Riehener Originale

Hans Rageth

 

Willi und Schangi

 

In welchem Dorf gab es sie nicht, die urwüchsigen Eigenbrötler, die mit ihrem originellen Erscheinen fast täglich das Opfer von Lausbubenstreichen wurden. Unzählige Male waren sie der Anlass zu Witzen oder spassigen Geschichten. Solche Originale wurden auch laufend von den übrigen Dorfbewohnern hochgenommen.


Es sind sicher schon um die vierzig Jahre her, als die beiden in Riehen zum Alltagsleben gehörten. Sie waren zwei Knechte beim Bauer Stehli an der obern Schmiedgasse. Jedermann kannte die beiden als unzertrennliches Gespann, jedoch sah man sie nie nebeneinander gehen, denn Schangi folgte dem Willi stets in gehörigem Abstand. Zweifelsohne hatten sie die Leber auf der Sonnenseite, denn ohne ihre Mostflaschen im Znüni-Chratte sah man die beiden nie. Wenn sie gegen Abend, mit der Hacke oder Mistgabel auf dem müden Rücken, wieder dem Dorf zukamen, schwankten Sie schon ganz beträchtlich. Bestimmt brachten sie es nicht fertig, am «Sängerstübli» oder beim «Schützengarten» vorbei zu gehen, ohne anzukehren. Sie hatten dort ihre Stammplätze, und die Serviertochter

musste nicht fragen, was die Herren wünschten, sie stellte einfach zwei Glas Most vor die beiden hin. Meistens blieb es leider nicht bei den ersten zwei, da sie stets über den Durst tranken. Hin und wieder murmelten sie sich etwas zu, mit andern Gästen hingegen haben sie sich nie unterhalten. Wenn die Bäuerin die beiden beim Nachtessen vermisste, so wusste sie genau, wo man Willi und Schangi suchen musste.


 

Dr SchnyderFritzli

 

Fritzli war ein lustiges kleines Männchen, er war ständiger Gast im damaligen «Hotel Sulzer» an der Inzlingerstrasse. Da es ihm dort aber immer zu langweilig war, humpelte er an seinem Spazierstock hinunter durch die Rössligasse, zu seinem angestammten Platz bei der Dorfkirche. Dort setz

te er sich auf sein Bänklein und beobachtete fleissig den regen Verkehr auf der Baslerstrasse. Ab und zu stand er auf, ging einige Schritte, bückte sich und las etwas vom Boden auf. Er konnte es aber kaum mehr in seine Kitteltaschen stecken, denn diese waren immer vollgestopft mit allem möglichen, was er glaubte, irgendwie noch gebrauchen zu können. Hauptsächlich hatte er es aber auf Stumpen und Zigarettenkippen abgesehen. Um seine kurzen Beine zu vertrampen, machte er manchmal eine Runde, bis hinunter zum Fischer-Bauernhof und wieder zurück, auf der an

dern Strassenseite. Am «Tramstübli» angelangt, schielte er verstohlen hinein, in der Hoffnung er kenne jemanden, der ihm ein «Stämpfeli» bezahlen würde. Manchmal hatte er auch damit Erfolg. Wieder zurück auf seinem Bänkli angelangt, zog er seine alte Krummpfeife hervor, zerkleinerte seine Kippen und stopfte sie hinein, mit seinen kleinen, etwas angeschwärzten Fingern. Sicher hatte er immer genügend Platz auf der Bank, denn wer wollte schon diesen Duft mit ihm teilen, der aus seinem alten Pfeifenkopf qualmte. Falls er sich doch einmal von jemandem belästigt fühlte, so rückte er nur etwas zur Seite und blickte weg, um kräftig an der Pfeife weiter zu nuggeln. Wenn er in seiner Magengegend den Hunger verspürte, machte er sich auf den Heimweg in Richtung Oberdorf.


Er war genau das Gegenteil vom Schnyder-Fritzli, lebte ebenfalls im «Pfruendhus», war aber bei allen Riechemern sehr beliebt. Aber nicht nur im Dorf, sondern auch in der nahen und weiten Umgebung schätzte man seine Arbeit, die er von morgens bis abends, jahraus und jahrein verrichtete. In aller Frühe sah man ihn mit seinem «Märtwägeli», beladen mit einer Kiste und Handschaufel, den Grenzacherweg hinaus ziehen. Am Grenzacherhorn

 

Unser

Sandguschteli

 

schaufelte er den säubern Sand in seine Kiste, um auf dem Rückweg damit seine Stammkundschaft bedienen zu können. Er plauderte gerne mit den Leuten, und selten gab es jemanden, der bei seinem Besuch nicht die hellste Freude hatte. Wenn er nämlich durch seine grossen Zahnlücken zu sprechen begann, war es einfach köstlich, ihm zuzuhören. Offenbar machten ihm einige Buchstaben grosse Mühe beim Aussprechen. Die Kunden in den Herrschaftshäusern sahen ihn vielleicht gerade wegen dieses Umstandes sehr gerne und gaben ihm stets einige Batzen mehr, als er verlangte, auch wenn sie den Sand nicht immer am notwendigsten hatten.


Sandguschteli war auch anderweitig sehr hilfsbereit im Dorfe. Wenn er irgendwo eine Jauchegrube antraf, so fragte er bestimmt den Hausbesitzer: «Cha-n-y no 's Dülleloch usschöpfe». Oder eine andere Gewohnheit von ihm, er sagte überall wo er hinkam: «Y ha Butstag hütte». Bei meinem Vater, der am Bahnübergang an der Bettingerstrasse die Barrieren bediente, machte der Guschteli ab und zu eine Pause und erzählte ihm von seinen guten Geschäften. Lange hielt er es aber auch dort nicht aus; denn es war ihm zu eng im Bahnwärterhäuschen, und er griff wieder nach seinem Märtwägeli mit den Abschiedsworten: «Holli Lageth, Holli».


Erzählung aus dem Kurzgeschichtenwettbewerb 1976

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1979

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