Malerische Bildwelten


Françoise Theis


 

Der Kulturpreis 2013 der Gemeinde Riehen ging als Förderpreis an die junge bildende Künstlerin Sabine Hertig, die in ihren Collagen und Assemblagen Bilder aus Magazinen und Büchern, Objekte, Videos und Audios sowie Malerei und Zeichnung zu komplexen Bildwelten verwebt. 


 

Sabine Hertig ist eine junge Riehenerin, die sich sehr früh entschied, bildende Künstlerin zu werden. Dies war eine sehr bewusste Wahl, da auch Musik und Geigenspiel eine Option für sie war. Schon mit 16 Jahren hatte sie ihr erstes kleines Atelier, das sich grad um die Ecke beim Elternhaus befand. Sie beschäftigte sich mit Zeichnung und Malerei, war viel in der Natur unterwegs und schöpfte ihre Motive aus der genauen Beobachtung. Zum ersten Mal konnte sie ihre Werke 1999 in der Papeterie Wetzel in Riehen ausstellen. Da war sie 17 und sehr stolz, ihr erstes Bild verkaufen zu können.


Die Matur machte sie 2002 am Gymnasium Bäumlihof. Selbstverständlich war Bildnerisches Gestalten ihr Schwerpunktfach. Sie begann anschliessend ihr Studium an der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK) in Basel, das sie 2010 mit dem Master ‹Vermittlung in Kunst und Design› abschloss. Schon 2004 wurde eine Arbeit der 22-Jährigen für die alljährliche, jurierte ‹Regionale› ausgewählt. In der Folge zeigte Sabine Hertig mehrmals Werke an der ‹Regionale› und nahm an Gruppenausstellungen teil – beispielsweise in der Kunsthalle Palazzo in Liestal, im Vögele Kulturzentrum in Pfäffikon oder im Andate Ritorno in Genf. Die renommierte Basler Galerie Stampa begleitet sie unterdessen in ihrem künstlerischen Schaffen und zeigte Ende 2013 ihre erste Einzelausstellung.


 

Das künstlerische Schaffen


Während ihres Studiums an der HGK wandte sich Sabine Hertig der Collage zu. Das breite Spektrum der Ausdrucksmöglichkeiten beim collagierenden Vorgehen prägt ihre Werke seit einigen Jahren. Ihre Collagen begann sie mit kleinformatigen Schwarzweiss-Arbeiten, in denen sie oft nur zwei Ausschnitte aus Zeitungen oder Magazinen zusammenfügte. Schon in diesen Werken zeigt sich, mit welch gutem Auge Sabine Hertig auswählt und mit welchem Feingefühl sie neue Bilder schafft. Sie lässt sich dabei von der Assoziation analoger und divergenter Formsprachen und Thematiken aus ganz unterschiedlichen Kontexten leiten. Sie löst bestehende Bildausschnitte aus ihrem ursprünglichen Kontext heraus und fügt sie zu einem neuen, formal stimmigen Bild zusammen. So eröffnen sich vielfältige und offene Dialoge und Geschichten, die erst von den Betrachtenden geschaffen werden. Sabine Hertig wählt ihre Bildausschnitte aus den verschiedensten Printmedien. Bei den Abbildungen in den ‹GEO-Magazinen› schätzt sie beispielsweise die Tiefe der Farben, in der ‹Neuen Zürcher Zeitung› springen sie immer wieder gut gewählte Headlines an. Auch Bücher aus dem Brockenhaus dienen ihr als Bilderreservoir.


 

Bald wurden ihre Arbeiten grösser – heute sprengen sie sogar das nicht sehr kleine Atelier an der Riehener Rössligasse. Als Bildträger verwendet Sabine Hertig grosse, aufgespannte Leinwände, die zusammengefügt schon mal 4 Meter messen. Und es haben viele verschiedene Medien Einzug gehalten: Nebst dem Collagieren sind auch der malerische Gestus und die zeichnerische Linie wieder wichtig geworden. Zudem arbeitet sie mit kleinen, vorgefundenen Videos, mit Klängen, die sie auch mal selbst mit der Geige aufnimmt, oder sogar mit QR-Codes, deren Inhalte mittels Handy im Internet abgerufen werden müssen. 


 

Die Collage und das Malerische


Die Collage als künstlerische Ausdrucksweise hat ihre Wurzeln in den ‹papiers collés› und Collagen von Pablo Picasso, Georges Braque und Juan Gris, die zwischen 1912 und 1914 ihre kubistischen Gemälde dahingehend erweiterten, dass sie Wortfragmente, Bilder aus Zeitungen und Elemente aus dem Alltag in ihre Werke integrierten: Pablo Picasso schuf im Mai 1912 ‹Stillleben mit Rohrstuhlgeflecht› – eine mit Schnur eingerahmte Leinwand, auf die er ein bemaltes Wachstuch applizierte – und Georges Braque im September 1912 ‹Stillleben mit Fruchtschale und Glas›, das als erstes ‹papier collé› gilt.


 

Ziel dieser neuen künstlerischen Strategie war es, die Form von der Farbe zu lösen oder das Material von seiner ursprünglichen Bedeutung. Uwe M. Schneede definiert: «Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.»1 Die 1941 geborene US-amerikanische Kunstkritikerin und -theoretikerin Rosalind Krauss analysiert die Collage-Technik folgendermassen: «Was die Collage erreicht, ist eine Metasprache des Visuellen. Sie kann über Raum sprechen, ohne diesen zu benutzen, sie kann die Figur durch ein wiederholtes Überlagern von Gründen figurieren, sie kann in den Begriffen von Licht und Schatten sprechen. Als System führt die Collage ein Spiel von Differenzen ein […].»2


 

In ihrer künstlerischen Auseinandersetzung erweitert Sabine Hertig diese Definitionen der klassischen Collage, indem sie in einem Modus des ‹collageartigen Denkens› arbeitet. Ihre Werke können als Reaktion auf die uns umgebende Bilderflut gelesen werden, wie sie im Gespräch festhält: «Für mich ist alles formbares Material: Ein Zeitungsbild ist ein Farbfleck, ein Videobild ist ein sich bewegender Farbfleck. Alles kann ich gleichwertig für ein Bild nutzen. Was ich tue, ist nichts anderes als malen.» Trotz oder gerade wegen des Einbezugs verschiedenster Medien ist es das Malerische, wie sie sagt, das ihre Haltung bestimmt. Ein Maler ist ihr dabei fortwährender Begleiter: Es handelt sich um Paul Cézanne (1839–1906), der wohl wie kein anderer aus der beharrlichen Naturbeobachtung heraus Bilder schuf, die sich in der Betrachtung immer wieder aufs Neue konstituieren. Seine Bilder setzen sich aus farbigen Flecken zusammen. Diese berühmten ‹taches› sind dabei gleichzeitig Form und Farbe. In dieser Vorgehensweise scheinen grundlegende Strategien der Collage auf.


 

Auch wenn Sabine Hertig eine junge Künstlerin ist, die selbstbewusst und zielstrebig ihr künstlerisches Werk weiterentwickelt, ist es der Zweifel, der sie in ihrem Schaffen begleitet. Wie könnte man künstlerisch tätig sein, ohne zu zweifeln? Sie sagt, dass dieser sogar sichtbar sei, und zwar in den vielen Materiallagen, aus denen ihre Werke bestehen. Besonders die ‹Landscapes›, ihre neusten, grossformatigen Werke, entstehen in einem Prozess des fortwährenden Schichtens. Aus den Lagen heraus formt sich das Bild, das verstärkt mit Verdichtung und Freilassung und mit Hell-Dunkel-Kontrasten operiert. So tut sich in einer optischen Täuschung die dritte Dimension auf.


 

Doch Achtung: Sabine Hertig greift auch tatsächlich in die dritte Dimension aus. Aus Collagen sind Assemblagen geworden – Werke also, in die sie Gegenstände integriert – und manch neues Werk erinnert sogar an ein Diorama. Hier dient ihr der Online-Marktplatz ‹Ricardo› als Materiallieferant – dort bekommt man alles, was man sich nur vorstellen kann, sagt sie. Der Förderpreis ist eine Wertschätzung der bisherigen künstlerischen Arbeit von Sabine Hertig. Fördern ist aber auch immer als Fordern zu verstehen – oder, um es milder auszudrücken, als freudige Erwartung.


 

1 Uwe M. Schneede: Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert. Von den Avantgarden bis zur Gegenwart, München 2001, S. 90.


2 Rosalind Krauss: In the Name of Picasso, in: October, Vol. 16: Art World Follies, 1981, S. 5–22 (Übersetzung der Autorin).


 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2014

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