Junge Forscher aus Riehen

Rolf Spriessler

Was ist Forschung? Wie weit darf oder soll Forschung gehen? Kann man Forschung kontrollieren? Fragen, die gerade auch in unserer Region eine gewisse Brisanz haben, denkt man etwa an die Diskussionen rund um Gentechnik oder Biotechnologie.

Die «Forscher-Romantik» vom besessenen, vielleicht etwas verrückten, aber ehrlichen Einzelkämpfer, vom hartnäckigen und arbeitswütigen Professor im stillen Kämmerlein hat endgültig ausgedient. Für die heutige Forschung braucht es eine lange, sorgfältige Ausbildung und ganze Teams, die die zahlreichen Tests und Experimente durchführen können. Und es braucht Geld. Forschung muss sich auszahlen, denn sie bietet die Grundlage zum Profit für viele Grosskonzerne und ganze Wirtschaftszweige. Und Forschung ist teuer, denn sie benötigt immer mehr Beschäftigte und immer mehr spezielles Gerät und kostspieliges Material.

Doch im Mittelpunkt dieses Artikels soll nicht die Forschung an sich stehen. Auf den folgenden Seiten kommen vier junge Riehener zu Wort, die bereits Einblick in die Forschung hatten oder heute selber in der Forschung tätig sind.

Matthias Ackermann: Biologie auf dem Computer

Der zwanzigjährige Matthias Ackermann erarbeitete als Gymnasiast ein Computerprogramm zum Bestimmen von Pflanzen. Seine Arbeit wurde von der Institution «Schweizer Jugend forscht» ausgezeichnet. Matthias Ackermann ist als kleiner Junge mit seiner Familie von Muttenz nach Riehen gekommen.

«Heute kann man über Internet zum Beispiel einen Kaffeeautomaten an einer amerikanischen Universität abfragen oder in Boston eine Pizza bestellen», erzählt Matthias Ackermann begeistert. Der junge Riehener wohnt in einer kleinen Dachwohnung in Zürich, wo er an der ETH ein Informatik-Studium aufgenommen hat. «Internet, das ist heute der <Wilde Western in der Informatik, hier sind Pioniere gefragt», sagt er und erzählt von seiner Faszination für die Informatik.

Sein Interesse hatte in der Schule zuerst der Biologie gegolten. Er hatte sich ein Herbarium mit rund 300 gepressten Pflanzen angelegt und festgestellt, dass die Pflanzenbestimmung mit den gängigen Bestimmungsbüchern recht schwierig und die Gefahr von Fehlbestimmungen relativ gross ist, wenn man sich in der Pflanzenwelt nicht so gut auskennt. Also machte er sich daran, ein Computerprogramm zu entwickeln, das das Bestimmen von Pflanzen erlaubt. Er arbeitete dabei zusammen mit dem Biologielehrer am Gymnasium Bäumlihof, Christian Heitz (Mitautor des bekannten Pflanzenbestimmungsbuches «Schul- und Exkursionsflora für die Schweiz» von Binz/Heitz). Und Matthias Ackermanns Biologielehrerin Bianca Joller ermutigte ihren Schüler, die Arbeit bei «Schweizer Jugend forscht» einzureichen.

Das tat er dann auch, seine Arbeit wurde ausgezeichnet. Im Moment ruht dieses Projekt zwar, er möchte es aber später weiter vorantreiben. Heute ist das Programm in der Lage, bei der Eingabe verschiedener Merkmale, die an der Pflanze zu beobachten sind, die Familie zu eruieren. Endziel wäre es, jede einzelne Pflanze bestimmen zu können. Das Problem ist, dass die bisherigen Bestimmungsbücher nach anderen Systemen vorgehen, und deshalb für das Programm viele Merkmale und Unterscheidungskriterien erst erarbeitet werden müssen.

Natürlich macht sich Matthias Ackermann auch über andere Forschungsgebiete seine Gedanken. Die Physik interessiert ihn, insbesondere Themen wie die Lösung der Energieprobleme oder die Weltraumforschung. «Was wäre zum Beispiel, wenn man die Kernfusion zur Energiegewinnung nutzen könnte», spekuliert er. Denn im Gegensatz zur Kernspaltung, so seine Vermutung, gäbe es wahrscheinlich bei der Kernfusion keine gefährlichen Sonderabfälle.

«Auf dem Gebiet der Gentechnologie weiss ich allerdings nicht, wie weit ich gehen würde», sinniert er. Beim Einsatz von genveränderten Enzymen, die dann gespritzt werden, sieht er keine Gefahren, aber bei der Freisetzung von Lebewesen, deren Erbgut gentechnisch verändert worden ist, in die Natur werde es unkontrollierbar und gefährlich.

Eine freie Forschung wäre schon gut, aber nicht realistisch, sagt er und meint, dass der Staat wohl langsam an der Grenze sei mit dem, was er für die Forschung tue. Die Forschung müsse in erster Linie durch deren Nutzniesser über den Verkauf von Produkten bezahlt werden, die aus der Forschung hervorgehen.

Für ihn ist Forschung Ausdruck einer riesigen Neugier, der unbändige Drang, etwas Unerforschtes zu entdecken, vergleichbar mit den Entdeckungsfahrten auf die amerikanischen Kontinente oder nach Australien.

Den «einsamen Forscher im stillen Kämmerlein» gebe es allerdings nicht mehr. «Heute gibt es etwa auf dem Gebiet der Physik Projekte, an denen Hunderte von Physikern arbeiten», so Matthias Ackermann, und: «Auf jeden Fall hoffe ich, dass uns die Forschung in eine bessere Zukunft leitet.» Zu einer besseren Zukunft gehört für ihn mehr Grün, ein mit der Natur im Einklang stehendes Bauen.

Was wäre denn ideal? «Ein Ideal wäre langweilig», sagt er. «Es braucht Konflikte, es braucht arm und reich, Aus einandersetzungen - aber wichtig ist, dass die Fähigkeit vorhanden ist, miteinander zu reden. In der Schweiz ist die Situation ja noch passabel. Hier werden Menschen irgendwie aufgefangen, bevor sie ganz am Boden sind.»

Obwohl selbst noch in jugendlichem Alter, steht Matthias Ackermann einer eigentlichen «Jugendpolitik» eher skeptisch gegenüber. «An der ETH zum Beispiel dürfen die Studierenden eine Delegation an die Sitzungen der Schulleitung entsenden, aber das Interesse unter den Studierenden ist sehr gering.» Und zum Stichwort Jugendparlament meint er, dass wohl viele Jugendliche im Teenageralter andere Probleme hätten als die Politik und zudem in kurzer Zeit Grosses verändern wollten, nicht vielleicht ein «Gesetzchen» hie und da.

Olivier Wenger: Keine widernatürliche Forschung

Olivier Wenger ist 22 Jahre alt und studiert an der Universität Basel Pharmazie. 1991 beteiligte sich seine Schulklasse an der Veranstaltung «Welt in Basel», und er bekam eine Woche lang Einblick in die Forschungsarbeiten am Bio-Zentrum der Universität Basel. 1992 nahm er an einer Studienwoche Chemie der Stiftung «Schweizer Jugend forscht» teil.

«Ich bin schon etwas schockiert, wenn ich denke, dass am Anfang geforscht worden ist, um zu forschen, während heute geforscht wird, um Gewinn zu machen. Es gibt gravierende Krankheiten, die nur wenige Leute betreffen - zum Beispiel Progeria, eine Krankheit, die das vorzeitige Altern von Zellen bewirkt. Betroffene sehen im Alter von 20 Jahren schon aus wie 120 und sterben entsprechend sehr viel früher. Auf einem Gebiet wie diesem wird aber praktisch nicht geforscht, weil sich das finanziell nicht rentiert.»

Dieses Statement stammt vom Riehener Olivier Wenger. Zuerst trug er sich mit dem Gedanken, Medizin zu studieren, doch bei der Pharmazie steht ihm zum einen der Beruf als Apotheker offen, ein Beruf, der auch vom Sozialen her sehr interessant sei, und er hat zum anderen auch die Möglichkeit, in die Forschung zu gehen.

Das Berufsbild des Apothekers hat sich in den letzten Jahren allerdings ziemlich gewandelt. «Früher stellte der Apotheker die Medikamente selber her. Heute tut das die Pharma-Industrie, der Apotheker kontrolliert als Medikamenten-Fachmann die Verschreibungen des Arztes», erzählt Olivier Wenger. Unter dem Eindruck der steigenden Krankenkassenkosten geht die Tendenz aber dahin, dass zunehmend Medikamente in den Arztpraxen abgegeben würden. Das sei gefährlich, denn damit falle die Möglichkeit weg, dass der Apotheker die Dosis kontrollieren oder feststellen könne, ob ein Medikament Wirkstoffe enthalte, die eine bestimmte Person nicht verträgt.

«Mich erschreckt, dass die Religion für viele Menschen immer mehr an Bedeutung verliert, andererseits aber Sekten blühen», meint Olivier Wenger. Er findet es bedenklich, dass Wertvorstellungen in den Hintergrund treten. «Das ist wie im Supermarkt - man nimmt nicht mehr, was gut ist, sondern was man für sich selbst für gut hält.» Wichtig sind ihm gegenseitige Toleranz, sowohl unter den einzelnen Menschen als auch zwischen den verschiedenen Religionen.

An der Forschung fasziniert Olivier Wenger die ganze gedankliche Arbeit und weniger die praktische Umsetzung im Labor. Doch auch in diese Laborarbeit hat er Einblick erhalten während der Studienwoche Chemie von «Schweizer Jugend forscht», die er 1992 absolvierte. Da mais ging es darum, durch den Einsatz eines Katalysators in einem bestimmten chemischen Prozess eine bessere Ausbeute zu erhalten. Ausgangswert waren 51 Prozent des erwünschten Produktes und 49 Prozent Edukt, also Ausgangsprodukt. Bei ihm sei nun statt einer reduzierten Menge des Eduktes ein neues Produkt herausgekommen, eine neue Substanz. Was daraus dann geworden ist, weiss er allerdings nicht. Aber der Einblick in die Welt der Forschung, Gespräche mit Experten, der Kontakt zu anderen Jugendlichen, das alles habe ihm viel gebracht.

Der Gentechnologie steht Olivier Wenger grundsätzlich positiv gegenüber: «Um eine Chance zu haben, gegen gewisse Krankheiten etwas zu erreichen, braucht es die Gentechnologie, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Aids», sagt er. Ein Problem sei, dass die Menschen oft das Schlechte aus einer Sache ziehen würden. Bei der Entwicklung der Atombombe zum Beispiel sei man eindeutig zu weit gegangen. Und wenn man an vollständig vegetarisch lebende Tiere wie Rinder gemahlene Knochen verfüttere, so sei das für ihn widernatürlich und «jenseits von Gut und Böse», meint er in Anspielung auf die gegenwärtigen Diskussionen rund um den «Rinderwahnsinn».

«Je mehr man herausfindet, desto mehr sieht man, wie wenig man eigentlich weiss», sinniert er und hat seine Bedenken, ob eine Kontrolle der Forschung überhaupt möglich wäre, insbesondere wenn es sich um militärische Forschung handelt. Gewisse Dinge seien aber auch nicht vorhersehbar.

Olivier Wenger erwähnt als tragisches Beispiel den Fall des Medikamentes Thalidomid, das zu Beginn der sechziger Jahre unter dem Namen «Contergan» als Schlaf- und Beruhigungsmittel im Verkauf war und bei dem eine Spiegelbildsubstanz zu schweren Missbildungen bei Kindern geführt hat. Und dennoch: So traurig diese Fälle gewesen seien, so habe man doch - je nach Stadium der Schwangerschaft bei werdenden Müttern, die das Medikament eingenommen hätten - viel über die Entwicklung des Embryos im Mutterleib herausgefunden.

Dass sich die Jugendlichen auch in politischen Diskussionen engagieren und sich wirklich schon mit 18 Jahren an den Abstimmungen beteiligen, findet Olivier Wenger ganz entscheidend. Wohin das Schweigen einer stillen Mehrheit führen könne, habe man am Beispiel des Zweiten Weltkrieges gesehen.

 

Andreas Wicki: Forschung muss fächerübergreifend sein Andreas Wicki, 20 Jahre alt und Biochemie-Student an der Universität Basel, hat im Rahmen einer Semesterarbeit am Gymnasium Bäumlihof und in einer Studienwoche Molekularbiologie der Stiftung «Schweizer Jugend forscht» schon selbst Grundlagenforschung betrieben. Er wies nach, dass das mikrobiologische Verfahren der Polymerase-Kettenreaktion zur Geschlechtsbestimmung von Vögeln geeignet ist.

Das Geschlecht bei Vögeln oder Amphibien zu bestimmen, ist je nach Art gar nicht so einfach. Andreas Wicki hat es mit Hilfe der Polymerase-Kettenreaktion versucht und am Beispiel der Meise nachgewiesen, dass diese Methode für eine Geschlechtsbestimmung bei Tieren im Prinzip geeignet ist. Die Grundidee: Innerhalb der DNA - jener Substanz, die die Erbinformationen eines Lebewesens enthält und in jeder Zelle eines Lebewesens in identischer Form vorkommt - gibt es zwischen männlichen und weiblichen Lebewesen einer bestimmten Art Sequenzen, die sich unterscheiden. Findet man nun mittels mikrobiologischer Methoden solche unterschiedliche Sequenzen, so lässt sich ein Geschlechtstest entwickeln.

Die Hoffnung geht nun dahin, dass es solche Squenzunterschiede gibt, die bei der Geschlechtsunterscheidung für ganze Tierfamilien oder gar für alle Lebewesen dieselben sind. So weit ging Andreas Wickis Forschungsarbeit allerdings nicht, denn dies herauszufinden hätte noch Jahre gedauert. Aber grundsätzlich wäre es möglich.

Sein Forschungsprojekt war ursprünglich eine Semesterarbeit am Gymnasium und wurde im Rahmen einer Studienwoche Mikrobiologie im Rahmen von «Schweizer Jugend forscht» weitergeführt. Andreas Wicki machte Erfahrungen in der Forschung und hat in der Zwischenzeit an der Universität Basel ein Biochemiestudium aufgenommen.

Aber Andreas Wicki ist Realist: «Die Biochemie ist ein sehr interessantes Fach, ausser der Grundlagenforschung gibt es auf diesem Gebiet aber nur wenige Berufsperspektiven. Ich überlege mir deshalb einen Wechsel zur Medizin.» Auch von dort her existieren gute Einstiegschancen in die Forschung, aber auch ganz andere berufliche Möglichkeiten.

Das Thema der Polymerase-Kettenreaktion - eine Methode, die erst 1984 entdeckt worden ist - hat Andreas Wicki für sein Forschungsprojekt ausgewählt, weil er damit an der «Front» der Forschung arbeiten konnte. «Wenn man in solchen Bereichen tätig ist, muss man ständig auf dem laufenden sein, um nicht plötzlich den Anschluss an aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse zu verlieren. Und bei der Forschungsarbeit selber kann auch vieles schiefgehen, oft werden Experimente oder Untersuchungen mehrmals wiederholt. Man muss sehr hartnäckig sein und auch Misserfolge verkraften können», resümiert Andreas Wicki seine Erfahrungen.

«Ich hoffe sehr, dass die Forschung fächerübergreifender wird, denn die Zeit des Einzelforschers ist überholt», sagt Andreas Wicki. Dennoch würden an den Universitäten und anderen Ausbildungsstätten weiterhin Einzelforscher ausgebildet, Fachleute in einzelnen Sachgebieten.

Wo Forschung sinnvoll sei und wo Grenzen überschritten würden, sei für ihn schwer zu beurteilen. «Es ist wichtig, sachlich zu bleiben. Was wirklich sinnvoll ist, lässt sich oft erst im nachhinein beurteilen.» Bei manchen Forschungsergebnissen werde sich vielleicht erst in etwa zwanzig Jahren herausstellen, ob sie wirklich etwas bringen. Gewisse Grenzen müssten aber gesetzt werden. Da bei gehe es auch um das menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit. So ist in der Schweiz das Experimentieren mit menschlichen Embryonen zum Beispiel verboten. Allerdings sei die Kontrolle bei allen Verboten sehr schwierig. Eine Methode generell zu verbieten, berge deshalb ein enormes Risiko. Und man müsse auch bedenken, dass die Schweiz darunter leiden würde, wenn bei uns gewisse Wege - zum Beispiel bei der Bekämpfung von Erbkrankheiten - nicht beschritten werden dürften, im Ausland hingegen schon.

«In Sachen Politik möchte ich mich nicht in ein Raster pressen lassen», sagt Andreas Wicki und betont, dass es aber wichtig sei, sich mit politischen Fragen zu beschäftigen und sich eine eigene Meinung zu bilden, auch wenn das manchmal aufwendig sei. Besonders interessiert ist er an Altsprachen und an der Geschichte der Antike. Für ihn stelle dies für die heutige Kultur eine Art Fundament dar - das könne man allerdings auch anders sehen. Auf jeden Fall erlaube der Blick zurück in die Geschichte unter anderem, heutige Entwicklungen zu hinterfragen.

Urs Christen: Einstieg in die Forschung geschafft

Urs Christen ist am 3. November 1966 geboren und verbrachte einen grossen Teil seiner Jugend in Riehen. Nach der Matur am Gymnasium Bäumlihof begann er im November 1986 ein Biochemie-Studium an der Universität Basel. Im Frühling 1991 erhielt er sein Diplom, im Juli 1994 den Doktortitel. Er arbeitete an einem Projekt in der Grundlagenforschung über Autoimmunkrankheiten. Seit November 1995 ist er bei Hoffmann-La Roche in der präklinischen Forschung tätig. Er forscht nach möglichen Nebenwirkungen eines Medikamentes, das sich in der Entwicklung befindet.

«Im nachhinein würde ich nicht Biochemie, sondern Medizin studieren, denn bei meinem Studium ist man praktisch auf die Forschung angewiesen, doch diese Forschungsplätze werden uns zunehmend von Medizinern streitig gemacht, die sich nach ihrer Grundausbildung auf die Forschung spezialisiert haben. Kommen sie in der Forschung nicht unter, können sie später immer noch in den Arztberuf zurück», blickt Urs Christen zurück und bestätigt damit die überlegungen von Andreas Wicki.

Urs Christen hat bereits Bekanntschaft gemacht mit dem harten Forscheralltag: «Durch alles, was in der Forschung herausgefunden oder publiziert wird, tauchen neue Fragen auf. Die Forschenden werden ständig angetrieben weiterzumachen. Handelt es sich dabei um Grundlagenforschung und nicht um ein konkretes Projekt, so kommt hinzu, dass du dich ständig rechtfertigen musst gegenüber den Geldgebern, damit du weiterforschen kannst. Zu den Kriterien für die Geldgeber - in der Grundlagenforschung zum Beispiel der Nationalfonds oder verschiedene Stiftungen - zählen die Publikationen. Um zu zeigen, dass deine Forschung etwas wert ist, musst du in möglichst reputierten Zeitschriften möglichst oft publizieren», erzählt Urs Christen.

Dieser Publikationsdruck sei einerseits gut, weil man ja auch selber von den Erkenntnissen anderer profitieren könne. «Andererseits: Je besser du im Labor bist, desto weniger kommst du dort zum Arbeiten. Du bekommst Assistentinnen und Assistenten, wirst zum Gruppenleiter und plötzlich musst du sehr viel Regiearbeit machen, Aufgaben für deine Gruppe planen, für Publikationen sorgen und Geld beschaffen. Auch bei mir sehe ich das langsam kommen. Als sogenannter <Postdoc> habe ich nun eine Assistentin im Labor und mein Tag beginnt damit, dass ich ihr Arbeiten zuweise.»

Für Urs Christen steht fest, dass die Forschung nicht ohne Tierversuche auskommt. «Man kann noch so oft im Reagenzglas Zustände simulieren und es gibt auch Projekte, die schon früh gestoppt werden, weil sich in vitro zeigt, dass sich etwas sehr Giftiges bildet. Aber es kommt auch oft vor, dass sich eine Substanz im lebenden Organismus ganz anders verhält», sagt er. Auch er ist bei seiner Forschungsarbeit auf Tierversuche angewiesen. «Aber ich bin dagegen, dass Tierpfleger für die Forscher im Labor die Dreckarbeit machen und das Tiermaterial liefern, weil so die Forscher die Beziehung zum Tier verlieren. Ich will einen Bezug haben zu dem, was ich mache.»

Sein Projekt am Biozentrum der Universität Basel, an dem er fünf Jahre lang gearbeitet hat, befasste sich mit der sogenannten Halothan-Hepatitis, einer Autoimmunreaktion des Körpers nach der Verabreichung von Halothan, einem Narkotikum, das bei uns zum Teil noch bei Kleinkindern und in grossen Mengen in Drittweltländern bei Operationen verwendet wird. Das Halothan kann in der Leber eine Reaktion auslösen, bei der eigene menschliche Abwehrzellen die Leber zerstören. Die Forschungsgruppe hat nun ein Modell entwickelt, das einen Lösungsansatz für die Frage bietet, wieso diese Autoimmunreaktion in gewissen Fällen eintritt und in anderen nicht. Das statistische Risiko, dass diese Reaktion im Körper auftritt, liegt bei etwa 1:3000.

Wo hört Forschung denn auf? «Alles theoretisch Machbare wird irgendwann von irgendwem gemacht», entgegnet Urs Christen. «Es gibt da im Prinzip keine definitionsmässige Grenze, und Beschränkungen in einem einzelnen Land bringen gar nichts; das muss weltweit erfolgen. Auch bei den Forschern gibt es eine gewisse Selbstkontrolle, wir sind ja schliesslich alle auch Menschen. Für viele liegt die Grenze dort, wo ein Tier zu leiden beginnt. Ich bin der Meinung, man müsste bereits dort aufhören, wo man Voraussetzungen schafft, dass etwas passieren könnte, das schlimme Auswirkungen hat.»

Personen

Matthias Ackermann (*1976), Informatikstudent ETH Zürich

Olivier Wenger (*1974), Pharmaziestudent

Andreas Wicki (*1976), Biochemiestudent

Urs Christen (*1966), Biochemiker

Bianca Joller (*1945), Biologielehrerin

Christian Heitz (1942), Biologielehrer, Buchautor

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1996

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