Die Magie der Rhythmen

Dominik Heitz

Seit Jahrzehnten ist er auf der Suche nach dem Ursound: Jetzt hat die Gemeinde Riehen dem Schlagzeuger Gregor Hilbe den Kulturpreis Riehen 2018 verliehen.

Mit einem Preis ausgezeichnet zu werden, ist für gewöhnlich Lob und Anerkennung zugleich. Für den Schlagzeuger Gregor Hilbe, der dies unter anderem schon bei der Vergabe des deutschen Schallplattenpreises und Weltmusikpreises 2006 erfahren durfte, hat sich nun dieser glückliche Moment erstmals in seinem Wohn- und Heimatort Riehen abgespielt. Und als er an jenem Abend des 24. Juni im Park der Fondation Beyeler den mit 15 000 Franken dotierten Riehener Kulturpreis entgegennehmen konnte, platzte es aus ihm heraus: «Es ist unglaublich, wunderschön – und ich freue mich irrsinnig, diesen Preis hier zu kriegen.» Was geht einem in diesem Moment durch den Kopf? Höhepunkte in der eigenen Karriere? Die Kindheit? Riehen und die ersten musikalischen Schritte? Oder gleich das ganze bisherige Leben im Zeitraffer? Der 51-jährige Perkussionist und Musikpädagoge, der seit drei Jahren die Jazz- und Popabteilung an der Zürcher Hochschule der Künste leitet, ist schon weit herumgekommen in der Welt – London, Paris, Wien, New York, Japan, Korea. Doch begonnen hat alles in Riehen. Hier ist ihm als kleines Kind von seinen Grossvätern erzählt worden: vom einen, der als Schlagzeuger durch den Westen zog, vom anderen, der als Pianist im Osten unterwegs war, Stummfilme für die Kinos vertonte und später unter dem Begriff ‹Relaxation Of Nerves› entspannende Musik kreierte und sie auf Tonbandkassetten verkaufte.

DRUMSET UND SYTHESIZER
Am Anfang wusste Gregor Hilbe noch nicht so recht, auf welche Schiene ihn die Musik ziehen würde. Seine Eltern nahmen ihn als Bub und Jugendlichen mit zu Jazzkonzerten im ‹Atlantis› und ans Jazzfestival von Montreux. Dort schaute er den Schlagzeugern einiges ab und brachte sich das Spiel mit dem Drumset selber bei. Zusätzlich nahm er Schlagzeugstunden an der Musik-Akademie Basel und später beim weltberühmten Jojo Mayer in Zürich. Gregor Hilbe hatte aber auch ein Faible für elektronische Klänge aus dem Synthesizer. Und weil ja letztlich jeder Musiker im Verbund mit anderen in der Öffentlichkeit spielen will, gründete er zusammen mit seinem Bruder Alex und Freunden eine Band. Dazu fand er in der Freizeitanlage Landauer einen geeigneten Proberaum. Nebenher sog Gregor Hilbe aber noch mehr auf: Er lernte bei der Fasnachtsclique ‹Glunggi› das Piccolo-Spiel und später bei den ‹Basler Dybli› das Trommeln – eine Sparte, die er zwar bald wieder aufgeben sollte, die sich ihm aber im Laufe seines Lebens immer mal wieder in Erinnerung rufen sollte. Und zwar zuerst in Graz. Eigentlich wollte er nach der Matur nach Amerika und sich dort als Schlagzeuger ausbilden lassen, doch finanziell lag das nicht drin. Die beiden einzigen Orte in Europa, wo sich ein Perkussionist mit aktuellen Strömungen auseinandersetzen konnte, waren das niederländische Hilversum und das österreichische Graz. Am Tag nach der Matur am Bäumlihof-Gymnasium besorgte er sich ein Interrail-Ticket und fuhr nach Graz, um sich dort innerhalb von vier Jahren an der Universität für Musik und darstellende Kunst zum Schlagzeuger ausbilden zu lassen. Prompt wurde der Riehener auf das Basler Trommeln und die Berger-Notation angesprochen, die dort kursierte.

WANDERJAHRE IN PARIS
Insgesamt 17 Jahre verbrachte Gregor Hilbe im Ausland. Nach Graz folgte im Jahr 1991 eine rund zehnjährige Zeit in Paris, wo er als professioneller Musiker zu spielen begann und es mit dem Jazzsänger Mark Murphy, einem seiner wichtigsten Mentoren, zu mehreren Produktionen kam. In der Pariser Zeit hatte er auch ein mehrjähriges Engagement beim Vienna Art Orchestra, das während seines Bestehens (1977–2010) als eines der innovativsten und erfolgreichsten Ensembles der jüngeren Jazzgeschichte galt. Gregor Hilbe war zudem Mitgründer des Pariser Kollektivs ‹ToySun› und des Trios ‹République Electrique›, bevor er für drei Jahre seinen Wohnsitz nach London verlegte. Die Liste von Gregor Hilbes Engagements lässt sich leicht erweitern. Als Freelancer war er unter anderem an Projekten mit Künstlern wie dem Sänger Theo Bleckman, dem Gitarristen Nguen Lê, dem Trompeter Nils Petter Molvaer und der Sängerin Sheila Jordan beteiligt. Er arbeitete mit dem Sänger und Pianisten Andy Bey zusammen, aber auch mit Grössen wie etwa dem Saxophonisten Dave Liebman, dem Sänger Kurt Elling oder der Sängerin Monica Zettlund. Und aus seiner einflussreichen Begegnung mit dem Master- Drummer Tony Allen entstanden in den 1990er-Jahren Arbeiten für das Label ‹Comet Records›. Zurück in der Schweiz, produzierte er mit der Band ‹Tango Crash› vier CDs, mit denen er den deutschen Schallplattenpreis sowie den Weltmusikpreis 2006 erhielt. Später wurde die Arbeit im Oloid-Duo zusammen mit Obertonsänger Christian Zehnder zu einer sehr wichtigen Erfahrung. Urtönen spürten die beiden in ihren Klangprojekten nach. Da konnte eine Komposition mit dem Geräusch von Wassertropfen beginnen, sich über spezielle Blasrohrklänge weiterentwickeln, im ewig gleichen Rhythmus Cello- und ‹Schwyzerörgeli›-Töne aufnehmen, mundorgel- und jodelartige Klänge integrieren und in den warmen Tönen von hölzernen Orgelpfeifen ihren Abschluss finden. Die Suche nach dem Ursound – das ist für Gregor Hilbe etwas Grundlegendes. «Rhythmische Kulturen haben etwas sehr Verbindendes», sagt er. Und um diese Kulturen zu erfahren, geht er weltweite Wege. In Korea setzte er sich mit ‹Samulnori› auseinander, einer traditionellen Perkussionsmusik, die auf vier verschiedenen Trommeln basiert. Er war auch in Japan – und in Zentralafrika besuchte er ein Pygmäen-Volk, bei dem ungeschriebene Musik und Rhythmen fester Bestandteil des alltäglichen Lebens sind.

DURCHDRINGENDE SCHLÄGE
Bei all diesen Begegnungen geht es Gregor Hilbe nicht darum, diese urtümliche Musik in seinen Kompositionen zu adaptieren. Er will vielmehr die Magie der Rhythmen begreifen lernen. In seiner Laudatio auf den Riehener Kulturpreisträger erklärte Christian Zehnder das so: «In seiner Musik scheint man die durchdringenden Schläge von ritueller Musik genauso zu vernehmen wie die urbanen Beats grossstädtischer Zeremonienmeister nächtlich ekstatischer Tanzpaläste.» Und fügt hinzu: «Überhaupt hat Gregor die Grenzen zwischen Jazz, archaischer und urbaner Musik nie gescheut. Er hat es verstanden, sie auf seine ganz originäre und äusserst intelligente Weise zu entwickeln, und hat die Elektronik und seine Beats schon in ganz jungen Jahren in sein Set-up integriert und bis in die Gegenwart beispiellos weiterentwickelt.» Um dies auch weiterhin zu tun, spielt der Freelancer immer wieder in kleinen oder grösseren Ensembles. Aber eben: Als zweites Standbein leitet er die Jazz- und Popabteilung an der Zürcher Hochschule der Künste. Zuvor hat er am Basler Jazzcampus den Studiengang ‹Producing und Performing› entwickelt. In der ‹Neuen Zürcher Zeitung› hiess es, er wolle die Jazz- und Popabteilung in Zürich als möglichst offene Institution begreifen, als «Biotop» oder eine «Gemeinschaft», die nach aussen in Kontakt bleiben solle mit Klubs wie ‹Mehrspur›, ‹Exil›, ‹Moods›, aber auch mit Musikschulen in Bern, Basel, Lausanne und mit Musikszenen im benachbarten Ausland. Aber wichtig sei es auch, Kontakte fürs ganze Musikerleben zu knüpfen – mit Studierenden ebenso wie mit Lehrenden. Wenn Gregor Hilbe heute einen neuen Studierenden-Jahrgang begrüsst, sagt er den Nachwuchstalenten jeweils: «Schaut euch gut um, ihr werdet nun ein Leben lang zusammengehören. »

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2019

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