Ein Platz für ein vernachlässigtes Pflänzchen


Ralph Schindel


Ursprünglich sah es so aus, als ob Riehen ohne Probleme zu seiner ersten Gewerbezone kommen würde. Doch Gewerbetreibende griffen den Kompromiss zwischen der Gemeinde und den Familiengärtnern mit einem Referendum an. 


Im Mai 2011 schien mit der Einigung in Bezug auf die Familiengärten wieder ein wenig Ruhe einzukehren in der Riehener Politik. Familiengärtner hatten eine Initiative lanciert, die ihre ‹Pflanzblätze› im Rahmen der anstehenden Zonenplanrevision erhalten sollte. Die Gemeinde sah sich aber durch die Initiative zu sehr eingeschränkt in ihren Entwicklungsmöglichkeiten. Nach langen Verhandlungen – der zuständige Gemeinderat Daniel Albietz (CVP) bezeichnete sie als «hart, aber konstruktiv», Heinrich Ueberwasser (SVP) vom Initiativkomitee als «intensiv, aber offen und kreativ»1 – wurde der Gegenvorschlag zur Familiengarten-Initiative präsentiert. Kernstück war die Möglichkeit, beim Bahnhof Niederholz aus Familiengarten-Arealen Bauland zu machen, den Gesamtbestand jedoch mithilfe eines Areals am Erlensträsschen für die kommenden 15 Jahre zu 97 Prozent zu garantieren. Dies würde es der Gemeinde auch ermöglichen, anstelle der Gärten zwischen Landauerweglein, Bahndamm und Hörnliallee die erste Riehener Gewerbezone einzurichten. 


Albietz und Ueberwasser hatten sich aber zu früh gefreut: Ende 2011 – fast acht Monate nach Bekanntgabe des Kompromisses – ergriff eine bürgerliche Allianz, bestehend unter anderem aus dem Gewerbetreibenden Hansjörg Wilde sowie den Politikern Andreas Zappalà (FDP) und Eduard Rutschmann (SVP), das Referendum dagegen. Hauptkritikpunkt war die Grösse der Gewerbezone. 6700 Quadratmeter hatte die Gemeinde beim Friedhof Hörnli eingeplant – mehr, als der Handels- und Gewerbeverein Riehen auf Anfrage gefordert hatte. Dieser wäre bereits mit 6000 Quadratmetern zufrieden gewesen. Ganz im Gegensatz zum Referendumskomitee: Es forderte bis zu 25 000 Quadratmeter als strategische Reserve, mindestens aber die doppelte Fläche des Kompromissvorschlags. Zudem befürchtete das Komitee, dass mit Annahme der Vorlage die Zonenpläne zementiert würden und das Gewerbe keine weiteren Entwicklungsgebiete mehr hätte. – Doch am 11. März entschieden sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger mit 70,1 Prozent Anteil dafür, den Kompromiss von Gemeinderat und Familiengärtnern anzunehmen. 


Geringer Flächenverbrauch

Damit ist der Weg frei für die erste Gewerbezone in Riehen. Dass dies erst jetzt passiert, erstaunt wenig, hatte und hat die Gemeinde doch eine Wirtschaft, die auf kleinen und mittleren Unternehmen aufbaut, die wenig Fläche für ihre Betriebe brauchen. Diese konnten bisher in den sogenannten Mischzonen aus Wohnen und Arbeiten gut gedeihen. Diese Zonenart entspricht der wirtschaftlichen Entwicklung Riehens bestens. 


Bis ins 19. Jahrhundert lebten die meisten Einwohnerinnen und Einwohner zumindest zum Teil als Kleinbäuerinnen und Taglöhner von der Landwirtschaft. Getreide und Wein spielten in Riehen eine wichtige Rolle. Daneben gingen viele einem Handwerk nach, einige arbeiteten in Manufakturen. Die Arbeit in Fabriken stellte ab 1800 für viele Riehener eine Alternative zur Landwirtschaft dar.2 


Im gleichen Mass, wie die Bedeutung der Landwirtschaft sank, gewannen Handel und Gewerbe Anteil am Wirtschaftsleben. Bis 1929 hatten sich über 400 Betriebe angesiedelt, die rund 1600 Arbeitsplätze boten3 – bei einer Einwohnerzahl von rund 4500 Personen. Zum Vergleich: In der letzten öffentlich zugänglichen Erhebung des Statistischen Amtes Basel-Stadt von 2008 waren 3977 Personen in 605 Betrieben erwerbstätig.


Die Industrialisierung ging fast spurlos an der Gemeinde vorüber. 1898 entstand am Bachtelenweg die ‹Schirmfabrik Ernst Weber›, an der Weilstrasse wurde 1911 die ‹Spezialfabrik für Watte und pharmazeutische Produkte› gegründet. Beide Firmen verschwanden aber wieder. Verschiedene Faktoren werden dafür verantwortlich gemacht, dass sich die Industrie in Riehen nicht durchsetzen konnte. So hat sicher auch die geografische Randlage dafür gesorgt. Die Belieferung des Schweizer Marktes war verkehrstechnisch schwierig.4


Da sind die Voraussetzungen beispielsweise in Birsfelden auf der anderen Seite des Rheins wesentlich besser: Dort spielte und spielt sich das gewerbliche Leben in erster Linie entlang der Hauptstrasse ab, die sich im Gegensatz zu Riehen durch das gesamte Dorf zieht. Birsfelden wirbt heute ausserdem mit seiner guten Lage.5 Alle Unternehmen würden von der hervorragenden Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr und durch die Anbindung an das Schweizer Autobahnnetz profitieren. Auch der direkte Zugang zum Rhein wird erwähnt. Ein Wirtschaftsfaktor und eine touristische Attraktion sei das Wasserkraftwerk Birsfelden mit seinen beiden Schleusenbecken für die Schifffahrt. Eine weitere einmalige Situation schaffe das Hafenareal, das eigentliche Wirtschaftsgelände Birsfeldens.


Riehen hatte aber nicht nur verkehrstechnisch mit seiner Randlage zu kämpfen. Für den Handel mit dem Ausland behinderten früher die Zollschranken Riehens Gewerbe.6 


Hohe Bodenpreise

Die Gemeinde spricht sich die Eignung als Standort für Industrie oder grosse Gewerbeareale aber auch selber ab.7 Es seien kaum geeignete Flächen vorhanden und die Bodenpreise für das Gewerbe meist zu hoch. Ein gutes Beispiel dafür ist die Gärtnerei Schönholzer: Die hohen Preise für den Boden sowie Probleme bei der Nachfolgeregelung führten dazu, dass die Gärtnerei 1993 geschlossen wurde. Auf dem Gelände entstand familienfreundlicher Wohnraum.8 Schönholzer war eine von vier grossen Gärtnereien, die innerhalb von fünf Jahren diesen Weg gingen. 


Dem Referendumskomitee wurde im vergangenen Abstimmungskampf denn auch genau das zum Vorwurf gemacht: Die Gewerbetreibenden seien an der Verknappung der Gewerbefläche selber schuld, weil sie auf ihren Arealen lieber Wohnhäuser bauen und vermieten würden, da dies lukrativer sei.


Nutzungskonflikte zwischen Wohnen und Arbeiten gab es immer wieder, weil bis jetzt keine Gewerbezone bestand. Aufsehenerregend war der Fall der Firma Vohland + Bär AG. Sie zog 1947 nach Riehen an die Lörracherstrasse, weil dort genügend Platz für eine Vergrösserung vorhanden schien. Ende der 1980er-Jahre beschäftigte Vohland + Bär über 100 Personen. Der Raum wurde zu klein, ausserdem war der ehemals auf freier Flur stehende Firmensitz von Wohngebäuden umgeben. Konflikte wegen Lärm und Verkehr liessen sich nicht vermeiden. Vohland + Bär zog 1991 nach Muttenz.9


Die Gewerbeflächen sind aber auch knapp, weil ein guter Teil des Gemeindebanns Grundwasserschutzzone ist. Die Vorschriften in dieser Zone wurden in der Vergangenheit verschärft und damit gewerbliche Nutzungen stark eingeschränkt oder gar verunmöglicht. Die Gemeinde findet zu grosse Gewerbegebiete aber auch gar nicht wünschenswert, da sie eine unattraktive Ausstrahlung hätten, was wiederum den Wohnstandort Riehen schwächen würde.


Den gegenteiligen Weg eingeschlagen hat Weil am Rhein, ein anderer Nachbar Riehens. Die deutsche Gemeinde errichtete den Gewerbepark Dreiländereck mit einer Fläche von über 26 Hektaren. Das Riehener Stettenfeld, dessen Weiterentwicklung bereits zwei Mal – 1986 und 2009 – vom Stimmvolk an der Urne frühzeitig gestoppt wurde, hat im Vergleich dazu nur 19 Hektaren. Weil am Rhein wirbt wie Birsfelden mit der guten Verkehrsanbindung.10 Ausserdem betont die Gemeinde ihre leistungsfähigen Logistikdienstleister, das grosse Einzugsgebiet mit 750 000 Einwohnerinnen und Einwohnern und die Nähe zum Zentrum Basel mit seinen Messen.


Gewerbezone als Teil der Zonenplanrevision 

Nun erhält auch Riehen seine Gewerbezone – beim Friedhof Hörnli. Bis dieses Projekt umgesetzt ist, wird noch etwas Zeit verstreichen. Das hängt damit zusammen, dass die Gewerbezone lediglich einen kleinen Teil der Zonenplanrevision der Gemeinde darstellt. Diese Revision ist Mitte 2012 dem Kanton zur Vorprüfung übergeben worden. Die Gemeindeverwaltung rechnet damit, dass diese Evaluation ein halbes Jahr dauert.11 Fällt sie positiv aus, kann der revidierte Zonenplan 2013 öffentlich aufgelegt werden. Dann sind Einsprachen möglich. Sollte es keine Einsprachen geben, kann der Einwohnerrat in der zweiten Jahreshälfte den neuen Zonenplan verabschieden. Danach besteht wieder die Möglichkeit eines Referendums. Wird dieses nicht ergriffen, muss der Zonenplan noch vom Regierungsrat des Kantons genehmigt werden. Danach ist die Bahn frei für die Einrichtung der ersten Gewerbezone auf Gemeindegebiet. 


Die Riehener Verwaltung hält dieses Szenario – ohne Einsprachen und Referendum – für realistisch. Mittlerweile sorgte aber der Gemeinderat selbst für Verwirrung: Anfang Juli 2012 beschloss er, dass für die neue Gewerbezone sowie das Areal ‹Im Rüchlig› eine Nutzungs- und Entwicklungsstudie in Auftrag gegeben werden soll. Damit soll unter anderem geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen das Areal ‹Im Rüchlig› dem lokalen Gewerbe weiterhin zur Verfügung gestellt werden kann. Gegenwärtig ist es mit langfristigen Verträgen an verschiedene Gewerbe- und Handelsbetriebe vermietet.12 Die Ankündigung dieser Studie rief umgehend die FDP Riehen auf den Plan. Sie zeigte sich irritiert: Im Abstimmungskampf hätten die Befürworter doch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieses Areal dem Gewerbe erhalten bleiben werde.13


Ob nun Ruhe einkehrt beim Thema Gewerbezone, bleibt damit ungewiss. Weitere Überraschungen sind möglich. Das letzte Kapitel wird wohl wirklich erst mit der Einweihung der ersten Riehener Gewerbezone geschrieben.

 

1 Basler Zeitung, 5.5.2011.
Isabel Koellreuter: Arbeiten in der Wohngemeinde, in: Arlette Schnyder et al. (Hg.):
Riehen – ein Porträt, Basel 2010, S. 214.
3 Ebenda.
4 Ebenda.
5 www.birsfelden.ch.
6 Koellreuter, Arbeiten, S. 218.
Wirtschaftsleitbild der Gemeinde Riehen, 2008.
Koellreuter, Arbeiten, S. 220.
9 Ebenda, S. 223.
10 www.weil-am-rhein.de.
11 Gespräch mit Ivo Berweger, Abteilungsleiter Bau, Mobilität und Umwelt, am 29.6.2012.
12 Medieninfo: Aus dem Gemeinderat Riehen, 4.7.2012.
13 Medienmitteilung der FDP Riehen vom 4.7.2012.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2012

zum Jahrbuch 2012