Eine Verbindung scheidet die Geister

Dieter Wüthrich

Nicht zum ersten Mal war die geplante Zollfreistrasse in den vergangenen zwölf Monaten eines der bestimmenden Diskussions- und Streitthemen in der politisch interessierten Riehener öffentlichkeit. Und ein Ende des Disputs ist noch nicht abzusehen.

Strassen verbinden. Sie lassen Menschen miteinander in Kontakt treten, die sich sonst vielleicht nie kennen und verstehen lernen würden. Rein geografisch betrachtet mag dies richtig sein. Strassen können aber auch trennen. Und dies nicht nur geografisch, sondern auch und vor allem in der Kommunikation zwischen Menschen. An Strassen entzünden sich weltanschauliche Konflikte, akzentuieren sich ökonomische und insbesondere ökologische Fragen zum Umgang des Menschen mit seiner Umwelt.

Die geplante Zollfreistrasse soll dereinst ebenfalls zwei Städte miteinander verbinden - Lörrach und Weil am Rhein. Was uns hier in der Schweiz eigentlich nicht gross zu kümmern bräuchte, wenn die Strasse nicht über schweizerisches Hoheitsgebiet führen würde. Die Planung sieht indessen genau dies vor. Weil durch die Strasse zudem ein ökologisch empfindliches Stück Natur an der Wiese zerschnitten und ein als letztes Refügium für eine Vielzahl seltener Tier- und Pflanzenarten einzigartiger Landstrich von der unwiederbringlichen Zerstörung bedroht ist, scheiden sich die Geister über den verkehrstechnischen Sinn beziehungsweise den ökologischen Unsinn der Strasse, stehen sich Befürworter und Gegner des Projektes seit Jahrzehnten unversöhnlich gegenüber. Während sich die einen nach der Fertigstellung der Strasse vor allem eine Entlastung der Riehener Hauptverkehrsachse erhoffen, befürchten die anderen - nebst der bereits erwähnten Sorge um den drohenden Verlust der Auenlandschaft am Wieseufer - genau den gegenteiligen Effekt: Neue Strassen «produzieren» zusätzlichen Verkehr und die eigentlich erwünschte entlastende Wirkung wird innert weniger Jahre zunichte gemacht.

Drei Jahrzehnte alte Pläne

Nur in einem Punkt sind sich Befürworter und Gegner erstaunlicherweise weit gehend einig: Würde man die rund drei Jahrzehnte alte Planung der Strasse nochmals ein den heutigen ökologischen und ökonomischen Massstäben entsprechendes Genehmigungsverfahren durchlaufen lassen, dann hätte das Projekt keine Realisierungschancen mehr. Trotzdem drängen die bundesdeutsche Regierung und vor allem die Behörden von Lörrach und Weil am Rhein stärker denn je darauf, dass auch das letzte, über Schweizer Gebiet führende Teilstück der ansonsten bereits weit gehend fertig gestellten Zollfreistrasse gebaut wird. Sie berufen sich dabei auf den 1852 zwischen der Eidgenossenschaft und dem damaligen Grossherzogtum Baden geschlossenen Staatsvertrag über eine Verbindungsstrasse zwischen Weil am Rhein und Lörrach über Schweizer Gebiet. Dieser erste Vertrag wurde durch einen 1977 abgeschlossenen und 1980 in Kraft getretenen neuen Staatsvertrag zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland ersetzt. Dass dieser Vertrag gemäss der lateinischen Losung «Pacta sunt servanda» unbedingt eingehalten werden müsse und deshalb dem Bau der Zollfreistrasse nichts mehr entgegenstehen dürfe, hat das Bundesgericht bereits in einem im August 1996 ergangenen Urteil unmissverständlich bestimmt.

Besagter Staatsvertrag hält aber auch fest, dass im Falle von änderungen von wesentlichen ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen ein oder beide Vertragspartner Neuverhandlungen über die Zollfreistrasse verlangen können. Und genau dieser Passus im Staatsvertrag ist es in erster Linie, der den Widerstand gegen die Zollfreistrasse und die Hoffnung, dass deren Bau doch noch verhindert werden kann, seit Jahren am Leben erhält. Denn nach Ansicht der Gegner sind die heutigen Rahmenbedingungen komplett anders als bei der Planung der Strasse Mitte der 70er-Jahre.

Höhen und Tiefen

Der Widerstand gegen die Zollfreistrasse hat in den vergangenen Jahren manche Höhen und Tiefen erlebt. Mal war er heftig und begleitet von lautstarken Kundgebungen, mal war er in der Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar. Gegenüber den 80er- und 90er-Jahren, als eine Mehrheit in Gemeindeund Einwohnerrat den Bau der Strasse ablehnte - zahlreiche politische Vorstösse aus diesen Jahren zeugen davon -, herrscht heute wohl bei vielen lokalpolitischen Entscheidungsträgern die Meinung vor: Wenn die Strasse schon gebaut werden muss, dann soll sie uns wenigstens den grösstmöglichen Nutzen sprich eine deutlich spürbare Entlastung vom Durchgangsverkehr bringen.

Umso unverzagter kämpfen dafür zahlreiche Umweltverbände wie etwa «Pro Natura» und «Regio ohne Zollfreistrasse (RoZ)», Parteien des links-grünen Spektrums und zahlreiche Privatpersonen gegen den Bau der Strasse. Zusätzliche Nahrung erhielt die nun schon wieder seit über einem Jahr wogende Protestwelle von einer Diplomarbeit an der Fachhochschule beider Basel (FHBB), die für die Strasse eine neue, umweltverträglichere Linienführung vorschlug. Die Gegner der geplanten Strasse erhielten weiter Munition durch die alles andere als rosige Finanzlage des Landes Baden-Württemberg und der Bundesrepublik Deutschland. Schon einmal, im Jahre 1996, hatte das baden-württembergische Regierungspräsidium aufgrund der aus dem Lot geratenen öffentlichen Haushalte einen Investitionsstopp für das auf Riehener Boden geplante Teilstück der Zollfreistrasse verfügt. Und da sich die Finanzsituation der deutschen Nachbarn seither nicht verbessert, sondern im Gegenteil eher noch weiter verschlechtert hat, droht aus Sicht der Gegnerschaft, dass die einmal begonnenen Bauarbeiten aus Geldmangel eingestellt werden und so das Teilstück mit der Brücke über die Wiese zur Bauruine verkommen könnte. Die deutschen Behörden versicherten indessen immer wieder, dass die nötigen Mittel zum Bau auch des letzten Teilstücks der Zollfreistrasse bereitstünden. Weil auch die Rechtslage klar und das Bewilligungsverfahren weit gehend abgeschlossen waren, schienen die Argumente des Widerstandes gegen die Zollfreistrasse längere Zeit nicht mehr viel mehr als ein letztes Rückzugsgefecht vor dem Baubeginn.

Der Mann und die Strasse

Doch dann trat plötzlich jener Mann auf den Plan, der in den nachfolgenden Monaten gewissermassen zur Gallionsfigur der wieder erstarkenden Widerstandsbewegung gegen die Zollfreistrasse avancieren sollte: Martin Vosseier. Im Januar 2004 liess sich der Basler Arzt und Umweltaktivist mit einem Zelt auf dem künftigen Baugelände oberhalb des Riehener Schwimmbades nieder. Um seinem Widerstand gegen die Zollfreistrasse politische und publizistische Nachachtung zu verschaffen, trat er in einen unbefristeten Hungerstreik. Er selbst nannte es eine Fastenaktion. Mit seiner Protestaktion gab Martin Vosseier die Initialzündung zur bisher letzten Runde des Widerstandes gegen die Zollfreistrasse. Nicht nur schlössen sich ihm viele Gleichgesinnte an, sodass das vorgesehene Baugelände zeitweilig zu einer «Miniaturausgabe» der legendären Besetzung des Baugeländes des geplanten Kernkraftwerkes Kaiseraugst Ende der 70er-Jahre wurde. Auch der baselstädtische Regierungsrat wurde wieder aktiv. In einem Gespräch mit dem eidgenössischen Verkehrsminister, Bundesrat Moritz Leuenberger, drängten Baudirektorin Barbara Schneider und Justizdirektor Hans Martin Tschudi auf die Aufnahme von Neuverhandlungen mit den deutschen Behörden für eine alternative Linienführung oder gar einen gänzlichen Verzicht auf den Bau der Zollfreistrasse. Moritz Leuenberger teilte zwar die Bedenken der baselstädtischen Regierungsdelegation hinsichtlich der Umweltverträglichkeit und der ökologischen Folgen des Strassenbaus; er betonte allerdings auch, dass alle Rechtsmittel ausgeschöpft seien und der Staatsvertrag den Kanton dazu verpflichte, das Gelände für den Bau der Strasse zur Verfügung zu stellen. Und er wies darauf hin, dass der Bundesrat allfällige, aus einer Verzögerung des Baubeginns entstehende Schadenersatzforderungen an den Kanton weiterleiten werde.

Keine Neuverhandlungen

Gleichwohl berief er die so genannte gemischte Kommission mit Vertretern beider Länder zu einer Sitzung am 7. April 2004 ein. Diese Kommission hat laut Staatsvertrag die Aufgabe, im Falle von Schwierigkeiten bei dessen Umsetzung nach einer einvernehmlichen Lösung zwischen beiden Vertragspartnern zu suchen. Nach zwei Sitzungen gab die Kommission ihre Empfehlung ab: Keine Neuverhandlungen über die Zollfreistrasse. Angesichts dieses Verdikts sah der Regierungsrat seine staatsrechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung der Strasse beziehungsweise für eine verbesserte Linienführung ausgeschöpft, zumal die deutsche Seite während allen Verhandlungen zu keinerlei Zugeständnissen zu bewegen gewesen war. Immerhin veranlasste der Regierungsrat, dass der ursprünglich «definitiv» für Februar 2004 vorgesehene Baubeginn ein weiteres Mal verschoben wurde - im Interesse der auf dem Baugelände nistenden Vögel bis zum Ende der Brutzeit im Herbst 2004.

 

Die Gegnerschaft der Zollfreistrasse ihrerseits nutzte den ein weiteres Mal gewährten Aufschub der Baumfällungen dazu, um auf verschiedenen Ebenen und in letzter Minute doch noch einen Verzicht auf das ungeliebte Projekt erwirken zu können. So wurden verschiedene Rechtsgutachten erstellt und eine neue Volksinitiative und eine Petition lanciert und im August bei der Basler Staatskanzlei mit über 6000 Unterschriften eingereicht. Dies, nachdem eine erste Initiative bei der rechtlichen Vorprüfung von der baselstädtischen Staatskanzlei als ungültig taxiert worden war. Gegen diesen Entscheid hatten die Initianten zwar Rekurs eingelegt, der vom baselstädtischen Verwaltungsgericht auch gutgeheissen wurde. Trotzdem verzichteten sie zu Gunsten der im August eingereichten zweiten Initiative darauf, ihr vom Gericht als rechtmässig eingestuftes Volksbegehren nachträglich noch einmal aufzugreifen.

Wann genau und ob überhaupt noch in diesem Jahr an der Wiese die Baumaschinen auffahren können, oder ob die Gegnerschaft einen nochmaligen Aufschub der Bauarbeiten oder gar einen Verzicht auf die Zollfreistrasse oder zumindest eine neue Linienführung erwirken kann, war Mitte August 2004, als dieser Jahrbuchbeitrag verfasst wurde, noch nicht absehbar. Nach den Entwicklungen der letzten zwölf Monate scheint der Baubeginn zwar tatsächlich nur noch eine Frage von wenigen Wochen zu sein, aber in den letzten drei Jahrzehnten hatte es schon manches Mal danach ausgesehen. Und die Zollfreistrasse steht immer noch nicht ...

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2004

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