Eine fast unendliche Geschichte
Dieter Wüthrich
Mit der feierlichen Einweihung des neuen Platzes «Im Singeisenhof» während des Riehener Dorffestes hat ein ehrgeiziges und bisweilen heftig umstrittenes städtebauliches Projekt seinen Abschluss gefunden.
Um sich einen geschichtlichen überblick über die städtebauliche Entwicklung des Gevierts zwischen Rössligasse, Baselstrasse und Sarasinpark zu verschaffen, die mit der Einweihung des Singeisenhofes im September dieses Jahres ihren (vorläufigen) Abschluss gefunden hat, muss man in den Annalen der Riehener Dorfgeschichte weit zurückblättern.
Vom Bauernhof...
Bis Anfang des letzten Jahrhunderts stand zwischen dem damals noch offen dahinfliessenden Aubach und der Gartengasse ein stattlicher Bauernhof. Im 15. Jahrhundert aus der Zusammenlegung zweier Parzellen entstanden, gelangte dieser Hof um 1682 durch Heirat in den Besitz der Familie Singeisen. Der heutige Name «Im Singeisenhof» erinnert an diese aus einem alten Liestaler Schultheissengeschlecht stammende Familie.
...zum Werkhof
Im Dezember 1926 - nach mehreren Handänderungen beschlossen die Gemeindeväter, das zum Verkauf stehende Grundstück zu erwerben und als Werkhof einzurichten. Zu diesem Zweck wurden die ökonomiegebäude abgebrochen, im angrenzenden Wohnhaus fünf Wohnungen eingerichtet und die Wagenremise als Geräte- und Maschinenschuppen genutzt. Im Laufe der Zeit gelangten auch die angrenzenden Parzellen in öffentlichen Besitz und dienten in der Folge als Abstellplatz für den stetig wachsenden Fuhrpark der Gemeinde. Gleichwohl wurde der vorhandene Platz bald zu eng und deshalb beschloss der Gemeinderat im Jahre 1944 den Bau eines grösseren Werkhofgebäudes.
Dieses konnte im Februar 1946 seiner Bestimmung übergeben werden. Mit der stetigen Zunahme der Bevölkerung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gestalteten sich die Aufgaben der öffentlichen Dienste der Gemeinde Riehen zusehends umfangreicher und anspruchsvoller. Dementsprechend wuchs der Bedarf an dafür geeigneten Fahrzeugen und Maschinen. So wurden zwischen 1956 und 1970 nicht weniger als 17 neue Motorfahrzeuge, darunter zwei Kehrichtwagen und zwei schwere Lastwagen, in Dienst gestellt. Dazu kamen noch 52 Arbeitsmaschinen und 27 Anhänger für Strassenfahrzeuge.
1958 befasste sich der Gemeinderat wiederum mit der Frage eines Neubaus. Zunächst wurde dabei an den bisherigen Standort an der Gartengasse gedacht, zumal man das bereits vorhandene Areal in der Zwischenzeit durch den Zukauf angrenzender Parzellen hatte erweitern können. Es zeigte sich jedoch sehr bald, dass ein solcher Neubau sowohl aus Platzgründen wie auch wegen des Standortes nicht in Frage kam. Nach langwierigen Projektierungsarbeiten bewilligte der Weitere Gemeinderat (heute Einwohnerrat) im Juni 1971 einen Baukredit von über 10 Millionen Franken für einen neuen Werkhof am Haselrain 65.
Beginn eines langen Provisoriums
Mit der Inbetriebnahme des neuen Werkhofes im Jahre 1976 stellte sich die Frage nach der künftigen Nutzung des frei gewordenen Areals. Nachdem die Riehener Stimmberechtigten im Januar 1974 den Bau eines unterirdischen Parkings an der Bahnhofstrasse nach einem nicht eben zimperlich geführten Abstimmungskampf knapp abgelehnt hatten, wurde das ehemalige Werkhofgelände als Alternative für eine solche Tiefgarage geprüft. Allerdings zerschlugen sich diese Ideen bald darauf wieder. Schliesslich wurde das Gelände - als Folge der Einrichtung einer Fussgängerzone im Webergässchen und der dort verloren gegangenen Parkplätze - zu einem wenn auch nur überirdischen Parkplatz umgestaltet. Es sollte der Anfang eines zwanzig Jahre dauernden Provisoriums sein...
Blütezeit für Planer
Und es brach eine Blütezeit für Städte- und Siedlungsplaner an. 1980 brachte der Gemeinderat unter dem Titel «Gesamtplanung Gartengasse» erstmals eine umfangreiche Vorlage über die Neugestaltung des Gebietes zwischen Rössligasse, Inzlingerstrasse und Baselstrasse vor das Gemeindeparlament. Das Geschäft umfasste nebst der Durchführung eines Ideenwettbewerbes für 220 000 Franken fünf weitere Kreditbegehren für den Wiederaufbau der Liegenschaft Rössligasse 73 als Hauptstützpunkt der Gemeindegärtnerei, für die Restaurierung des LeGrand-Hauses samt ökonomiegebäuden (Rössligasse 67), für das Werthemann-Staehelinsche Landgut (Baselstrasse 88) sowie für die Sanierung des Weihers im Sarasinpark. Gesamtumfang des Kreditpaketes: 6,645 Millionen Franken. Das Parlament bewilligte jedoch nur die Kredite für die ökonomiegebäude (Rössligasse 67) und für die Liegenschaft Rössligasse 73 sowie für die Sanierung des Weihers.
Die Kredite für den Ideenwettbewerb, für das Werthemann-Staehelinsche Landgut und die Renovation des Le-Grand-Hauses wurden an eine Kommission überwiesen. Diese legte ihren Schlussbericht ein Jahr später, im Oktober 1981, dem Weiteren Gemeinderat vor. Dieser bewilligte zwar den im Jahr zuvor zurückgewiesenen Sanierungskredit für das Le-Grand-Haus, wollte jedoch vor der Durchführung des vom Gemeinderat vorgeschlagenen Ideenwettbewerbes noch einmal die Möglichkeit einer Tiefgarage im Planungsgebiet geprüft haben. Danach herrschte in Sachen «Gesamtplanung Gartengasse» zumindest nach aussen hin während weiterer fünf Jahre Funkstille.
Ein neuer Anlauf Man schrieb den 25. Juni 1986, als der Weitere Gemeinderat sich erneut mit dem gemeinderätlichen Vorschlag für einen Ideenwettbewerb zu befassen hatte. Und diesmal gab das Gemeindeparlament einstimmig sein Placet zum entsprechenden Kreditbegehren von 230 000 Franken. Streitpunkt bildete in der Debatte allerdings ein weiteres Mal die Möglichkeit zum Bau einer Tiefgarage, wobei sich die bürgerlichen Parteien für ein solches Parking, die SP und die damals noch existente POB dagegen aussprachen.
25 Entwürfe und ein Sieger
Das Interesse von Architekten und Planern an der Gestaltung des für Wohn- und Gewerbezwecke attraktiven Areals war gross. Nicht weniger als 54 Interessenten verlangten die Unterlagen für den Mitte Oktober 1986 ausgeschriebenen Planungswettbewerb. Bis zum Eingabetermin im Februar 1987 wurden 25 Entwürfe eingereicht. Die Jury nahm sieben Projekte in die engere Wahl auf. Aus der Schlussrunde ging das Projekt der Architektengemeinschaft «Metron AG» als Sieger hervor, wobei auch der zweit- und der drittplatzierte Vorschlag zur Weiterbearbeitung empfohlen wurden. Den von der Jury und vom Gemeinderat gemachten Auflagen - unter anderem, im Sinne einer Machbarkeitsstudie, die Integration einer Sporthalle - wurde nur das ursprünglich im zweiten Rang klassierte Projekt «Sol le Witt» des Basler Architekten Edouard Lüdi gerecht.
Uberbauung in Etappen
In Edouard Lüdis Projekt war zumindest ansatzweise die heutige Gestaltung des Singeisenhofes und seiner Randbebauung deutlich ablesbar. So schlug er unter anderem die später vollzogene Erhaltung und Renovation der Liegenschaft Rössligasse 19 als markanten Abschluss des Planungsperimeters vor. Dahinter sollte eine kleine, intime «Piazza» als öffentlicher Begegnungsraum entstehen. Bis dafür die entsprechenden Schritte eingeleitet werden konnten, sollte es allerdings weitere neun Jahre dauern, in denen das Gartengasse-Areal weiterhin als Parkplatz diente.
Erst 1995 wurde der Gemeinderat bei seiner Suche nach einem Investor, der die Parzelle des ehemaligen Werkhofareals im Baurecht und auf der Grundlage von Edouard Lüdis Projekt zu überbauen bereit war, fündig. Im Juni des gleichen Jahres hiess der Einwohnerrat den zwischen dem Gemeinderat und der «Stagrimus AG» ausgehandelten Baurechtsvertrag gut. Die erste Etappe zur überbauung des gesamten Areals konnte damit in Angriff genommen werden.
Baubeginn mit Verzögerung
Bis zum ersten Spatenstich unter der Regie des Basler Architekturbüros Berger+Toffol sollte aber doch noch einiges Wasser den Aubach hinunterfliessen. Zwar wurde die Baubewilligung im Dezember 1996 erteilt, aber erst am 23. Juli 1997 fuhren an der Gartengasse nach einer zweimaligen Verschiebung des Baubeginns die Bagger auf. Nach zweijähriger Bauzeit konnten im April 1999 zunächst das 180 Plätze umfassende Parkhaus eröffnet und Anfang September des gleichen Jahres auch die Obergeschosse mit 21 Wohnungen und drei Ladengeschäften bezogen werden. Gleichzeitig mit der überbauung der «Stagrimus AG» entstand nebenan auf einer in Privatbesitz stehenden Parzelle am Bachgässchen ein zweites Wohn- und Geschäftshaus, bei dem Rolf Briiderlin als Architekt verantwortlich zeichnete. Nach dem Aufrichtefest im August 1998 konnte auch dieses Gebäude im Frühjahr 1999 seiner Bestimmung übergeben werden.
Neubauten als Dorfpolitikum
Parallel zu den von privater Hand realisierten Bauten auf dem Areal hatte der Gemeinderat im Frühjahr 1997 bei drei renommierten Basler Architekturbüros eine Studie zur Gestaltung des östlichen Abschlusses des GartengasseAreals, dem eigentlichen «Singeisenhof», in Auftrag gegeben. Im Juni 1997 empfahl eine siebenköpfige Jury das Nutzungsprojekt der Architektengemeinschaft Morger 8t Degelo einstimmig zur Weiterbearbeitung.
Deren Projekt sah im Wesentlichen den Bau von zwei einfachen, freistehenden und zwischen der «Stagrimus»überbauung und der gemeindeeigenen Liegenschaft Rössligasse 33/35 situierten dreistöckigen Wohn- und Geschäftshäusern vor. In Analogie zu bestehenden Vorbildern im Dorfzentrum sollten die beiden Neubauten mit je einer Mauer umfasst werden.
Der Meinung der Expertenjury schloss sich in der Folge auch der Gemeinderat an, wobei ursprünglich davon ausgegangen wurde, dass die beiden gemeindeeigenen Neubauten gleichzeitig mit der «Stagrimus»-überbauung fertiggestellt werden könnten. Vorgesehen war weiter, dass die beiden Häuser als neuer Standort für das Riehener Fürsorgeamt und des Spitexzentrums Riehen-Dorf dienen sollten.
Im Oktober des gleichen Jahres bewilligte der Einwohnerrat schliesslich den notwendigen Projektierungskredit. Allerdings äusserten bereits damals nicht wenige Parlamentsmitglieder Vorbehalte gegen verschiedene architektonische Details, insbesondere gegen die beiden vorgesehenen Mauern, an. Auch als es im November 1998 darum ging, den vom Gemeinderat beantragten Ausführungskredit von 5,5 Millionen Franken für die Gestaltung des Platzes «Im Singeisenhof» und die beiden Neubauten zu bewilligen, bildeten die heftig umstrittenen Umfriedungsmauern im Einwohnerrat die eigentliche «pièce de résistance». Gestritten wurde anlässlich jener Debatte zudem über die von einigen Parteien als zu hoch empfundenen Baukosten. Als Gegenargument wurde weiter ins Feld geführt, dass es - nach dem inzwischen Tatsache gewordenen Verzicht des Fürsorgeamtes und der Spitexdienste auf den neuen Standort - nicht Aufgabe der öffentlichen Hand sei, Wohn- und Geschäftsräume für private Interessenten zu erstellen.
Schliesslich wurde aber ein Antrag, auf den Bau der beiden Mauern zu verzichten, klar abgelehnt. Hingegen kürzte das Gemeindeparlament den Kredit für die Randbebauung um 400 000 Franken. Am Ende wurde das um diesen Betrag «abgespeckte» Geschäft klar gutgeheissen.
Der Kanton legt sich quer
Im Gegensatz zu den beiden von privaten Investoren geplanten und zügig ihrer Vollendung entgegengehenden Bauten auf dem Gartengasse-Areal sollte sich die Realisierung des neuen Platzes und seiner östlichen Randbebauung in der Folge um fast zwei Jahre verzögern. Grund dafür war zum einen die Weigerung des damals noch für die kommunale Zonenplanung zuständigen Kantons, die vom Gemeinderat beantragte Ausnahmebewilligung für einen vorzeitigen Baubeginn zu erteilen. Der Regierungsrat argumentierte unter anderem damit, dass die beiden gemeindeeigenen Neubauten in erheblichem Masse der damals aktuellen Nutzungsordnung widersprechen würden und deshalb auch nicht ausnahmsweise bewilligt werden könnten. Zum anderen waren anlässlich der öffentlichen Planauflage mehrere Einsprachen von privater Seite gegen das Projekt eingegangen. Erst im Mai 2000 genehmigte der Grosse Rat die speziellen Bauvorschriften und die damit verbundene Zonenänderung. Die eigentliche Baubewilligung wurde vom kantonalen Bauinspektorat am 10. Juli 2000 erteilt und im August 2000 konnte der Spatenstich für die Randbebauung erfolgen. Die Vollendung des Rohbaus wurde am 30. November 2000 mit dem traditionellen Aufrichtefest gefeiert.
Ein Sturm der Entrüstung
Je klarer das Erscheinungsbild der beiden Neubauten erkennbar wurde, desto stärker erhob sich in der Bevölkerung, insbesondere bei der Anwohnerschaft, ein Sturm der Entrüstung gegen die Verschandelung des Dorfkerns. Zahlreiche Leserbriefe in der «Riehener-Zeitung» zeugten vom öffentlichen Unbehagen. Angesichts der negativen Reaktionen sah sich der Gemeinderat zu einem öffentlichen Hearing veranlasst. Die Kritik indessen hielt sich hartnäckig.
Projekt «Julia» als letztes Mosaiksteinchen Fast unbeachtet in diesem Architekturstreit begannen im April dieses Jahres die Bauarbeiten zur Gestaltung des neuen Platzes «Im Singeisenhof». Und im vergangenen Juni konnten in den beiden Neubauten die ersten Mieter einziehen. Zwischen den ersten Ideen für die städtebauliche Entwicklung des Areals Gartengasse und der feierlichen Einweihung des neuen Platzes «Im Singeisenhof» und seiner Randbebauung sind nunmehr über zwanzig Jahre vergangen. Damit ist der Wandel im Riehener Dorfzentrum aber noch nicht abgeschlossen. Erst wenn dereinst das Projekt «Julia» für ein «Lebendiges Dorfzentrum Riehen» realisiert ist, wird man sagen können: Es ist vollbracht!