der werfe den ersten Stein Begegnungsort im Glashaus

Dominik Heitz

Genau auf der Grenze zwischen Riehen und Basel steht der Hirzen Pavillon. Der neue Begegnungsort soll zur Verständigung zwischen den Menschen beitragen - ein Ort der Ruhe und Gastfreundschaft.

Bäumlihofstrasse 303, am Rande eines grossen grünen Gürtels zwischen Basel und Riehen: Mitten in einer Reihe von Büschen erhebt sich ein schmiedeisernes Tor mit der goldenen Inschrift «Zu den Hirzen». über eine Gegensprechanlage am linken Steinpfeiler wird der Besucher von einer freundlichen Stimme empfangen. Lautlos öffnet sich das Tor. Die Schuhe treten auf einen mit Pflastersteinen besetzten Weg, der - gesäumt von einer Allee frisch gepflanzter Lindenbäume - über eine grüne Wiese zum herrschaftlichen Sitz führt. Hinter dem Rücken schliesst sich das Tor, vor einem öffnet sich die Anlage mit dem Hirzen Pavillon. Als Teil des Bäumlihofguts ist sie ein geschichtsträchtiger Flecken Erde mit reichem Baumbestand, Karpfenteich, Biotop, Gärtnerhaus und der über hundertjährigen Villa «Zu den Hirzen».

Johann Rudolf Geigy-Rodriguez hatte das Anwesen zusammen mit seiner Frau Elizabeth vor neun Jahren nach dem Tod seiner Eltern übernommen. Damals als Geigy nach langen Jahren des Lebens in den USA und des Wirkens im Immobilienbereich an seinen Ursprungsort zurückkehrte, gehörte zum Familiengrundstück auch ein in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandener Hirschpark, der von der Familie Geigy über drei Generationen gepflegt wurde. Doch nicht alles kann von Dauer sein: 1997 entschlossen sich die Familienmitglieder, die Damhirsche wegzugeben und das Gehege aufzuheben. überdiingter Boden, eine nicht mehr optimal bestückte Herde, die für die 1600 Quadratmeter weite Anlage zu gross war, und sozial-ethische sowie moralische überlegungen, ob eine Hirschhaltung in dieser Form noch zeitgemäss ist, führten zu diesem Entscheid. Damit verschwand im Kanton Basel-Stadt das letzte private Hirschgehege.

Gläserner Bau in grüner Lunge Seine Nachfolge hat nun der 2003 eröffnete Hirzen (Hirschen) Pavillon angetreten. Er ist das originelle Resultat längerer Auseinandersetzungen des Besitzers mit einem Areal, für das ein ursprünglicher überbauungsplan sechs Einfamilienhäuser vorgesehen hatte. Der studierte Jurist Johann Rudolf Geigy konnte sich mit dieser Nutzungsmöglichkeit nie anfreunden, weil er durch diesen Plan die Grosszügigkeit, aber auch die Erholungsqualitäten des Geländes als grüne Lunge stark beeinträchtigt sah. Für ihn war von Anfang an klar, dass hier, in dieser Oase der Ruhe, nur eine Art Gastfreundschaftszentrum das einzig Richtige sein konnte. Zunächst schwebte ihm dafür als Bau so etwas wie ein englisches Gewächshaus vor. Doch dann unterbreitete ihm ein Architekt den Vorschlag eines Flachdachpavillons. Die Idee wollte Geigy nicht gefallen, vergessen konnte er sie aber auch nicht. Erst nachdem er die Villa «Zu den Hirzen», in der er aufgewachsen war, grundlegend renoviert hatte, indem er vermauerte Fenster wieder öffnete, eine grosse Terrasse beim Haupteingang anlegte, sich von den alten dunklen Möbeln und Vorhängen löste («ich habe mit meiner Jugend irgendwie brechen müssen»), öffnete er sich mehr und mehr der Pavillon-Idee.

In den GIM-Architekten und -Planern aus Bern fand er die für ihn geeigneten Ansprechpartner. Es wurde diskutiert und wieder verworfen, weiter entwickelt und getüftelt, bis der jetzige Pavillon-Bau zustande kam: ein eingeschossiger Flachdachbau mit vollflächig verglaster Fassade, der sich dezent zurückhält und die Villa weiterhin als Herzstück der Gesamtanlage auftreten lässt. Stolz und doch unaufdring lieh erstreckt sich der Pavillon neben dem Gärtnerhaus. Und dank seiner gläsernen Haut wirkt er nicht nur leicht und transparent, sondern verleiht der Anlage, die sich im Fassadenglas spiegelt, beinahe so etwas wie eine vierte Dimension.

Tatsächlich findet eine Verschränkung von Architektur und Natur statt: Einerseits langt der Pavillon mit einem Freiluftbassin in die Grünanlage, andererseits wird die Natur in Form eines flachen Wasserbeckens in den Pavillon geholt. Scharnierstelle dieses Ineinandergreifens ist eine Quarzitmauer. Sie verläuft parallel zur Längsseite des Bassins, stösst solchermassen in die Gartenanlage und dringt gleichzeitig in den Pavillon ein.

Wildblumenwiese und Quellstein

Im Innern des Glaskubus sind es in erster Linie die zum Teil im Boden versenkbaren Glasfenster, das grosszügige Auditorium, ein Orangerieabteil und die Lounge mit einem freistehenden Cheminée, die das Auge fesseln. Erst in zweiter Linie nimmt man wahr, dass auf der Innenseite der transparenten Fassade verstellbare, vertikale Lamellen in opakem Glas angebracht sind. Diese vermögen nicht nur das Raumlicht zu verändern, sondern können je nach Stellung grosszügige Ausblicke in die Natur ermöglichen oder die Innenräume nach aussen hin abschotten.

Im Untergeschoss befinden sich Lagerräume, Zivilschutzanlage, sanitäre Einrichtungen, eine Anrichte und unter teilbare Schulungsräume. Zudem ist ein Computersystem installiert worden, das die Bewässerung der erweiterten Gartenanlage steuert. Denn wo früher das Hirschgehege war, sind nun Büsche und Bäume gepflanzt worden und breiten sich saftige Rasenflächen aus. Zusätzlich hat der Besitzer entlang der neu errichteten Abgrenzungsmauer zum Bäumlihofgut der Familie Vischer einen romantischen Nutzgarten mit Buchsbaumhäglein und zwei Gitterpavillons anlegen lassen. In die Gesamtrenovation einbezogen wurden auch die kleine Beckenfontäne hinter der Villa und der Karpfenteich. Schliesslich liess Rudolf Geigy neben einem neu angelegten Birkenhain samt Wildblumenwiese einen imposanten Quellstein installieren, dessen Wasser sich in einem Bachlauf zum Biotop vor dem Haupteingang der Villa schlängelt.

Gespräche am Kaminfeuer

Für wen ist der exklusive Pavillon gedacht? Er will ebenso Treffpunkt wie Ort gedanklicher Zurückgezogenheit sein. Im Detail aufgeschlüsselt heisst das: Feste wie Hochzeiten, Parties, VIP-Anlässe und Geburtstage sollen hier ebenso möglich sein wie Seminare von Firmenkadern und kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen, Vorträge, Konzerte, Diskussionen und Gespräche am Kaminfeuer.

Hintergründig für dieses Gastfreundschaftszentrum spielt der christlich-jüdische Glaube der Geigys eine wesentliche Rolle. Vordergündig zeigt sich dies an der Quarzitmauer in Form einer skulpturalen, mehrteiligen Bronzeplastik samt Mosaik des kanadisch-israelischen Künstlers Rick Wienecke. Das künstlerische Werk symbolisiert die zwölf Stämme Israels und erzählt die Geschichte des biblischen Buches Esther, der Frau von König Xerxes, die dank ihres uneigennützigen Einsatzes einen Holocaust am jüdischen Volk zu verhindern vermochte.

Nun beabsichtigen allerdings Elizabeth und Rudolf Geigy nicht als «weltverbessernde Missionare» aufzutreten. Aber: «Wir haben aus eigener Erfahrung erkannt, dass wir aus dem Arsenal jüdisch-christlicher Werte und biblischer Wahrheiten Antworten anbieten können, die erprobt sind und funktionieren, wenn sie ernst genommen und konsequent angewandt werden.» Gleichwohl soll im Hirzen Pavillon keine spezielle Glaubensrichtung und keine Kirche vertreten sein. «Auch wenn wir klar auf einem christlichen Fundament stehen», so Rudolf Geigy, «wollen wir freiwillig und in aller Demut dem grösstmöglichen Personenkreis unsere Dienste anbieten.»

«Ewige Baustelle»

Mit dem Hirzen Pavillon hat das Bäumlihofgut eine nicht unwesentliche bauliche und inhaltliche Veränderung erfahren - eine Veränderung, die indes zur «ewigen Baustelle» dieses weitläufigen Herrschaftsgutes passt. Wohl aus einem Rebgut des Klosters Klingental hervorgegangen, erlebte das auf Riehener Gemeindebann liegende Gut am Anfang des 18. Jahrhunderts einen pompösen Aus- und Umbau: Vom damaligen Besitzer Samuel Burckhardt-Zaes lin wurde gemäss barocker Architektur- und Gartenauffassung neben einem Haupt- und zwei Nebengebäuden auch ein französischer Park und später an der einen Ecke der barocken Anlage ein Gartensaal angelegt. Zwei Generationen später, zu Beginn des 19. Jahrunderts liess der Besitzer Samuel Merian-Kuder den französischen Garten - mit Ausnahme der Kastanienbaumalleen - in einen englischen Park umwandeln. Unter Samuel Merian-Merian folgte dann 1842 das Hirschgehege.

1876 liess Johann Rudolf Geigy-Merian, der Urgrossvater des heutigen Teilbesitzers, das Wohnhaus umbauen und stattlicher herrichten, gestaltete den Gartensaal neu und liess gleich daneben ein neues Herrschaftshaus im Stil eines französischen Louis-XIII-Schlosses erbauen. Dieses wurde indessen 1951 wieder abgerissen, um dem Gut seinen ursprünglichen Charakter zu geben. 1892 entstand die heutige Villa «Zu den Hirzen».

Mitte des 20. Jahrunderts wurde das Bäumlihofgut, das bis dahin stets nur einen Besitzer kannte, aufgeteilt. Die Familie Vischer erhielt den Hauptteil mit der ehemals barocken Gartenanlage, während die Geigys das seitliche Areal mit der Villa «Zu den Hirzen» und das Hirschgehege übernahmen. Im Vischer'schen Teil kamen im 20. Jahrhundert zunächst ein gedecktes Schwimmbad und später ein Einfamilienhaus der Archtitektin Silvia Gmür hinzu. Bei den Geigys hat nach dem 1951 errichteten Gärtnerhaus die «ewige Baustelle» mit der Aufhebung des Hirschgeheges und dem Bau des Hirzen Pavillons ihr vorläufiges Ende gefunden.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2004

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