Ein Ort des Zusammenwirkens mit der Natur

Ulrike Zophoniasson-Baierl

Renzo Piano hat für die Fondation Beyeler das Museum in Riehen entworfen. Das subtile Werk des bekannten Architekten setzt im Dorfbild einen neuen Akzent.

Mauern schotten das Grundstück und den Park gegen die stark befahrene Strasse ab, Mauern markieren die Geländestufe Richtung Wiese und die Grenze zwischen Rebland und Ackerland. Und Mauern bilden nun auch das konstituierende Element und Rückgrat des neuen Museumsbaus an der Baselstrasse: lamellenartig schieben sie sich von der Strasse in den Park, schützen die Kunstwerke, stützen die filigrane Dachkonstruktion und gliedern als primäres Ordnungssystem den Innenraum. Eigentlich, so erinnert sich der Architekt Renzo Piano an die erste Ortsbesichtigung, seien die wichtigsten Elemente des Museums schon alle vorhanden gewesen: der «Platz selbst» mit seiner eindeutigen, durch die Umfriedungsmauern bestimmten Struktur, der «Geist des Ortes» und die «Natur des Parks».

Das Riehener Kunstsammlerehepaar Beyeler favorisierte für seine Sammlung von Anfang an den Standort Riehen und dachte an einen Neubau auf dem Areal des Berowergutes. Zu Riehen hat es eine starke persönliche Beziehung, hier hat es viele Jahre gelebt und sich aktiv am lokalen Kunstgeschehen, so auch an der grossen Skulpturenausstellung von 1980 im Wenkenpark, beteiligt. Das 9600 Quadratmeter grosse Berowergut mit seinem weitläufigen Park schien zudem ideal: Es liegt am Ortsausgang an der Ausfallstrasse Richtung Weil und Lörrach, grenzt unmittelbar an ein unverbaubares Agrar- und Naturschutzgebiet, ist aber doch nur vier Kilometer vom Basler Stadtzentrum entfernt und von allen Seiten gut über Strassen und öffentliche Verkehrsmittel erschlossen.

Ein Museumsbau im Geist der Sammlung

Gebaut wurde nach Plänen des italienischen Architekten Renzo Piano, dem 1971 als 34jährigem mit dem Bau des Pariser Centre Pompidou (mit Richard Rogers) der Durchbruch an die internationale Spitze gelungen war und der sich seitdem als ebenso innovativer wie sensibler Architekt mit zahlreichen Kulturbauten, so auch dem Museum für die Menil-Collection in Houston/Texas von 1986, empfohlen hatte. Piano, dem die Beyeler-Stiftung 1991 einen Direktauftrag erteilte, war nach einem ersten Augenschein der Sammlung klar, dass der Neubau in Riehen auf keinen Fall ein zweites Centre Pompidou werden durfte. Er dachte vielmehr an ein «kleines klassisches Museum», das sich «seiner Umgebung respektvoll anpasst und eine diskrete, fast scheue Haltung gegenüber dem Dorf einnimmt» und das mit einer ausgewogenen Mischung aus Grosszügigkeit und Zurückhaltung, aus «Luxus, Ruhe und Sinnlichkeit», dem Geist und der Qualität der Sammlung entspricht. Das Museum musste auch keinen neuen Akzent setzen: Der Ort schien durch das alte Herrschaftshaus und den 1832/33 nach Plänen von Fr. Caillat père im Stil eines englischen Landschaftsgartens angelegten Park bereits gut strukturiert und eindeutig gefasst und hatte in der bestehenden Form längst seinen festen Platz im Ortsbild. Der Neubau sollte sich dem Bestehenden unterord nen, sich so diskret einfügen, dass das Bild nicht gestört, der Eingriff als etwas «Natürliches» empfunden wird, und das Neue erscheint, als «sei es immer schon vorhanden gewesen».

Mauern bestimmen den Raum

Das Leitmotiv für den Neubau und die Restrukturierung des gesamten Areals fand Piano in den mächtigen alten Umfriedungsmauern, die sich nicht nur als praktischen Lärmschutz anboten und zugleich städtebaulich markante Figur waren, die gerade hier - an diesem Ort, wo Stadt und Landschaft zusammentreffen - als selbstverständlich empfunden wurde. Auch nicht allein deshalb, weil sie ein ideales Bild waren für die erwünschte Zusammenfassung von alt und neu: «Die Idee der Mauer», so erklärte Piano vielmehr 1993 in einem Interview, «die das ganze Gebäude generiert, ist nicht nur eine praktische; für sie sprechen auch kulturelle, philosophische Gründe. Ohne abweisend zu sein, umschreibt die Mauer das Territorium der Kunst und stellt einen Durchgang zu einem magischen Ort dar. Als umgrenzende und gleichzeitig durchlässige Mauer erfüllt sie die Funktion eines Filters. Die Mauer ist nicht nur real in einem doppelten Sinn - sie ist in der Erinnerung der Dorfbewohner eingeschrieben und wird attraktiver neu gebaut -, sondern auch metaphorisch. »

Der Verlauf der neuen Mauer orientiert sich an dem der alten und fasst von der Strasse aus das gesamte Gelände ein bis hin zur Berower-Villa. Sie folgt im weichen Bogen dem Strassenraum, schiebt sich hie und da zusammen, gibt dort kurze Blicke nach innen frei, wird dort, wo vormals die Villa des Katzenmuseums stand, zur östlichen Aussenmauer des Neubaus und durchdringt das Gebäude in Form von vier weiteren, parallel verlaufenden Wänden, die das Dach tragen und den Innenraum strukturieren.

Grosse, raumhohe Durchbrüche schaffen die Querverbindungen. Ein sekundäres System von flexiblen Trennwänden. rhythmisiert die Primärräume und unterteilt sie in Säle unterschiedlicher Grösse und Prägung. Das eingeschossige Gebäude ist am nördlichen und südlichen Kopf verglast, was grosszügige Einblicke ermöglicht und zusammen mit der Weiterführung der Binnenwände in den Aussenraum - als Mauern, oder, unter dem weit auskragenden Vordach, als Säulen - die primäre Binnenordnung schon von aussen leicht lesbar macht und im Inneren für eine klare Orientierung sorgt.

Den ersten Trakt des Baus, der sich wie eine Pufferzone zwischen Strasse und den 110 Meter langen, dreischiffigen Museumskörper schiebt, bildet ein zur Strasse hin fensterloser Korridor mit gedämpftem Licht. Hier befindet sich die Eingangszone für die Sammlung, wie auch für die drei für Wechselausstellungen reservierten Säle im Norden des eigentlichen Ausstellungsbereichs, mit Kasse, Garderobe, Museumsshop, Toiletten und Lift in das Untergeschoss. In der Mitte öffnet sich der Korridor in den zweiten Trakt hinein zu einem hellen, quadratischen Foyer, der «Piazza». Von hier aus betritt man die drei der Kunstbetrachtung reservierten Schiffe, geht nicht in streng linearer, sondern in ungefährer Lenkung durch die fünf zehn der Sammlung reservierten Räume. An den vierten Trakt schliesst ein der Westfassade vorgehängter, verglaster Wintergarten an, mit einem atemberaubenden Blick über die angrenzenden Felder bis hin zum Tüllinger Hügel - ein wunderbarer Ort zur physischen wie psychischen Entspannung nach einer an Höhepunkten reichen Reise durch die Bilderwelt unseres Jahrhunderts.

Natur und Architektur im Dialog

Dieses faszinierende Wechselspiel von Innen und Aussen, von stillen, kontemplativen Räumen und lebhafter Landschaft, von klarer, sachlicher Architektur und wildwuchernder Natur durchzieht wie ein Leitmotiv die gesamte Anlage. Aus ihm schöpft der an sich sehr einfache und unspektakuläre Bau seine Kraft: Von aussen «duckt» sich der Bau, als wolle er im Gelände aufgehen. Hier spielt die Natur eindeutig die Hauptrolle. Das Museum sucht deutlich «Bodenkontakt», gräbt sich im südlichen Eingangsbereich bis unter die natürliche Erdoberfläche und verwebt vorspringende Gebäudeteile mit der sanft gewellten Hügellandschaft des Parks. Seine «Erdenschwere» wird durch die Verkleidung der Aussenmauern mit Porphyrplatten betont - einem dunkelroten, kraftvollen Stein, den man in Patagonien (Argentinien) fand und der zu den ältesten, noch vor der Driftung der Kontinente entstandenen Gesteinssorten gehört. An «Architektur», an den von Menschenhand vorgenommenen, gewollten Eingriff, erinnert hier eigentlich nur das fast 3900 Quadratmeter grosse Dach: eine luftige Konstruktion aus Glas und weiss gestrichenen Stahlträgern, die über den schweren Mauern zu schweben scheint und in die alte Kulturlandschaft mit ihren mächtigen Bäumen, in welcher der Stein der Museumsmauern die Ruinenarchitektur des englischen Landschaftsparks wieder aufleben lässt, einen Hauch von moderner Technologie trägt. Im Inneren dagegen setzt die Architektur mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Natur für ihre Zwecke ein und macht das wertvolle, «zenitale» Naturlicht mittels einer komplexen, fünfschichtigen Konstruktion aus 864 shedartig gesetzten «Brises Soleil», die das von Süden einfallende Sonnenlicht abfangen, aus einem klimatechnischen Loft, einer horizontalen Ebene von computergesteuerten Stören und einer halbtransparenten Blende aus gelochtem Stahlblech zu einem hochtechnisierten «Beleuchtungskörper».

Intensive Experimente waren nötig, um das Sonnenlicht auf diese raffinierte Art zu bändigen, um es «kunstverträglich» zu machen und doch möglichst unverfälscht eindringen zu lassen. Die ursprüngliche Idee von V-förmigen, auf einer Holzkonstruktion befestigten Glaselementen erwies sich als ungeeignet: Das Glas des etwa 100 Quadratmeter grossen l:l-Modells, das als «Testgelände»

für Formen und Materialien erstellt worden war, entwickelte eine zu hohe Oberflächenspannung. Mit der neuen Konstruktion aus verschachtelten Glas- und Stahlelementen jedoch wurde das Dach um rund zwei Meter niedriger als ursprünglich geplant, was eine Abänderung der ersten Baupläne nötig machte, so dass sieben Monate nach Erhalt der Baubewilligung ein neues Gesuch gestellt werden musste.

Geschadet hat diese Verzögerung dem Bau nicht - im Gegenteil, bot sich damit doch die Chance, Details zu bereinigen, den Baukörper noch präziser zu formen und einzupassen und die Ausstellungsräume schliesslich mit einem Belichtungssystem auszustatten, das sie einzigartig macht: Es schafft stille, konzentrierte Räume, die trotz ihrer inneren Geschlossenheit stets den Kontakt zur Aussenwelt wahren, es macht die klimatischen Veränderungen auch innen nachvollziehbar und präsentiert die Bilder in einem sich ständig wandelnden und immer wieder neuen Licht, und es macht den Bau dem Wunsch Pianos gemäss aussen wie innen zu einem «Ort des Zusammenwirkens mit der Natur».

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1997

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