Ideenwettbewerb Gartengasse
Gerhard Kaufmann
Im Laufe der siebziger Jahre ist im Gebiet zwischen Rössligasse und Inzlingerstrasse einiges in Bewegung geraten: Die von Kanton und Gemeinde entwickelten Pläne für einen Spitalneubau im Sarasinpark sind fallengelassen und endgültig begraben worden, in der Folge wurde die Gemeinde alleinige Eigentümerin des Sarasinparks; der Gemeindewerkhof an der Gartengasse konnte in einen am Haselrain gelegenen Neubau disloziert werden, das freigewordene Areal wurde - nach negativ verlaufener Abstimmung über eine unterirdische Einstellhalle an der Bahnhofstrasse - als Parkplatzprovisorium hergerichtet; die Betreiber des Landwirtschaftsbetriebes an der Rössligasse 19 gaben ihre Absicht bekannt, ihren Betrieb aufzugeben und das Anwesen zu veräussern; die Basler Denkmalpflege begann, sich für die noch vorhandenen baulichen Zeugen des einstigen Bauerndorfes Riehen zu interessieren.
In dieser sich aus dem Zusammentreffen verschiedener Nutzungs- und Besitzesumlagerungen ergebenden Konstellation erblickte der Gemeinderat eine Chance, das unmittelbar an den Dorf kern anschliessende Gebiet einer umfassenden Neugestaltung zu unterziehen und damit die Voraussetzungen für dessen Neubelebung zu schaffen. In dieser Absicht ist für das fragliche Gebiet ein Ideenwettbewerb eröffnet worden.
In der Zeit vom 30. März bis 16. April 1987 waren im Gemeindehaus die 25 zum Ideenwettbewerb Gartengasse eingereichten Projekte öffentlich ausgestellt. Nachfolgend sollen die vom Preisgericht mit dem 1. und 2. Preis bedachten Entwürfe kurz vorgestellt werden.
Grundsätzliches
Bei der Lösung der Wettbewerbsaufgabe hatten die Teilnehmer zu entscheiden, ob für das neu zu überbauende Gebiet die in der unmittelbaren Umgebung vorherrschenden Bauformen und Strukturen zu adaptieren seien, oder ob nicht viel eher neue und eigenständige, der heutigen Architekturauffassung entsprechende Lösungen in Vorschlag gebracht werden sollten, alles selbstverständlich unter Wahrung des gegebenen Massstabes und unter Einhaltung aller übrigen Randbedingungen, wie z.B. weitgehende Verkehrsfreiheit innerhalb des zur Neuüberbauung vorgesehenen Gebietes. Die Wettbewerbsjury hat die Frage: Anpassung ja oder nein? bewusst offengelassen, entsprechend vielseitig waren die eingereichten Lösungsvorschläge.
An ein bestehendes, historisch gewachsenes Ortszentrum neues Bauvolumen anzufügen ist eine zugleich anspruchsvolle wie reizvolle Aufgabe. Ein derartiges Vorhaben kann denn auch des öffentlichen Interesses gewiss sein, denn intakte Altstädte und unverfälschte Ortskerne gelten heute als Attraktionen ersten Ranges. Mit nostalgischer Wehmut, verbunden mit einem lautstarken Vorwurf an die heutigen Städteplaner, wird z.B. die wie aus einem Guss geschaffene Berner Altstadt verglichen mit den chaotisch ins Land hinaus wuchernden Wohn- und Industrieansiedlungen unserer Tage. Bei dieser Sicht der Dinge wird gern ausser acht gelassen, dass die meisten der uns als homogen erscheinenden Stadt-Schöpfungen nicht in einem Zuge, sondern oft in mehreren Wachstumsschüben entstanden sind.
Erinnert sei, dass das mittelalterliche Basel sich vom 14. Jahrhundert an über seine damaligen Stadtmauern hinaus erweitert und sich gleichsam einen neuen Wachstumsring zugelegt hat. Es entstanden so nach und nach die verschiedenen Vorstädte, eine der schönsten dieser Schöpfungen, die Aeschenvorstadt, ist im 20. Jahrhundert zerstört worden, ein noch weitgehend intaktes Ensemble weisen die St. Johann- und die St. Albanvorstadt auf.
Eine andere Art der Stadterweiterung und Stadtumformung hat im 19. Jahrhundert zur Zeit Napoleon III. der französische Städtebauer Baron Haussmann betrieben, indem er in die noch weitgehend vom Mittelalter geprägte Pariser Stadtstruktur gewaltige Schneisen schlug, die unter dem Begriff «Grand-Boulevards» ringförmig angelegten Avenuen, ein an und für sich brutaler Vorgang, den wir aber heute als grossartige städtebauliche Leistung zu bewundern gewohnt sind.
Ähnliche Probleme des Anfügens beziehungsweise des Umformens - wenn auch in einem viel bescheideneren Umfang - haben sich den Projektverfassern des Ideenwettbewerbes Gartengasse gestellt. Bei den im 1. und 2. Rang plazierten Projekten lassen sich Parallelen zu den vorstehend skizzierten Methoden der Stadterweiterung und der Stadterneuerung erkennen.
Bemerkenswert ist, dass fast alle Projektverfasser dem Bauernhaus Schweizer als nördlicher Abschluss des Webergässchens einen hohen Stellenwert zuerkannt und Lösungen vorgeschlagen haben, die diesem markanten Gebäude seinen Weiterbestand ermöglichen. Dieses der Riehener Bevölkerung vertraute Dreisässenhaus wird uns also erhalten bleiben, es markiert den Abschluss der bestehenden Bebauung und bildet gleichzeitig den Auftakt zur vorgeschlagenen Neuüberbauung.
Projekt «27. Februar»
Projektverfasser: METRON Planungs AG, Windisch,
Bearbeiter: Felix Kuhn und Meinrad Morger
Dieses Projekt zeichnet sich aus durch eine grosse Subtilität in der Formung und in der Verteilung der Baumassen. Als Rückgrat der geplanten Neuüberbauung dient die Gartengasse in ihrer heutigen Lage. Die südlich der Gartengasse vorgesehene sehr dichte überbauung wird begrenzt durch das Bachgässchen, das wie in früheren Zeiten vom offen fliessenden Aubach begleitet wird. Seinen eigentlichen Gassencharakter erhält das Bachgässchen durch niedrige, beidseits von Bach und Gässchen angeordnete Werkstattbauten, prädestiniert für die Aufnahme verschiedener Arten von Kleinhandwerk, ein Berufsstand, der noch heute oder bis vor kurzem in dieser Gegend vertreten war. Der Sarasinpark bleibt weitgehend unberührt. Er erhält jedoch gegen Süden eine klare Abgrenzung in Form einer ebenfalls niedrigen Kette von Atelier-Bauten. Interessant, wenn auch noch nicht ganz ausgereift, ist die Idee, die bestehende Tramschlaufe an der Baselstrasse, gegenüber dem Bero wergut, unter Beibehaltung der Wendemöglichkeit, mehrgeschossig zu überbauen, auf diese Art das gegen die Rössligasse hin orientierte Hinterland vom Verkehrslärm abschirmend. Mit der von der Metron vorgeschlagenen Randbebauung entlang der Gartengasse erhält diese den Charakter einer «Vorstadt», ähnlich den grossen historischen Vorbildern.
Vom Preisgericht bemängelt wurde die ungelöste Anbindung dieses mit einer Mischnutzung (Wohnen, Läden, Werkstätten) ausgestatteten Strassenzuges an das heutige, südlich gelegene Dorfzentrum. Die Platzgestaltung im Einmündungsgebiet Rössligasse / Bachgässchen / Hubgässchen wirkt unbestimmt, die optische Führung für die im We bergässchen flanierenden Passanten hin zur neugeschaffenen Vorstadt - und damit der Anreiz, diesen Strassenzug aufzusuchen - fehlt. Trotz dieser Mängel besticht das Projekt durch seine Unaufdringlichkeit, seine überzeugende Einfachheit, das spannungsvolle Einfügen neuer Bauten in eine gewachsene Umgebung sowie durch den seinen sichtbaren Ausdruck findenden hohen Respekt vor bestehenden, uns vertrauten Bauten. Bei der selbstauferlegten Beschränkung des Baugebietes lässt sich verständlicherweise keine sehr hohe Nutzung erreichen. Ein Vorzug dieses Projektes ist aber darin zu suchen, dass die nördlich der Gartengasse angesiedelten Grundeigentümer völlig frei sind, ob und in welchem Zeitpunkt sie ihre Parzellen neu überbauen wollen. Eine geschlossene Randüberbauung auch auf der Nordseite der Gartengasse würde deren Anzie hungskraft auf das Publikum, immer unter der Annahme, dass dort auch Läden und Dienstleistungsbetriebe entstehen werden, zweifellos erhöhen.
Projekt «Sol le Witt»
Verfasser: Edouard Lüdi, Basel
Eher im Stil eines Baron Haussmann gedenkt der Verfasser des zweitprämierten Projektes vorzugehen. Er schafft in der Verlängerung des Webergässchens eine neue Nord/ Süd-Achse mit zwei Querspangen zwischen Rössligasse und Baselstrasse; beide auf einem vollständigen neuen Trassee. Den Auftakt dieser Achse bildet auch hier das Bauernhaus Schweizer, das eine Art Verkehrsteiler darstellt und auf dessen Nordseite eine sehr reizvoller, in seinen Ausmassen intimer Platz entsteht, der überleitet zu der mit einer Allee ausgestatteten Ladenstrasse. Diese findet ihren nördlichen Abschluss in einem Thermalbad (immer vorausgesetzt, man wird in Riehen fündig ... ) auf der Höhe der den Sarasinpark unterteilenden Lindenallee. Der Projektverfasser von «Sol le Witt» sieht vor, auch das bei der Tramschlaufe stehende ehemalige Bauernhaus Baselstrasse 80 stehenzulassen. Weniger schonungsvoll geht er mit den übrigen nördlich der Gartengasse stehenden Häusern um, wobei aber die Projektidee auch dann schon zum Tragen kommt, wenn diese Häuser noch für einige Zeit stehen bleiben. Trotz der vorgeschlagenen Höhenbeschränkung weist der Vorschlag von Architekt Lüdi eine hohe Nutzung auf. Gedacht ist, dass die erdgeschossigen Räume gewerblich, die Obergeschosse als Wohnungen genutzt werden. Die vorgeschlagene Art der Randbebauung mit dreiseitig begrenzten Innenhöfen weist eindeutig städtischen Charakter auf.
Das Preisgericht weist denn auch in seinem Bericht darauf hin, dass das Projekt in eine Art Stadtromantik abgleitet, die hier fehl am Platz ist. Nichtsdestotrotz zeugt der eingereichte Entwurf von einer sicheren Hand des Projektverfassers und ist durchaus entwicklungsfähig. Im Gegensatz zum Projekt «27. Februar» bedarf aber der Entwurf «Sol le Witt» der durchgehenden Realisierung, soll er seine ihm zugrunde liegende städtebauliche Idee voll entfalten.
Schlussfolgerungen
Das Preisgericht schlägt dem Gemeinderat vor, die Verfasser der drei in den vordersten Rängen plazierten Projekte (die beiden genannten sowie das Projekt «Nord-Süd» vom Büro Architeam 4, Basel) mit der überarbeitung ihrer Entwürfe - im Sinne der vom Preisgericht formulierten Empfehlungen - zu beauftragen.
Nachdem die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts in Riehen bauliche Spuren hinterlassen hat, die uns nicht so recht froh werden lassen, bietet sich nun heute die einmalige Chance, den Dorfkern gegen Norden organisch zu erweitern und abzurunden und unser in mancher Hinsicht stagnierendes Gemeinwesen mit neuem Leben zu erfüllen. Es ist zu hoffen, dass Gemeindeparlament und Riehener Stimmbürger diese Chance zu nutzen wissen.