Ein Ort der Stille und Erholung

Franz Osswald

Am 4. September wurde auf dem Friedhof am Hörnli die neu gestaltete Abteilung 12 «Im finstern Boden» eröffnet. Die Anlage überzeugt durch eine schlichte, aber markante Architektur und den Einbezug der Natur ins Gesamtkonzept.

 

Markant steht sie am Hangfuss des Ausserberges und ist Abschluss und Anfang zugleich: die neue Urnenmauer im Friedhof am Hörnli. Der untere Teil des Friedhofs, 1932 erstellt, wurde in strenger Symmetrie gebaut. Die neu gestaltete Abteilung 12 bricht dieses Prinzip und nutzt die naturgegebene Ausformung der Landschaft. Nur noch die alte Urnenanlage hoch oben im Wald, von den Bäumen langsam zugewachsen, erinnert daran, dass sich auch der seit 1962 bestehende oberste Teil des Friedhofs bis vor wenigen Jahren dem Erscheinungsbild des Hauptfriedhofes unterworfen hatte.

Nötig wurde der Neubau einer Urnenanlage einerseits, weil das Bedürfnis nach Urnenbestattung stetig gestiegen war, andererseits, weil die Bodenbeschaffenheit (Lösslehm beziehungsweise «Lichse») den Bestattungsanforderungen nicht genügte. Es handelt sich dabei um 8000 Gräber, die am Hang des Dinkelberges angelegt sind. So schrieb man 1995 einen Wettbewerb aus, den die Landschaftsarchitekten Vetsch Nipkow Partner (Zürich) und das Architekturbüro Eppler Maraini Schoop (Baden) gewannen. Ihr Konzept sah vor, die vorgefundene Topographie zum entwurfsbestimmenden Thema zu machen. Ein erster Ratschlag wurde vom Basler Grossen Rat noch zurückgewiesen, weil ökologische Bedenken angemeldet wurden und die Gebäudegrösse redimensioniert werden musste. Die neue Anlage sollte mit der Natur sorgsam umgehen, eine ökologische Projektbegleitung dafür besorgt sein. Was im ersten Moment als Verzögerung erschien, führte im Endeffekt zu einer Konzeption, die aus der Not der für Urnengräber ungünstigen Bodenbedingungen eine Tugend machte. Im April 2001 wurde mit den Bauarbeiten begonnen.

 

Der oft mit Wasser durchtränkte Boden neigt aufgrund der 80 Zentimeter dicken Lösslehmschicht zum Rutschen. Die Urnen wanderten im Untergrund und füllten sich mit Wasser. Bei Trockenheit zerfällt das Substrat zu Staub. Die Architekten sahen nun vor, das Hangwasser zu fassen und am Hangfuss zu sammeln. Die Wasserfläche bildet so den übergang zwischen gestaltetem Urnenhof und weitgehend der Natur belassenen Gräberfeldern. Der ganze Komplex gliedert sich in die Teile Urnenmauer, Urnenhof, übergaberaum, Grabfelder und Aussichtspunkt.

Die Urnenmauer Ist die Gestaltung der neuen Urnenanlage noch so unterschiedlich zum alten, unteren Friedhofteil, so nimmt die neue Urnenmauer doch ein Thema wieder auf: das Monumentale. Betrachtet man nämlich die Abdankungskapellen an erhöhter Lage, dann erscheinen die zwei Reihen wie monumentale Riegel. Treu der Symmetrie folgend, liegen sie längs der Hauptachse, die am Eingangsportal als Allee beginnt und im 1962 erbauten Urnenhof endet.

Die neue Urnenmauer liegt so gesehen «quer in der Landschaft». Sie deutet indessen mächtig an, dass hier ein neuer Gedanke Form angenommen hat: die Erschliessung der Grabfelder vorwiegend in horizontaler, den Höhenlinien entsprechender Richtung.

Die Urnenwand selbst besticht durch ihre Schlichtheit. Es bedarf eines genauen Blickes, um in den Details ihre Schönheit zu erkennen. So beispielsweise der kleine Abstand zwischen Urnenmauer und dem sie abschliessenden Dachelement, der der Mauer ihre Schwere nimmt. Der Sichtbeton verdeutlicht symbolisch, dass im Tod nichts verborgen bleibt.

Die quadratischen Urnennischen strahlen durch die gleichförmige Anordnung eine grosse Ruhe aus. Sie wird mit der Zeit nur durch die farbigen Scheiben unterbrochen, die, locker verteilt, im Sonnenlichte leuchten. Weil die oberen drei Reihen und die unteren zwei nicht als Grabstellen genutzt werden, wird die Urnenanlage auch bei voller Belegung nicht erdrückend wirken. Die Nischen werden einst mit matten Glasscheiben beidseitig verschlossen. Vereinzelt blinken farbige Scheiben im Sonnenlicht. Abends werden diese beleuchtet und erzeugen dadurch eine wohltuende Stimmung, denn der Friedhof soll auch ein Ort der Erholung sein.

Erschlossen werden die Gräber von der Hofseite, und zwar durch einen Arkadengang. Auch hier wurde auf eine Verkleidung der verwendeten Materialien verzichtet, die tragenden Eisenpfeiler wurden im Rohzustand belassen. Auf niedrige längliche Quader können Blumen gestellt werden, sie dienen auch als Sitzgelegenheit. Gegen den Hof hin ist der Arkadengang weit geöffnet, der Blick schweift vom übergaberaum zur Wasserfläche, über die eine Brücke zu den Gräberfeldern führt.

Der Übergaberaum

Als einfacher Kubus, ja fast als Monolith, steht linkerhand im Urnenhof der übergaberaum für die Urnen. Der schlichte Innenraum wird indirekt durch sich auf der Wasserfläche spiegelndes Licht sowie durch schmale Fensterschlitze dezent beleuchtet. Die Materialien wurden einfach gehalten: Beton lasiert, Glas und Eichenholz. Eine Heizung gibt es in dem Raum nicht.

Das übergabegebäude bietet nur wenigen Personen Platz und kommt dem Bedürfnis nach, einem für die Trauernden wichtigen Moment einen würdigen Ort zu geben. Das Gebäude gibt jene Ruhe wieder, die der ganzen Anlage eigen ist.

Die Grabfelder über die ganze Anlage verteilt liegen die Grabfelder. Sie bieten Platz für 9500 Urnen, was Emanuel Trueb, Leiter Stadtgärtnerei und Friedhöfe, zur Aussage bewog: «Unser Friedhof wird nie voll.» Auch wenn der Friedhof am Hörnli der grösste Zentralfriedhof der Schweiz ist, so soll sich diese Grösse nicht nachteilig auf die Atmosphäre auswirken. Damit die Vielzahl der Gräber, insbesondere der Grabsteine, den Charakter der Anlage nicht zerstört, ist vorgesehen, die Gedenksteine flach auf die Gräber zu legen. So bleibt der offene Raum und das ruhige Bild dem Auge erhalten.

Gestalterische Elemente

Ein Element trifft man auf dem ganzen Gelände stetig an: das Wasser. Der grosszügig angelegte Urnenhof wird durch eine vom Hangwasser gespeiste Wasserfläche begrenzt. Wasser begleitet aber auch jene, die den Hang über den zickzackartig angeordneten Weg hochsteigen. In Kanälen fliesst das Wasser talwärts. Am oberen Ende der Wege, wo diese in die horizontal verlaufenden Erschliessungswege einmünden, quillt das Wasser aus Schächten hervor.

Ganz oben auf dem Aussichtspunkt nimmt auch die künstlerische Gestaltung das Thema Wasser auf. In bodenebenen, flachen «Pfützen», wie das Werk der Künstlerin Barbara Mühlefluh heisst, spiegelt sich der Himmel und richtet den Blick nach oben. Das zweite Werk, die Rückspiegel, besteht aus Spiegeln, die in die Mauern bei den Ruheplätzen eingelassen sind. Wie das Wasser reflektieren sie das Licht; sie widerspiegeln aber das eigene Ich und das Zurückliegende. Dazu Barbara Mühlefluh: «Rückspiegel zeigen sowohl, was hinter uns liegt, Ausschnitte des Betrachters, der Betrachterin wie auch die aktuelle Situation. Ein Friedhof ist ein Ort der Besinnung (der Tod holt uns alle einmal) und der Erinnerung (war es gestern, vorgestern? - und jetzt sind es schon fünf Jahre). Der Spiegel ist zudem ein Instrument zur Auseinandersetzung mit sich selbst.»

Wege und Vegetation

Ein Beispiel, das den Umgang zwischen Architektur und Natur gut aufzeigt, ist die so genannte «Himmelsleiter». Es ist die einzige Verbindung vom Urnenhof direkt zum Waldrand und führt geradewegs steil den Hang hinauf oder fast. Denn eine schöne Baumgruppe stellt sich den Himmelsstürmenden in den Weg und gebietet ihnen Einhalt. In einem kleinen Bogen wird der äusserste der drei Bäume umgangen; fast wörtlich wird man an den Umgang mit der Natur erinnert und daran, dass wir ihr mit Respekt begegnen sollen.

Mit dem neu gewählten Standort sollte jener Ort ins Zentrum gerückt werden, an dem die Verstorbenen einst gelebt haben. Wendet sich der Blick beim Aufstieg zum Aussichtspunkt noch dem nahen Wald zu, weitet sich der Horizont hoch über den Gräbern und lässt dem Auge freie Sicht in die Ferne wie auch über die schöne Anlage - ein befreiender Moment. Von hier bietet sich die Möglichkeit, den Weg nach Bettingen fortzusetzen oder den Spaziergang über den alten Friedhof stadtwärts fortzuführen.

Geschichte zu Ende geführt werden. Ein Vorhaben, das den Friedhof am Hörnli zu mehr macht als nur zu einem «Gottesacker»: zu einem Ort der Stille und Erholung.

 

 

Ausblick und Rückblick Bildet die Urnennischenanlage am unteren Ende der Anlage einen erhebenden Anblick, so sorgt der Aussichtspunkt im wahrsten Sinne für den Höhepunkt am oberen Ende. Ganz bewusst wurde dieser Ort so konzipiert, dass von dort aus die Stadt Basel ins Blickfeld gelangt. Von der alten Urnenanlage aus sah man vorab das Basler Industriegebiet und darüber hinaus ins Elsass.

 

Feierliche Eröffnung

Am 4. September 2002 konnte die neu konzipierte Urnenanlage mit Urnenwand und Gräberfeldern eingeweiht werden. Dies geschah in einer schlichten Feier mit einem ökumenischen Gottesdienst unter Mitwirkung der Landeskirchen und im Beisein von Regierungsrätin Barbara Schneider. Die Urnennischenwand wird von nun an belegt, mit der Bestattung auf den Gräberfeldern kann noch zugewartet werden. Damit konnte ein Projekt mit einer langen Um die Pläne der Landschaftsarchitekten Vetsch Nipkow Partner (Zürich) und der Architekten Eppler Maraini Schoop (Baden) verwirklichen zu können, bedurfte es nicht nur Mut, sondern auch Durchsetzungskraft. Der Weg von der Idee bis zur Vollendung: 1998 In der Januarsitzung weist der Grosse Rat das Projekt zur überarbeitung zurück. Die Gebäudegrösse muss redimensioniert, die Vegetation bei der Erschliessung berücksichtigt werden. Eine ökologische Projektbegleitung wird verlangt.

1995 Ein Wettbewerb zur Neugestaltung der Abteilung 12 wird ausgeschrieben. Im August desselben Jahres stehen die Gewinner fest: das Architekturbüro Eppler Maraini Schoop, Baden, und die Landschaftsarchitekten Vetsch Nipkow und Partner, Zürich.

1999 Im Juli liegt das überarbeitete Projekt vor und kostet rund 6 Millionen Franken. In der Dezembersitzung stimmt der Grosse Rat dem Ratschlag zu.

2001 Im Januar wird die Baubewilligung erteilt, im April können die Bauarbeiten beginnen.

1996 Im September ist das Vorprojekt fertig, einen Monat später liegt das Bauprojekt vor.

2002 Am 4. September wird die neue Abteilung 12 «Im finstern Boden» eröffnet.

1997 Das Projekt für den Ratschlag an den Grossen Rat kommt auf 5,5 Millionen Franken zu stehen.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2002

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