Das neue Gemeindehaus

Paul Hullinger

Der Erbauer des neuen Gemeindehauses ist Architekt Giovanni Panozzo. Unmittelbar zuvor vollendete er den Neubau des Mädchengymnasiums Basel, der ihm allgemeine Anerkennung eintrug. In Riehen sah er sich vor eine noch größere Aufgabe gestellt.

Der Bau hat im Grundriß die Form eines H mit annähernder WestOst-Richtung der beiden ungleich langen Schenkel. Der kürzere Bauzug folgt der Schmiedgasse; er beginnt ostwärts mit dem eingeschossigen Leseraum der Gemeindebibliothek und steigt westwärts auf zum zweigeschossigen Bau der Mütterberatungsstelle, der Schulzahnklinik und der beiden Abwartwohnungen.

Der längere Bauzug mit dem vorgelagerten Park beginnt auf der Ostseite mit dem zweigeschossigen Verwaltungsbau. Dieser erhebt sich westwärts im würdigen Ratsaalbau zur eigentlichen Haupt- und Kopfform des ganzen Gemeindehauses. Der die beiden H-Schenkel verbindende Querbau enthält die öffentliche Gemeindebibliothek; er überschreitet die Erdgeschoßhöhe nicht.

Den drei zweigeschossigen Bauten wurden in Anlehnung an die alten Riehener Häuser mächtige Satteldächer aufgesetzt; sie erscheinen höher und straffer als jedes der dörflichen Umgebung. Es sind zudem Betonkonstruktionen, was in den rautenförmig unterteilten Giebelwänden unmißverständlich zum Ausdruck kommt.

Der öffentlichen Bibliothek ist ostwärts, zwischen Leseraum und Verwaltungsbau, ein reizendes, von Paul Schönholzer gestaltetes Blumengärtchen mit Brunnen und Sitzbänken vorgelagert. Im Gegensatz dazu wurde aus dem Raum zwischen den beiden westlichen Schenkelhälften ein eindrucksvoller Platz gemacht; seine grauen Besetzungssteine sind mit roten Sandsteinplatten in große quadratische Felder unterteilt. Diese strenge Ordnungsform der Pflästerung wird durch den alten Brunnen und drei Lindenbäume belebt. Betritt man von der Schmiedgasse und der Wettsteinstraße her den Platz über die fünf Stufen aus rotem Sandstein, fällt der Blick unwillkürlich auf den Ratsaalbau. Seine beiden breiten Eckpfeiler aus roten Sandsteinquadern und die 10 im ersten Stock dem Gemeinderatsaal vorgesetzten, fast quadratischen Betonplatten versinnbildlichen die Kraft und Festigkeit des Gemeinwesens; das heitere Relief von Alexander Zschokke an der gleichen Wand wirkt dagegen angenehm auflockernd.

In der Tiefe des Platzes führen acht rote Sandsteinstufen zum überdeckten, offenen Verbindungsgang der beiden Längsbauten empor. Dieser Gang ist mit Recht durch die Majolika-Mosaiken von Kunstmaler Christoph Iselin betont.

Eine vier Meter breite und drei Meter hohe Glaswand trennt den Verbindungsgang vom südlichen Gebäudezug und ermöglicht durch eine Glastüre den Zugang. Wir betreten durch sie eine lichterfüllte Halle; sie mißt nicht weniger als 12 Meter im Geviert und enthält sowohl den Zugang zum Verwaltungsbau wie zum Rathaus. Die ganze Südfront dieser Halle ist aus Glas; sie gibt den Blick frei in den durch Gärtnermeister Schönholzer neu gestalteten großartigen Park mit seinem herrlichen alten Baumbestand. Mehr noch: Der ganzen Glasfront ist eine Terrasse aus rotem Sandstein acht Meter tief vorgelagert. Diese wieder durch eine Glastüre zugängliche Plattform gehört zu den genialen Einfällen des Architekten; sie wird in der milden Jahreszeit in Konzert- und Vortragspausen bestimmt gerne zum Plaudern und Diskutieren unter freiem Himmel benützt werden.

Eine große Schiebetüre in Holz mit warmem Ton gestattet auf der Westseite der Vorhalle das Betreten eines geräumigen Garderoberaumes und des anschließenden großen Bürgergemeindesaales. Dieser, als Versammlungsraum der Bürgergemeinde, aber auch als Vortragsund Theatersaal gedacht, ist eindeutig axial orientiert mit der Bühne in der Tiefe als zentralem Blickfeld. Die beiden Fensterfluchten rechts und links geben dem Raum eine Atmosphäre der Offenheit und Weite.

Zurück in die Vorhalle mit dem Boden aus hellgrauem Tessiner Kristallina-Marmor. Anmutig geschwungen führt aus ihr eine Treppe in dunkelgrauem Kristallina durch eine ovale öffnung der Decke hinauf in die ebenso geräumige Vorhalle des ersten Stockes. Beim Aufstieg empfangen wir wohl den stärksten Einzeleindruck des ganzen Baues von dem aus dem alten Gemeindehaus stammenden, zwei Meter breiten und 2,5 Meter hohen Glasbild des verstorbenen Kunstmalers Charles Hindenlang mit der lebensgroßen Darstellung des Bürgermeisters Johann Rudolf Wettstein. Es ist das Geschenk der Stadt Basel zur 400-Jahrfeier der Zugehörigkeit Riehens zu Basel im Jahre 1922. Glasmaler Kurt Volk verstand es, das Glasbild in die sechs Meter breite nördliche Glaswand des Vestibüls gut einzubauen.

Ein neues Meisterstück bildet der Versammlungsraum des Weiteren Gemeinderates im erhöhten ersten Stock des Rathauses. Schon der vor uns liegende Aufgang, die breite Treppe aus dunkelgrauem Kristallina und der anschließende Vorraum mit der Folge ehrwürdiger Lehnstühle den Wänden entlang stimmen ernst. Der Ratsaal ist quergestellt. In ihm begegnen sich in den Ratssitzungen die nicht immer sich deckenden Auffassungen des Engeren und Weiteren Gemeinderates und die verschiedenen Ansichten der Parteien. Hier formt sich in der Auseinandersetzung der für das Gemeinwesen maßgebende Wille. Diesem Geschehen entsprechend ist der Saal gestaltet. Alle Ratsmitglieder sitzen mit dem Rücken gegen eine der vier Wände; jeder vermag dem andern ins Gesicht zu blicken. Die mächtigen, unter sich verbundenen Pulte bilden zusammen mit den hohen Rücklehnen der Stühle ein spannungsgeladenes, längliches Achteck. Das gleiche gilt vom unterlegten, schönen violetten Teppich auf dem Boden aus hellem Eichenholz mit dunklem Nußbaumfilet. Dagegen nimmt in der Höhe der kräftige, die 44 rhythmisch gruppierten Lampen tragende schwarze Eisenrahmen die Rechteckform des Saales wieder auf.

An der fensterlosen westlichen Außenwand des Rathauses begegnet dem Beschauer ein weiterer genialer Einfall des Bau-Meisters Panozzo. In fünf aus der roten Sandsteinwand vorspringende Bossenquader meißelte der Bildhauer Hans Geißberger fünf Köpfe: Einen Hörenden, einen Schweigenden, einen Denkenden, einen Redenden und einen Schauenden. Sie bringen zum Ausdruck, was sich im Innern des Baues abspielt.

Eine Reihe nicht weniger beachtenswert gestalteter Bauteile müssen übergangen werden, z. B. der ganze Verwaltungsbau mit dem vorbildlichen Kanzleiraum und das Sitzungszimmer des Engeren Gemeinderates. Das gleiche gilt von den vielen reizvollen Formen und Farben all der Lampen, Vorhänge und Teppiche.

Eine kostbare Erinnerung an eine längst vergangene Zeit sei jedoch noch kurz vermerkt. Beim Abbruch des Zaeslin'schen Landgutes, der späteren Taubstummenanstalt, das bis 1955 den Platz des Gemeindehauses einnahm, kamen die 300 Jahre alten Deckenmalereien zum Vorschein, die jetzt im Leseraum der Bibliothek untergebracht sind. Ursprünglich erstreckten sie sich über vier nahe beieinander liegende Räume; jetzt folgt ein Raum dem andern, die Balken abwechselnd in der Längs- und Querrichtung. Es gelang, jede einzelne Decke gut zur Geltung zu bringen. Dem hintersten Raum mit der vielbewunderten Doppeladlertruhe von 1687 verlieh der Architekt mit dem roten Fliesenboden einen besonders treffenden Akzent.

Das neue Gemeindehaus von Riehen braucht das Urteil künftiger Geschlechter nicht zu fürchten; es ist sowohl als Gebrauchsform als auch seiner geistigen Bedeutung gemäß wahr und überzeugend gestaltet.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1961

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