Kulturpreisträger 1998 Vera Fischer und Daniel Buess

Nikolaus Cybinski

Die Gemeinde Riehen ehrte mit dem Kulturpreis 1998 zwei junge, kreative Musiker, die sich Trends und Moden sehr bewusst widersetzen.

 

Riehens Kulturpreis hat eine doppelte Funktion: Er ist zum einen Ausdruck der «kulturellen Identität der dörflichen Gemeinde», und er ehrt zum andern verdiente Mitbürger, «einzelne Kreative», die sich durch «Ernsthaftigkeit und Kompetenz» ausgezeichnet haben, so Gemeinderätin Maria Iselin-Löffler. Mit den beiden diesjährigen Preisträgern, der Flötistin Vera Fischer und dem Schlag zeuger Daniel Buess, ehrt die Gemeinde vor allem den Entschluss der jungen Musiker, den durchaus riskanten Versuch zu wagen, als frei arbeitende Instrumentalisten sich der zeitgenössischen Musik zu widmen. Wer heute sich den kulturellen Trends und Moden widersetzt oder gar entzieht, lebt gefährlich. Der auf sicheren Erfolg und möglichst rasche Rendite ausgerichtete Kunst- und Kulturbetrieb, in dem jenseits des schönen Scheins und harmonischen Klangs ein rücksichtsloser Verdrängungswettbewerb herrscht, duldet keine ernsthaften Aussenseiter. Wer dennoch in diesem «Markt» seiner Selbstbestimmung treu bleiben will, muss sein Scheitern immer für möglich halten, denn je lauter die etablierte Kultur und ihre Presse sich aufführen, desto tiefer schweigen sie gegebenenfalls auch tot. Ein Grund mehr, die beiden jungen Musiker auf ihrem Wege zu ermutigen.

Die junge Flötistin Vera Fischer wurde in Riehen geboren, wo sie Kindheit und Jugend verbrachte. Das Elternhaus ist musikliebend, doch erste entscheidende musikalische Eindrücke bekam sie in Susanne Würmlis Kinder- und Jugendchor der Musikschule, in den sie sechsjährig eintrat und in dem sie bis zur Matura blieb. Singen, sagt sie im Gespräch, habe ihre Liebe zur Volksmusik geweckt und in ihr ahnungsweise den erweiterten Musikbegriff heranreifen lassen, den sie in ihrer heutigen Tätigkeit als freie Musikerin praktiziert.

Ihr Instrument in der Riehener Musikschule wurde die Querflöte, denn die Zwillingsschwester wollte Klavier spielen. Verena Peter und vor allem Marina Widmer nennt sie als Lehrerinnen, denen sie viel verdanke. Als Vorbereitung auf das Musikstudium mit dem Hauptfach Querflöte nahm sie Privatstunden bei Kiyoshi Kasai. Da sie aus dem familiären Rahmen herauswollte, studierte sie von 1992 bis 1998 an der Zürcher Musikhochschule. Hier waren es ihre Lehrer Günther Rümpel und später Philippe Racine, die sie formten. Ganz besonders Philippe Racine wurde mit seiner Auffassung von Musik und wie er sie spielt ihr Vorbild. Ihr letztes Studienjahr verbrachte sie in Paris; das Konzertdiplom als Studienabschluss machte sie in Zürich.

Dieser kurze Abriss ihres äusseren Lebens tönt nach «fille de bonne famille», denn glatt, sicher und risikofrei war es bisher verlaufen. Doch da gibt es ein Innenleben, und hier kam es in der Studienmitte zur Krise. Die angehende Flötistin fragte sich, ob das Berufsleben, das gleichsam vorprogrammiert war (Eintritt in ein Orchester, Lehrerin an einer Musikschule), ihr wirklich gemäss sein werde. Flötisten, das ist kein Geheimnis, gibt es inzwischen «wie Sand am Meer», und dieser Umstand hat in den meisten Orchestern dazu geführt, dass diese die Ansprüche in wirklichkeitsfremde Abnormitäten steigern. Sogenannte Probespiele werden oft zu Demütigungen hervorragender Musiker, und diese zu ertragen, muss einer ganz stark sein, um nicht beschädigt zu werden. Es wurde Vera Fischer klar, dass sie sich diesem Musikbetrieb nicht ausliefern wollte, und sie war auch nicht bereit, die heute geforderten Vermarktungsstrategien der eigenen Person mitzumachen. Ihr Umdenken führte gedanklich und praktisch zu der Einsicht, dass einzig die «Neue Musik» noch Raum für eine Selbstverwirklichung in ihrem Beruf lässt. Abseits der rentablen Lrends und Moden und im Verzicht auf eine abgesicherte materielle Existenz, die viele Orchestermusiker so stupide macht, wagte und wagt Vera Fischer täglich mutig den Schritt ins Offene. Neue respektive zeitgenössische Musik: Das ist nicht nur gänzlich andere als die tradierte Musik, das bedeutet zugleich ein ganz anderes Publikum und erfordert obendrein viel eigenes Engagement, auch in oft lästigen organisatorischen Angelegenheiten. Zeitgenössische Musik ist ohne Freude am Experimentieren nicht spielbar, doch der immaterielle Lohn für diese Mühen ist beachtlich. Dazu gehört zum Beispiel das Erarbeiten des «Un-Erhörten» im kollegialen (und nicht konkurrierenden) Zusammenspiel nicht allein mit Musikern, sondern auch mit Theaterleuten, Malern, Dichtern, Elektronikfreaks. Hier wird erlebbar, was unsere Zeit zu sagen hat, und das ist ein vielstimmiger Chorus.

Vera Fischer hat fürs erste im «Wiener Klangforum» eine musikalische Bleibe gefunden; die Kontakte zu Basel sind nicht gekappt, denn hier hat sie noch das «Trio Lepic» mit der Oboistin Franziska Müller und dem Saxophonisten Rico Gubler.

Daniel Buess wuchs in Riehen auf, hat die dörfliche Primarschule besucht und anschliessend sechs Jahre lang das Bäumlihof-Gymnasium. Achtjährig bekam er bei Gerhard Huber an der Riehener Musikschule seinen ersten Schlagzeugunterricht; Klavierunterricht bei Daniel Cholette und für ein Jahr Harmonielehre und Gehörbildung an der Luzerner Jazzschule folgten. Von Anfang bis fast Mitte der 90er Jahre war er Mitglied des Schlagzeugensembles «Metraxa» der Musikschule Basel. Von 1994 bis 1998 studierte er an der Basler Musikhochschule im Hauptfach Schlagzeug bei Siegfried Schmid; sein Nebenfach war Klavier. Privatunterricht in südindischer Percussion ergänzte die Basler Studien, die er 1998 mit dem Lehrdiplom beendete. An die Basler Studienzeit schloss sich ein künstlerisches Aufbaustudium bei Isao Nakamura an der Karlsruher Musikhochschule an. Dessen Abschluss wird das Solistendiplom sein.

Überblickt man die 90er Jahre, so fällt auf, dass Daniel Buess sehr bald rege Aktivitäten entfaltete. Noch vor Beginn des Hauptstudiums wurde er Schlagzeuger bei der basel sinfonietta, gründete 1996 mit Daniel Stalder das Schlagzeugduo «How 2», wurde ein Jahr später Mitglied im «Ensemble Katarakt» und gleich darauf Schlagzeuger im «Ensemble Phoenix», das unter Jürg Hennebergers Leitung mit dem Basler Theater kooperiert.

Im Gespräch mit Daniel Buess erstaunt, dass einige Antworten auf bestimmte Fragen fast identisch sind mit denen Vera Fischers. Auch ihm geht es in erster Linie um die Freiheit, sich als Musiker selbst bestimmen zu können. Das heisst fürs erste: Verzicht auf eine materiell abgesicherte Existenz, etwa als Orchestermusiker. Das heisst weiter, die materielle Basis absichern durch Lehrtätigkeit an den Musikschulen Solothurn und Rodersdorf. Daneben bleibt dann die Zeit, sich intensiv mit zeitgenössischer Musik zu beschäftigen und zu experimentieren mit Jazz, Rock, elektronischer Musik und freier Improvisation.

Daniel Buess wirkt im Gespräch zurückhaltend, doch aus dem, was er sagt, wird hörbar, dass ein Leben mit und in der Musik ohne entschiedenes Engagement ein Irrtum wäre. Wer wie er John Cage und Iannis Xenakis als Vorbilder benennt, bekennt sich zugleich zu einer bestimmten Radikalität. Stärker als Vera Fischer ist Daniel Buess in unserem Jahrhundert verankert, nennt Joyce, Duchamps, Johns, Pollock, Rauschenberg und Beuys als für ihn zentrale Bezugspersonen; in der Musik sind es Varese, Kagel, Zappa, Davis und der Lörracher Thomas Lauck, dessen «Metallgitter» er vor zwei Jahren uraufgeführt hat. Im Gespräch macht er deutlich, dass er akustische und visuelle Phänomene zusammenbringen möchte, das heisst zum Beispiel, zu bestimmten Bildern (Videoclips) eine ganz bestimmte Musik zu erfinden oder, umgekehrt, einer Musik die adäquate visuelle Ergänzung zu geben.

Es ist dieses kreative Suchen nach etwas Neuem, aus dem ein neues Verständnis von und für Musik geboren wird. Dass dieses Experimentieren oftmals abseits des öffentlichen Interesses geschieht, rückt es in die Nähe eines elitären Tuns. Daniel Buess ist sich dieser Gefahr bewusst und sucht nach Wegen, sie zu umgehen. Doch ein Weg, das weiss er genau, wäre eine Sackgasse: zurückzukehren zum bürgerlichen Musikbegriff, der sich in reiner Reproduktion des einmal Geschaffenen erschöpft und heute an seinem eigenen tjberangebot zu ersticken droht.

Die Zukunft ist ungewiss, aber gerade in dieser Offenheit liegen die Chancen für junge kreative Menschen. Zudem bietet die Schweiz, wie Daniel Buess sagt, die Möglichkeit, an diverse Fördergelder heranzukommen, um auch Projekte realisieren zu können, die sich kaufmännisch «nicht rechnen».

Zwei junge Musiker, die abseits des Mainstreams ihre Wege gehen wollen. Es ist nicht Aufgabe der Gesellschaft, ihnen die Steine aus dem Weg zu räumen. Doch sollte sie durch ihr Interesse bezeugen, dass sie diese «Nebenwege» (um es mit Heinz Berggruen, dem berühmten Kunstsammler aus Berlin, zu sagen) für ebenso notwendig und bedeutsam hält wie den ausgetretenen «Hauptweg».

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1999

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