Von Žilina nach Riehen


Dominik Heitz


 

Eigentlich hatte Helena Gašparová gar nicht daran gedacht, die slowenische Stadt Žilina zu verlassen und ins Ausland zu gehen. Doch eine Jugendfreundin, die selber in der Schweiz lebt, empfahl ihr eines Tages, hier eine Stelle als Pflegerin anzunehmen.


 

Sie liegt nahe der tschechischen und polnischen Grenze, die Stadt Žilina, und ist ganz hübsch – mit Altstadt, einem Schloss, weiteren historischen Gebäuden und einem Fluss, der Waag, die später in die Donau fliesst. Der südkoreanische Autohersteller Kia hat hier vor zehn Jahren sein erstes europäisches Werk errichtet. Bloss 15 Kilometer ausserhalb liegt die Thermalbadestadt Rajecké Teplice. Sennereien produzieren Schafskäse. Und nur zwei Autostunden von ˇZilina entfernt, erhebt sich das hohe Tatra-Gebirge. Mit ihren 155 000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist die Stadt ˇZilina eine der grösseren in der Slowakei.


 

Dankbar und glücklich


In dieser Stadt und in dieser der Schweiz sehr ähnlichen Gegend ist Helena Gaˇsparová geboren und zusammen mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Der Vater starb, als Helena elf Jahre alt war, was ihre Mutter zwang, in einer Kugellagerfabrik zu arbeiten.


 

Helena Gaˇsparová selber arbeitete nach der Schule in der Gastronomie, bis sie mit 23 Jahren heiratete. Dann gebar sie einen Sohn und eine Tochter. Und damit die Familie finanziell einigermassen gesichert leben konnte, nahm sie eine Stelle im Labor eines Wasserwerks an. 21 Jahre lang war Helena Gaˇsparová verheiratet – am Ende nicht mehr glücklich. Sie liess sich scheiden und war danach erst recht auf Arbeit angewiesen, weil sie von ihrem Ex-Mann keine Unterhaltszahlungen erhielt. Eine Jugendfreundin, die selber in der Schweiz lebt, empfahl ihr hier eines Tages eine Stelle als Pflegerin. 


 

Helena Gaˇsparová hatte zuvor nie daran gedacht, im Ausland zu arbeiten, doch heute betreut sie in Riehen eine alte Dame in deren eigenem Haus, wohnt dort auch, ist rund um die Uhr abrufbar und hat ihre geregelte freie Zeit.


«Ich mache die Arbeit gerne», sagt Helena Gaˇsparová. «Wenn die Leute zufrieden sind, ist das für mich ein grosses Geschenk.»


In der Slowakei ist diese Art der privaten Altersbetreuung ein Luxus, den man sich dort nicht leisten kann. «Staatliche Einrichtungen sind vorhanden, aber private sind äusserst rar.»


 

Für Helena Gaˇsparová selber ist es nicht nur ein Geschenk, wenn sie anderen helfen kann. Sie ist auch dankbar für ihre jetzige Arbeitssituation. Denn sie ist rechtlich und sozial von ihrer privaten Arbeitgeberin abgesichert und gehört nicht zu jenen illegalen Pflegerinnen, die über ausländische Agenturen in die Schweiz kommen und monatlich bloss 1500 Franken erhalten, während die Vermittlungsagenturen bis zu 2000 weitere Franken einstreichen, welche die Pflegebedürftigen bezahlen.


 

Am Anfang war es für Helena Gaˇsparová schwierig, in der Schweiz zu arbeiten – ohne ein Wort Deutsch zu können. Inzwischen hat sie sich die Sprache selbstständig beigebracht und kann sich recht gut verständigen. Sie fühlt sich in Riehen wohl und schätzt in der Schweiz die Disziplin, die Sicherheit, aber auch die Sorge zur Umwelt. Um ihre Kinder braucht sie sich keine Sorgen zu machen. Der Sohn, mittlerweile 37, arbeitet heute im Bankenbereich und die 27-jährige Tochter ist angehende Ärztin.


 

Wenn es geht und ihre Gesundheit es weiterhin zulässt, möchte Helena Gaˇsparová bis 65 arbeiten. In der Slowakei wäre die 60-Jährige schon jetzt pensioniert, stünde finanziell aber schlecht da; die Sozialleistungen sind mit jenen in der Schweiz nicht vergleichbar.


 

Private Pflege


Immer mehr betagte Menschen möchten möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden leben. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass der Bau von Wohnungen zunimmt, die direkt an Alterspflegeheime angegliedert sind. So können die Bewohnerinnen und Bewohner auch im hohen Alter in ihren Wohnungen bleiben und – falls nötig – Pflege vom Altersheim nebenan in Anspruch nehmen.


 

Doch viele alte Menschen wohnen nicht in der Nähe von Pflegeheimen. Und vielleicht können sie auch nicht mit der Unterstützung ihrer eigenen Familie rechnen, wenn sie irgendwann auf eine Kraft angewiesen sind, die ihnen den Haushalt besorgt, sie betreut – jeden Tag, möglicherweise rund um die Uhr.


 

Nun gibt es Pflegerinnen und Pfleger aus dem Ausland, die individuell über Freunde oder über ein Vermittlungsinstitut eine Stelle in der Schweiz finden. Doch nicht alle Vermittlungsinstitute sind gleich seriös. Eines, das versucht, ein gutes Verhältnis mit den Betagten wie den Pflegenden anzustreben, ist die Caritas Schweiz. Sie sorgt mit ihrem 2012 gestarteten Projekt ‹In Guten Händen. Von Caritas zu Hause betreut› dafür, dass – was eigentlich selbstverständlich sein sollte – die Pflegehelferinnen und Pflegehelfer nach Schweizer Arbeitsrecht angestellt sind und einen fairen Lohn erhalten.


 

Die Caritas setzt sich mit ihrem Projekt aber auch zum Ziel, dass die ausländischen Pflegenden ihrem Herkunftsland treu bleiben und nicht auswandern. Rumänien zum Beispiel hat in den letzten Jahren über zwei Millionen Menschen – vor allem Ärzte, Pflegepersonal, Ingenieure – durch Abwanderung verloren, weil sie in den westlichen Ländern Europas bedeutend mehr verdienen.


 

Die Caritas arbeitet mit der Caritas Alba Iulia in Siebenbürgen zusammen. Diese führt mit ihren mobilen Diensten eine Spitex, deren Betreuerinnen und Betreuer als ausgebildete Helfer auch in Miercurea Ciuc, der Partnergemeinde von Riehen, arbeiten. Sie sind rumänisch-ungarische Doppelbürger und erhalten im Heimatland eine mehrwöchige Vorbereitung und Ausbildung in deutscher Sprache, Pflege und Kultur. Drei Monate arbeiten die Helfer und Helferinnen in der Schweiz, dann sollen sie für den Rest des Jahres wieder in ihre Heimat zurückkehren.


 

Die Caritas-Betreuung kostet die Pflegebedürftigen monatlich 6490 Franken. Davon sind 990 Franken Naturalleistungen für Kost und Logis. Diese werden dem Auftraggeber rückerstattet, da Kost und Logis im selben Haushalt zur Verfügung gestellt werden. Demnach beträgt die Betreuungspauschale 5500 Franken pro Monat. Drei Viertel der Kosten sind sozialversicherungspflichtige Lohnkosten. Der Aufwand der Caritas für Auswahl und Vorbereitung der Betreuerinnen und Betreuer, die Einsatzleitung in der Schweiz, die Qualitätskontrolle und die Projektentwicklung beträgt rund ein Viertel der Gesamtkosten.


 

Bis jetzt hat die Caritas mit ihrem Projekt einzig Anfragen in der Region um Luzern abgedeckt. Ab Oktober 2014 möchte sie jedoch auch die Region Basel ins Auge fassen. Riehen mit seinen Kontakten zu Rumänien prüft nun eine allfällige ideelle Unterstützung des Caritas-Projekts.


 

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2014

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