Jakob Heinrich Schönauer Pfarrer zu Riehen von 1745 bis 1767

Michael Raith

Die ersten Strahlen der beginnenden Aufklärung brachten das festgefügte orthodoxe Staatskirchentum mit seinen geistlichen Uberangeboten, Zwangsvorschriften und Kontrollmassnahmen nur sehr allmählich zum Schmelzen. Dass die Polizei- und Moralkirche der damaligen Zeit trotzdem Lebenssinn und Trost weitergab, dankt sie einer ganzen Anzahl menschlich überlegener Persönlichkeiten. Auch in der reformierten Kirchgemeinde Riehen-Bettingen wirkten solche allseits geschätzte Pfarrer, so zum Beispiel von 1708 bis 1745 Paulus Euler, der Vater des grossen Mathematikers Leonhard Euler. Nach ihm kam mit Jakob Heinrich Schönauer ein Mann nach Riehen, über den höchstens er selbst und - auf dem heute noch in der Dorfkirche angebrachten Epitaph (abgebildet RJ 1982 S. 23) - seine «hinterlassene betrübte Wittib» - Gutes zu vermelden wussten.

In den Akten taucht er vorwiegend im Zusammenhang mit der Verbesserung seiner ohnehin schon erfreulichen finanziellen Situation auf. Er gehört zu denjenigen Städtern, die das Verbot, auf der Landschaft Liegenschaften zu kaufen, mit Hypothekengewährung an Rückzahlungsunfähige unterwandern: an einer auf diese Weise betriebenen Gant ersteigert er erlaubtermassen das Haus einer armen Witwe. Als Pfarrer liegt er im Streit mit den Pietisten, muss sich von der Gemeinde Pflichtvernachlässigungen vorwerfen lassen, und auch die ihm unterstellte Dorfschule verdient kein Lob. Schönauer wehrt sich, findet einzelne Fehlleistungen masslos übertrieben dargestellt, wittert eine Obstruktion der Untervogtsfamilie Wenk und führt den Widerstand der Gemeinde auf ein durch ihn abgegebenes Einbürgerungsgutachten zurück. Oft steht Aussage gegen Aussage, und nach über 200 Jahren gerecht zu urteilen, fällt zunächst schwer.

Doch auch im Prozess gegen Anna Wenk-Hauswirth (siehe Seite 64 ff.) spielt Schönauer eine gnadenlose Rolle. Es fehlt ihm an Verständnis, er nennt ihr Vorgehen eine «teüfflische Art Recht zu schaffen» und sieht sie schon «ewig in der Hölle brennen». Hier nun deckt sich sein eigenes Urteil mit demjenigen über ihn: er habe die sich über das Verhältnis zwischen Mann und Magd beklagende Anna hart angefahren und weggeschickt. Er befindet sich damit zwar in guter Gesellschaft mit den Juristen. Als Seelsorger hätte er aber anders reden müssen und vielleicht wäre er - es gibt dafür Beispiele - gehört worden. Doch der Eindruck, dass es Jakob Heinrich Schönauer nicht gelingt, gut zuzuhören und den rechten Ton zu finden, drängt sich auf. Ist er durch ein Versehen in den geistlichen Stand geraten?

Die in der Leichenrede enthaltene Autobiographie berichtet, dass er seinen in französischen Diensten stehenden Vater kaum gekannt hat. Die Mutter, Dorothea Schönauer geb. Gürtler (1666-1715), leitete die Erziehung, sie liebte ihren einzigen Sohn «bald mehr als müterlich». Nach ihrem Willen ergriff Jakob Heinrich das Studium der Theologie. Er lag ihm von 1712 bis 1717 an der Basler Universität ob. Seine Lehrer - unter ihnen der grosse Samuel Werenfels (1657-1740), der Kirchenhistoriker Jakob Christof Iselin (1681-1737) und der Orientalist Johann Ludwig Frey (1682-1759) - prägten ihn wenig, vertraten sie doch alle in einem gewissen Gegensatz zu ihrem Schüler einen irenisch milden, aufgeklärt toleranten und seelsorgerlich vermittelnden Kurs im Sinn der sogenannten «vernünftigen Orthodoxie». Jakob Heinrich Schönauer hinterliess zwar keine greifbaren theologischen Zeugnisse, doch folgt das Gesagte aus seinem bekannten Verhalten in verschiedenen Situationen.

Durch die Ordination trat Schönauer 1717 in den Stand eines Sancti Ministerii Candidatus (SMC) und wirkte bis 1721 in Basel als Helfer verschiedener Pfarrer. über drei Jahre lang unternahm er anschliessend «eine kleine Reise durch einen ziemlichen Teil Deutschlands». Im Januar 1724 kehrte er in die Vaterstadt zurück und versah dann bis 1726 ein Vikariat im schaffhausischen Rüdlingen-Buchberg. Darauf ging er ein Jahr nach Vevey, um französisch zu lernen. Von 1727 an folgten wieder Vikariate, diesmal in Oltingen und Gelterkinden. Erst 1733 erhielt er seine erste Pfarrstelle, und zwar am Waisenhaus. Fünf Jahre später liess er sich an die deutschsprachige reformierte Gemeinde in Markirch (Sainte Marie-aux-Mines, Haut-Rhin) berufen. Ebenfalls 1738 heiratete er Elisabeth Meyer zum Hirzen (1695-1773); er hatte sie in Oltingen als Tochter des dortigen Pfarrers kennengelernt. Sie stammte, wie er selbst und fast alle damaligen Basler Pfarrer, aus dem «Daig». über seine Ehe sagt Schönauer, sie sei «recht vergnügt und friedfertig», «doch ohne Kindersegen» gewesen. Von Markirch kam er 1742 nach Lausen. Zum Pfarrer von Riehen wurde er am 12. Mai 1745 gewählt und trat sein neues Amt am 27. März 1746 an.

Als Kandidat - also in den Jahren zwischen 1717 und 1733 - schuf Schönauer Zeichnungen und Kupferstiche: in das 1694 datierte Stammbuch seines angeheirateten On kels, des Goldschmieds Johann Heinrich Schrotberg(er)Gürtler (1670-1748), trug er mit der Feder einen Kinderkopf, eine Allegorie des Todes und eine dazu gehörende Widmung ein. Erhalten sind auch zwei von ihm verfertigte Kupferstiche: beide zeigen Antistites (Oberpfarrer), nämlich die Theologieprofessoren Oswald Myconius (14881552) und Johann Jakob Grynäus (1540-1617). Solche Portraits erfreuten sich damals offensichtlich einer gewissen Beliebtheit, auf Grund von Vorlagen fertigten verschiedene Künstler neue und sich meist sehr ähnliche Bilder. Diese Tätigkeit trug Schönauer die Erwähnung in Künstlerlexika ein, trotz exakter Signierung - «Iac. Hein. Schönauer, S.M.C., sculps.» ( = sculpsit [lat.] «hat [es] gestochen») - gelang aber den Kunsthistorikern die genaue Identifizierung der Person nicht. Die Qualität der Werke Schönauers lässt allerdings auch nicht den Schluss zu, er sei ein verhinderter Künstler gewesen und habe - wie viele seiner Zeit- und Berufsgenossen - den damals gut entlöhnten Pfarrerberuf lediglich als Broterwerb aufgefasst.

Die Spannungen zwischen Pfarrer und Gemeinde brachen vor allem anlässlich von Visitationen (Uberprüfungen des Kirchen- und Schulwesens durch die Basler Regierung) durch. Dem erwähnten Tadel, berufliche Aufgaben, wie zum Beispiel Krankenbesuche, nicht zu erfüllen, begegnete Schönauer mit dem Hinweis auf seine Vergesslichkeit, versprach, eine Notabene (lat. = «merke wohl» )-Tafel anzuschaffen. Im Jahr 1765 erlitt er einen Schlaganfall und konnte sein Amt nicht mehr versehen. Eine Pensionierung gab es damals höchstens als Ausnahme, doch erhielt er mit Johann Franz Gengenbach (1740-1812, nachmals zu St. Theodor in Basel) einen Vikar.

Am 26. Juni 1765 fand die letzte Visitation Schönauers man führte dazu den Kranken eigens in die Kirche - statt. Er musste 33 präzise Fragen präzis beantworten. Dabei ist zu erfahren, dass, um konfirmiert zu werden, die Buben schreiben können müssen, «auch die Mägdlein zur Noht». Oder: «Wie überhaupt der Zustand diser Gemeinde in Ansehung des Christentums sich befinde?» «HE[rr] Pfarrer sagt: könnte viel besser seyn, absonderlich] werde der Sontag entheiliget.» «Welche Laster und Sünden fürnemlich in dieser Gemeinde herrsche?» Schönauers Antwort: «Das Vollsauffen». Die Gemeindevertreter revanchierten sich: «H[err] Pfarrer mache zu viel Ferien», fügten aber beschwichtigend bei: «sey ein alter Herr» und hofften wohl auf einen besseren Nachfolger.

Nicht nur der Schlaganfall, auch eine Gliederkrankheit und Schwerhörigkeit plagten Schönauer. Den Folgen eines weiteren Schlaganfalles erlag er Montag, den 28. September 1767, um halb drei Uhr nachmittags im Pfarrhaus (heute Kirchstrasse 7). Das Begräbnis fand am 1. Oktober statt. Vikar Gengenbach sprach über den Pfarrer als prophetischen Wächter, dessen Aufgabe es sei, den Leuten ihre Sünden vorzuhalten. Lehrer und Prediger erfüllten ihren Dienst als Haushalter über fremde Güter. Und von ihnen würde hauptsächlich Treue erfordert. Ob Gengenbach damit auf das Leben des Verstorbenen anspielte, muss der Spekulation überlassen bleiben. Einsichtslos ist Jakob Heinrich Schönauer indessen nicht gestorben. In der erwähnten Autobiographie von 1765 bekennt er nicht ganz frei von Floskeln: «Was meinen Lebenswandel angehet, so habe ich denselben, leider ach leider! in vielen sündlichen Mängeln geführet. ... Gott hat mich, wie schon gemeldet, in verschiedene Pfarrdienste geleitet, welchen ich so abgewartet, dass ich wünschte es wäre von mir besser geschehen. Gott wolle, was darinn versäumet worden, mir nicht zurechnen, sondern mit seiner Barmherzigkeit und dem Verdienste seines Sohnes zudecken.»

 

Literatur und Quellen Paul Leonhard Ganz: Die Basler Professorengalerie in der Aula des Museums an der Augustinergasse; in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 78, Basel 1978, S. (31)-162. Karl Gauss: Basilea reformata, Basel 1930.

Joh[ann] Franz Gengenbach: Die erforderliche Eigenschaften der Lehrern und Dienern Jesu Christi, Vorgestellt in einer Christlichen Leich = Predigt, über 1 Korinth. IV:2. Gehalten in der Kirche zu Riehen Donnerstags den Iten Weinm. 1767. Als allda unter zahlreichem Gelaite zur Erde bestattet ward der Wolehrwürdige und Wolgelehrte HERR M. Jakob Heinrich Schönauer, gewesener wolbestellter Pfarrer dasiger Gemeinde. Basel, o.J. (1767). [Universitätsbibliothek Basel Ki.Ar. GX 69 No. 15]. Rolf Hartmann: Das Autobiographische in der Basler Leichenrede. Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 90, Basel 1963. Hans Jakob Holzhalb: Supplement zu dem allgemeinen helvetisch = eidgenössischen oder schweizerischen Lexikon, so von weiland Herrn Hans Jakob Leu... behandelt worden, 6 Teile, Zürich 1786-1795 (Teil 5 1791 S. 425).

L[udwig] Emil Iselin: Geschichte des Dorfes Riehen, Basel 1923, S. 173. Fritz Lehmann (und Lucas Frey): Die Sarasinschen Güter in Riehen (bzw. Von den Sarasinschen Gütern und ihren Bewohnern), in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 66, Basel 1966, S. 159-202, nachgedruckt in RJ 1966, S 25-43. Darin für Schönauers Geschäfte wichtig: S. 168f.; besonders dort Anmerkung 158 und S. 191, dort Anmerkungen 156 und 157.

G[ottlieb] Linder: Geschichte der Kirchgemeinde Riehen-Bettingen, Basel 1884, S. 123-133.

Michael Raith: Das kirchliche Leben seit der Reformation, in: Riehen Geschichte eines Dorfes, Riehen 1972, S. 182f. Michael Raith: Pietismus in Riehen, RJ 1982, S. 21-29. Johann Heinrich Schrotberger, Goldschmiedgeselle von Basel, Stammbuch, dat. 1694. Historisches Museum Basel 1926, 77. S. 8. Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt, Basel: Criminalia 28 H No. 3; Genealogische Kartei; Gerichtsarchiv U 78 Ehegerichtsprotokoll 1756/7, S. 228; Kirchen-Acten E 3 1763-1765 (Visitationsprotokoll Riehen vom 26. Juni 1765); Privatarchiv 355 C 457.

Andreas Staehelin (Herausgeber): Professoren der Universität Basel aus fünf Jahrhunderten, Basel 1960.

Ulrich Thieme, Felix Becker etc.: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler, 30. Band, Leipzig 1936, S. 222 (dort auch weitere Literatur). Hans Georg Wackernagel, Max Triet, Pius Marrer (Herausgeber): Die Matrikel der Universität Basel, 5 Bände, Basel 1951-1980 (Band 4,1975, Nr. 2344, S. 403).

Paul Wernle: Der schweizerische Protestantismus im XVIII. Jahrhundert, 3 Bände, Tübingen 1923-1925.

Für Hinweise danke ich Trudi Wenk, Elisabetha Rink und Prof. Dr. Ernst G. Rüsch. In der Basler Universitätsbibliothek habe ich nicht gefunden: Schönauers theologische Disputation und «Altmanns Sammlung auserlesener Kanzelreden»: dort soll im 3. Band auf S. 270 eine Predigt Schönauers vom guten Gewissen über Apostelgeschichte 24,16 abgedruckt sein.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1987

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