Die Gemeindereform nimmt Gestalt an

Andreas Schuppli

Die Gemeinde Riehen wagt eine Erneuerung an Haupt und Gliedern: Das ambitiöse Projekt wurde anfangs 2001 gestartet und nennt sich selbstbewusst PRIMA. Was steckt dahinter?

 

Zu Beginn des Jahres 2001 startete die Gemeinde unter dem Namen PRIMA1 ein umfassendes Reformprojekt. Nicht nur die Gemeindeverwaltung, sondern auch der Gemeinderat und der Einwohnerrat werden in den Erneuerungsprozess einbezogen. Dementsprechend ist die Projektarbeit aufgebaut. Geschnürt wurden im Sinne von Teilprojekten neun «Arbeitspakete». Je nach Aufgabe arbeiten daran unterschiedlich zusammengesetzte Projektgruppen und Arbeitsgemeinschaften. Die Aufträge an diese Gruppen werden von der vierzehntäglich zusammentretenden Projektleitung2 vor- und nachbereitet und vernetzt. Regelmässig involviert sind ferner der Gemeinderat und die Konferenz der Abteilungsleitenden. überwacht wird das komplexe Entwicklungsprojekt durch eine siebenköpfige Projektsteuerung, der drei Mitglieder des Gemeinderats und zwei Mitglieder des Einwohnerrats angehören.1 Auf der parlamentarischen Ebene wird das Projekt seit Beginn von einer Spezialkommission begleitet: Die siebenköpfige Reformkommission (Foto S. 64) überprüft im Sinne einer «Validierungsinstanz» die in der PRIMA-Werkstatt erarbeiteten «Rohlinge» gleichsam auf ihre Politikfähigkeit. Zudem übernimmt sie - in Vorwegnahme der künftigen einwohnerrätlichen Arbeitsstrukturen - die Rolle einer vorberatenden Sachkommission, wenn Vorlagen des Gemeinderats zur Gemeindereform an den Einwohnerrat gehen. Dazu zählt etwa der Entwurf der neuen Gemeindeordnung.

Wichtigste Zielsetzung des Reformprojekts ist es, die politischen Behörden und die Verwaltung in die Lage zu versetzen, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Mit zeitgemässen Führungsstrukturen soll die Verwaltung konsequent auf ihre Aufgabe als modernes und flexibles Dienstleistungszentrum für die Bevölkerung ausgerichtet werden. Einwohnerrat und Gemeinderat klären ihrerseits ihre Kernaufgaben und regeln das politische Instrumentarium und ihre Funktionsweise in einer revidierten Gemeindeordnung neu. Abgestützt wird der Reformprozess auf die Erkenntnisse und Erfahrungen, die an vielen Orten aus dem Gedankengut des New Public Management (NPM) gewonnen worden sind. Entwickelt wird indessen eine für Riehen massgeschneiderte Lösung. Das Reformprojekt ist bewusst als Prozess konzipiert, den es immer wieder neu zu gestalten und aufeinander abzustimmen gilt, unter gleichwertigem Einbezug der drei involvierten Ebenen: Einwohnerrat, Gemeinderat und Verwaltung.

 

In der Vorlage des Gemeinderats vom Herbst 2000, aufgrund derer der Einwohnerrat am 25. Oktober 2000 ohne Gegenstimme die nötigen Mittel für den Start des Reformvorhabens bewilligt hatte, wurden die Eckpunkte wie folgt umschrieben:

 

1. Die Gemeindereform will die Führungsfähigkeit, oder besser: die Politikfähigkeit des Parlaments stärken. Der Einwohnerrat soll zukunftstaugliche Instrumente erhalten, um in einer immer komplexer werdenden Welt die politischen Vorgaben und Rahmenbedingungen debattieren, auf ihre Tauglichkeit überprüfen und festlegen zu können.

2. Die Gemeindereform will den Gestaltungsspielraum und die Entscheidungsfähigkeit der Exekutive verbessern. Der Gemeinderat soll aufgrund fundierter und gut vorbereiteter Informationen der Verwaltung planen, entscheiden und führen können. Der Gemeinderat ist die Führungscrew für die wichtigen Geschäfte, für die grossen Linien (strategische Führung). Die konkrete Umsetzung, das «Tagesgeschäft», überlässt er den dafür angestellten Fachleuten der Verwaltung.

 

3. Die Gemeindereform will bewirken, dass die Verwaltung mehr Verantwortung in der Aufgabenerfüllung, im Umgang mit knappen Ressourcen und damit für die Ergebnisse ihres Tuns und Lassens übernimmt. Dienstleistungsbereitschaft, Kundschaftsorientierung, Flexibilität und hohe Motivation des Personals sind ständige Ziele einer zeitgemässen Verwaltungsführung.

4. Für alle drei Ebenen gilt, dass das staatliche Handeln auf Wirksamkeit und Kostengünstigkeit ausgerichtet sein soll, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Qualität. Nie dürfen allerdings die längerfristigen Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt aus den Augen verloren werden. Und immer gilt es die staatspolitischen Grundlagen von Demokratie und Gesetzmässigkeit zu berücksichtigen. Ein rein betriebswirtschaftlicher Ansatz würde zu kurz greifen.

Was wird sich ändern?

Orientierung an den Zielen, an den anvisierten Ergebnissen: Diese Sichtweise soll sich wie ein roter Faden durch die künftige Gemeindestruktur ziehen. Neue Instrumente zur Steuerung der Kommunalpolitik und der von der Verwaltung erbrachten Leistungen sollen diese Sichtweise etablieren. Folgende Punkte sind vorgesehen:

 

1. Der Einwohnerrat wird in die Lage versetzt, die Bewilligung von Geldern für die Politikbereiche mit inhaltlichen Zielen und Vorgaben zu verbinden. Das Instrument dazu sind Leistungsaufträge. Voraussichtlich werden es zehn politische Geschäftsfelder sein («Produktgruppen»), zu denen der Einwohnerrat - in der Regel mehrjährige Leistungsaufträge mit Globalkredit nach einheitlicher Systematik beschliessen wird (vgl. Grafik). Die zeitliche Staffelung der entsprechenden Vorlagen erlaubt es dem Einwohnerrat, sich periodisch mit einem Politikbereich vertieft auseinander zu setzen. Zur Begleitung dieser Geschäftsfelder und zur Vorberatung der entsprechenden Vorlagen sollen einwohnerrätliche Sachkommissionen gebildet werden.

 

2. Sache des Gemeinderats ist es, für eine vorausschauende Planung besorgt zu sein. Auch hier wird ein neues Instrument geschaffen, welches Geld und Inhalt miteinander verbindet - in Form einer integrierten Aufgabenund Finanzplanung (Politikplan). Dieser Politikplan wird voraussichtlich auf vier Jahre ausgerichtet sein und im Sinne einer rollenden Planung jährlich angepasst werden. Das erste Jahr entspricht jeweils dem Budget für das nächste Jahr. Dem Gemeinderat kommt weiter die Aufgabe zu, die Leistungsaufträge vorzubereiten und vor allem auch umzusetzen: Er wird dies in Form von Leistungsvereinbarungen mit der Verwaltung (oder mit beauftragten Dritten wie etwa im Kulturbereich oder in der Gesundheitsversorgung) tun: Für jedes «Produkt» werden die im Leistungsauftrag vorgegebenen Ergebnisse näher definiert und die Leistungsvorgaben samt Kosten vereinbart.

3. Die Verwaltung wird zum einen mit der systematischen Planung und fachlichen Vorbereitung der politischen Entscheide befasst sein. Zum andern «produziert» sie die in den Leistungsvereinbarungen definierten Gemeindeleistungen. Mit einer klaren organisatorischen Zuordnung der Produktverantwortung und entsprechenden Kompetenzen innerhalb der Verwaltung sollen die Zuständigkeiten und Abläufe im Sinne der Ergebnisorientierung gefestigt werden. Wie die Verwaltung, wie die konkrete Arbeit organisiert ist, dies liegt in der Verantwortung der Verwaltungsleitung (Gemeindeverwalter und Abteilungsleitende).

4. Um das «Gemeindeschiff» entsprechend dieser neuen Philosophie steuern zu können, brauchen die Steuerleute die richtigen Informationen - stufengerecht auf allen drei Ebenen, nicht zu viel und nicht zu wenig. Ein differenziertes «Controlling» wird diese Informationen bereitstellen.

Neue Formen der Zusammenarbeit

Die Arbeit an den skizzierten neuen Steuerungsinstrumenten ist in vollem Gang: Bereits ab 2003 sollen die Strukturen und Abläufe soweit wie möglich nach neuem «Strickmuster» funktionieren. Dieses ehrgeizige Ziel kann nur erreicht werden, wenn anhand der Projektarbeit neue Formen der Zusammenarbeit erprobt werden, der Weg diesbezüglich also gleichzeitig auch das Ziel ist. Mit dem partizipativen Ansatz des Projekts, mit der breiten Kommunikation auf allen Ebenen - einschliesslich Bevölkerung - und dank der hohen Einsatzbereitschaft der Beteiligten hat dieser kulturelle Wandel bereits eingesetzt. So war etwa die Erarbeitung der neuen Gemeindeordnung ein Musterbeispiel für ein innovatives, höchst effizientes und befriedigendes Zusammenspiel zwischen Fachleuten der Verwaltung, Politikerinnen und Politikern sowie externem Berater. Die Aufbruchstimmung ist der Motor zur Veränderung. Wenn es gelingt, diese in den kommenden Monaten durchzutragen, wird Riehen in Bälde über modernste GemeindeStrukturen verfügen - im Interesse unserer Bevölkerung, aber auch der regionalen Politik.

 

Anmerkungen:1 Die Abkürzung steht für «Public Riehen Management», in neudeutscher Anlehnung an andere Projekte des New Public Management (NPM).

2 Die Projektleitung setzt sich wie folgt zusammen: Michael Raith, Gemeindepräsident; Fred Wenger, externer Berater; Beat Gutzwiller, Abteilungsleiter; Georges Tomaschett, Abteilungsleiter; Ruth Piccinini, Projektassistenz; Andreas Schuppli, Projektleiter (Vorsitz).

3 Die Projektsteuerung setzt sich wie folgt zusammen: Michael Raith, Gemeindepräsident (Vorsitz); Christoph Bürgenmeier, Gemeinderat; Niggi Tamm, Gemeinderat; Liselotte Dick-Briner, Einwohnerrätin (Reformkommission); Matthias Schmutz, Einwohnerrat (Reformkommission); Fred Wenger, externer Berater; Andreas Schuppli, Projektleiter.

4 Vorlage Nr. 751 vom Oktober 2000.

 

Bevölkerungsbefragung im Rahmen der Gemeindereform

Fragen zur Verbundenheit mit Riehen, zum Lebensumfeld, zu den von der Gemeinde erbrachten Dienstleistungen, zur Ausgabenpolitik, zu den politischen Behörden, zur Gemeindeverwaltung und zur Zukunft der Gemeinde - das waren die Themen eines Fragebogens, der im Juni 2001 durch die Gemeinde versandt wurde. Ausgewählt wurden aus der gesamten Riehener Bevölkerung 5000 Einwohnerinnen und Einwohner über 16 Jahre, unterteilt auf drei Wohngebiete. Konzipiert wurde die anonym durchgeführte Befragung durch die Projektleitung des Gemeindereform-Projektes PRIMA, in enger Zusammenarbeit mit dem Berner Universitätsinstitut für Organisation und Personal (IOP). Das IOP verfügt über grosse wissenschaftliche und praktische Erfahrungen im Bereich der Gemeindereformen in der Schweiz.

Bereits Ende September präsentierte das IOP anlässlich einer öffentlichen Informationsveranstaltung seine Auswertung. Mit einer Rücklaufquote von fast 50 Prozent war die Beteiligung hoch. Das Echo auf die erstmals in dieser Breite durchgeführte Befragung war fast durchwegs positiv. Die Meinungsumfrage zeigt auf, dass die Bevölkerung insgesamt in hohem Mass zufrieden ist mit den Lebensbedingungen in Riehen. Das Dienstleistungsangebot der Gemeinde wird geschätzt, Ausgabenpolitik und Steuerniveau werden grossmehrheitlich als angemessen beurteilt. Rund zwei Drittel der Bevölkerung attestieren dem Gemeinderat und dem Einwohnerrat eine gute oder doch genügende Vertretung ihrer Interessen. Etwa in gleichem Ausmass wird der Gemeindeverwaltung Kundenfreundlichkeit bescheinigt. Das politische Klima wird überwiegend als konstruktiv erlebt.

In einzelnen Punkten zeigte oder bestätigte sich aber auch Handlungsbedarf. Stichworte sind hier etwa die Verkehrsprobleme, die Ausgehmöglichkeiten im Dorf bzw. im Quartier oder die Riehener Badi. Hausaufgaben zu erledigen haben Gemeinderat und Gemeindeverwaltung auch im Bereich der Kommunikation: Der Prozentsatz der «weiss nicht»-Antworten, aber auch der Anteil jener Einwohnerinnen und Einwohner, die sich mit ihren Anliegen nicht vollumfänglich ernst genommen fühlen, ist nicht unerheblich. Bemerkenswert ist die hohe Identifikation der Bevölkerung mit ihrer Wohngemeinde. Von besonderem Gewicht ist für eine grosse Mehrheit der Riehener Bevölkerung dabei die politische Eigenständigkeit der Gemeinde, ohne indessen die Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit zu verkennen.

Noch wenig bekannt war im Juni 2001 das Gemeindereform-Projekt PRIMA. Von einer Gemeindereform erwartet ein Grossteil der Bevölkerung ein stärkeres Kostenbewusstsein und Offenheit gegenüber Neuerungen.

Gemeinderat und Verwaltung werden im Rahmen der laufenden Gemeindereform, aber auch im Zuge der verschiedenen Projekte im Bereich der Ortsentwicklung (Projekt «Julia» und Richtplanung) auf die einzelnen Ergebnisse dieser Bevölkerungsbefragung zurückgreifen und nach Verbesserungen suchen. Mit welchem Effekt dies lässt sich mit einer Wiederholung der Befragung in einigen Jahren messen.

Der Auswertungsbericht zur Bevölkerungsbefragung und weitere Informationen zur Gemeindereform finden sich auf der Website der Gemeinde Riehen unter www.riehen.ch

 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2001

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