Unser Wald

Hans Krattiger

Viel besungener Wald! Und dass sich über die Anhöhen vom Grenzacher Horn bis zum Dinkelberg an der langgestreckten Ostperipherie der Gemeinden Riehen und Bettingen ein Wald ausdehnt, ist ein Faktum, das nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, auch wenn die Bedeutung des Waldes als Naherholungsgebiet und als «Lunge der Stadt» schon sehr tief ins Bewusstsein der Bevölkerung eingedrungen ist. Industrialisierung und Umweltverschmutzung haben nicht unwesentlich dazu beigetragen, den Wert eines Waldes zu erkennen. Aus dem romantischen Lob auf den Wald früherer Zeiten ist eine sehr nüchterne Beurteilung des Waldes geworden, und wo früher die Schönheit des Waldes hervorgehoben wurde, wird heute sein «Stellenwert» innerhalb einer Industrielandschaft und für eine Wohlstandsgesellschaft unterstrichen. Das schliesst jedoch nicht aus, dass der Einzelne auf einem Spaziergang durch den Wald — auch heute noch — von altmodischen, romantischen Gefühlen befallen, von der erhabenen Schönheit des Waldes fasziniert und unwillkürlich ermuntert wird, die altvertraute Weise «Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben ...» anzustimmen.

Besitzverhältnisse

Wenn wir im Titel von unserem Wald gesprochen haben, dann ist das natürlich eine Anmassung; denn wenn auch der Wald von jedermann begangen werden kann, so ist er doch nicht einfach Allgemeingut, sondern hat er rechtmässige Besitzer. In «unseren» Wald teilen sich nicht weniger als 259 Waldeigentümer mit 834 Parzellen, verteilt auf die drei Waldbereiche Ausserberg im südöstlichen Gebiet ums Grenzacher Horn, Mittelberg im östlichen, von der Chrischona-Anhöhe begrenzten Teil, und Maienbühl im Nordosten mit der weit in deutsches Gebiet ragenden «Eisernen Hand». Gesamthaft beträgt die Waldfläche 308 Hektaren (Riehen 206, Bettingen 102 ha), die folgende Besitzverhältnisse aufweisen: Bürgergemeinde Riehen 76,60 ha, Einwohnergemeinde Riehen 21,50 ha, Bürgergemeinde Bettingen 42,00 ha, Forstverwaltung Basel 44,90 ha, Privatwald 123,00 ha.

Es mag erstaunen, zu vernehmen, dass mehr als ein Drittel «unseres» Waldes in Privatbesitz ist; es macht aber auch verständlich, dass seit längerer Zeit Bemühungen um eine Güterzusammenlegung im Gange sind. Es ist darüber in der Riehener-Zeitung sowie in der Basler Presse schon viel geschrieben worden, doch ist hier nicht der Ort, auf die umstrittenen Pro- und Contra-Argumente einzugehen. Es genügt, zur Illustration des heiklen Problems festzuhalten, dass sich die 834 Waldparzellen grössenmässig wie folgt aufteilen: 352 sind grösser als 18 Aren, 482 sind kleiner als 18 Aren.  188 der total 834 Parzellen sind sogar kleiner als 10 Aren, umfassen zum Teil nur wenige Quadratmeter, machen aber 23 Prozent, also fast ein Viertel der gesamten Parzellenzahl aus. Aus diesen Zahlen geht deutlich hervor, wie kompliziert die Besitzverhältnisse im Riehener und Bettinger Wald sind und dass die geplante Güterzusammenlegung zumindest einem Gebot der Vernunft entsprechen würde.

Wie aus der oben angeführten Zusammensetzung der Besitzverhältnisse zu ersehen ist, partizipiert auch die Stadt Basel an «unserem» Wald, wobei die Forstverwaltung Basel die im Riehener und Bettinger Bann liegenden Parzellen der Basler Bürgergemeinde, der Chr. Merian'schen Stiftung, des Bürgerspitals und anderer Institutionen betreut. Doch stehen sowohl der öffentliche wie der Privatwald unter der Obhut des Riehener Försters Kaspar Gut, mit dem wir den Wald inspiziert haben und dem wir an dieser Stelle für Belehrung und Auskünfte den besten Dank aussprechen möchten. Mit einem Minimum an Personal, nämlich einem Forstwart, einem Waldarbeiter und drei Forstwartlehrlingen, zu denen sich im Winter ein paar Accordanten zum Holzen gesellen, schaut er zum Rechten in «unserem» Wald. Und wenn auch ein altes Sprichwort sagt: «Am schönsten hat's die Forstpartie, der Wald, der wächst auch ohne sie»

dann trifft diese Behauptung schon zu; nur fragt sich, w i e er «ohne sie» wächst. Auf unserem Rundgang durch den Wald wurde uns bald deutlich, dass es der Riehener Forstequipe an Arbeit nicht mangelt, einer Arbeit, die durch die starke Zerstückelung und Aufteilung des Waldes in eine Vielfalt von Parzellen noch erschwert wird.

Zusammensetzung des Waldes

Man braucht nicht ausgewiesener Botaniker zu sein, um festzustellen, dass im Riehener und Bettinger Laubmischwald die Buche tonangebend ist. Sie beansprucht gut 60 Prozent des gesamten Baumbestandes und würde innert wenigen Jahren noch stärker in Erscheinung treten, wenn sie nicht durch eine konsequente Waldpflege in Schranken gehalten würde. Etwas pointiert ausgedrückt, kann man die Buche als das «Unkraut des Waldes» bezeichnen; denn sie ist bezüglich Boden und Licht sehr anspruchslos und erschwert das Wachstum der andern Laubbäume. Nach der Statistik des Kantonsförsters gesellen sich zu den 60 Prozent Buchen etwa 20 Prozent Eichen, 10 Prozent übrige Laubholzarten wie Ulmen, Eschen, Akazien, Ahorn, Hagenbuchen, wildwachsende Kirschbäume, Birken, Nussbaum, Kastanien, Eisbeer-, Mehlbeer- und Vogelbeerbäume sowie 10 Prozent Nadelhölzer, unter denen sich alte, prachtvolle Exemplare von Lärchen, Föhren und Fichten (Rottannen) befinden.

Wie sehr ein Wald lebt und wächst, wenn auch relativ langsam, ersehen wir, wenn wir ein kleines Stück Waldboden näher betrachten. Was kommt da nicht alles zum Vorschein, was durch natürliche Ansamung Wurzel gefasst hat und aufgegangen ist: angehende Eschen und Kirschbäume, Ulmen und Eichen etc. und natürlich auch Buchen, die den selteneren Baumarten Licht und Boden streitig machen. Wenn das Wachstum dieser Jungpflanzen sich selbst überlassen wird, nimmt die Buche überhand und wächst beispielsweise eine Eiche so ein, dass sich ihre Krone nicht genügend entfalten kann, was dann mit der Zeit zur Verdorrung der Krone und zum Absterben der Eiche führt. Es ist Aufgabe des Försters, die natürlich gewachsenen Jungpflanzen, wenn sie knie- oder mannshoch sind, stehen zu lassen oder auszuscheiden, um die vernünftigen Relationen des Laubmischwaldes zu steuern und zu gewährleisten. Mit andern Worten: Es geht darum, durch eine vernünftige Durchforstung Licht in den Wald zu bringen, damit auch den anspruchsvolleren Hölzern ein Gedeihen zu ermöglichen und auf diese Weise dem Wald ein abwechslungsreiches Bild zu verleihen. Wohl besorgt Förster K. Gut den ganzen Holzverkauf, also den öffentlichen wie den privaten, und besorgt auch die Kalkulation für die Privatwaldbesitzer, die sich jedoch selber um die Pflege ihrer Waldparzelle kümmern müssen. Und bei ei nem Gang durch den Wald lässt sich bald einmal konstatieren, wie sehr oder wie wenig sich ein Besitzer seines Waldes annimmt.

Wirtschaftlichkeit des Waldes

Nun hat ja der Wald auch noch eine andere Funktion als nur diejenige, Lunge der Stadt und Naherholungsgebiet zu sein, in dem man auf der Finnenbahn seine Kondition testen und auf dem Mut- und Wutspielplatz seine Kräfte erproben und einen Zorn abreagieren, wo man aber auch auf dem Waldlehrpfad im Ausserberg seine botanischen Kenntnisse prüfen und mehren kann; er ist auch Holzlieferant und bildet in dieser Eigenschaft eine Einnahmenquelle für die Gemeinde. Während in der Jahresrechnung der Einwohnergemeinde Riehen für 1974 den Einnahmen von «nur» 22 845 Franken, wovon 14 500 Franken aus Waldarbeiten für Dritte und 8 300 Franken aus Holzerlös, Ausgaben von über 155 000 Franken gegenüberstehen, so dass also ein Manko von rund 130 000 Franken resultiert, schliesst die Waldrechnung 1974 des Riehener Bürgergutes bei Einnahmen von fast 34 700 Franken, zur Hauptsache resultierend aus dem Ertrag des Holzhiebes, mit einem Einnahmenüberschuss von fast 23 000 Franken ab.

Bei einem Zuwachs von 6 bis 10 Kubikmetern pro Hektare und einer Abnahme durch Holzschlag imAusmassvon fünf bis sechs Kubikmetern, bleibt also eine Zuwachsrate von einem bis vier Kubikmetern pro Hektare. Während früher Holz aus dem Gemeindewald zum grossen Teil als Bürgernutzen abgegeben wurde, ist heute die Industrie der Hauptabnehmer des Holzes aus dem Riehener und dem Bettinger Wald. Und da sich die Preise begreiflicherweise nach der Qualität des Holzes richten, muss auch unter diesem Gesichtspunkt die Pflege des Waldes als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Da 1974 — vermutlich im Zusammenhang mit den massiven Fleizölaufschlägen — auch die Holzpreise wieder anzogen, konnten folgende Preise erzielt werden, jeweils in Kubikmeter und bester Qualität: Buche: 157 Franken, Eiche: 300 Franken, Rottanne: 190 Franken; Buchenbrennholz: 40 Franken pro Ster, respektive 36 Franken im Grosseinkauf; und Industrieholz (zur Herstellung von Spanplatten oder von Papier) Nadelholz in Rinde: 51 Franken pro Ster, Laubholz : 39 Franken für erste, 32 Franken für zweite Qualität. Die Rüstkosten sind je nach Standort und Art des Holzes verschieden. Rottanne in erster Qualität kann zum Beispiel nur erzielt werden, wenn die Tannenstämme sukzessive und bis in eine Höhe von etwa acht Metern hinauf von dürren ästen befreit werden; nur so ist es möglich, das begehrte astfreie Holz zu bekommen.

Zu den Rüstkosten kommen auch noch die zum Teil sehr weiten Rückdistanzen, das heisst die Distanzen zwischen der Stelle, wo das Holz gefällt und zugerüstet wird, bis zum Waldweg, wo es verladen werden kann; denn der Preis wird erst ab Verlad berechnet.

Ideeller Wert geht vor Rendite

«Unser Wald», um ihn noch einmal so zu nennen, ist also weder für die Gemeinden noch für die Privatbesitzer ein «Geschäft». Und er soll es ja auch nicht sein. Seine primäre Aufgabe besteht ja nicht darin, rentabel zu sein, sondern ein Stück Natur zu bleiben, dessen unbezahlbaren Werte in der Erhaltung von gesunder Luft und gesundem Wasser, im Lebensraum für Fauna und Flora, im Schutz gegen Naturereignisse (die Lawinenkatastrophen des Winters 1974/75 haben uns den Wert und die Notwendigkeit von Schutzwäldern aufgezeigt) und — vor allem für eine Stadt- und stadtnahe Bevölkerung — im Vorhandensein als Wander- und Erholungsraum liegen. Wie froh sind wir doch um dieses Naherholungsgebiet zwischen Rhein und Wiese, und wenn wir berücksichtigen, dass wir als Nicht-Besitzer durch unser Verhalten im Wald dazu beitragen können, dass er gesund ist und bleibt, dann dürfen wir auch die Anführungszeichen weglassen und mit berechtigtem Stolz von unserem Wald reden. Dann werden wir aber auch dankbar anerkennen, was Behörden und Private zur Pflege des Riehener und des Bettinger Waldes leisten.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1976

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