Der Poltergeist in Riehen

Dominik Wunderlin

Neben der Heiligen Schrift und geistlicher Erbauungslektüre war der Volkskalender bis weit ins letzte Jahrhundert hinein für viele Menschen hierzulande der einzige Lesestoff. Man kann ihn durchaus als das seinerzeitige «Massenkommunikationsmittel» bezeichnen, wurden doch teilweise Auflagen von über 50 000 Stück erzielt.

Dem Käufer wichtig waren zunächst das Kalendarium mit seinen vielen Angaben (Tagesheilige, Markttermine, Stand der Gestirne und so weiter) und die «Practica» (daher die Bezeichnung «Brattig» für Kalender) mit Hinweisen auf die Witterung, auf Sonnen- und Mondfinsternisse und auf die günstigsten Termine, wann «gut Aderlassen» oder die Bohnen zu stecken waren. Seit dem 18. Jahrhundert machte aber vor allem der literarische Anhang den Volkskalender zu einem ausserordentlich populären Erzeugnis. Dieser Teil diente zumeist sowohl der Belehrung als auch der Unterhaltung. Hier fand der Leser Berichte über Ereignisse aller Art wie Schlachten oder Unglücksfälle und Verbrechen, ausserdem Schilderungen über ferne Länder oder technische Neuerungen. Manches davon wäre nach dem Aufkommen der Zeitungen (im Laufe des 19. Jahrhunderts) auch dort zu lesen gewesen. Doch die Wirkung der Kalender war grösser und nachhaltiger, weil sie mindestens ein Jahr lang in Gebrauch waren, häufig unter befreundeten Familien ausgetauscht wurden und im Gegensatz zur damaligen Tagespresse auch Illustrationen aufwiesen.

In unserer Region dürften neben Kalendern von jenseits des Juras sowie aus Strassburg und dem Badischen vor allem Volkskalender aus der Stadt Basel verbreitet gewesen sein. Lediglich ihre Titel seien an dieser Stelle genannt: «Basler Hinkender Bote», «Der Basler Bott» und «Des Volksboten Schweizerkalender».

Während diese Kalender teilweise über Jahrhunderte hinweg erschienen, war dem einzigen Baselbieter Volkskalender des 19. Jahrhunderts nur eine kurze Dauer beschieden: «Der Neue Binninger Haus- und Schreib-Kalender», erstmals 1835 aufgelegt, wurde von einem gewissen Christoph Baader herausgegeben. Der Kalender, von dem uns sonst nur noch der Jahrgang 1837 vorliegt, wollte offenbar auch das Stadtbasier Publikum ansprechen, war er doch bei Johann Jakob Holdenecker «beim Kornhause» für zwei Batzen erhältlich.

 

Die Erstausgabe hat einen Umfang von bescheidenen 36 Seiten. Das Titelblatt zeigt eine Ansicht des Dorfes Binningen und der St. Margarethenkirche. Im Heftinnern findet sich ein schlichtes Kalendarium und ein Marktverzeichnis, das nur Jahrmärkte im weiteren Umkreis von Basel, zwischen Laufenburg und Schliengen und zwischen Altkirch und Schopfheim aufführt. Den sonstigen Inhalt machen unterhaltende Geschichten, Schwänke und Witze aus. Nur eine einzige Erzählung nimmt direkten Bezug auf die Basler Region: Sie berichtet von einem Poltergeist in Riehen. Vermutlich hat sich die Geschichte im Elbs-Birrschen Haus, der heutigen Musikschule, zugetragen. Der amüsante Bericht, der hier im Originalwortlaut wiedergegeben wird, zeigt uns, dass man sich schon früher den Glauben an Geister zunutze gemacht hat, wenn damit ein bestimmtes Ziel erreicht werden konnte.

 

Der Poltergeist von Riehen (Eine wahre Begebenheit neuester Zeit.)

In dem Dorfe R....n unweit Basel hat sich verwichenen Sommer eine so drollige Geschichte zugetragen, die wir, wie sie uns mitgetheilt wurde, getreulich wieder erzählen: In einem der herrschaftlichen Wohnsitze dieses Dorfes war es, als dem Banquier X.....der mit seiner Familie einen Sommeraufenthalt hier machte, eines Abends als er eben von einem Spaziergange zurückgekehrt und durch die Küche dem Wohnzimmer zuging, mehrere Kochlöffel um den Kopf herumflogen, und ehe er sich von seinem Schrekken erholt, und in der menschenleeren Küche umgesehen, regnete es eine Ladung Asche, Sand und Kaminruß auf ihn herab. - Ganz betäubt eilt er dem Zimmer zu und erzählt seiner staunenden Gattin was ihm begegnet ist. Lange sinnen sie hin und her, welcher Kobold hier sein Wesen treibe, und wie man ihm am besten zu Leibe kommen könnte; kommt aber zu keinem Aufschluß. - Mit bebenden Schritten wagt es nun die Frau, die sonst so freundliche Küche zu betreten; aber kaum ist sie in der Mitte derselben angelangt, so wiederfährt ihr der gleiche Spuck, ohne jedoch Schaden zu leiden. Sie eilt was sie kann zu ihrem Gemahl, und sieht noch im Vorüberfliegen wie Pfannen, Schüssel und Häfen auf dem Kaminschaft herumtanzen. So konnte es nicht bleiben, der Hausherr rüstet sich mit dem Geist einen Kampf zu bestehen und ihn wo möglich zu bekommen; er ladet seine Pistolen und schreitet keck der Zauberküche zu - doch alles ist in größter Ordnung, und ausser der Dienstmagd, welche beim Heerde steht und das Nachtessen bereitet, bewegt sich nicht das Mindeste darinnen. Die Herrschaft glaubt sich schon gesichert, und beruhigt geht man zu Bette.

Am folgenden Morgen aber, als der Herr das Haus verlassen wollte und durch die Küche ging, wo die Magd eben den Caffee machte, flogen wieder Kochlöffel, Bäsen und anders Zeug um ihn her, so daß die Köchin vor Schrecken die Milch ins Feuer laufen ließ, was das Getöse noch schauerlicher machte.

Nun wurde die Geschichte ruchbar, die Spukereyen im Hause des Hrn. X. kamen bald im Dorfe herum und brachte die Leute auf die Füße; - auch kamen sie zur Kunde der Polizey, welche alsobald einige Leute dahin sandte, um sichere Nachricht einzuziehen, und den Kobold, wenn es sich thun ließ, todt oder lebendig einzubringen. Die Abgeordneten suchten das ganze Haus durch, fanden aber nichts, wohl spürten sie aber, daß doch etwas da seyn müsse, denn indem sie fortgingen wurden sie mit einer Kochlöffel-Canonade verfolgt.

Auf diese Kunde beschloß der Gemeindrath den Kobold einstweilen noch nicht zu hängen, sondern, wenn sie ihn haben, nur bewachen zu lassen. Das Gespenst konnte aber nicht habhaft gemacht werden, sondern rumorte so lange fort, bis sich die Herrschaft endlich entschloß wieder in die Stadt zu ziehen, obschon der Sommer erst anfing recht heiß zu werden. Und was geschah? der Kobold zog mit in die Stadt - hört! - Kaum war das Haus geräumt, so rührte sich nichts mehr darinn, - denn gerade das wollte der Geist, daß die Herrschaft in die Stadt ziehe - und dieser Geist, wer glaubt ihr wohl, daß das gewesen sey? - Von Fleisch und Bein war er, - die Kindsmagd aus dem Hause, - eine recht hübsche Waadtländerin, Namens Marianne S...... Aber was trieb sie denn dazu Ihrer Herrschaft diesen abscheulichen Spuck zu treiben, fragt ihr! Hört das ging so: Unsere Heldinn hatte in der Stadt einen Geliebten, welchem sein Dienst nicht erlaubte seine Schöne zu besuchen, so wie sie auch wenig in die Stadt kam, und verfiel so auf die List durch die Spuckereyen der Herrschaft den Landaufenthalt zu verleiden, denn: Mariandel ist gar fein,/Mariandel ist gar schlau,/Denkt, wenn i in der Stadt drin bi/Bin i bim Liebster au.

Sie verführte auch noch ein kleines Dienstmädchen Ihr beym Bombardement zwischen den Küchethüren Hand zu leisten und Schildwache zu stehn, damit sie, ohne bemerkt zu werden, ihr Geschütz frei konnte spielen lassen, und so geschah es, daß ohne andere Mithülfe ein Spuck getrieben wurde, der mehrere Dorfschaften in der Nähe in Allarm brachte.

Erst als die Familie schon einige Wochen wieder in der Stadt wohnte, ward derselben die Wahrheit hinterbracht, so daß selbe darüber schier auf den Kopf stand. Die spuckhafte Heldin wurde zur Rede gestellt, wollte aber nichts bekennen, indem sie von nichts wissen wollte; als man sie aber bedrohte, daß man sie zum Lohne ihrer Frechheiten in einen gewissen Hof sperren werde, indem man Zeugen von ihrem sträflichen Treiben habe, gab sie nach und bat um Verzeihung - sie wolle es nicht mehr thun. - Doch sie mußte die Stadt verlassen, und sucht nun eine andere Herrschaft die mehr Spaß versteht.

Anmerkungen 

«Banquier X...» ist eventuell Hieronymus Bischoff-Respinger, Erbe des Elbs-Birrschen und des Le Grand-Gutes. In Basel wohnte er an der St. Alban-Vorstadt 30. Was wir in seiner Leichenrede vom 26. November 1870 lesen, scheint durch die vorstehende Geschichte nur vorübergehend getrübt worden zu sein: «Im Sommer die Stadt mit dem Land zu vertauschen, wo er auf dem väterlichen Gute in Riehen seit seiner Jugend lebte, war ihm ein hoher Genuß. »

Johann Jakob Holdenecker (1768-1839) aus Pratteln betrieb «Beim Spalenthorthurm» [= Petersgraben 53] eine Handlung mit deutschen und französischen Büchern sowie eine Leihbibliothek.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1990

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