Autoren in Riehen Hermann Schneider

Hansrudolf Schwabe

Das Werk des Schriftstellers Hermann Schneider ist geprägt von Gespenstischem. Sein langjähriger Verleger Hansrudolf Schwabe deutet diese dämonische und übersinnliche dichterische Eigenart.

«*1901, †1973. Schriftsteller, Dichter, Redaktor. Verfasste sowohl zahlreiche schriftdeutsche Romane und Novellen und einige Dialekterzählungen als auch mehrere Spiele in Mundart, die wesentlich zur Wiederbelebung des Basler Dialekttheaters beitrugen. Während fahren Feuilletonredaktor der Zeitschrift <Der Schweizerische Beobachter>. Mit dem Hebelpreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.»

Diese kurze Lebensdarstellung in dem von Rudolf Suter herausgegebenen Sammelband «Uff Baaseldytsch» zeigt, wo der 72 Jahre alt gewordene Riehener Hermann Schneider in der breiten Palette der Basler Literatur seinen Platz hat. In der Ausgabe 1974 des Jahrbuches «z'Rieche» hat der Schreiber dieser Zeilen auf sieben Seiten das Leben und Wirken seines langjährigen Verlagsautors aufgezeichnet und zu deuten gesucht; wir kommen darauf nicht zurück.

Riehener? Das ist der im Kleinbasel Geborene und Aufgewachsene erst geworden, als er nach langer Zeit unsteten freien Lebens als Gelegenheitsarbeiter und -Schreiber schliesslich bei Max Ras die Stelle des Feuilletonredaktors am «Beobachter» erhielt und sich dank fester Entlohnung sesshaft machen konnte. Da erwarb er schliesslich sein Haus oben an der Rudolf Wackernagel-Strasse und mochte sich neben seiner Berufsarbeit dem schriftstellerischen und dichterischen Werk hingeben.

Dörfler aber war der Städter Hermann Schneider eigentlich schon immer. Nicht zu den Bewohnern der Riehener Villenquartiere zählte er sich freilich, obschon er im reiferen Leben gerade dort seine Heimstatt fand, sondern zum Volk der Werktätigen, zu den Arbeitern im Quartier an der Grenze zur Stadt, beim Hörnli-Friedhof. Politisch betätigte er sich allerdings nicht. Auch im kirchlichen Leben übte er keine Ämter aus. Jedoch gestand er mir einmal, eigentlich wäre er ganz gerne Pfarrer geworden, wenn er hätte studieren können - aber eben ein Pfarrer für die Benachteiligten, für die Arbeiterfamilien, für die Behinderten, «für die Schrebergärtner», wie er sagte.

In seinem schriftstellerischen Werk kommt immer wieder übersinnliches zum Vorschein. Die Religiosität und der Glaube ans «änedra», wie Johann Peter Hebel sich ausdrückte, waren bei Hermann Schneider eins. Das Fortleben nach dem Lod war für ihn selbstverständlich, ebenso wie das Ahnen von Geheimnissen, die uns nach dem Ende des Erden-Wanderlebens eröffnet werden. Er suchte und fand auch immer wieder Beispiele des übersinnlichen im täglichen Leben, aber auch in Kunstwerken. Der «Mann mit dem Hifthorn», jene steinerne Skulptur aus dem 12. Jahrhundert in der Nähe der Galluspforte des Basler Münsters, die zum Jüngsten Gericht ruft, hat ihn gefesselt und zu einer Buchpublikation angespornt. Das Tönen einer im grossen Erdbeben von 1356 von einem zusammenstürzenden Münsterturm in den Rhein gefallenen silbernen Glocke war Anlass zu einem baseldeutsch geschriebenen Drama, das 1934, mitten in der schweren Wirtschaftskrise, im Münsterkreuzgang aufgeführt wurde. Und noch unmittelbar vor seinem Tod erschienen die zwölf «Geschichten durchs Riehener Jahr», von denen jede ein übersinnliches Erlebnis, eine sogar die Begegnung eines heutigen Riehener Burschen mit Johann Peter Hebel beschreibt.

Johann Peter Hebel! Die Nähe zu ihm war bei Hermann Schneider unverkennbar. Auch in seinen vielen tagesjournalistischen Texten für den «Beobachter» traten immer Anklänge an die kurzen Kalendergeschichten des «Rhei nischen Hausfreundes» zutage, und der Dialekt der «Alemannischen Gedichte» hat Schneider zu seinen Dialektdramen und zu einigen in eigenwilligem Baseldeutsch verfassten Büchern geführt. Im Grund gehört ja Riehen, ob seine Bewohner es so wollen oder nicht, bereits zum Wiesental und also in besonderem Mass zu Hebel. Dass Hermann Schneider von Baden-Württemberg mit dem sehr begehrten Hebelpreis geehrt wurde, ist kein Zufall.

Wer sich mit Hermann Schneider unterhalten, als sein Verleger mit ihm über seine Werke diskutieren durfte, konnte leicht feststellen, dass er sich im Schaffen höheren Mächten fügte. Er schrieb so, wie er es als «eingegeben» bezeichnete. Kleine Bereinigungen des Ausdrucks gestand er mit leichtem Kopfnicken auf Vorschlag zu, änderungen am Inhalt eines Werkes, und war es auch nur an einem kurzen Aufsatz, nahm er aber, wenn überhaupt, nur nach einiger Zeit an, Kürzungen meist jedoch gar nicht.

Sein manchmal textlich ausschweifender Stil mochte da und dort das Komprimieren auf das Wesentliche (oder dem Herausgeber wesentlich Erscheinende) nahelegen. Doch die Anregung des Verlegers an den Autor, die ausgedrückten Gedanken zum Zweck besserer Lesbarkeit besonders in den an sich schon schwierig zu lesenden Mundartwerken - zusammenzufassen und so zu vereinfachen, fand zumeist keine Gnade. Immer aber erfolgte die Zurückweisung der verlegerischen Wünsche in liebenswürdiger, Verständnis ausdrückender Form. - Ob wohl die aus zwingenden Gründen der Umfangsbegrenzung nötig gewordene Kürzung der nachstehenden Textprobe «Der Pfeersigbaum» die Zustimmung des Autors gefunden hätte? Nun, Hermann Schneider wird das Schalten und Walten seines einstigen Verlegers von oben herab gewiss verfolgen, und ich hoffe auf gütiges Verständnis für das Unabänderliche...

Gütig war Hermann Schneider, so wie ich ihn gekannt habe, eigentlich immer. Auch als langjähriger Sekretär der baselstädtischen Literaturkredit-Kommission hatte er gute und freundliche, ja freundschaftliche Kontakte mit den Basler Schriftstellern und Verlegern. Die gleiche Freundschaft verband ihn früher, als er seine Dialektdramen zur Aufführung brachte, mit den Darstellern, die ja meist Laien waren. Im Alter von zehn Jahren durfte ich, aus welchem Grund weiss ich nicht mehr, das Kind im Kreuzgangsspiel «Die silbrigi Glogge im Ryy» spielen. Hermann Schneider war fast wie ein Vater zu mir und brachte mich dazu, auch die schwierige Passage nach der (gespielten) Rettung aus dem hochgehenden Rhein ganz einfach und ohne Pathos, das ja in diesem Stück völlig verfehlt gewesen wäre, wiederzugeben. Von daher rührte eine Verbundenheit über Jahrzehnte, auch wenn man sich eher selten sah. Was bei Schneider vor allem zählte, war die Menschlichkeit, wie sie 1945 auch bei seinem grossartigen Friedensspiel zum Ausdruck kam. Und eben immer wieder auch das Jenseitige, das übersinnliche, auch das Religiöse, das jeder spürte, der es spüren konnte. Wahrscheinlich wäre er halt doch ein guter Pfarrer geworden.

Vor sechsundzwanzig Jahren haben die an der Literatur interessierten Riehener und Basler von Hermann Schneider Abschied genommen. Was ist von diesem eigenwilligen, zuweilen auch eigenartigen Basler Dichter geblieben? Einige wenige seiner Bücher sind noch lieferbar, so die Dialektgeschichten unter dem Eitel «Die goldigi Schtadt», die vom Literaturkredit Basel-Stadt herausgegebene schriftsprachliche Novelle «Der Mann mit dem Hifthorn» und das ebenfalls vom Literaturkredit edierte Bändchen «Basler Lexte Nr. 1» mit den Eingangskapiteln aus einem gross angelegt gedachten Romanwerk «Jenseits der Eisblumen». Dieser Roman, an dem Schneider während Jahren arbeitete, ist nie fertig geworden. Vielleicht ist das richtig so. Hermann Schneider war ein Novellist, ein Geschichtenerzähler, in jüngeren Jahren ein Dramatiker, aber er hat seine Stoffe eigentlich immer auch in kürzerer Form bewältigen können und in der Beschränkung den Meister bewiesen.

Das Gespenstische, Dämonische, eben übersinnliche in unverfänglicher, nicht beängstigender, im Grund heiterer Form ausgedrückt zu haben, ist das Typische, Bleibende in Schneiders Werk. Seine «Gespenster» aus einer höheren Welt leben fast so wie wir, die wir noch auf Erden weilen. Sie sind keine bösen Geister. Nicht Kafka, höchstens E.T.A. Hoffmann sind vergleichbare Autoren. Bei Hermann Schneider aber wurzeln die Gestalten in der Wirklichkeit des realen heimatlichen Raumes. Schneider hat - man lese die nachfolgende Gespenstergeschichte seine phantastische Welt in Riehen und in Basel angesiedelt.

Kennt man heute Hermann Schneider noch? Nun, auch für die meisten literarisch Tätigen, nicht bloss für die Mimen, gilt das Schillerwort, dass ihnen die Nachwelt keine Kränze flicht. In Riehen, aber auch in der Stadt Basel, dürften die Besitzer und Kenner der Werke Hermann Schneiders sehr gering an der Zahl sein. Aber wenn auch nur noch wenige von seinem Leben und seinem Weg wissen, so lebt Hermann Schneider doch in unserer Erinnerung intensiv weiter. In die Basler und nicht zuletzt in die Riehener Literaturgeschichte ist er jedenfalls eingegangen.

Die nachfolgend gekürzt wiedergegebene Dialektgeschichte «Der Pfeersigbaum» stammt aus dem Band «Die goldigi Schtadt» (Pharos-Verlag Basel 1971) und ist zum besseren Leseverständnis in der jetzt geltenden baseldeutschen Rechtschreibung gemäss Dr. Rudolf Suter gesetzt worden.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1999

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