Bettina Skrzypczak Komponistin

Dominik Heitz

Als die Polin Bettina Skrzypczak in die Schweiz kam, begann für sie eine wichtige Epoche als Komponistin. Seit bald zehn Jahren lebt sie nun in Riehen, wo sie eine neue Heimat gefunden hat.

 

Nur gerade vierzehn Minuten dauert das Klavierkonzert. Und wenn es ausklingt, ist man über das plötzliche Ende ebenso überrascht wie über die Komposition als Ganzes und - es sei nicht verschwiegen - über den uns kompliziert erscheinenden Namen der Komponistin: Bettina Skrzypczak. Die aus dem polnischen Poznan stammende Tondichterin weiss um ihren im deutschen Sprachraum scheinbar schwer auszusprechenden Namen. «Denken Sie einfach an die Silbe <skript> von Manuskript», hilft sie, «und setzen Sie dann noch ein <tschak> an. Dann haben Sie meinen Namen.» So einfach geht das.

Doch dann wird es schnell schwieriger. Ihr erwähntes Klavierkonzert beispielsweise, das sie 1998 als Auftragsarbeit für die Migros geschaffen hat, ist musikalisch in einer anderen Sprache gehalten als etwa ein Klavierkonzert von Beethoven: nicht linear aufgebaut in Form von Sätzen wie Allegro, Andante und Rondo, sondern in der freien Form. Die 37jährige Komponistin interessiert sich schon seit längerem für die Chaostheorie. Bettina Skrzypczak geht es bei ihren Arbeiten um eine Art Weltempfinden im 20. Jahrhundert, das mit gebrochenen Dimensionen zu tun hat. «Eine solche Art von Denken versuche ich bewusst in meinen Kompositionen einzusetzen.»

Theorien sind gerne Ansichten, die dem Laien nicht unbedingt einfach zu erklären sind - auch nicht im Falle von Bettina Skrzypczaks Kompositionen. Beim Besuch der Komponistin allerdings kann die Theorie in gewisser Weise über die Natur praktisch erfahrbar werden: Seit neun Jahren wohnt die Polin mit Doktorexamen in Musikkomposition und Musiktheorie am Ausserberg mitten im Grünen - umgeben von der Natur, die sicher zu einer Reflexion über das Komplexe und Harmonische bewegt.

Wachsamkeit provoziere

Bettina Skrzypczak komponiert sehr Unterschiedliches: sei es ein Solostück wie das «Notturno» für Flöte, das sie 1993 für Riehens Musikschulleiter Frank Nagel geschaffen hat, sei es ein kammermusikalisches Werk wie das «Décision» für Bläseroktett und Kontrabass, sei es ein chorales Werk mit Schlagzeug wie «Lob der Erde» oder ein sinfonisches Werk wie «Variabile». Am liebsten aber beschäftigt sich die Tonkünstlerin mit dem Orchester als Instrumentarium, weil hier insbesondere die klangfarbliche Komponente und das Orchester als grosse Menschengruppe ihr Interesse wecken. «Ich sehe die grosse Formation nicht als veraltet an - im Gegenteil: Ich finde, es gibt hier noch sehr viele Entwicklungsmöglichkeiten», sagt Bettina Skrzypczak. Das Orchester betrachtet sie als etwas sehr «Humanes», in dem jeder Orchestermusiker ein Solist ist. «Die heutige Musik ist mit einer anderen Sprache verbunden», erklärt sie. «Die Funktion des Musikers ist anders: Er muss selber aktiv sein.» Gleichzeitig möchte die Komponistin auch den Zuhörer fordern und ihn zwingen, vermehrt zuzuhören. «Ich will die Wach samkeit provozieren», sagt sie. Wie? Indem sie ihre Musik mit Wandlungen und überraschungen versieht, mit gebrochenen Dimensionen, mit einer Ordnung, die plötzlich in eine andere kippt.

Ein Stück, bei dem sich Bettina Skrzypczak sehr mit Chaos beschäftigt hat, ist das 1995 als Kompositionsauftrag entstandene orchestrale Werk «SN 1993J». Das Stück, so sagt die Komponistin, habe sie einem Stern gewidmet, dessen Entstehung man gar nicht bemerkt. «Es ist die Reflexion über etwas, das wir nie sehen werden und beurteilen können; es ist ein sehr nachdenkliches Stück.»

Intensive Bindungen Aufgewachsen ist Bettina Skrzypczak mit Eltern, die sich für die Geschichte allgemein und für demokratische Prozesse im besonderen interessierten. über ihren Vater, der Historiker war, lernte Bettina Skrzypczak erkennen, dass in der polnischen Geschichte ähnliche demokratische Entwicklungen vor sich gingen wie in der Schweiz; vor allem in der romantischen Literatur Polens wird oft ein Bezug zur Schweiz hergestellt.

Die Schulzeit beendete Bettina Skrzypczak mit der Matur am mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasium und schloss danach in Bydgoscz das Musikstudium mit dem Klavierdiplom ab. Es folgten weiterführende Studien an der Musikakademie Poznan und der dortigen Universität im Bereich Musikwissenschaft und Komposition. Und es entstand der Kontakt zur Schweiz respektive zu Basel: Um ihre Kompositionsstudien zu vertiefen, zog sie Ende 1988 zunächst nach Allschwil, dann nach Riehen, besuchte das Studio für Elektronische Musik an der Musikakademie Basel, nahm an verschiedenen Kursen teil und schloss 1992 mit einem Post-graduateKompositionsstudium bei Professor Rudolf Kelterborn ab.

Bettina Skrzypczak lobt ihre neue Heimat: «Ich habe gemerkt, dass es für einen Künstler etwas Ideales ist, hier zu arbeiten. In Basel habe ich von Anfang an Unterstützung bekommen, konnte entsprechend auch meine Begabungen entwickeln und bekam Möglichkeiten, meine eigenen Werke zu präsentieren. Heute bin ich in Riehen stark verwurzelt, habe intensive Freundschaften und Bindungen. Neben einer neuen Etappe meines Lebens hat in der Schweiz für mich auch eine wichtige Etappe als Komponistin begonnen.» Angefangen hat diese Etappe mit einem Streichquartett, einer Auftragsarbeit von Radio DRS 2. Es folgten Aufträge unter anderem von der Universität Freiburg im üechtland, von der Gesellschaft für Kammermusik Basel, von den Basler Madrigalisten, der Pro Helvetia und der basel sinfonietta. Schliesslich kam das Klavierkonzert für die Migros hinzu. Das war für Bettina Skrzypczak ein Anerkennungszeichen - «ich fühlte mich noch mehr integriert». Inzwischen hat sie sehr viele Aufträge von Institutionen und privaten Ensembles in der Schweiz, aber auch im Ausland bekommen.

Allein von diesen Kompositionsaufträgen leben kann die Künstlerin indes nicht. Neben ihrer kompositorischen Arbeit unterrichtet sie zwei Tage pro Woche in Luzern an der Musikhochschule theoretische Fächer wie Orchestration, Analyse und neuere Musikgeschichte.

Zwischen Freude und Trauer

Wie geht Bettina Skrzypczak bei ihrer kompositorischen Arbeit vor? «Wenn ich eine Idee habe, dann braucht diese eine gewisse Inkubationszeit, bis ich eine bewusst gewählte Art der Ordnung dafür gefunden habe», erklärt sie. Erst dann beginnt das eigentliche Niederschreiben und zwar von Hand und nicht per Computerprogramm. «Ich schreibe lieber von Hand. Das gibt ein Gefühl; die Gedanken und Gefühle fliessen direkt auf das weisse Blatt Papier.» Am liebsten komponiert sie einteilige Stücke, die auf nichtlinearen Prozessen beruhen. «Vielleicht hängt das mit der Sehnsucht zusammen, neue Räume zu entdecken», sagt sie. «Und ich komponiere wohl gerade auch deshalb, weil das die Freude nach dieser Suche noch verstärkt.» Dass mit solch einem Zwang auch gewisse Belastungen verbunden sind, verhehlt sie nicht. «Das Komponieren macht nicht immer Freude; es ist auch eine anstrengende Arbeit - man muss sehr hart gegenüber sich selber sein.» Meistens komponiert sie sehr intensiv innerhalb eines bestimmten Zeitblocks, und häufig ist da ein Druck vorhanden, weil es sich ja grossenteils um Auftragsarbeiten handelt. «Und wenn man dann fertig ist, ist man auch etwas schwermütig; denn es ist, als ob es ein lebendiges Wesen wäre, von dem man sich nun trennen muss», sagt sie. «Es ist eine Mischung zwischen Freude und Trauer; man hat es geschafft, aber man ist auch etwas traurig wegen der Trennung.»

Dass beim Komponieren Resultate entstehen, die im Rückblick neu gesehen werden, ist logisch. Doch deswegen diese Werke im nachhinein «korrigieren» zu wollen, käme Bettina Skrzypczak nicht in den Sinn. «Das Komponieren besteht nicht nur aus intellektueller Arbeit, es lässt auch das Unbewusste zu. Deswegen entdeckt man nach Jahren in den Kompositionen oft Spuren von Erlebnissen, die in der Zeit des Entstehens des Werkes erst subtil spürbar waren. Nachher erscheinen sie viel präsenter - so wie aus einem Tagebuch - und aus der Zeitperspektive viel transparenter.»

Polnische Avantgarde

Schwierigkeiten bekundet die Tondichterin eher, wenn es darum geht, Komponisten zu nennen, die sie vielleicht nicht gerade beeinflusst, aber angezogen haben. «Zweifellos hat mich die polnische Avantgarde der 60er Jahre fasziniert, besonders diejenigen Komponisten, welche die Klangfarbe zu selbständigen Komponenten der Form gemacht haben wie Kazimierz Serocki, Krzysztof Penderecki, Henryk-Mikolaj Gorecki, Tadeusz Baird.» Und noch zwei andere Namen nennt sie: Iannis Xenakis und Luigi Non - zwei Komponisten, die sich in sehr verschiedenen Sprachen ausdrücken. Doch besitzen diese Sprachen ein gemeinsames Merkmal: Intensität des Ausdrucks. Zugleich betont Bettina Skrzypczak die Rolle des historischen Bewusstseins in ihrem Schaffen, das sicher durch ihre musikwissenschaftliche Arbeit verstärkt wird.

Bettina Skrzypczaks wichtigste Kompositionen:

Sonate für zwei Klaviere (1985), «Bellaire» für Schlagzeugsextett (1985), 1. Streichquartett (1985), «In una parte» für Trompete, Horn, Posaune und Schlagzeug (1986), «Inside - outside» für Streicher, Klavier und Schlagzeug (1986), «What is black, what is white» für Schlagzeugduo (1987), «ABC» für Tonband (1987), «Verba» für Orchester (1987/88), Schlagzeugtrio (1989), «Variabile» für Orchester (1991), Lieder für Sopran, Bratsche und Klavier (1991), 2. Streichquartett (1991), «Caleidoscopio» für Streichorchester (1991), «Lob der Erde» für Chor und Schlagzeug (1992), «Notturno» für Flöte solo (1992/93), 3. Streichquartett (1993), «Acaso» für Chor, Klarinette und Cello (1994), «Décision» für Bläseroktett und Kontrabass (1994), «SN 1993J» für Orchester (1995), Konzert für Oboe und Orchester (1996), Fantasie über polnische Landschaften (1997), Klavierkonzert (1998), «Fantasie» für Flöte solo (1999), «Toccata Sospesa» für Flöte und Schlagzeugduo (1999).

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1999

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