Dr med Emmanuel Veillon-Stückelberg

Werner Schär

Dr. Veillon hat während seiner vierzigjährigen Tätigkeit im Diakonissenspital Riehen Wesentliches zur Entwicklung dieses Krankenhauses beigetragen und auch der Gemeinde Riehen wertvolle Dienste geleistet; er verdient es, daß seiner im Riehener Jahrbuch gedacht wird.

Am 2. August 1871 als zweiter Sohn des aus dem Waadtland stammenden Ingenieurehepaares Otto und Antoine Veillon-Fabre in Grellingen geboren, verbrachte er mit seinem Bruder Henri eine glückliche Jugendzeit. Sein _ Vater unterrichtete ihn persönlich bis ins zehnte Lebensjahr. Durch die Mutter wurde er in der Liebe zum Nächsten erzogen, was wohl den Grundstein für sein späteres Verständnis für die Mitmenschen bildete. Auf eine christliche Gesinnung ihrer beiden Söhne und auf eine Erziehung, die alles andere als einseitig oder gar weltfremd war, legten die Eltern besonderen Wert.

Die glücklichen Knabenjahre erlitten durch den Umzug der Familie in die Stadt Basel einen jähen Unterbruch. Schmerzlich war es für den naturbegeisterten Emmanuel, den großen Garten auf dem Lande missen zu müssen. Auch der Besuch des Humanistischen Gymnasiums vermochte ihn zunächst nicht zu begeistern. Mit der Zeit erwarb er sich hier aber Freunde, mit denen er sich, besonders im Laufe der letzten Jahre seiner Gymnasialzeit und als Paedagogianer, enger zusammenschloß, und mit denen er für sein ganzes Leben verbunden blieb. Bei der Berufswahl zögerte Emmanuel Veillon zunächst zwischen Theologie und Medizin. Er entschloß sich zu letzterem Studium in der überzeugung, daß nur in diesem Berufe sein sehnlichster Wunsch, dienen und helfen und Wirkliches leisten zu können, Erfüllung finde. Sein Studium führte ihn von Basel nach Heidelberg und Tübingen, worauf er in Basel das Staatsexamen bestand. Zur beruflichen Weiterbildung begab er sich nach Wien und Berlin. Seinen ersten Wirkungskreis fand der junge Arzt am Kinder- und Bürgerspital in Basel. Im Jahre 1902 vermählte er sich mit der Schwester seines Freundes, der jüngsten Tochter des Malers Ernst Stückelberg. Das junge Paar zog nun nach Langenbruck, wo Dr. E. Veillon einen selbständigen Arztposten am dortigen Sanatorium Erzenberg übernommen hatte, dem auch eine Privatpraxis angegliedert war. Schon 1903 folgte er einem Ruf als Chirurg an das Diakonissenspital Riehen. Obgleich er mit seiner jungen Gattin oft etwas wehmütig an das ruhige und friedliche Doktorhaus im für damalige Begriffe weit entfernten Langenbruck zurückdachte, entsprach die neue berufliche Tätigkeit den tiefsten Wünschen des Arztes.

Nach verhältnismäßig kurzer Zeit wurde Dr. Veillon zum Chefarzt des damals neuen Spitals des Diakonissenhauses ernannt, was Jahre einer strengen und aufreibenden Arbeit nach sich zog. Neben seiner Spitalpraxis betreute der junge Chefarzt in einem weiten Umkreise von Riehen eine große Zahl Privatpatienten. Oft begab er sich nach einem anstrengenden Arbeitstage im Spital, damals noch per Fahrrad oder zu Fuß, zu später Stunde zu seinen ihm großes Vertrauen entgegenbringenden Kranken, wobei sich seine Tätigkeit bis weit ins benachbarte Wiesental erstreckte. Seine nie erlahmende physische Kraft half ihm, sich jederzeit tatkräftig für seine Patienten einzusetzen. Am schwersten drückten ihn die seelischen Lasten bei schweren Fällen und bei den vielen Sorgen der Hilfesuchenden. Hier war es seine Gattin, die ihn mit liebender und geduldiger Fürsorge aufzurichten wußte. Sie war ihm Stütze in Leid und Freud, die der Arztberuf mit sich bringt.

In Riehen entwickelte sich Dr. E. Veillon, in den ersten Jahren noch unter der Oberleitung von Prof. Dr. Courvoisier, zu einem geschickten Chirurgen. Vor allem hat er sich in der Kropfchirurgie einen internationalen Ruf geschaffen. Diese hat er in gemeinsamer Arbeit mit seinen Arztkollegen im Riehener Spital ausgebaut und zu großem Erfolg geführt. Seine absolute Ruhe und Selbstbeherrschung, selbst in schwierigsten Situationen, waren sprichwörtlich. Schweizerisehe und ausländische ärzte bewunderten diese Atmosphäre, die im Operationssaale herrschte und die sich wohltuend und vertrauenserweckend auf Assistenten und Schwestern auswirkte. Dieser Geist des Friedens, der vom Chefarzte ausstrahlte, war im ganzen Hause fühlbar.

Große Freude bereitete Dr. Veillon der Unterricht der Schwestern. Er legte Wert darauf, daß sie nicht nur in das für sie notwendige medizinische Wissen eingeführt, sondern daß in ihnen auch die Ehrfurcht vor den Wundern der Schöpfung geweckt und sie zu logischem Denken erzogen wurden.

Als fachmännischer Berater des Komitees der Diakonissenanstalt, in dem er ein gewichtiges Wort mitzusprechen hatte, arbeitete er auch bei Erstellung der notwendig gewordenen Neubauten des Spitals mit. Zunächst war dies der Fall, nachdem schon bald nach seinem Amtsantritt in den Jahren 1904 bis 1907 das neue Spital gebaut wurde, dann aber auch in den Jahren 1935 bis 1939 bei der Planung und Durchführung des Anbaues ans Krankenhaus.

Die rasch wachsende Zahl von Patienten, die sich dem Chirurgen des Diakonissenspitals anvertraute, veranlaßte Dr. Veillon, seine Privatpraxis, die ihm viele Freundschaften einbrachte, mehr und mehr einzuschränken und sich auf seine Spitalarbeit zu konzentrieren. Seine Auffassung, den Arztberuf in harmonischer Zusammenarbeit mit Kollegen und Schwestern, in Herzensgüte und Freundlichkeit im Umgang mit den Kranken, als einen solchen des Dienens und Helfens in christlicher Liebe und starkem Gottvertrauen auszuüben, zeitigte bei ihm reiche Früchte.

Während seiner langjährigen Tätigkeit als Arzt verfolgte Dr. Veillon eingehend die Fortschritte der ärztlichen Wissenschaft, unterzog diese einer kritischen Prüfung und wandte sie auch im Diakonissenspital an, sobald er sich, im Zusammenwirken mit seinen Berufskollegen, ein positives Urteil davon gebildet hatte. Sein rein medizinisches Wissen ergänzte er in glücklicher Weise durch das Studium aller Zweige der Naturwissenschaften und der Technik.

Die charakterlichen Eigenschaften des Riehener Chefarztes, sein großes Wissen und seine technische Geschicklichkeit wurden allgemein geschätzt. Es war somit kein Wunder, daß ihn auch die Basler Medizinische Gesellschaft, deren tätiges Mitglied er war, im Jahre 1933 zu ihrem Präsidenten wählte. In Anerkennung seiner großen Verdienste wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Von 1921 bis 1938 gehörte Dr. Veillon auch der Aufsichtskommission des Basler Frauenspitals an, deren Präsidium ihm von 1928 an übertragen worden war. Der Kommission für Krankenpflege des Schweizerischen Roten Kreuzes stellte er seine reichen Kenntnisse in der Ausbildung der Schwestern zur Verfügung.

Trotz all dieser großen Arbeit, die auf ihm lastete, suchte Dr. Veillon stets auch der Einwohnerschaft Riehens zu dienen. Sein immer freundliches, gütiges Wesen und sein goldener Humor bleiben der älteren Generation heute noch in bester Erinnerung. Sein Bild wäre unvollständig gezeichnet, wenn nicht seiner segensreichen Mitwirkung im Verkehrsverein Riehen gedacht würde, dem er in den Jahren 1911 bis 1947 als Präsident vorstand. Seiner Initiative ist es zu verdanken, daß der Verschönerung des Dorfes besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Er war, ohne großes Wesen zu machen, die treibende Kraft zur Verbesserung der Hygiene, zur Behebung der in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts noch bestehenden und gefürchteten Schnakenplage und vieler Typhuserkrankungen. Als Verkehrsvereinspräsident setzte er sich vereint mit seinen Kommissionsmitgliedern auch für die Einführung der elektrischen Beleuchtung, der Unterhaltung einer Eisbahn, zweckmäßiger Tramverbindungen, Erstellung von Telephonkabinen, Ruhebänken etc. ein, was heute als absolut selbstverständlich erscheint, damals aber erkämpft werden mußte. Für Riehen wurde unter seinem Präsidium geworben durch Anbringen von Plakaten in den Straßenbahnwagen «z'Rieche isch's schön», durch geführte Ausflüge durch den Riehener Bann usw. Die Vorstandssitzungen, an denen er nie fehlte, waren für Dr. Veillon eine angenehme Abwechslung in seiner anspruchsvollen Tätigkeit als Arzt. Als Präsident gestaltete er sie zu einer Art «Gespräche am Kaminfeuer». Er verstand es meisterhaft, die Hauptpunkte in der ihm eigenen charmanten Weise zusammenzufassen und seinen ersten Sekretär und weitere Kommissionsmitglieder zu deren weiteren, zweckmäßigen Bearbeitung anzuspornen. Der jährliche Großanlaß des WR war der traditionelle Familienabend. Die mit Humor gespickte Begrüßungsansprache des Präsidenten stand jeweils im Mittelpunkt des Programms. Sie trug zur festlichen Stimmung und zum Erfolg der Veranstaltung immer wieder wesentlich bei.

Bei dem auf 1. Mai 1943 erfolgten Rücktritt von Dr. E. Veillon als Chefarzt am Diakonissenspital Riehen betonte er anläßlich der bei diesem Anlaß veranstalteten Abschiedsfeier, «daß er vor allem Gott danken möchte, der ihm eine unverwüstliche Gesundheit und Arbeitskraft, viele treue Helfer und Helferinnen und Gelingen in seinem Dienste geschenkt habe». Sein Rücktritt bedeutete indessen kein Sichzur-Ruhe-setzen. Seine geistige Rüstigkeit und sein Arbeitseifer drängten ihn zu literarischer Betätigung und zur praktischen Verwertung seines universellen Wissens zum Wohle seiner Mitmenschen. Noch während seiner aktiven Tätigkeit hatte er zur Erleichterung der Arbeit der Krankenschwestern in ihrem schweren Berufe zwei medizinische Wörterbücher zusammengestellt:

1. Fremdwörter und Medizinische Fachausdrücke — ein Nachschlagebuch für Schwestern — erschienen im Verlag Friedrich Reinhardt, Basel 1917.

2. Fremdwörter und Medizinische Fachausdrücke — ein Nachschlagebuch für das Krankenpflegepersonal — erschienen im Verlag Friedrich Reinhardt, Basel 1930.

Nach seinem Ausscheiden als Arzt der Diakonissenanstalt bearbeitete er noch ein mehrsprachiges Lexikon der medizinischen Fachausdrücke. überdies nahm er mit viel Eifer und Freude ein Lehrbuch für Krankenschwestern in Angriff, in welchem er seine reichen Erfahrungen im Schwesternunterricht niederschrieb. Leider konnte es nicht mehr zur Ausgabe gelangen. Bis zu seinem Tode gehörte Dr. E. Veillon dem Komitee der Diakonissenanstalt als Mitglied an. Er fand nun überdies auch Zeit, seine freundschaftlichen Beziehungen besser zu pflegen und seinen Freunden, die sich ihm anvertrauten, ein zuverlässiger und treuer Berater zu sein. Besondere Freude hatte er an seinem Heim in Hertenstein, das seine Gattin mit lieben Erinnerungen an seine Eltern und seinen Bruder trefflich auzuschmücken verstand, und wo er Erholung fand und die Gestade des ihm lieb gewordenen Sees so recht zu genießen wußte. In großer Liebe hing er an seinen Kindern und Großkindern, an deren Gedeihen er stets lebhaften Anteil nahm.

Am 14. November 1953 wurde Dr. E. Veillon von seinem schweren Leiden erlöst, das im Sommer jenes Jahres seinen Anfang genommen und das er ohne zu klagen mit Geduld getragen hatte. Seine große Lebensarbeit bleibt indessen unvergessen!

Mein Dank gilt den Herren Pfr. H. Pachlatko, Vorsteher der Diakonissenanstalt Riehen, Dr. med. C. F. Geigy, Nachfolger von Dr. E. Veillon als Chefarzt in Riehen, H. David-Menton, langjähriger 1. Sekretär des WR unter dem Präsidium von Dr.

Veillon, Dr. H. Tobler, derzeitiger Präsident des WR, die mir nähere Angaben gemacht und Unterlagen zur Verfügung gestellt haben.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1967

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