Zwei kaltblütige Morde


Michael Oliver Raith


Anfangs der 1950er-Jahre wird eine junge Frau in einem Gärtnerhaus in Riehen brutal erschlagen. Ein Täter wird nie überführt. Der Fall bleibt in Erinnerung, nicht zuletzt der dubiosen Umstände wegen. Die noch immer unter Verschluss stehenden Akten führen zu einem weiteren Mord und den mutmasslichen Tätern, die aber nie dafür verurteilt werden.


Die folgenden Ausführungen beruhen mehrheitlich auf einer Nachuntersuchung aus dem Jahr 1969 durch einen Detektiv des Kriminalkommissariats Basel-Stadt und diversen Aktenauszügen aus Waldshut in Deutschland von 1956 bis 1961. Die ursprünglichen Ermittlungsunterlagen existieren nicht mehr. Der Nachname gewisser involvierter Personen wurde aus Datenschutzgründen abgekürzt. 


Das erschlagene Dienstmädchen 


Montag, 3. März 1952: Die ‹drei scheenschte Dääg› haben prächtig begonnen, mittendrin Herr Bechtle, Riehener Gärtnereibesitzer und aktiver Fasnächtler. Seine Frau wohnt mit den Kindern und ihrer Hausangestellten Elisabeth Wirs dem Umzug bei. Am Abend besucht Frau Bechtle einen der Bälle in der Stadt, um die Kinder kümmert sich die Liesl. Die 24-jährige rumänienstämmige Volksdeutsche ist seit etwas mehr als einem halben Jahr bei der Familie beschäftigt. Kurz vor neun Uhr telefoniert sie mit einer Freundin. Plötzlich hält sie inne und sagt: «Es kommt jemand, ich muss auflegen.»


Am 4. März 1952 gegen 3:25 Uhr klingelt das Telefon auf dem Polizeiposten Riehen. Eine Mitarbeiterin des Auskunftsdiensts teilt dem diensthabenden Beamten mit, eine Frau habe gemeldet, eben ihr Dienstmädchen «im Blute liegend» vorgefunden zu haben. Umgehend machen sich die Polizisten auf zum abgelegenen Gärtnerhaus an der Äusseren Baselstrasse 381, woher der Notruf kam. Frau Bechtle führt sie zum leblosen Körper von Liesl. Deren tödliche Kopfverletzung scheint von einem Beil oder etwas Ähnlichem zu stammen. Darüber hinaus seien etwa 700 Franken gestohlen worden, gibt Frau Bechtle zu Protokoll. Bereits vor einem Jahr sei hier eingebrochen worden, doch ohne derart gravierende Folgen.


Die Zeitungen berichten ausführlich über den ‹Raubmord von Riehen› und bitten um Hinweise aus der Bevölkerung. Das Schicksal des Dienstmädchens berührt die Öffentlichkeit, die Gerüchteküche brodelt. Von einigen Männerkontakten der Liesl ist die Rede, gar über ein Verhältnis mit dem Hausherrn wird gemunkelt. Die Ehe sei ohnehin schon länger zerrüttet, auch der Gattin werden amouröse Bekanntschaften nachgesagt. Zeugen sprechen von einer, manche auch von zwei Personen, die sie zur Tatzeit gesehen haben wollen. Vom Hund im Haus oder den Kindern hat jedoch niemand etwas gehört. Bei einer weiteren Durchsuchung des Tatorts entdeckt man ein Dengeleisen, das als Tatwaffe in Frage kommt. Es könnte von jemandem gereinigt und an einem anderen Ort abgelegt worden sein. Zudem bestehen berechtigte Zweifel, ob tatsächlich etwas gestohlen wurde. Mit diesen Indizien kann ein vorsätzlicher Mord nicht ausgeschlossen werden.


Unter Tatverdacht gerät ausser dem Ehepaar Bechtle ein Steffen A., der aber ein «auffällig perfektes» Alibi vorweisen kann. In Bern wird ein verwirrter Mann aufgegriffen, der sich selbst der Tat bezichtigt, doch stellt sich das als Falschaussage heraus. Etwa ein Jahr später fällt der Verdacht auf den inhaftierten Raubmörder Josef Joseph. Dessen Alibi erweist sich jedoch als stichhaltig: Er hat sich zum Tatzeitpunkt nicht in der Schweiz aufgehalten. Immerhin haben Steffen A. und Josef Joseph Liesl gekannt und wahrscheinlich beide kurzzeitig in der Gärtnerei gearbeitet.


Die Kriminalkommissäre geben später an, die Fasnacht hätte die Untersuchung des Falls beeinträchtigt, womöglich sind aber einfach die Spuren zu irreführend. Die Ermittlungen laufen weiter, doch das Verbrechen lässt sich nicht aufklären.


Die erstochene Wirtin


Fünfzehn Monate nach dem Mord im Gärtnerhaus ereignet sich ein weiteres schreckliches Verbrechen in Riehen. Das Restaurant Zur Grenze an der Lörracherstrasse – noch mit einladender Gartenwirtschaft versehen – verdankt seine Beliebtheit vor allem der Möglichkeit, dort Devisen deponieren zu können. So befinden sich zuweilen grössere Summen Bargeld im Haus. Es wurde auch schon mehrmals eingebrochen. 


2. Juni 1953: Etwa um 6 Uhr früh entdecken zwei Angestellte im ersten Stock den leblosen Körper einer Frau und rufen die Polizei. Bei der Toten handelt es sich um die 56-jährige Wirtin Emma Fliss, deren Ehemann sich gerade im Wallis aufhält. Die Ermittler stellen fest, dass ihr die Kehle durchtrennt worden ist, zudem weist sie mehrere Stichwunden am Rücken auf. 
Offenbar fehlt ein grösserer Geldbetrag. Die Beamten gehen von Raubmord aus. Die Täterschaft muss die Gegebenheiten vor Ort gekannt haben und vom Opfer auf frischer Tat überrascht worden sein. Die zwei Gläser Vermouth auf dem Beistelltisch neben dem Opfer – eines davon unberührt –, werden von Beginn weg als Finte interpretiert.


Obwohl die Staatsanwaltschaft in alle Richtungen ermittelt, bleiben Erfolgsmeldungen aus. Landstreicher könnten es ebenso gewesen sein wie Schmuggler, mit denen die Wirtsleute vermutlich in Kontakt stehen. Die mediale Anteilnahme wirkt etwas gedämpfter als bei der jungen Frau. Es herrscht Fassungslosigkeit darüber, dass so kurz hintereinander zwei derartige Verbrechen stattfinden konnten. Die Riehener Bevölkerung ist beunruhigt. Im Juni fordert eine Interpellation im Grossen Rat eine Erhöhung der Polizeipräsenz im Dorf. Dadurch wären die Taten nicht verhindert worden, so der ablehnende Bescheid. Dass noch keine Ermittlungserfolge zu verzeichnen wären, liege daran, dass die Opfer erst so spät aufgefunden worden seien.


Trotz wiederholten Anläufen bei den Ermittlungen und mehreren Nachuntersuchungen verlaufen in beiden Fällen sämtliche Spuren im Sand. Dass die Verbrechen nicht offiziell aufgeklärt sind, hält die Gerüchte am Leben.


Ein Geständnis ohne Folgen


Mitte der 1950er-Jahre verhaftet die Waldshuter Polizei den Baden-Württemberger Dieter Josef A., genannt Sepp, und Gottfried ‹Göpf› L. aus dem Bernischen wegen eines Mordes bei Rheinfelden in Deutschland und einem Überfall. In den Verhören machen Sepp sowie die Ehefrauen auch Angaben zu den beiden Raubmorden von Riehen. Später widerrufen sie jedoch ihre Aussagen und verweigern die weitere Kooperation.


Die noch erhaltenen Vernehmungsprotokolle beschreiben einen möglichen Verlauf der Ereignisse. Sepp und Göpf lernen sich im Sommer 1950 über Sepps Schwester und Göpfs spätere Frau Theresia kennen. Göpf ist rund zehn Jahre älter als Sepp und sagt schon bei der ersten Begegnung, dass er auf einfache Weise zu Geld kommen möchte, um Theresia zu heiraten und ein schönes Heim zu erwerben. Göpf imponiert Sepp. Die beiden angehenden Schwager entwickeln eine eigentümliche Freundschaft: Göpf wartet immer wieder mit Ideen für krumme Touren auf und möchte, dass sich Sepp daran beteiligt. Beide haben keinen Beruf gelernt und halten sich mit Aushilfsarbeiten über Wasser. Obschon der Kontakt wegen eines Streits zwischenzeitlich abbricht, beginnt nach der Versöhnung ihr gemeinsames Verbrecherdasein.


Im Frühling 1951 suchen sie das Gärtnerhaus an der Äusseren Baselstrasse 381 auf. Göpf kennt sich hier aus und und weiss sogar, wo der Schlüssel versteckt ist. Er erbeutet im Haus etwas Bargeld, während Sepp draussen Schmiere steht. 


Am 3. März 1952 wollen sie die Tat wiederholen. Göpf ist überzeugt, dass am Abend niemand zu Hause sein wird. Sie treffen sich im Restaurant Zum Stab an der Lörracherstrasse und gehen nach ein paar Bieren zu Fuss zum Gärtnerhaus. Sepp passt beim Holzschuppen auf, während Göpf den Schlüssel aus dem Versteck holt und sich Zutritt zum Haus verschafft. Das Licht in der Stube flammt auf und einen Augenblick später gellt ein verzweifelter Schrei durch die Dunkelheit. Nach wenigen Minuten eilt Göpf mit blutverschmiertem Mantel aus dem Haus. Er schliesst die Türe ab und legt den Schlüssel zurück ins Versteck. «Komm, Sepp, nichts wie weg! Es ist etwas passiert», sagt er. Sie flüchten ohne Beute zu Göpfs Wohnung in Stetten. Erst dort berichtet er, eine Frau habe ihn überrascht. Um nicht verraten zu werden, habe er ihr «eines über den Kopf gehauen». Auch nachdem die Medien über Liesls Schicksal berichten, sprechen sie kaum darüber. Göpf sagt nur einmal zu Sepp, er habe den Tod der Frau nicht beabsichtigt, doch es schöpfe ja niemand Verdacht.


Rund ein Jahr später will Göpf im Restaurant Zur Grenze auf leichte Weise an Geld kommen. Seine Frau Theresia kennt sich da aus, sie hat einmal kurz als Haushaltshilfe bei den dortigen Wirtsleuten gearbeitet. Sepp sind die Gegebenheiten ebenfalls bekannt und er lässt sich auf den Plan ein. Einen Zwischenfall wie bei ihrem missglückten Einbruch in das Gärtnerhaus erwarten sie nicht. Am 2. Juni 1953 finden sie sich wiederum im Restaurant Zum Stab an der Lörracherstrasse ein, wenig später begeben sie sich zum unweit gelegenen Gasthaus Zur Grenze. Doch es kommt anders, als es sich die beiden erhoffen: Die Wirtin überrascht sie in der Wohnung, entdeckt aber nur Göpf. Nach einem kurzen Wortgefecht geraten die beiden in ein Handgemenge. Sepp springt aus seinem Versteck und schlägt die Wirtin von hinten bewusstlos. «Die machen wir fertig, da sie uns kennt», habe Göpf gesagt. Dann zieht er ein grosses Messer aus der Tasche und ersticht das wehrlose Opfer. Danach verlassen sie den Tatort umgehend und teilen zu Hause das geraubte Geld mit ihren Ehefrauen. Ob sie ihre Spuren mit den Vermouth-Gläsern verwischen wollten, erwähnt Sepp nicht.


Er wird 1956 wegen dem Mord bei Rheinfelden zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt. Dennoch schützt er seinen Schwager, der sicher auch an dieser Tat beteiligt war. Göpf ist 1954 mit dem Auto verunfallt und hat dabei eine bleibende Schädigung des Gehirns erlitten. Er muss nur wegen Beihilfe bei einem Überfall für einige Jahre hinter Gitter. Trotz erdrückendem Verdacht kann ihm keine Mittäterschaft bei den Morden nachgewiesen werden.


Obwohl die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt den Inhalt von Sepps Aussagen in Waldshut gekannt hat, wurden die Ermittlungen nicht wieder aufgenommen. Über die Gründe für diesen Entscheid liegen keine Angaben vor. Trotz den Erkenntnissen aus den widerrufenen Verhörprotokollen haftet den nie offiziell aufgeklärten Taten in Riehen nach wie vor etwas Mysteriöses an, die Hintergründe erscheinen diffus, offensichtliche Zusammenhänge bleiben unerklärbar. Nach rund sechzig Jahren wird es kaum mehr Antworten auf die vielen Fragen geben, aber die kaltblütigen Morde von Riehen bleiben wohl noch lange in Erinnerung.


Quellen 


Basler Nachrichten, diverse Meldungen und Berichte, März 1952 bis Juni 1953.


National Zeitung, diverse Meldungen und Berichte, März 1952 bis Juni 1953.


Staatsarchiv Basel-Stadt, Dossier GA-REG 3a 4-4 (1) 1, 1958–69.


Staatsarchiv Basel-Stadt, Dossier PD-REG 3a 109195, 1951.


 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2016

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