser Räuber vertreiben: «Vor vier Haustieren - und erst noch alten - haben doch Räuber keine Angst. Die müssen etwas anderes gesehen haben.» Was sie gesehen haben, malt er: einen gewaltigen Totemstab mit vier grauslichen Köpfen. Dazu können nämlich in der Dunkelheit die Tiere verschmelzen aus der Sicht der im hellen Raum tafelnden Räuber (Abbildung Seite 120).

Mit kritischem Geist, frischgeputzten Augen und einem Quentchen Schalk begegnet Heiri Strub nicht nur den Märchen, sondern auch der Wirklichkeit. Lebenslang hat er diese Eigenschaften erprobt, auch wenn sie ihm eher selten zum persönlichen oder gar materiellen Vorteil gereichten.

Herkommen 

Das Harte und das Karge, das Freie und das Originelle: Alles ist angelegt in Heiri Strubs Ahnen, die auch ein Teil der Geschichte Riehens sind.

In Riehen ist Heiri Strub geboren und aufgewachsen. Die Verbindung zum Dorf spürte schon der Bub, wenn er immer wieder auf seinen Grossvater, eine Riehener «Figur», angesprochen wurde. August Strub, in der Armenerziehungsanstalt äugst aufgewachsen, wurde dank einem feinen Armenvater Primarlehrer, dann mit Darlehen und der Nebenarbeit als Posamenter Sekundarlehrer. Vor 1880 kommt er nach Riehen, wird 1896 eingebürgert. Mit seinem Feuer überzeugt er die Bauern, dass sie die Kinder in die Schule schicken, anstatt sie als Knechtlein auf dem Feld arbeiten zu lassen. Und ebenso feurig politisiert er, wird als Radikal-Demokrat, später als Sozialdemokrat Mitglied des Gemeinderats, den er während des ersten Weltkriegs in Vertretung leitet. Bekannt wurde sein in jeder dritten Sitzung mit der Penetranz des römischen Cato vorgebrachtes Votum: «Ich frage die Regierung an, wann kommt das Tram nach Riehen?» Sein Grossvater, sagt Heiri Strub, wäre nie ein so kräftiger Politiker geworden ohne seine Frau, die hinter den Kulissen Mann und Politik steuerte. Die kluge, belesene Grossmutter kam aus einer Juristen- und Pfarrerfamilie in Bülach, wo man mit Gottfried Keller disputierte und Kaffee trank.

Heiris Vater musste nicht mehr ins Armenhaus. Er konnte Naturwissenschaft studieren und promovierte mit einer Grundlagenarbeit über das Basler Klima. Er gehörte zu den Gründern der Basler kommunistischen Partei. Dass Basel damals die fortschrittlichsten Arbeits- und Feriengesetze der Schweiz hatte, ist Vater Strub zu verdanken: Er hatte sie als Gewerbeinspektor ins Leben gerufen.

Aufbruch

«Abstammung prägt», sagt Heiri Strub. 1935 war er als kaum Zwanzigjähriger aktiv im Jugendkomitee gegen Krieg und Faschismus. 1937 wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei, 1944 half er die PdA, die Partei der Arbeit, gründen. Ein wichtiges Ziel war der Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland. Für Menschen, die wegen ihrer Rasse oder ihrer politisch linken Gesinnung flüchten mussten, wurden Unterkünfte gesucht. Dank Kontakten mit Regierungsrat Fritz Brechbühl erfuhren Heiri Strub und seine Freunde jeweils, wer zu verstecken sei, wen man anmelden und dann legalisieren könne.

Das klingt, als hätte Heiri Strub Berufspolitiker werden wollen. Oh nein, er ist ein Bildermensch. Ob er von Kinderspaziergängen aufs Hörnli und auf den Tüllinger Hügel erzählt, von Emigrantenschicksalen oder vom Aktivdienst: Immer sind es Bilder. Mit Bildern errang er sich denn auch in der Schule Ansehen: Der sich oft langwei lende und entsprechend glanzlose Gymnasiast karikierte in knappsten Linien die Lehrer, witzig frech, aber nie bösartig verletzend. So ist er geblieben.

Weil Zeichnen und Malen dem Sechzehnjährigen wichtiger waren als Mathematik und Grammatik, beschloss er den Besuch der Gewerbeschule: Schreiner-Vorlehre, Vorkurs, vier Jahre als Schriftsetzer, Grafik-Fachklasse und Malklasse.

Der Rucksack war gepackt: Vom Drucken bis zum Holzstich beherrscht Heiri Strub alle Techniken. Als Grafiker, Setzer, Lithograph, Linolschneider, Radierer, Typograph arbeitete er bei der National-Zeitung, in Stosszeiten im Atelier Eidenbenz, von 1941 bis 1945 leistete er Aktivdienst als Flab-Korporal.

Segelsetzen und Gegenwind

1945 gründete Heiri Strub sein eigenes Grafik-Atelier. Alles ging vorerst gut. Aufträge für Plakate, Kinderbücher, eine Zolli-Mappe wiesen auf eine sorgenfreie Zukunft hin. Aber um 1950 wurde es still im Atelier Strub. Die Angst vor Russland ging um, das Wort vom Kalten Krieg wurde geprägt. Chemieunternehmer deuteten dem jungen Grafiker an, Kommunisten könne man nicht berücksichtigen. Wo immer er anklopfte, erhielt er nach erstem Entgegenkommen eine Absage. Als er für die Gotthelf-Ausgabe bei Birkhäuser zwanzig Holzstiche (Abbildung Seite 115) schuf, durfte er sie nicht mit seinem Namen zeichnen. Seine damalige Vermutung, die Parteizugehörigkeit schaffe die Barrikade, bestätigte sich, als er kürzlich seine zehn Kilo schweren Fichen zugeschickt bekam, die lauter harmlose Dinge enthielten.

Das mit seiner Frau Lotti und Freunden betriebene Larvenatelier «nase» besserte das Einkommen nicht genügend auf. Und da inzwischen Tochter Olga, heute eine erfolgreiche Schauspielerin, zur Welt gekommen war, nahmen die Strubs das Angebot von Freunden an, in die DDR zu kommen. Es waren Schriftsteller und Verleger, denen Heiri Strub im Krieg geholfen hatte, als sie als Vertriebene anklopften.

Vorerst als Kurzaufenthalt geplant, blieben die Strubs von 1957 bis 1971 in der DDR. Hier war der Schweizer Grafiker gefragt als Illustrator, er schuf die Ausstattung zu Brechts «Kaukasischem Kreidekreis», half dem be freundeten John Heartfield Ausstellungen zu gestalten. Als Heartfield 1968 starb, war es Heiri Strub, der ein Heartfield-Archiv aufbaute und zwölf Ausstellungen des nun gefragten toten Künstlers einrichtete, von London über Stuttgart bis Basel. Heartfields Fotomontagen bestätigten dem Jüngeren, dass man mit dem Medium Bild gegen Unterdrückung jeder Art einstehen kann - und muss.

Schreiben

1971 kehren die Strubs nach Basel zurück. Wieder Arbeitssuche. Lotti Strub findet eine Stelle im Kunstmuseum, die ihr, der musischen Partnerin, zusagt. Heiri wird Redaktor beim «Vorwärts». Während er sich in der DDR vom Politisieren fernhielt («den Deutschen wollte ich nicht helfen, ihre Politik zu machen»), kommentiert er in Basel mit kritischer Feder das Tagesgeschehen.

Originell sind die Artikel über Künstler. Jeremias Gottheit nennt er einen «Sozialarbeiter mit biblischem Hintergrund». Bei den alten Malern will er wissen, wo und wie die Werke mit damaligen geschichtlichen und privaten Verhältnissen verknüpft sind, stellt sorgfältigste Recherchen an. Die Kunstgeschichte ist ihm «zu linear», man müsse auch schauen, was rechts und links daneben passiert sei. Lukas Cranachs «Buhlende Paare» geben Anlass, aus marxistischer Sicht dem «kupplerischen» Umgang mit dem Geld nachzuspüren. An Hans Leu gefällt ihm die Opposition gegen den bilderfeindlichen Zwingli. Sein Liebling ist Urs Graf, der «Unternehmer und Proletarier in einem», dessen Herz nicht den Befehlshabern, sondern den Landsknechten gehörte.

Zeichnen

Formen und gestalten, zeichnen und malen, und dies nicht im Elfenbeinturm, sondern mit dem Stoff des Lebens selbst - so etwa könnte man das Programm des jungen Heiri Strub umschreiben. Er verwirklichte es mit nie versiegendem Temperament in jeder neuen Aufgabe der angewandten oder freien Kunst.

Der «Stoff des Lebens», der für Heiri Strub zählt, sind die Menschen. Seine Zeichnungen und grafischen Blätter sind Erzählungen von Menschen in allen Situationen, mit Schwächen, Hochmut, Güte, Hilfsbedürfnis, Schlitzohrigkeit. Auf Plakaten lässt er Frauen und Männer mutig ausschreiten oder schutzsuchend zusammenrücken. In politischen Illustrationen sieht man jenen, die «die Macht» haben, in Haltung und Miene die «Torheit der Regierenden» (Barbara Tuchmann im gleichnamigen Buch) an. Die Sympathie des Zeichners gehört den «kleinen Leuten», er lässt sie durch Tapferkeit, Humanität und eine Prise Schlauheit «gross» werden.

Zu solchen Lektionen (Strub ist ein heimlicher Pädagoge) eignen sich Märchen und Geschichten besonders gut. Kein Wunder, dass der Illustrator darauf grösste Sorgfalt legt. Er entwickelt Stil und Mittel jeweils aus dem Thema, deshalb verfällt er nie einer Masche. Die Bremer Stadtmusikanten mit ihren nächtlichen Abenteuern und Festivitäten sind in sattem Aquarell mit viel Traumblau gemalt. Bei Sumse Sumsebrumm, der kleinen Fliege, und dem tapferen Mückerich setzt der Zeichner hauptsächlich aufs Lineare, dass es nur so sirrt. Das tapfere Schneiderlein hat gotische Allüre, weil der Glaube an Riese und Einhorn aufs Mittelalter weist. Immer greifen dank Strubs Gestal tung Worte und Bild so ineinander, dass sich das Kind lustvoll von einem zum andern hangeln kann. Höhepunkte sind jene Bilderbücher, zu denen Strub nicht nur Bilder und Layout, sondern auch den Text erfand: Im «Walross und die Veilchen» erzählt er von einem Gärtner, der im Nordpolschnee Veilchen und Melonen züchtet und die Freundschaft eines Walrosses gewinnt. Das Buch mit seinen kräftig konturierten Bildern und den vielen herrlichen Details wurde zum Liebling der Kinder, aber auch der Erwachsenen, darunter Bertolt Brecht, der sich bei endlos-werdenden Proben mit Strubs Kapitelschluss zurückzuziehen pflegte: «Das Walross legte sich hin und beschloss, einzuschlafen.» Vielleicht ist das Buch so wunderbar, weil der Autor selbst drinsteckt: einer, der trotz Kälte Veilchen züchtet, von Neunmalklugen verlacht wird, dank Heiterkeit und unüblichen Freundschaften Courage und Liebe nicht verliert. Wunsch: Wiederauflage der vergriffenen Bilderbücher von Heiri Strub.

Malen

Die übliche Frage, was er nach der Pensionierung tun werde, war für Heiri Strub einfach zu beantworten: «malen». Dazu gehören Lesen und Musikhören. In der kleinen Wohnung am Rande Allschwils nehmen neben dem Atelier die Bücher und Platten den meisten Raum ein. Im heimlichen Zentrum dieser musischen Atmosphäre steht Lotti Strub, seit fünfzig Jahren nicht nur Begleiterin und Hilfe ihres Mannes, sondern auch Anregerin.

Ein Teil der Bilderthemen deutet auf die geliebten Wanderungen. Blumen malt Heiri Strub mit feinem Pinsel und respektvoller Genauigkeit. Landschaften entstehen im Atelier nach Skizzen vor der Natur. Hier geht es weniger um Naturalismus als um erlebte Stimmung. Durch Stilisierung und Flächigkeit erhalten Berg und See etwas Entrücktes. In der dekorativen Linienführung und dem bewussten Komponieren (Landschaftspartien oder eine Sennhütte können weggelassen oder «ausgetauscht» werden) spürt man Strubs Bewunderung für Félix Vallotton.

In einigen Bildern beginnen sich die Grenzen zwischen Wirklichkeit, Traum und Märchen zu verwischen. Die Fasnacht wird zum Gespensterspektakel (Abbildung Seite 113).

In seinen «politischen Bildern» übermittelt Heiri Strub Botschaften und Fragen. Wo steht der Mensch, wie lebt er?

Ein Beispiel: Als er vor vierzig Jahren an einem WandbildWettbewerb für Rimini beteiligt war, schlug er nicht ferienhafte Strände vor, sondern ging in den Hafen, freundete sich mit den Fischern an und fuhr nachts mit ihnen aufs Meer. Was er dann malte, waren die von der harten Arbeit geprägten Männer, die Boote mit ihrer Last, das herbe Klima eines frühen Morgens. Die Not des Arbeitslosen beschäftigt Heiri Strub seit langem und heute erneut. Der Mann mit den Händen im mittelalterlichen Folterblock: Da fliesst die Beobachtung eigener und fremder Erfahrungen ein (Abbildung Seite 117).

Ein Ankläger? Ein stets Zorniger? Keineswegs, «das wäre unproduktiv», sagt Heiri Strub. Lieber zeigt er einen menschlichen Weg des Zusammenlebens - und malt das Bild von Ritter Georg, jenem Sandsteinheiligen hoch oben am Basler Münster, der ihm nie gefallen habe: «Einer, der aufs Geratewohl einen Drachen, die Kreatur, umbringt, das ist ein Halbstarker.» Er setzt im Bild den Ritter aufs Motorrad, das dem Drächlein nachjagt. Und sinniert malend, so dürfe die Feindschaft nicht weitergehen. Schon entsteht das nächste Bild. Ritter und Verfolgter würden sich zwar «kaum an denselben Tisch setzen und Paroli tauschen», denkt sich der Realist Strub aus, aber einmal müssten sie doch während ihrer Jagd Durst bekommen: «Und dann werden Ritter, Ross und Drache aus dem gleichen Brunnen trinken. Das wäre immerhin ein Anfang.» (Abbildung Seite 119) Das Bild der Zerstrittenen, die sich am Pisonibrunnen zusammenfinden, enthält viel von der Weisheit aus achtzig harten Lebensjahren, überglänzt von Phantasie und Lebensfreundlichkeit. Lächelnd nennt mir der Maler den Bild-Titel: «Durst und Vernunft». Und fügt bei: «Einmal muss der Streit doch ein Ende haben.»

Personen

(soweit nicht schon im RRJ oder im RJ 1986 ff. vorgestellt):

Hortense Strub-Lauffer (1854-1938)

Margrit (Mathilde Margaretha)

Strub-Saxer (1886-1970)

Heiri Strub-Arnold (*1916)

Lotti Strub-Arnold (*1919)

Olga Strub (*1950)

Fritz Brechbühl (1897-1963), Nationalrat, Regierungsrat

Lukas Cranach (1472-1533)

Hans Leu (1490-1531)

Urs Graf (1485-1527/28)

John Heartfield (1891-1968)

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1995

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