Jugend für Jugend - 60 Jahre Pfadi St Ragnacher

Michael Gasser

Seit 60 Jahren bietet die Pfadfinderabteilung St. Ragnachar Jugendlichen ein vielfältiges Programm. Viele der ursprünglichen Ideen sind bis zum heutigen Tag noch spürbar, während anderes von der Zeit eingeholt und überholt wurde.

 

60 Jahre St. Ragnachar. So lange ist es schon her, seit der Pfarrer der Herz-Jesu-Kirche in Riehen, Hans Metzger, jenen Brief an «die Eltern der Pfarreibuben» verschickte, mit welchem er die Gründung einer lokalen katholischen Pfadfinderabteilung bekannt gab. Blosse fünf Tage später am 16. Oktober 1943 - fand im Jugendheim Pfaffenloh die erste Pfadiübung unter der Leitung von Luc Reinhardt statt. Bis zur feierlichen Verlesung und Unterzeichnung der Gründungsurkunde dauerte es allerdings noch einige Monate. All dies fand dann am 13. Februar 1944 im grossen Amphitheater in Augst statt.

Wie im Stiftungsbrief nachzulesen ist, wurde für die «Abteilung des Katholischen Pfadfinderkorps Basel» St. Ragnachar als «Patron und Fürbitter» auserwählt. Der im Jahr 620 verstorbene Heilige, über dessen Leben und Taten man nur sehr wenig Gesichertes weiss, gilt als jener Bischof, der den Amtssitz von Augusta Raurica nach Basel verlegte. Der ehemalige Pfadileiter Hans Baur v/o Ameise erinnert sich an die Jahre nach der Gründung: «1945 benötigte die Abteilung mit mir noch einen Führer (heute: Leiter) aus Basel. Aber schon bald wurde das von Riehenern selbst übernommen.» Zu jener Zeit habe die Pfadi stark am religiösen Leben teilgenommen. Nichtsdestotrotz sei es ein klares Anliegen von Pfarrer Metzger gewesen, mit St. Ragnachar über die Religionsgrenzen hinaus zu wirken. So hätten am ersten eigenen Sommerlager 1946 bereits Nichtkatholiken teilgenommen, aber noch keine Mädchen. Eine Regelung, die noch vier Jahrzehnte Bestand hatte.

 

Gemäss Ameise galt schon damals die Devise, dass Jugend durch Jugend geführt werde. «Die <Alten> hatten sich also langsam zurückzuziehen.» Er selbst sei bis 1961 aktiv gewesen. In seiner Pfadizeit habe er einiges gelernt. Das dabei erworbene Durchsetzungsvermögen habe ihm sowohl im beruflichen wie auch im gesellschaftlichen Leben viel geholfen. Mit 19 Lenzen führte Ameise drei Stufen.

Natürlich bekam er so des öfteren mit, von welchen Problemen die Jugendlichen der Nachkriegsjahre geplagt wurden. «Ich entsinne mich noch gut an ein Gespräch mit dem Vater eines Jungen, der nach einem Pfadfindertreff nicht Punkt zehn Uhr abends wieder zu Hause war. Generell lässt sich sagen, dass es sich damals wie heute etwa um die selben Probleme handelte. Doch schienen diese vor einigen Jahrzehnten altersmässig später einzutreten.»

Gesamthaft betrachtet habe in der Pfadi definitiv ein Wandel stattgefunden, gibt Ameise zur Auskunft. «Ich sehe mich als konservativen Katholiken, weshalb mir das Verschwinden des religiösen Bezugs nicht ganz leicht fällt. Man muss jedoch einsehen können, dass wir im Jahr 2003 leben.» Hauptsache, die Pfadi erziehe nach wie vor charaktervolle Leute. Wie Daniel Bucher v/o Dänzgi, der zwischen 1970 und 1986 bei St. Ragnachar aktiv war, sagt, habe er diesen Wandel am eigenen Leib verspürt. «In meinem ersten Lager, 1973, war es üblich, täglich eine Morgenandacht abzuhalten. Zwölf Jahre später gab es während des gesamten Lagers nur noch zwei Andachten und eine Messe.» Doch selbst dabei sollte es nicht bleiben.

Bucher betont, für viele Jugendliche stünde heute die Frage im Vordergrund, ob denn trotz dem vermehrten Freizeitangebot noch ein Samstagnachmittag für die Pfadi drin liege. Markus Messerli v/o Crapo und Christian Ardüser v/o Fourmi, beide seit 1988 beziehungsweise seit 1989 bei der Abteilung St. Ragnachar aktiv, ergänzen: «Für die Pfadi muss man sich in einem gewissen Rahmen schon verpflichten, was vielen nicht ganz einfach fällt, müssen sie sich doch sonst fast nirgends mehr binden.» Crapo glaubt erkannt zu haben, in unserer Zeit herrsche die Fun-Mentalität. Darum werde es zunehmend schwieriger, neue Mitglieder zu gewinnen. «Aber letztlich haben alle Vereine mit dieser Entwicklung zu kämpfen.» Der bisweilen dro hende Mitgliederschwund ist für St. Ragnachar kein wirklich neues Phänomen, was sich auch daran zeigt, dass man sich - um dieser Entwicklung entgegenzutreten - 1986 zu einer Fusion entschloss: die Pfadfinderinnen St. Chrischona wurden in die Abteilung aufgenommen. Damals nicht ganz unumstritten, ist die gemischtgeschlechtliche Pfadi jetzt eine Selbstverständlichkeit. Obwohl keine akute Mitgliederkrise besteht, bereite es dennoch gewisse Schwierigkeiten, angehende Leiter und Leiterinnen für die Aufgabe zu finden und zu begeistern. Denn diese müssten bereit sein, der Pfadi wöchentlich gleich mehrere Abende zu opfern. Ein Aufwand, der es aber in jedem Fall wert sei, geleistet zu werden, meint Crapo. «In der Pfadi lernst du möglicherweise noch mehr fürs Leben als in der Schule.» Etwas, das es den Jugendlichen zu vermitteln gelte.

Wer zu St. Ragnachar stösst, findet dort häufig Freundschaften, die ein Leben lang halten. Dänzgi: «Ich war fast genau gleich lang Mitglied in einem Sportverein und kann darum mit grosser Gewissheit behaupten, dass die in der Pfadi gewonnenen Kontakte am längsten halten. Einmal Ragni, immer Ragni.» Für ihn sei die Zeit sehr intensiv gewesen. Eine Aussage, die wohl alle ehemaligen und jetzigen Pfadimitglieder voll und ganz bestätigen können. So auch Crapo: «Das gemeinsam Erlebte schweisst zusammen. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne die Leute zu sein, die ich durch St. Ragnachar kennen gelernt habe.»

Im Mittelpunkt der Pfadiaktivitäten steht wie eh und je der Samstagnachmittag. Die drei Stunden, von 14 bis 17 Uhr, umfassen gemäss Crapo Sport, Abenteuer, Pfaditechnik und anderes mehr. «Eigentlich ist alles, was machbar ist, möglich. Es soll Energie rausgelassen werden.» Vieles spielt sich in der freien Natur der Region ab. «Der Wald gehört am Samstag fast immer dazu», schwärmt Dänzgi. «Er dient quasi als roter Faden.» Er glaubt, das Angebot der Abteilung wäre in den letzten dreissig Jahren stets breiter und interessanter geworden. Ein gewisser Wandel Hesse sich selbst an äusserlichkeiten festmachen, glaubt Crapo. «Anstelle der Wanderschuhe tragen die Jugendlichen fast durchwegs Turnschuhe.» Unverändert wird die Uniform getragen. «Der sonstige Alltagsstatus ist bei der Pfadi unwichtig und kann durch das Tragen der Uniform ganz abgelegt werden.» Womit wieder einmal angetönt wäre, dass die Pfadi ganz sicher kein militärischer Verein ist.

Vielmehr ist sie der Welt grösste Jugendorganisation, die nicht von Erwachsenen geleitet wird. Hin und wieder bezieht man die Stadt ins Samstagprogramm mit ein, wie Fourmi berichtet: «Vor einem Jahr haben wir mit sämtlichen Wölfli einen Ausflug ins Basler Kino <Küchlin> unternommen. Damit keiner verloren ging, waren wir alle durch ein Seil verbunden und marschierten so durch die Steinenvorstadt.» Sämtliche Vorschläge stammen von den Leitern. «Kommt ein neuer Leiter, gibts meist neue Ideen.» Das sei eine natürliche Entwicklung. «Hauptsache, man bleibt nicht stehen», ergänzt Fourmi. Letztlich sei in Sachen Pfadiprogramm alles erlaubt, was «human-verträglich» erscheine. Crapo mag die Tatsache, dass die Leiter einem höchst unterschiedlichen Background entstammen, denn das ergebe erst die würzige Mischung. «Wir haben ein breites Spektrum, das Studenten, Lehrlinge und Berufsleute umfasst.»

Auf Seiten der Erziehungsberechtigten brauche es ein gewisses Grundvertrauen, sagt Fourmi. «Damit dieses möglichst erhalten bleibt, werden die Eltern der Jugendlichen ausführlich über unsere Aktivitäten informiert.» Die Leiter seien ihrer Riesenverantwortung nämlich sehr wohl bewusst, fügt Crapo an. Dänzgi denkt, Eltern würden gewisse Dinge heute wahrscheinlich schneller in Frage stellen. Mit dem vermehrten Einzug von Handys sei der Draht zu den Eltern zudem «viel kürzer und direkter» geworden. Was aber nicht als Einmischung empfunden wird, wie Crapo betont, sondern als berechtigtes Interesse.

Voller Begeisterung zeigen sich Crapo und Fourmi, wenn man sie auf das alle vier Jahre auf einem anderen Kontinent stattfindende Weltpfadilager (Jamboree) anspricht. «über Weihnachten hielten wir uns in Thailand auf. Es war schlicht überwältigend», bekräftigen beide. Mit anwesend sollen gegen die 30 000 Pfadfinder aus rund 160 Nationen gewesen sein - 22 von St. Ragnachar!. «Wir alle gehörten zusammen», schwärmt Fourmi, «und wir konnten auf diese schöne Art und Weise beweisen, dass man sehr wohl miteinander in Frieden leben kann.»

Wie schon angetönt, gab es in der Vergangenheit selbst bei der vergleichsweise florierenden Pfadfinderabteilung St. Ragnachar einst gewisse (Nachwuchs-)Krisen. Mit hundert Aktiven (bestehend aus zwanzig Leitern, vierzig WölfIis und ebenso vielen Pfadfindern) muss man sich zurzeit wenig Sorgen um die Zukunft machen. Zumal der Geschlechtermix ziemlich ausgeglichen ist - was Crapo als «gesunde Sache» bezeichnet. «Dennoch gilt es, gut auf den Unterbau zu achten. Sonst ist die Krise schneller da, als man denkt», sinniert er. Drum gilt es, stetig mit guten Aktivitäten und Mund-zu-Mund-Propaganda auf die Abteilung aufmerksam zu machen, damit St. Ragnachar noch viele Jubiläen wie das jetzige feiern darf. Und es also noch lange heisst: «D Gmeinschaft isch deert, wo mr als Ragni aane gheert.»

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2003

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