Zwischen Hobelbank und Pflug


Stefan Hess


Das Schreinerhandwerk blickt in Riehen auf eine über 400-jährige Geschichte zurück. Lange konnten sich die hiesigen Schreiner gegen die Konkurrenz aus der nahen Stadt Basel behaupten. Heute sehen sie sich allerdings vor 
grosse Herausforderungen gestellt. 


Im Mittelalter war das Leben der ländlichen Bevölkerung weitgehend auf Selbstversorgung ausgerichtet: Die Menschen erschufen die materiellen Grundlagen des täglichen Lebens – Nahrung, Kleidung, Wohnung etc. – grösstenteils selbst und kamen fast ohne hochwertige Produkte aus, wie sie Spezialisten in den Städten herstellten.1 Einzelne Bauern oder ihre Frauen erwarben sich jedoch besondere Fertigkeiten, etwa in der Verarbeitung von Holz, Metall, Leder oder Textilien, und führten entsprechende Arbeiten gegen eine Entschädigung auch für andere Dorfbewohner aus. Zur Verbreitung solcher ‹Bauern-Handwerker›lassen sich keine Angaben machen, da die Landbevölkerung in den Quellen fast durchwegs ohne Berufsangabe verzeichnet ist. Drei Berufe nahmen allerdings eine Sonderstellung ein, und sie sind es, die in Riehen bereits im Spätmittelalter regelmässig erwähnt werden: die Schmiede (erstmals genannt 1322), die Müller (1413) und die Wirte (1454).3 Diesen Berufen war gemeinsam, dass ihre Vertreter der dörflichen Oberschicht angehörten und nebenher meist noch ein Bauerngut bewirtschafteten.


An der Wende zum 16. Jahrhundert tauchen in den Quellen weitere Berufe auf: Metzger, oft in Verbindung mit dem Wirteberuf (1481), Schneider (1488), Bäcker (1508) und Fischer (1510). Im Lauf des 16. Jahrhunderts, als wachsende Komfortansprüche zu vermehrter Spezialisierung und Arbeitsteilung führten, finden weitere Handwerke Erwähnung: Bader und Barbiere (1522), Küfer (1532), Zimmerleute (1538) und Weber (1569). 


Die Anfänge des Schreinerhandwerks

1599 wird mit Felix Köbelin erstmals ein Schreiner genannt. Er war wahrscheinlich zugewandert, da sein Familienname zuvor in Riehen nicht belegt ist. Köbelin scheint sich innerhalb der Dorfgemeinschaft ein gewisses Ansehen erworben zu haben, bekleidete er doch 1627–1631 das Amt eines Kirchenpflegers. 

Die professionelle Holzbearbeitung lässt sich in Riehen allerdings deutlich weiter zurückverfolgen. Bereits 1279 wird eine «Holzmüli» erwähnt, 1307 sogar deren zwei, und noch im Jahr 1569 ist von der «holzmüli auf breitmatten» die Rede.4 Da bereits im Mittelalter Holz aus dem Schwarzwald auf der Wiese in die Stadt Basel geflösst wurde, dürfte es sich bei diesen ‹Holzmühlen› um frühe Sägemühlen gehandelt haben, ja um die ältesten bekannten im deutschsprachigen Raum. Sie befanden sich in der Wieseebene im südwestlichen Teil des Riehener Bannes und hatten zweifellos die Bedürfnisse der Stadt Basel zu befriedigen. 


In Basel lassen sich seit 1393 Schreiner nachweisen, die anfangs noch als ‹Kistenmacher› und vom 15. bis ins 17. Jahrhundert meist als ‹Tischmacher› bezeichnet wurden.5 Das Handwerk der Schreiner war aus jenem der Zimmerleute hervorgegangen, mit dem es in der Folge immer wieder in Kompetenzstreitigkeiten geriet. Als Merkmal und zugleich als Privileg des Schreinerhandwerks galten die geleimte Arbeit und der Einsatz verschiedener Hobel.


Der gleiche Differenzierungs- und Ablösungsprozess wie in Basel ist – mit einer zeitlichen Verzögerung von mehr als 200 Jahren – auch für Riehen zu vermuten, wo der erste Zimmermann gut zwei Generationen vor dem ersten Schreiner fassbar wird. Für anspruchsvollere Arbeiten, die ein Zimmermann nicht bewältigen konnte, zog man in Riehen zunächst städtische Schreiner heran. So wurde der bekannte Tischmacher und Schnitzer Jakob Steiner, der verschiedene Aufträge im Basler Rathaus ausgeführt hatte und dem die sogenannte Erasmus-Truhe im Historischen Museum Basel zugeschrieben wird, 1543 damit betraut, «den Chor, und die Kilchen uffs allerbest» zu vertäfern und zudem «Im Chor ein gestiel, mit einer Umbwandt, vom gestiel biss unther die Kantzel, sampt eine fuoss knien Werk» anzufertigen.6 Von diesen Arbeiten hat sich ein viersitziges Gestühlfragment erhalten, das heute an der Westwand unter der Empore aufgestellt ist. 60 Jahre später konnte der Riehener Landvogt dagegen den «Schreiner Zu Riechen», also den bereits erwähnten Felix Köbelin, für Reparaturarbeiten in der sogenannten Landvogtei heranziehen.7


Die Schreiner in Riehen – beziehungsweise die Väter, die ihre Söhne zum Schreinerberuf bestimmten – legten offensichtlich Wert darauf, den Ansprüchen der Stadtbürger zu genügen. So stammten die ersten beiden Schreinerlehrlinge, die im ‹Lehrjungenbuch› der Basler Spinnwetternzunft verzeichnet sind, aus Riehen: Jerig (Jörg) Ertlin, der 1592 seine Lehre in Basel abschloss, und Hans Heinrich Pfaff, der 1597 als erst Zwölfjähriger eine Schreinerlehre bei Conrad Imenhauser antrat und diese drei Jahre später ordnungsgemäss beendete. Diesem Beispiel folgten im 17. Jahrhundert zwei weitere Söhne von Riehener Bürgern, nämlich Jakob Eger (1603) und Johannes Köbelin (1657), ein Enkel des ersten in Riehen nachweisbaren Schreiners.8 Johannes Köbelin war allerdings der einzige, der seinen Beruf in Riehen ausübte, während die drei anderen entweder früh verstarben oder wegzogen.


Die Berufsausbildung im 16. Jahrhundert

Lehrvertrag zwischen Hans Heinrich Pfaff von Riehen und Schreinermeister Conrad Imenhauser in Basel, am 13. Oktober 1597 von der Spinnwetternzunft beglaubigt:
«Da hatt Meister Cunradt Jmmenhuser angenomen Hanss Heinrich Pfaff, Pauli pfaffen von Riehen Ehelichen Sohn, das Tischmacher Handwerck ze Leeren 3 Jaar Lang und soll der vatter dem meister zu Leergelt geben 20 lb [= Pfund] das halb uff Martinj anno 98 das übrig, wann die LeerJaar volstreckt sind: und soll der meister den Jungen treüwlich und wol, wie einem Ehrlichen meister zu stadt [= zusteht], leeren, Ime ouch zu Gottsforcht, Zucht und erbarkeit weysen und halten und Imme gebürliche narung und geliger [= Nachtlager] geben. Hinwider Soll der Jung sich gehorsamlich und erenshafftig, wie einem Ehrlichen Jungen zustadt, verhaltten, und nit ussschweiffig [= ausschweifend] Ohn des meisters (oder So er nit anheimsch [= zuhause] der Frauwen) wüssen und willen von Hauss gan, Es sey Fyrtag oder werchttag, Sondern an Einem Fyrtag zwüschen dem bredigen [= den Predigten], sich Üben mit Ryssen [= Entwurfszeichnen] und anderm So ihm nutzlich ist […].»

Die Auftraggeber

Die Häufung von Schreinerlehrlingen aus Riehen in Basler Betrieben in der Zeit um 1600 ist keineswegs selbstverständlich, denn bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts sind im ‹Lehrjungenbuch› der Spinnwetternzunft keine weiteren Schreinerlehrlinge aus Dörfern der unteren Basler Ämter verzeichnet. Dies könnte damit zusammenhängen, dass sich die Schreiner in Riehen Aufträge von Stadtbürgern erhofften, die sich seit 1540 in ihrem Dorf einen Landsitz erworben hatten. Allerdings zogen die Basler Landgutbesitzer im 17. Jahrhundert offenbar vorzugsweise städtische Schreiner heran. Jedenfalls betraute Bürgermeister Johann Rudolf Wettstein (1594–1666) mit Anthoni Elser und Heinrich Löchlin 1662 zwei Basler Meister mit den Schreinerarbeiten in seiner «neuen Behausung» in Riehen.9 


Bereits 1633/34 hatte Wettstein in seiner damaligen Eigenschaft als Landvogt Elser den Auftrag für fünf neue «Stubenläden» erteilt. Dies war jedoch eine Ausnahme, denn sonst vergaben die Landvögte ihre Aufträge – soweit in den Jahresrechnungen vermerkt – fast immer an einen Schreiner in Riehen. Meist ging es dabei um den Innenausbau, um Reparaturarbeiten oder um Möbel in der Landvogtei. Gelegentlich gab es auch andere Aufträge: 1623/24 hatte etwa Felix Köbelin zwei amtliche Mandate einzufassen und in den Wirtshäusern aufzuhängen. Mehrfach wurde der Dorfschreiner für die Anfertigung hölzerner Gitter auf dem Dorfbrunnen bezahlt. Und 1638/39 wurde Felix Köbelins Sohn Johannes vom Landvogt für Arbeiten an der Kirchenuhr entschädigt. 


Die Kosten für Schreinerarbeiten in der Kirche und im Pfarrhaus gingen jedoch meist zulasten der Kirchenrechnung, die leider nur punktuell überliefert ist.10 So wissen wir nicht, wer die 1646 datierte Kanzel, die Emporen sowie die Chorstühle und die Holzdecke bei der Erweiterung der Kirche in den Jahren 1693/94 anfertigte. Ebenfalls von der Kirche bezahlt wurden Flickarbeiten an der Totenbahre im Jahr 1646.


In der Folgezeit ging die Verantwortung für das Bestattungswesen offenbar an die Gemeinde über. Diese bezahlte nämlich 1774/75 den in Riehen niedergelassenen Schreiner Jacob Brunner für eine neue Totenbahre. Die häufigsten Aufträge der Gemeinde an lokale Schreiner betrafen jedoch Reparaturarbeiten am Gemeindehaus und die Lieferung von Zielscheiben für den Schiessplatz beim 1661 errichteten Schützenhaus.11


Wichtiger als die öffentlichen Aufträge waren für die örtlichen Schreiner zweifellos jene der lokalen Bevölkerung, die sich im 18. Jahrhundert auf immerhin gut 1000 Personen belief. Leider haben sich zu diesem Tätigkeitsfeld vor dem 19. Jahrhundert keinerlei schriftliche Quellen erhalten. Wir dürfen aber annehmen, dass die Dorfschreiner wie andernorts neben verschiedenen, namentlich für die Aussteuer bestimmten Möbeln, Fussböden und Wandvertäfelungen, Haus-, Scheunen- und Stalltüren, Fensterrahmen und Fensterläden auch diverse Gebrauchsgegenstände und landwirtschaftliches Gerät herstellten – wie Bienenkästen, Hühnerställe, Mehltruhen, Backtröge, Dreschflegel, Blumenbretter und anderes mehr.


 Bis um 1800 in Riehen tätige Schreiner

1) Felix Köbelin-Rockenbach (erwähnt 1599–1631)
2) Johannes Köbelin-Eger (1610–1658), Sohn von 1)
3) Johannes Köbelin-Thoman (* 1643), Sohn von 2), 1657–1660 Lehre bei Hans Freihart in Basel
4) Christian Bettener-Muckensturm (erwähnt 1661–1689)
5) Andreas Bettener-Meyer-Trächslin (1674–1730), Sohn von 4)
6) Johannes Hauswirth-Fuchs-Buser (1684–1746)
7) Hans Jakob Bettener-Schultheiss (1711–1783), Sohn von 5)
8) Friedrich Hauswirth-Fischer-Tell (1714–1778), Sohn von 6)
9) Johann Jakob Hauswirth-Schultheiss (1718–1780), Sohn von 6)
10) Jacob Brunner-Speisegger (* 1734), von Schaffhausen, 1763–1787 in Riehen niedergelassen, dann in Basel
11) Christian Alinger-Gramm-Schultheiss (1739–1787), von Bönnigheim bei Heilbronn, 1764–1777 Geselle in Basel,
dann niedergelassen in Riehen
12) Johann Christian Suhr-Göttin (1752–1808), von Rostock, seit ca. 1779 in Riehen niedergelassen, 1799 helvetischer Bürger
13) Friedrich Stücklin-Hauswirth-Frey-Löliger (1761–1814)
14) Johannes Alinger (1770–1825), Sohn von 11), 1789 Beginn einer Lehre bei Samuel Siegfried in Basel

Im 18. Jahrhundert führten die Dorfschreiner auch nachweislich Arbeiten für Basler Stadtbürger auf deren Landgütern aus. 1762 gab der damalige Besitzer des Wenkenhofs, Ratsherr Samuel Merian-Frey (1739–1825), Friedrich Hauswirth den Auftrag, eine Mulde zu flicken sowie eine Bank und ein «Kestlin» herzustellen. Und beim Bau des neuen Pächterhauses bezahlte Merian ab Juli 1767 dem bereits genannten Jacob Brunner insgesamt fast 170 Gulden für Schreinerarbeiten.12


Städtische Kundschaft

Die Schreiner in Riehen begnügten sich nicht mit Aufträgen der städtischen Besitzer von Landgütern. Sie begannen spätestens im frühen 18. Jahrhundert, ihr Tätigkeitsgebiet auch auf die Stadt Basel auszudehnen. So beschwerten sich 1715 die Basler Schreinermeister beim Rat über «die nechst umb Bassel herumb, alss zu Arlessen [= Arlesheim], Dornach, Newweill [= Neuwiller], Blotzen [= Blotzheim], Bartenen [= Bartenheim], Habsen [= Habsheim], grossen und kleinen Hüningen, Riehen, Stetten, Lörach, Thumbringen [= Tumringen], Schopffen 
[= Schopfheim], Brombach, Hawigen [= Hauingen], undt anderen nechstgelegenen […] Ortten, gesessene Schreinermeistere / deren sich an der Zal ohne die jm oberen Baselgebiet, 17. befinden, undt mit vielem gesind auch wol selbs Neünt arbeiten, / Uns die allhiesige eingeschnitten oder angemessene arbeit […] aller dingen abgeloffen, gleichsamb hausieret, undt von Hauss zu Hauss umb arbeit nachgefragt, undt dardurch andere Arbeit, worvon wir unser Nahrung haben sollten, vast überal nach sich gezogen, schlechte arbeit gemacht, hernacher umb ein ringeres gelt verkaufft».13 Damit verstiessen die Landschreiner gegen die Gewerbeordnung von 1526, wonach auswärtige Schreiner nur während der Herbstmesse Möbel in der Stadt zum Verkauf anbieten durften. Zudem hatte der Rat 1607 verfügt, dass alles, was an «gewissen orten dess Hausses eingemessen und gefüget» werde, allein von städtischen Schreinern ausgeführt werden dürfe.14 Immerhin war es Basler Bürgern das ganze Jahr hindurch erlaubt, Mobiliar für den Eigenbedarf ausserhalb der Stadt einzukaufen.


Diese Schutzbestimmungen blieben das ganze 18. Jahrhundert hindurch in Kraft, wurden aber immer mehr durchlöchert, wobei neben den Landschreinern auch manufakturmässig organisierte Werkstätten in weiter entfernten Städten den Basler Markt belieferten. So klagten 1790 die städtischen Schreiner in einer weiteren Bittschrift an den Rat, dass ihnen angesichts der «Menge der von den fremden in die Stadt bringenden, beweglichen Schreiner Arbeit […] vast aller Verdienst in diesem Fach entzogen» würde.


Dem Vorwurf, dass sie teurer produzierten als die Landmeister, hielten die Basler Meister damals entgegen, ein Schreiner, «der in einem hohen und theüren HaussZins stehet, und alle Lebens Bedürffnisse in einem weit höheren Preiss bezahlen, Zumahlen mit den seinigen gantz allein von Seinem Beruff sich ernähren muss, dieser kan gegen einem Landman unmöglich bestehen, der den Beruff nur als eine Neben Sache treibet, in der Kleidung vieles erspahret, sein eigen feld bauet, und in so vielen anderen Stücken, sehr beträchtliche Vorzüge und Gemächlichkeiten geniesset».15 Tatsächlich waren wohl alle Riehener Schreiner nebenher auch landwirtschaftlich tätig, indem sie eigenen Boden bewirtschafteten und von Nutzungsrechten an der Allmend (Holz, Weide) profitierten. Zudem dürften sie bei Arbeitsmangel in ihrem erlernten Beruf als Taglöhner gearbeitet haben. Der Schreiner Hans Jakob Bettener wird etwa anlässlich der Volkszählung von 1774 als «Tauner» (Kleinbauer) bezeichnet, dem neben etwas Ackerland und Wald auch vier Schafe gehörten.16 


Es ist jedoch offenkundig, dass die Riehener Schreiner von der strukturell bedingten Preisdifferenz und der zunehmenden Durchlässigkeit des städtischen Marktes profitierten. War im 17. Jahrhundert jeweils nur ein Schreiner in Riehen tätig, so stieg im 18. Jahrhundert ihre Zahl stetig an, sodass in den 1770er-Jahren zwischenzeitlich deren fünf ihren Beruf ausübten. Bei einem Teil von ihnen handelte es sich allerdings um Gesellen, die sich in Riehen niedergelassen hatten, um hier auf eigene Rechnung arbeiten zu können. Besonders erfolgreich war der bereits genannte Jacob Brunner von Schaffhausen, der so viel Arbeit hatte, dass er 1767 und 1768 mindestens zwei Gesellen gleichzeitig beschäftigen konnte. Anders als etwa die Schmiede oder die Bäcker, die sich im 18. Jahrhundert der entsprechenden Zunft in Basel anschlossen17, konnten sich die Schreiner in Riehen eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber den städtischen Meistern bewahren. Um deren Angriffen besser begegnen zu können, schlossen sie sich zumindest fallweise den Schreinern der oberen Ämter der Basler Herrschaft an, die 1685 eine Vereinigung gebildet und ihre Ordnung durch die Spinnwetternzunft hatten bestätigen lassen. 1715 gehörten deren Delegation vor dem Zunftvorstand auch die beiden Riehener Andreas Bettener und Johannes Hauswirth an.18 Ob das 1686 von den Schreinern der oberen Ämter eingeführte Meisterstück19, ein zweitüriger Fassadenschrank, auch für die Schreiner in Riehen verpflichtend war, muss jedoch offen bleiben. 


Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert änderte sich an der Situation der Schreiner in Riehen lange Zeit wenig. Ihre Anzahl stieg ungefähr im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Erst die Einführung der Gewerbefreiheit mit der Kantonsverfassung von 1875 erlaubte den unbeschränkten Zugang zum städtischen Markt. Die traditionelle Verbindung zur Landwirtschaft blieb vielfach bestehen. Noch Wilhelm Stolz-Schultheiss (1875–1957), der 1908 die Schreinerei seines Onkels Christoph Stolz übernommen hatte, betätigte sich auch als Landwirt.


Erst im frühen 20. Jahrhundert begannen die ersten Schreinerbetriebe in Riehen Maschinen einzusetzen. Die ersten mechanischen Schreinereien waren die 1907 eröffnete Schreinerei Baumann am Erlensträsschen 32 (heute 62) und die 1911 von Karl Kaufmann-Meyer erbaute Schreinerei am Davidsgässchen 6. In der 1875 eröffneten Schreinerei Stolz hielten dagegen erst 1932, mit der pachtweisen Übernahme der Schreinerei Baumann, Maschinen Einzug.20


Die technischen Verbesserungen führten im Lauf des 20. Jahrhunderts dazu, dass die Einrichtung einer Schreinerei immer kostspieliger wurde. Waren die Schreiner bis in die 1920er-Jahre noch Allrounder, die auf dem Bau arbeiteten, Möbel und Särge herstellten und oft auch Glaserarbeiten ausführten, so hatten die steigenden Kosten für Spezialmaschinen, aber auch die in der nahen Stadt Basel betriebenen Möbelmagazine und das Aufkommen von Selbstbaumöbeln in den 1970er-Jahren eine zunehmende Spezialisierung zur Folge. Diese Herausforderungen führten dazu, dass sich etliche Betriebe nur kurz halten konnten oder nach Basel verlegt wurden. Andere fanden Nischen, in denen sie die wegfallenden Arbeitsgebiete wenigstens teilweise kompensieren konnten. Die Firma Stolz Söhne, die schon in den 1940er-Jahren ein Sarglager unterhielt, verlagerte den Schwerpunkt ganz auf das Bestattungswesen. Die 1930–1992 bestehende Schreinerei Bertschi an der Wendelinsgasse 10 spezialisierte sich in den späten 1950er-Jahren auf den Saunabau und gehörte in der Schweiz zu den Pionieren auf diesem Gebiet.21

Aktuelle Schreinerbetriebe

Stolz Söhne, Brünnlirain 7, seit 1875
Bammerlin & Schaufelberger AG, Davidsgässchen 6, seit 1946
Daniel Hettich AG (ehemals Schreinerei Graf), Grendelgasse 40, seit 1952
Hans Luchsinger, Äussere Baselstrasse 255, Möbelrestaurator, seit 1977
Adrian Münch, Kundenschreinerei, Käppeligasse 18, seit 1984
Fischerhus-Schreinerei, Stiftsgässchen 16, seit 1984
Schreinerei Allemann Rolf, Helvetierstrasse 17 (Firmensitz, Werkstatt in Münchenstein), seit 1991

Junge Schreiner, die sich selbstständig machen wollten, mussten sich den geänderten Verhältnissen und Bedürfnissen anpassen. So begann Ueli Meyer 1977 nach eigenen Angaben als Erster im Kanton Basel-Stadt damit, als ‹Störschreiner› zu arbeiten, der «für die kleinen Nöte zu Hause» da war, «inklusive Zusammenbauen von Ikea-Möbeln».22 1984 eröffnete er mit seiner Frau Bernadette das auf Betten und Bettwaren spezialisierte ‹Bettenhuus›, dem bis Anfang 2012 auch ein Spielzeug- und Modelleisenbahnladen angegliedert war. Die Tätigkeit als Kundenschreiner gab er in den 1990er-Jahren auf.


Eine weitere Nischentätigkeit ist die Restaurierung antiker Möbel. In diesem Bereich sind neben Hans Luchsinger, der auch mit Antiquitäten handelt, der Kundenschreiner Adrian Münch und die Daniel Hettich AG aktiv. Letztere pflegt noch eine Reihe weiterer, quantitativ allerdings nicht ins Gewicht fallender Spezialitäten wie den Bau von Motorradseitenwagen, Wildbienenhäusern und Skateboards.23 


Heute gibt es in Riehen – einschliesslich Möbelrestauratoren – sieben Schreinerbetriebe. Die meisten haben keine Angestellten, während in den 1950er-Jahren allein die Firma Stolz Söhne noch über 20 Mitarbeiter beschäftigte. Die zunehmende Rationalisierung im Bauwesen und in der Möbelfabrikation hat dazu geführt, dass das traditionelle Schreinerhandwerk nur noch ein Nischendasein fristet.

 

1 Der Autor dankt Wolfgang Loescher und Albin Kaspar für die kritische Durchsicht dieses Beitrags und für fachliche Auskünfte.
2 Vgl. Anne-Marie Dubler: Handwerk, Gewerbe und Zunft in Stadt und Landschaft Luzern, Luzern/Stuttgart 1982, S. 181f.
3 Alle Angaben zu Personen und Liegenschaften in Riehen entstammen, wenn nicht anders vermerkt, dem Historischen Grundbuch Riehen (einschliesslich Historische Personenkartei
und Historische Eigentümerkartei).
4 Erstbeleg: Urkundenbuch der Stadt Basel, Bd. 2, Basel 1893, S. 154 (Nr. 271). Für weitere Belege siehe Ludwig Emil Iselin: Geschichte des Dorfes Riehen, Basel 1923, S. 11* und 46*; Namenbuch Basel-Stadt (in Bearbeitung; freundliche Mitteilung von Jürgen Mischke).
5 Stefan Hess / Wolfgang Loescher: Möbel in Basel. Kunst und Handwerk der Schreiner bis 1798, Basel 2012, S. 13–19.
6 Staatsarchiv Basel-Stadt, Kirchengüter K 3, 1543. Vgl. Gottlieb Linder: Geschichte der Kirchgemeinde Riehen-Bettingen, Basel 1884, S. 71f.
7 Staatsarchiv Basel-Stadt, Räte und Beamte K 7. Vgl. C. A. Müller: Das Zehntenhaus in Riehen, genannt die «Alte Landvogtei». Seine Vergangenheit, Bewohner und Aufgabe, Typoskript, 1949.
8 Staatsarchiv Basel-Stadt, Zunftarchive Spinnwettern 23, fol. 1 (Pfaff), 34v (Eger), 94r (Ertlin); Zunftarchive Spinnwettern 25, fol. 10v (Köbelin).
9 Fritz Lehmann: Johann Rudolf Wettsteins «neue Behausung» zu Riehen, das alte Miegelsche Landgut, in: z’Rieche 1976, S. 26–56, hier S. 48f.
10 Staatsarchiv Basel-Stadt, Bau OO 1 und OO 3.
11 Staatsarchiv Basel-Stadt, Gemeinden R 9.
12 Staatsarchiv Basel-Stadt, Hausurkunden 907, Nrn. 279, 356.
13 Staatsarchiv Basel-Stadt, Zunftarchive Spinnwettern 60,6.
14 Staatsarchiv Basel-Stadt, Zunftarchive Spinnwettern 60,1.
15 Staatsarchiv Basel-Stadt, Handel und Gewerbe RR 6.
16 Staatsarchiv Basel-Stadt, Volkszählung A 2, Heft Riehen, p. 1.
17 Albin Kaspar: Feuer und Eisen. Die Geschichte des Schmiedehandwerks in Riehen, in: z’Rieche 1992, S. 31–41; ders.: «… und schön weiss brodt bachen müssen». Die Geschichte des Bäckerhandwerks in Riehen, in: z’Rieche 1993, S. 87–97.
18 Staatsarchiv Basel-Stadt, Zunftarchive Spinnwettern 60,7.
19 Stefan Hess / Wolfgang Loescher: Möbel in Basel. Meisterstücke und Meisterstückordnungen bis 1798. Mit einem Verzeichnis der zünftigen Schreiner und Holzbildhauer, Basel 2007, S. 27 mit Anm. 48 auf S. 61.
20 Riehener Zeitung, 22.3.1957 und 11.7.1975.
21 Willy Bertschi-Louhio, der Sohn des Firmengründers Oskar Bertschi, hatte seine Lehre in Finnland gemacht und war mit einer Finnin verheiratet (Riehener Zeitung, 15.11.1968 und 11.3.1988).
22 E-Mail von Ueli Meyer vom 4.6.2012.
23 www.hetti.ch, Zugriff: 15.7.2012.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2012

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