Kopfsalat und Wortspiele

Rolf Thalmann

Die eigentliche Geburtsstunde des politischen Plakats in der Schweiz ist der Herbst 1919. Zwar hatte es schon vorher vereinzelt Wahl- und Abstimmungsplakate gegeben. Aber erst der übergang zum Proporzsystem auf eidgenössischer Ebene durch die Abstimmung vom 13. Oktober 1918 schuf die Voraussetzungen, dass viele Parteien mit guten Aussichten in den Wahlkampf für den Nationalrat (26. Oktober 1919) steigen konnten. Zudem war die Atmosphäre nach der russischen Revolution und dem Landesstreik stark geladen, und die Parteien von links und rechts empfanden diesen Urnengang nicht zu Unrecht als «Schicksalswahl».


Das Plakat war zu jenem Zeitpunkt in der Schweiz erst seit knapp vier Jahrzehnten im Gebrauch. Zuerst war es jedoch fast ausschliesslich für Tourismuswerbung und für die Anzeigen von Veranstaltungen verwendet worden; erst nach der Jahrhundertwende kam die Konsumgüterwerbung auf und zuletzt die Propagierung von politischen Ansichten.


Leider reichen die Plakate über die Riehener Wahlen in der Basler Plakatsammlung nicht weiter als in die sechziger Jahre zurück. Dennoch darf gesagt werden, dass auch in Riehen Geltung hat, was sich fast überall feststellen lässt: Während die Plakate zwischen den beiden Weltkriegen ausgesprochen kämpferisch waren und man nicht davor zurückscheute, den Gegner zu verunglimpfen, sind die Plakate nach dem Zweiten Weltkrieg ausgesprochen zahm, und man beschränkt sich darauf, die Leistungen und Persönlichkeiten der eigenen Partei zu rühmen. Dabei verzichten die Wahlkampfstrategen nicht immer darauf, einen «Kopfsalat» anzurichten, indem sie alle Kandidatinnen und Kandidaten in notgedrungen kleinem Format abbilden. Die Liberale Partei hat immerhin im November 1996 eine originelle Form dafür gefunden.


Für die Ausnahme von der Regel sorgte die Partei der Arbeit in den achtziger Jahren; ihr Plakat deklarierte: «Wir vertreten nicht die Millionäre - ganz im Gegenteil!» und ruft dazu auf, die Linke zu stärken, denn «Rechte haben wir genug!» Eine eigenständige Schöpfung ist auch das Plakat der Vereinigung Evangelischer Wähler von 1996. Die originellen, meist im Dialekt verfassten Slogans scheinen eine Spezialität dieser Partei zu sein.


Alles in allem lässt sich sagen, dass die Riehener Plakate weder in positiver noch in negativer Richtung aus dem Rahmen dessen fallen, was in den letzten Jahrzehnten üblich geworden ist. Sie widerspiegeln gemeinsam mit vielen anderen den geringen Stellenwert, der den Plakaten in der Wahlwerbung heute zukommt. Erfahrungen mit dem Wahlkampf vom Oktober 1999 nähren jedoch die Hoffnung, dass das Plakat wieder etwas an Gewicht zulegen könnte.


Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1999

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