Autoren in Riehen Der Schriftsteller Hermann Hesse

Dominik Heitz

«...Also noch einmal dankeschön! Nicht nur für den schönen Tag auf dem Wenken, sondern auch für vieles andere, zum Beispiel dafür, dass ich bei Ihnen zuweilen so wie gestern abend sitzen kann, auch ohne reden zu müssen. Gerade dieser Abend ist mir eine liebe Erinnerung; ich war nicht schläfrig, aber ich spürte seit längerer Zeit zum ersten male wieder eine Art von Sättigung und Wunschlosigkeit, ein Stück Daheimsein, und dann jenes <schöne Anklingen des Tages>, das man nur auf dem Lande und nur bei freundlichen Menschen hat, mit welchen man für Augenblicke jenseits der gewöhnlichen gesellschaftlichen Grenzen ist...

Hermann Hesse schreibt in diesem undatierten Brief - vermutlich um das Jahr 1902 - an Elisabeth Wackernagel, die Frau des Historikers und Basler Staatsarchivars Rudolf Wackernagel, mit der und dessen Familie ihn ein herzliches Verhältnis verbindet. Er lebt damals schon eine Weile in Basel; hier ist er 22jährig im September 1899 angekommen, um als Buchhandlungsgehilfe bei der Reich'schen Buchhandlung Arbeit zu finden. Es ist nicht die erste Begegnung Hesses mit Basel. Schon einmal, im April 1881, hat er - zusammen mit seiner Familie - von Calw, einer kleinen Stadt im nördlichen Schwarzwald, wo er am 2. Juli 1877 zur Welt gekommen war, den Weg hierher zum Rheinknie gefunden. Ausschlaggebend für jene erste Reise war sein Vater Johannes gewesen, der als Herausgeber des Missionsmagazins nach Basel berufen worden war. Fünf Jahre lebte damals die Familie Hesse in Basel, und der vierjährige Hermann verbrachte hier eine wilde, ereignisreiche Kinderzeit. Das ländliche Gebiet um das Missionshaus war ihm Abenteuer-, Jagd- und Schmetterlingsgebiet, der Margarethenhügel, wohin ihn der Vater mitnahm, faszinierender Aussichtshorst - eine Zeit, die sich später auch in seinem literarischen Werk niederschlagen sollte.

Nun, 13 Jahre später, ist er erneut in Basel und lernt dank den elterlichen Verbindungen von damals verschiedene, bedeutende Familien kennen - darunter insbesondere Rudolf Wackernagel, dessen Frau und Kinder, die am Brunngässlein im hintern Württemberger Hof wohnen. «...Heute vormittag nach der Kirche besuchte ich Dr. Wackernagel im Brunngässlein, fand ihn sehr lieb und charmant... », schreibt Hesse am 24. September 1899 seinen Eltern Johannes und Marie.2)

 

Immer wieder ist in Hesses Briefen von den Wackernagels die Rede. Und seine Beziehung zu dieser Familie vertieft sich. Bald ist er ein gerngesehener Gast, der sich nicht mehr an gesellschaftliche Formalitäten halten muss: «... Bei Archivars bin ich indessen sehr heimisch geworden und mache längst keine Besuche im Frack mehr dort...», schreibt er seinen Eltern.3)

 

Die Arbeit in der Reich'schen Buchhandlung ist für Hesse anstrengend. Als Sortimentsgehilfe steht er hinter dem Schreibpult und dem Ladentisch, expediert Journale, ordnet Buchlager und Karteien, frankiert Post und führt die kleine Ladenkasse. Doch am Sonntag geniesst und nutzt er die Freizeit, um in die Kunsthalle sowie ins Museum zu gehen und dort insbesondere Arnold Böcklins Bilder zu betrachten oder um Ausflüge in die Gegend zu unternehmen. «... Heute nachmittag will ich auf die Chrischona steigen. Es ist ein Tag wie Gold, klar, mild und farbig, das ganze Berner Oberland wird zu sehen sein», schreibt er einem Freund.4) Und seinen Eltern teilt er anschliessend mit: «...Ich war gestern auf St. Chrischona und kam zu müde heim, um noch zu schreiben. Der Tag war ganz wundervoll...»5) - so wundervoll, dass er später seinen Eltern wiederholt: «...Der vorletzte Sonntag auf Chrischona war prächtig. Ich habe noch nie einen so heissen und glänzend farbigen Herbsttag erlebt... »6) Bald wird Hermann Hesse auch der alte Wenken vertraut. «...Ich war viel spazieren und sonntags immer auswärts, gewöhnlich im Wenkenhof bei Riehen, wo ich immer freundliche Aufnahme und einen Stuhl am Abendtisch für mich bereit finde, auch etwa ein Bett zum Ubernachten ... »7)

 

Diese Nachricht freut Hesses Eltern, nicht zuletzt auch deshalb, weil ihnen selber der Wenken nicht ganz unbekannt ist. Die Mutter wenigstens erinnert sich des Herrschaftssitzes und berichtet ihrem Sohn: «... Den Wenkenhof kennen wir etwas, in namenloser Hitze sind wir einmal dahin. Dr. Burckhardt (der spätere Schwiegervater von Rudolf Wackernagel, die Redaktion) hatte Papa einmal ermuntert, ihn dort zu besuchen mit den Kindern - es war eine furchtbare Strapaze. Leider war der alte Herr Doktor gerade ganz allein draussen und entschuldigte sich, er habe nicht einmal den Schlüssel zum Haus da so zogen wir staubig, müde, hungrig und durstig wie der nach Riehen. Du wirst damals auch dabei gewesen sein ohne Ahnung, dass dir dort noch schöne Tage blühen... »8)

 

«Es war gestern, auf Riekenhof»

Es sind zwar nicht nur schöne Tage, die Hermann Hesse jetzt in Basel und Riehen verlebt, aber es ist eine intensive und reiche Zeit, die ihn in seinen literarischen Schritten von den romantischen Wegen, wie sie in seinen ersten Gedichten aufgeschienen sind, weg führt: Hesse bringt 1901 in der Reich'schen Buchhandlung «Hinterlassene Schriften und Gedichte von Hermann Lauscher» heraus. In ihnen finden sich zum ersten Mal viele Formen, Themen und Töne, die sich im späteren Werk voll entfalten sollten. Mit Recht wurde der «Lauscher» ein Bekenntnisbuch genannt, denn er enthält ausser der Schilderung seiner Kindheit als wichtigstes Stück das «Tagebuch 1900». Dieses gibt ein ungeschminktes Bild von Hesses seelischer Verfassung jener Zeit wieder - und weist unter anderem auch auf den Wenken und die Wackernagels: «Es war gestern, auf Riehenhof, in der kleinen Halle gegen Abend; ich war zwei Tage bei Doktor Nagels zu Gast. Die freundliche Wirtin sass mit mir in herzlichem Gespräch in der zarten Abendglut, es war eine ungerufene glückliche Stunde; unsre Fragen rührten an alles Wichtige, Ernste, Beglückende, an den Tod, an die Sterne, an das Wunder. Auf die letzten Fragen gab kein Wort mehr Antwort, ein freundschaftlich vertrautes Schweigen, ein Kopfnicken, ein Blick in die Röte des Himmels, ein stummes Deuten auf die sammetblauen Vogesen und den klaren, dunkelgrünen Schwarzwald - und vor dem Schlafengehen lasen wir den dritten der Hymnen des Novalis...» Oder: «Diese warmen, glühenden Abende auf Riehenhof! Seit Monaten hatte sich mir keine Zeile gereimt, und jetzt - es quillt so weich und ohne Ende, Verse, Verse! Es ist ganz wie es in schönen Anthologien steht: Frühling, junges Grün und Amselgesang, und dem Dichter verhängt ein selig goldener Nebel die Welt. Ich liege im Rasen, ich wandere durch die Wiesen, ich lehne im Halbdunkel abends im Zimmer, ich gehe zum Wein, und meine Lippen sind heiss und rot vor lauter Reimen. Kein Inhalt, kein Gedanke, nur Musik von schlanken, lachenden Worten, nur Takt, nur Reim. Ich weiss dabei wohl, dass diese Verse, wenn noch so gut, noch nicht einmal Lyrik sind, und weiss, dass ich schon bald an heute und gestern als an etwas Unbegreifliches, Schönes, Vergangenes denken werde, mit Schmerz und Ironie...»

Hesse, «Knulp» und Stoecklin

Im «Lauscher» taucht auch Hesses heimliche Jugendliebe auf: Elisabeth La Roche, Meisterschülerin des Pianisten Hans Huber, später Musiklehrerin, Tänzerin und Choreographin sowie Schwester von Marie La Roche, die Hesse einmal im Porträt zeichnerisch festhält. «Elisabeth. Ich traf sie im Garten (Riehenhof, die Redaktion)», heisst es. «Sie trug eine neue Sommertoilette, sehr einfach, matt, hellblau. Sie sass auf der Schaukel und wiegte sich wie ein schöner Vogel, der weiss, wie schön er ist. Und dann kam Frau Doktor, und es wurde dunkel, man trank Tee und Eiswasser, Sterne kamen auf. Ich begleitete sie nach hause und fühlte, dass ich heute abend langweilig war... Jetzt scheinen mir die Sterne ins Zimmer.» Auch als Hermann Hesse 1903 Basel wieder verlässt und bis zu seinem Tode am 9. August 1962 ausschliesslich als Schriftsteller sein Einkommen finden sollte, brechen seine brieflichen Verbindungen zu den Wackernagels und zu Elisabeth La Roche nicht ab; in seiner Korrespondenz mit den «Nagels» ist immer wieder in erster Linie vom Wenkenhof die Rede.

Jahre nach dem Hinschied der Wackernagels tun sich erneut briefliche Kontakte zu Riehen auf: zu Nikiaus Stoecklin. Der Maler und Grafiker, der seit 1928 in Riehen wohnt, illustriert die von Hermann Hesse im Jahr 1915 erstmals gedruckte Erzählung «Knulp». 16 Zeichnungen legt Stoecklin für die Ausgabe von 1945 vor. Und Hesse schätzt sie im grossen und ganzen, wenn er schreibt: «Lieber Herr Stöcklin, ohne es zu wollen u. zu wissen, haben Sie mir mehrmals im Leben eine Freude gemacht. Zuerst mit mehreren Ihrer Bilder, die ich liebe u. mit denen jedes Wiedersehen auch wieder eine Freude war(...) Aber nun habe ich mich neuerdings wieder zweimal über Sie gefreut: das einemal, als ich hörte, dass Sie Lust hätten, Zeichnungen zum Knulp zu machen, u. dann wieder, als ich diese Zeichnungen zu sehen bekam. Ich konnte daraus sehen, dass meine Sympathie für manche Ihrer Bilder kein völlig einseitiges Verhältnis war...» Ein Datum ist nicht angegeben, Stoecklin vermerkt auf dem Brief aber: «beantwortet 28. Juli 43.»1)

 

 

 

Personen

(soweit nicht schon im RRJ oder im RJ 1986 ff. vorgestellt):

Elisabeth La Roche (1876-1965)

Marie La Roche (1870-1952)

Johannes Hesse (1847-1916)

Marie Hesse (1842-1902)

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1996

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