Der Cagliostro-Pavillon in Riehen

Am Ende des 18. Jahrhunderts, im Zwielicht einer Zeit des Umbruchs wie der unsrigen, machte die meteorhafte Erscheinung Cagliostros, einer Art genialen Schwindlers, überall in Europa von sich reden. Auch in Basel und Riehen verwirrte er eine Zeitlang die Gemüter. Wir veröffentlichen heute - mit freundlicher Genehmigung des Verlags «Das ideale Heim» - ein Stimmungsbild über einen bis heute beinahe unberührten Pavillon, der von Schweizer Gönnern eigens für Cagliostro gebaut worden war. Die Federzeichnung von Ernst Giese (s. S. 43) zeigt den Salon im Cagliostro-Pavillon.

Basel ist reicher an historischen Stätten als manche andere Stadt, doch nur wenige örtlichkeiten umwittert ein romanhaftes Geschehen. In der aktiven Atmosphäre dieser Stadt hat so etwas nie recht gedeihen können, immerhin fehlt es nicht gänzlich. Draußen vor den Toren, wo man die Türme und Schlote der Stadt ganz in der Ferne in seidenblauem Dunst sich verlieren sieht, dort schlängelt sich das asphaltene Band der Landstraße hart am Gemäuer eines alten Parks entlang, ehe man zum Dorfkern von Riehen kommt. Ein kleines, kreidehelles Viereck einer schön gemessenen Fassade mit den genauen Reihen der Fenster, dicht umbuscht von den beschnittenen Kronen der Lindenbäume, bildet einen erregenden Punkt in der Welt von blanken Farben. Dieses legendenumwitterte Häuschen mit seinen putzigen, glänzenden Fensterscheiben trägt einen geradlinigen Stil mit einigem aufgesetzten Zierat zur Schau und besitzt trotzdem die Sicherheit einer großen Epoche. Der Bau atmet noch die Ruhe aristokratischen Lebensgefühls, und wenn man durch das hohe Gittertor in den Park eintreten darf, dann ist man verblüfft, hinter den kulissenhaft gestutzten Buchsbaumbosquets das Zuckerbäckerweiß dieses Pavillons doppelt scharf hervorleuchten zu sehen. Man muß an das festliche Weiß der Seiden, Weiß der Ballkleider und Schleifen des ancien régime und reizvollen Dixhuitième denken. Wäre ich Maler, würde ich Kremserweiß wählen, um dies zu malen und es langsam aus der schweren ölfarbentube pressen und das Eitle bestaunen, das dabei herauskäme, aber auch das Geisterhafte an ihm, das nicht seinesgleichen hat. Ist Weiß nicht am Ende die spukhafte Farbe, Farbe der schlimmen Erscheinungen, die einem eine Gänsehaut über den Rücken jagen, der Mondsüchtigen und zarten Revenants. Da ich über knirschenden Kies gehe, dem Häuslein mit seinem pagodenhaften Türmlein und den unterm Dachgesims hängenden Glöcklein, die übrigens dem Gut später den Namen «Glöcklihof» gaben, entgegen, ist es mir, als ob ich Urlaub in eine längst vergangene Zeit genommen hätte. Alles gemahnt leise an Gewesenes, an jene Zeiten, da der Basler Bändelherr Jakob Sarasin mit seiner hübschen, zarten Gattin Gertrud oder Zoë, wie ihr Schäfername lautete, dem mystischen Zauber eines Grafen Cagliostro erlegen war, den Wundermann nach Basel ins Weiße Haus einlud, ihm dort ein alchimistisches Laboratorium einrichtete und gebannt den Ausführungen des sizilianischen Hochstaplers über die Mythen und Riten einer ägyptischen Loge lauschte, um dem Fremden hier draußen in ländlicher Abgeschiedenheit und Idylle den «chinesischen Pavillon » zur Errichtung eines ägyptischen Kioskes, einer neuartigen, mit skurriler Esoterik durchsetzten Loge, zur Verfügung zu stellen.

In dem großen ebenerdigen Raum mit dem Schnickschnack einer halb maurischen, halb italienischen Tapete, den zwölf aufgeklebten, mit gemalten Diamantkapitellen verzierten Säulen, wie wir sie ähnlich in Schinkels Zauberflötenscenarien finden: hier dozierte der Großkophta, der dicke, breitschultrige Divio Cagliostro seiner gläubigen Jüngerschar die merkwürdigsten und unglaubhaftesten Dinge, vollführte seine theosophisch spiritistischen Experimente und Spielereien mit dem jungen Felix Sarasin als Taube (Medium). Die schmalen, hohen, goldumränderten Spiegel zwischen den beiden nördlichen Fenstern gaben das Bild des kleinen vehementen Mannes wieder, der vorgab, übernatürliche Gaben zu besitzen, Medien und Erscheinungen hinter den hübsch drapierten großblumigen blassen Lambrequins und ihrer Stoffülle verschwinden zu lassen, indessen die Brüder auf den weißen Louis-Quinze-Joncstühlen sich niedergelassen, die Damen sich kapriziös auf der Chaiselongue hingelagert hatten und unabgewandt an den Lippen des Meisters hingen. In dem Park aber herrschte drükkende Hochsommerschwüle und am Horizont ballten sich die drohenden Wolken einer neuen Zeit, die diesem leichtfertigen fin de siècleSpiel ein rasches Ende bereiten sollte.

Jetzt treten wir an eines der schmalen Fenster, um unsern Blick in die Freiheit der Natur fliegen zu lassen, weil immer der Blick aus einem Fenster Weitersehen und Darüberhinausfinden bedeutet. Es ist gleichsam ein bescheidenes Symbol für unsere Sehnsucht, aus spukhafter okkulter Enge und Abenteuerhaftigkeit hinauszustreben ins helle Licht der friedvollen Landschaft. Und dann betreten wir den kleineren Nebenraum des Cagliostro-Pavillons mit seinen klarlinigen Biedermeiermöbelchen und der strengen hell- und dunkelgrün gestreiften Tapete, die dem Raum etwas sanft Herrisches, doch nicht unfreundlich Formstrenges gibt, sondern eine Anmut des Nüchternen und Hang zum greifbar Tüchtigen, gleichsam einen Protest gegen den alle Körperlichkeit willentlich auflösenden, gekurvten Schnickschnack des Rokoko, wie er noch im großen Hauptsälchen des Pavillons erhalten ist. Doch von den Wänden dieses kultivierten Biedermeierzimmerchens grüßen uns Cagliostro-Erinnerungen, eine großformatige Karikatur, den Meister in vollem Ornat unter seinen geschürzten Brüdern zeigend, als Abkömmling einer imaginären Prinzessin von Trébisonde.

Uber einen Kupferstich, der den Logenreformer und Geisterbeschwörer in eigener Person zeigt, fliegen Sonnenkringel und beleben das Gesicht des eigenartigen Mannes, geben seinem Blick für einen Augenblick lang jene beinahe übernatürliche Tiefe, bald Flamme, bald Eis, und man begreift ein klein wenig, wie dieser Poseur die allem Okkulten offenen Basler Gemüter bezaubern mochte. «Noli me tangere», sagt das Bild in einem fremdländischen, melodischen Tonfall. «Man soll Erscheinungen nicht berühren. Auch liebe ich es nicht, wenn mir fremde Personen zu nahe kommen. Ich brauchte lange genug, mich daran zu gewöhnen, daß sich jetzt in meinem Kiosk Ungläubige und Uneingeweihte mit spöttischen mokanten Mienen bewegen!»

Hinüber gleitet mein Blick zur schönen Lorenza, der Gattin des «Narren, der Seiten der Menschheit sehen ließ, die im allgemeinen Gange unbemerkt blieben», wie Goethe von Cagliostro sagte. Lorenza, wie manchmal mag sie mit ihrer südländischen Feurigkeit geholfen haben, pekuniäre Situationen des Erzzauberers zu überwinden? Vom Park herein hört man das Rauschen der Linden. Hat Cagliostro in monddurchwirkten Nächten hinausgelauscht, wie Wind und Bäume miteinander redeten und ihn zu seltsamen Imaginationen und Inspirationen geführt?

Doch das Bijou des Cagliostro-Pavillons ist noch nicht ganz erforscht, so steige ich im oktogonen Treppentiirmchen ins obere Stockwerk hinauf, wo mich ein alter Billardsaal überrascht: ein riesiges, altes Billard mit gedrechselten Füßen steht da, es mag aus der Zeit Cagliostros stammen, denn an der Wand hängt noch vergilbt und verstaubt das Plakat mit den «Réglés Generales du noble jeu de billard», gedruckt in der Imprimerie ordinaire du roi Jean François Leroux à Strasbourg. Sieben antike Kerzensoffiten mit einer Zugvorrichtung hängen von der Decke herunter und erleuchten einst die Schar der Spieler, indessen in den beiden anliegenden Kabinetten nach ihrem Debüt der Magier und sein Weibchen den Schlaf des Gerechten geschlafen haben mögen. F. K. M.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1969

zum Jahrbuch 1969