Zwischen Pragmatismus und Avantgarde

Christoph Gessler

«Neues Bauen» - das muss dem Laien vielleicht erklärt werden. Es ist ein Begriff, der für etwas viel Umfassenderes steht, als es der spröde Ausdruck dieser zwei Wörter erwarten lässt. Ursprünglich wohl eher provisorisch gedacht, blieb er an einer Stilrichtung haften, die durch einen radikalen Bruch mit traditionellen Bauformen und Gestaltungselementen auffiel; entsprechend eckte die neue Stilrichtung auch an. Politische Polarisierung zwischen gesellschaftlich traditionalistischen und progressiven Kreisen kristallisierte sich an dieser Architektur, was ihr gelegentlich das Prädikat «bolschewistisch» eintrug und den bitteren Beigeschmack von Klassenkampf aufkommen liess.

Der Erste Weltkrieg markierte in der gesellschaftspolitischen Landschaft Deutschlands eine Zäsur, die sich - ganz anders als in der vom Krieg verschonten Schweiz - durch diesen radikalen Bruch manifestierte. Was sich in der Malerei in verschiedenen Stilrichtungen seit Beginn des Jahrhunderts angekündigt hatte, so etwa im Kubismus, brach hier unvermittelt durch, als das «Bauhaus» entstand, eine in ihrer Idee globale, das ganze Leben umfassende Kunstschule. Sie wurde 1919 in Weimar durch den Architekten Walter Gropius konzipiert, siedelte 1925 nach Dessau über und übernahm unter seiner Leitung im deutschen Einflussbereich eine Führungsrolle in Kunst und Architektur, bis sie 1933 nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten geschlossen wurde.

Manche Architekten wanderten ans...

In der schweizerischen Enge und Kleinmassstäblichkeit konnten sich derartige Gesten kaum entfalten, und ein grosser Geist wie Charles-Edouard Jeanneret, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Le Corbusier, wanderte 1917 von La Chaux-de-Fonds nach Paris aus. Hier fand er die künstlerischen Anregungen und Kontakte, die er brauchte, um sein eigenes Werk zu entwickeln, das in den zwanziger Jahren das lateinische Pendant zum Bauhaus darstellte. Beide Pole befruchteten sich gegenseitig und schufen gemeinsam Werke wie die Weissenhofsiedlung in Stuttgart. Der Umstand, dass in verschiedenen Ländern zur gleichen Zeit derart ähnliches entstand, trug dieser Bauweise auch den Namen «Internationaler Stil» ein.

Wieviel von diesem Geist - und mit welchen Anpassungen an eine eher pragmatische Mentalität - in der Schweiz zu realisieren war, kann in Riehen an einigen exemplarischen Bauten dokumentiert werden, die auch gesamtschweizerisch zu Schlüsselwerken dieses Baustils wurden. Dass sie fast ausnahmslos ihre ursprüngliche Form bewahrt haben, ist architekturhistorisch als besonderer Glücksfall zu werten.

Riehen zählte um 1900 etwa 2600 Einwohner, die fast ausschliesslich im «Dorfetter», dem eigentlichen Dorfkern, lebten. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte sich die Bevölkerung etwa verdreifacht. Der Drang aus der Stadt hinaus aufs Land, die gesteigerte Mobilität durch attraktive öffentliche Verkehrsmittel wie das Tram, das 1908 nach Riehen geführt wurde, und der gewaltige wirtschaftliche Aufschwung, der Basel und seine chemische Industrie prägte, bewirkten, dass vor allem mittelständische und begüterte Kreise sich auf dem Gemeindegebiet ansiedelten. Ihr bauliches Statussymbol war das freistehende Einfamilienhaus auf einer komfortabel grossen Landparzelle.

Riehen liegt wie Basel im «Kulturraum Oberrhein», den eine ganz spezifische Tradition des bürgerlichen Mäzenatentums prägt. Deren wohl ältester Zeuge ist die «öffentliche Kunstsammlung», die 1662 aus der privaten Sammlung eines begüterten Kunstfreundes hervorging, Jahrhunderte bevor der Begriff «Museum» überhaupt geschaffen wurde.

Auch im 20. Jahrhundert führten Familien diese Tradition weiter, die durch den Handel und den Aufschwung der Industrie zu Reichtum und Wohlstand gelangt waren und mit ihrer Sammeltätigkeit tatkräftig auch avantgardistisches Kunstschaffen förderten. Exponenten davon sind Persönlichkeiten wie Richard Doetsch-Bänziger, Emanuel Hofmann, Rudolf Staechelin, Raoul La Roche, Maja und Paul Sacher-Stehlin. Ihre Namen sind untrennbar mit dem Kulturleben der Stadt Basel und ihrem Kunstmuseum verknüpft.

Dieser gegenüber den Kunstströmungen der eigenen Zeit offene Geist fand sein Gegenstück in der gesellschaftspolitischen Fortschrittlichkeit des «Sozialen Basel». Baugeschichtlich relevanten Ausdruck fand diese in Siedlungen mit Modellcharakter wie dem «Freidorf» in Muttenz (Architekt Hannes Meyer, 1921), «Im Hirzbrunnen» rund um das Claraspital (Architekt Professor Hans Bernoulli, 1924) oder - etwas bescheidener im gestalterischen Anspruch - in der Wohngenossenschaft «Gartenfreund» an der Morystrasse (1922, Architekten Bercher und Tamm - vergleiche z'Rieche 1994).

Der Theoretiker und der Praktiker

Im Spannungsfeld dieser beiden Brennpunkte, dem sozial engagierten und dem künstlerisch aufgeschlossenen Geist, liegt das Werk der Architekten Paul Artaria (1892-1959) und Hans Schmidt (1893-1972) und ihrer Auftraggeber.

Frühe Spuren Artarias finden wir in einem Wohnhaus im Pfaffenloh gegenüber der Franziskuskirche (Aeussere Baselstrasse 125), einem in seinen Formen biedermeierlichklassizistisch angelegten Haus, das 1922 erbaut wurde.

Soziales Engagement manifestierte sich in der Siedlung «In den Habermatten» an der Aeusseren Baselstrasse, einem der frühesten Werke, die Artaria und Schmidt gemeinsam 1924 bis 1926 realisierten. Auf engstem Raum sind 44 Reihenhäuser entstanden, die, unprätentiös in der Gestaltung, mit minimalen Abmessungen den Traum vom Eigenheim auch für ein kleines Budget wahr werden liessen - eine Bauweise, die in grossem Massstab nach dem Zweiten Weltkrieg im genossenschaftlichen Wohnungsbau im Niederholz aufgegriffen wurde.

Zwei weitere Häuser, die sie 1925 bauten, weisen in eine andere Richtung. An der Sonnenbühlstrasse 40 fällt der Bruch mit den traditionellen Stilelementen auf. In geradezu rücksichtsloser Weise, verglichen mit dem Haus im Pfaffenloh, diktierten technisch funktionelle überlegungen eine Formensprache, die noch nicht besonders prägend oder inspiriert wirkt. Das Haus am Schlipfweg 22 hingegen hat davon schon mehr zu bieten. Mitten in den Rebbergen gelegen, wirkt es mit seinen zwei gegeneinander gesetzten Pultdächern und den Holzverschalungen provokativ unkonventionell und auch heute noch sehr frisch. In all diesen Beispielen fehlen die charakteristischen formalen Elemente des «Neuen Bauens» jedoch fast vollständig.

Schritt für Schritt zu Radikalität

Schon ein Jahr später hat sich das geändert. Das Atelierhaus, das sich der Kunstmaler Willy Wenk 1926 erbauen liess (Mooshaldenweg 5) und wo er als gelernter Zimmermann selbst massgeblich Hand anlegte, fällt durch seinen schmucklosen kubischen Atelierblock und das flache Dach auf - Elemente, die fast zwingend zum «Neuen Bauen» gehören. Die betont handwerkliche Ausführung der Holzkonstruktion wirkt hingegen eher ländlich und traditionell.

Gemeinsam ist den drei Häusern die nüchterne Funktionalität und Ablesbarkeit der räumlichen Gliederung im Innern - auch dies Forderungen, die zum Katalog des «Neuen Bauens» gehören.

Kaum hundert Meter davon entfernt entstand dann 1928 das Haus Schaeffer (Sandreuterweg 44). Hier war der Bruch mit der traditionellen Formenwelt und mit handwerklicher Technik radikal, mit bürgerlichen Vorstellungen des Einfamilienhauses ebenso. Kompromisslos nackt und weiss, völlig schmucklos und ziemlich ungelenk, steht das seltsame Gebilde mitten in einem Baumgarten, ein prismatischer Kubus mit einem Wohnteil auf den Boden, ein zweiter langgestreckter kubischer Riegel mit den Schlafräumen quer darüber gelegt. Darunter eine grosse offene Gartenhalle, die den Blick von der Strasse unter dem Haus hindurch nach dem Garten freigibt.

Unglaublich und fast monströs waren die Geschichten, die sich noch zwanzig Jahre später wie die unterdessen üppig wuchernde Vegetation im Garten um dieses Haus und seine Bewohner rankten: In dessen Wohnraum soll sich der Flügel des Hausherrn (er war Musiker) unter der ungehinderten Sonneneinstrahlung wie eine ausgetrocknete Käserinde aufgebogen haben; man soll auch vergessen haben, eine Toilette einzubauen, weshalb sie, rund wie eine Litfasssäule, nachträglich mitten in den Wohnbereich gestellt wurde. Wohl nicht alles, was da geraunt wurde, entbehrte einer gewissen Grundlage; es gab weder Sonnenschutz noch Fensterläden und die Wärmeisolation war für die exponierte Form des Hauses vollkommen ungenügend. Doch ist bezeichnend, dass gleichartige Geschichten in ganz Europa herumgeboten wurden, wenn es im Siedlungs- oder Hausbau Ungewohntes, Aneckendes zu kommentieren galt.

Das war jetzt «Neues Bauen» pur. Die Bezüge zu den internationalen Beispielen in Deutschland und Frankreich, zu den Manifesten eines Bauhauses, zu den programmatischen Aufsätzen eines Le Corbusier, deren Postulate oft ähnlich losgelöst vom täglichen Leben und von praktischen überlegungen waren, wurden unübersehbar - genauso unübersehbar wie dieser merkwürdige «Wagonlits», der da am Sandreuterweg, auf einem Sockel aufgelegt, in der Luft hing.

Und dennoch, 68 Jahre nach seinem Bau steht das Haus noch immer, wurde in den vergangenen Jahren von den stilfremden Veränderungen befreit und sorgfältig renoviert, wodurch es seinem ursprünglichen Aussehen wieder sehr nahe kommt. Von seinem aneckenden Charakter hat es jedenfalls auch nach so langer Zeit kaum etwas eingebüsst.

Riehener Zeugen mit Modellcharakter

Zwei ähnliche Häuser von Artaria und Schmidt stammen aus der gleichen Zeit: an der Wenkenstrasse 81 (1927) und an der Hackbergstrasse 29 (1928). In ihrem Erscheinungsbild weisen sie die gleichen Merkmale auf. Das Haus am Rande des Wenkenparkes steht, ganz in weiss, wie ein kleiner Ozeandampfer im Trockendock - eine Anspielung, die in den theoretischen Schriften auch klar for muliert wird: Im Schiffbau kam man ohne den Ballast von historischen Stilelementen aus und konnte nach technischen Kriterien viel kompromissloser vorgehen als im Hausbau, wo gesellschaftliche Rücksichten oft eine dominierende Rolle spielten.

Brisant und beinahe revolutionär waren nicht die sozialen Inhalte, die da vermittelt wurden, denn genau besehen handelt es sich in allen Fällen um klassische Einfamilienhäuser für einen mehr oder weniger begüterten Mittelstand. Spektakulär war das programmatisch und plakativ Hervorgestrichene, eben das «Neue Bauen», in gestalterischer wie bautechnischer Sicht.

Diese drei Zeugen avantgardistischen Bauens haben für die gesamte Schweiz Modellcharakter behalten. Sie zeigen die Handschrift des Theoretikers Hans Schmidt, während die früheren Beispiele in dem Architekten-Zweigespann eher das Handwerk des Praktikers Paul Artaria dokumentieren.

Es ist denn auch bezeichnend, dass sich ihre Wege 1930 wieder trennten. Schmidt verlegte seine Tätigkeit für sieben Jahre in die Sowjetunion, wo er sich vor allem mit städtebaulichen Fragen auseinandersetzte. Artaria pflegte wieder einen weniger spektakulären Hausbau. Ein Beispiel mit Anklängen an die Avantgardezeit ist noch das Atelierhaus, das er 1935 für den Kunstmaler Paul Basilius Barth im Kornfeldquartier (Vierjuchartenweg 24) erbaute; später weisen seine sauber durchgearbeiteten Holzkonstruktionen deutliche Elemente des Heimatstils auf, der unter dem Banner der geistigen Landesverteidigung an der «Landi» 1939 in grossem Stil lanciert wurde, um deutscher Blut- und Bodenarchitektur ein schweizerisches Gegenstück entgegenzustellen. Zeugen davon sind das Wohnhaus an der Rudolf Wackernagel-Strasse 106 (erbaut 1949) und ein Wochenendhaus im Schlipf aus dem Jahr 1952.

Auf markante Spuren des Wirkens von Hans Schmidt treffen wir in Riehen wieder nach dem Zweiten Weltkrieg. Es entstanden die genossenschaftlichen Reihenhaussiedlungen «ARBA» (Seidenmannweg, 1947) und «RIEBA Im Höfli» (Rauracherstrasse, Hörnliallee, Kohlistieg, 1948-1950) - auch sie durch den Heimatstil geprägt. Sie bestechen durch ihre präzise durchgearbeiteten Grundrisse und nehmen Elemente auf, die wir in den Siedlungen «Gartenfreund» und «In den Habermatten» angetroffen haben. Besonders in der Siedlung am Hörnli erleben wir dabei eine Dimension der Nähe zum Bewohner und der Wärme in der Ausstrahlung des kollektiven Gedankens, die man in den architektonischen Manifesten der drei Häuser Schmidts aus den zwanziger Jahren vergebens sucht.

Otto Heinrich Senn: kompromisslos und konsequent

Ein ganz anderes Temperament verraten die Bauten von Otto Heinrich Senn (1902-1993). Nach Abschluss seiner Studien an der ETH in Zürich bei Professor Karl Moser, dem Erbauer der Antoniuskirche in Basel, begann er sein praktisches Wirken 1927 im Büro von Artaria und Schmidt. Mitarbeit in andern namhaften Architekturbüros, ausgedehnte Studienreisen und die Teilnahme an internationalen Kongressen charakterisieren seine «Wanderjahre». So wurde Senn auch Gründungsmitglied des Congrès International de l'Architecture Moderne (CIAM), der im Waadtland auf Schloss La Sarraz 1927 gegründet wurde und die internationale Plattform darstellte, auf der die theoretischen Grundlagen der Gegenwartsarchitektur diskutiert wurden. In diesem Kreis machte er die Bekanntschaft mit den grossen Vorkämpfern des «Neuen Bauens».

1933 eröffnete Senn sein eigenes Büro in Basel. Das erste seiner nicht sehr zahlreichen ausgeführten Projekte wurde das grosszügig konzipierte Landhaus, das er 1933/34 für die Familie seines Bruders am Schnitterweg 40 in Riehen entwarf. Die ausgesprochen sorgfältige Ausführung lag dabei in den Händen eines andern Bruders, des Architekten Walter Senn. Das Haus zeichnet sich aus durch beherrschte, in ihren Proportionen ausgewogene Formen, die - obwohl kompromisslos dem «Neuen Bauen» verschrieben - jeden schrillen Ton vermeiden und sich auf diese Weise von den «Pamphleten» eines Artaria und Schmidt klar abgrenzen.

Diese im Vergleich zu den bisher vorgestellten Einfamilienhäusern grossbürgerliche Villa, die repräsentative Aufgaben für die geschäftlichen und kulturellen Ambitionen ihrer Bewohner wahrnehmen sollte, fällt auf durch ihre grosszügig bemessenen, spannungsreich gegliederten und wohlproportionierten Wohnräume im Erdgeschoss, die sich auf die Waldkulisse des Wenkenparkes öffnen. Eine sparsam instrumentierte Gartenanlage, deren hoch aufragende Robinien vor der Westfassade wirkungsvoll mit dem breitgelagerten Kubus des Wohnhauses kontrastieren, lassen diesen Zeitzeugen in Riehen als eines der am konsequentesten durchgearbeiteten und reifsten Beispiele des «Neuen Bauens» in der Region, ja in der Schweiz, erscheinen.

Es ist bezeichnend und typisch für viele Architektenbiographien, dass das Wirken Otto Senns in Basel erst spät durch die öffentliche Hand gewürdigt wurde. Nach langjähriger Planungszeit konnte er zu Beginn der sechziger Jahre den Neubau der Universitätsbibliothek am Rande des Botanischen Gartens realisieren, in dem er auf vielschichtige Weise die Ideen und Erscheinungsformen aus den dreissiger Jahren weiterentwickelt hat.

Die Biographie Otto Senns kennzeichnet auch ein für ihn schmerzliches Element. Sein spezifisches Interesse galt Zeit seines Lebens der christlichen Gemeinde als Kollektiv und ihrer Selbstdarstellung im Kirchenbau. Ausgedehnte Reisen und theoretische Schriften zu deren Geschichte seit dem Mittelalter zeugen von seinem Interesse. Sie fanden ihren Niederschlag in Entwürfen für den reformierten Kirchenbau, am weitesten fortgeschritten im Projekt für die Thomaskirche in Basel, das Senn während fast zehn Jahren beschäftigte. 1955 unterlag es aber im Wettbewerb um die Realisierung, so dass Senn, einer der besten Kenner des reformierten Kirchenbaus, in Ermangelung eines Auftraggebers kein einziges Kirchenprojekt realisieren konnte. Dass ihm die theologische Fakultät der Universität Basel für sein Wirken die Ehrendoktorwürde verlieh, mag den Makel moralisch ausgeglichen haben.

Weitere Riehener Exponenten

Es gibt eine ganze Reihe weiterer Architekten, die in Riehen Bauwerke schufen und sich dabei mit dem «Neuen Bauen» auseinandersetzten. Ein kompromissloser Vertreter ist Rudolf Preiswerk, der um 1935 an der Wenkenstrasse 58 und am Sandreuterweg 50 in unmittelbarer Umgebung der dokumentierten Bauten von Artaria und Schmidt zwei wohlproportionierte Häuser erbaute.

Otto Rudolf Salvisberg gilt als ein Exponent des «Neuen Bauens» in der Schweiz, seine zahlreichen Spitalbauten und das Erscheinungsbild von Hoffmann-La Roche, deren bauliche Planung er während Jahren betreute, bezeugen es eindrücklich. Doch wirkt das grosse Landhaus, das er für einen leitenden Angestellten dieser Firma schuf (Dinkelbergstrasse 4, erbaut 1935), nach aussen ganz unspektakulär, beinahe bescheiden, und lässt mit seinem langgezogenen flachgeneigten Ziegeldach den Gedanken an den «Internationalen Stil» erst gar nicht aufkommen.

Da sind auch die Architekten Ernst Mumenthaler (Wohnhaus Mühlestiegstrasse 44, erbaut 1930) oder Otto Meier zu erwähnen, dessen gemeinsam mit Ernst Mumenthaler erbautes Kinderheim (Im Baumgarten 1, erbaut 1933) durch seine unkonventionelle Gesamtform - oder wie beim Wohnhaus am Rütiring 30 (erbaut 1934) durch die zur Schau gestellte Stahlskelettkonstruktion - klare Bezüge zum «Neuen Bauen» aufweisen. Doch sind diese Bauten viel eher als pragmatische, typisch schweizerische Abwandlung davon zu charakterisieren, die oft mit «Neuer Sachlichkeit» umschrieben wird.

Hermann Baur, hauptsächlich bekannt durch seine zahlreichen Kirchenbauten, setzt sich auf seine Weise mit dem neuen Stil auseinander. Zwei ausgewogen konzipierte Wohnhäuser (Niederholzstrasse 79, 1933, und Waltersgrabenweg 21, 1936) nehmen das typische Element des Flachdaches wohl auf, strahlen aber im übrigen eine, man möchte sagen, «wertkonservative» Haltung aus, die gestalterisch dem Ideal gutbürgerlicher Villenarchitektur weit mehr verhaftet ist als der Avantgarde.

Die Liste der Architekten und ihrer Werke aus der Zwischenkriegszeit könnte fortgesetzt werden; vor allem in der Kategorie «Neue Sachlichkeit» gibt es viele beachtliche Zeugen in Riehen, die sich auch sechzig Jahre später sehen lassen dürfen. Man könnte auch der Frage nachgehen, wie nach dem Zweiten Weltkrieg mit diesem nun schon fast «historischen» Baustil umgegangen wurde und heute noch wird. Der Leser wird bei Streifzügen durch die Gemeinde vielleicht selber auf das eine oder andere Objekt stossen, das dieser Architektur zuzuordnen ist und hier unerwähnt blieb, oder er wird andere Bezüge zum «Neuen Bauen» entdecken, sei es bei Bauten aus den dreissiger Jahren oder bei Häusern aus jüngster Zeit.

Personen

(soweit nicht schon im RRJ oder im RJ 1986 ff. vorgestellt):

Walter Senn (1906-1983), Architekt Otto Rudolf Salvisberg (1882-1940), Architekt Hermann Baur (1894-1980), Architekt Rudolf Preiswerk (1896-1968), Architekt Otto Meier (1901-1981), Architekt Ernst Mumenthaler (1901-1978), Architekt Richard Doetsch-Bänziger (1877-1958), Apotheker, Kunstmäzen Raoul La Roche (1889-1965), Bankier, Kunstmäzen Maja Sacher (1896-1989), Bildhauerin, Kunstförderin Paul Basilius Barth (1881-1955), Kunstmaler Walter Gropius (1883-1969), Architekt Le Corbusier, Charles-Edouard Jeanneret (1887-1965), Architekt, Maler Rudolf Staechelin (1881-1946), Kaufmann, Kunstmäzen

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1996

zum Jahrbuch 1996