Europaweit einzigartig Das Trinkwasser aus den Langen Erlen
Daniel Rüetschi
Die Langen Erlen sind nicht nur Naherholungsgebiet, sondern auch wichtiges Terrain für die Trinkwassergewinnung. Forschungsarbeiten erbrachten dazti neue Erkenntnisse.
Europaweit einzigartig: Das Trinkwasser aus den Langen Erlen D ie Langen Erlen: ein grosses Naherholungsgebiet am nordwestlichen Rande von Riehen, vielfach genutzt zum Spazieren und Joggen, für Inline-Skating und Hundeauslauf. Zudem befinden sich dort Land- und Forstwirtschaft, Familiengärten, gut besuchte Sportanlagen und ein sehr beliebter Tierpark. Alle diese Aktivitäten spielen sich an der Oberfläche ab. Aber auch unter dem Boden geht einiges vor sich: Hier entsteht bestes Trinkwasser.
Von Kiesinseln zu Wässermatten
Früher hatte die Landschaft am Fusse des Schlipfs ein ganz anderes Gesicht: Vor etwa 30000 Jahren floss der Rhein in einer direkten Linie vom Grenzacher Horn zum Lüllinger Hügel. Durch das Geschiebe, das die Wiese aus dem Schwarzwald mit sich trug, wurde der Rhein im Laufe von Jahrtausenden mehr und mehr nach Südwesten verschoben: Ganz allmählich entstand das berühmte Basler Rheinknie. Einst pendelte die Wiese noch ungezähmt in der ganzen Laiebene hin und her. Vielfältige Lebensräume wie Kiesinseln, Röhrichte und Auenwälder mit Erlen und Weiden bestimmten das Bild. Dieses änderte sich vor allem durch die menschliche Besiedlung: Neben Viehweiden und Streuobstwiesen kamen Wässermatten auf. Um auf den mageren Schotterböden den Ertrag zu verbessern, bewässerten und düngten die Bauern bereits seit dem frühen 12. Jahrhundert ihr Grasland mit Wiesewasser. Nach der Kanalisierung der Wiese Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Langen Erlen nur noch wenig mit der ehemaligen Auenlandschaft gemein. Und seit dem Zweiten Weltkrieg verschwanden im Zuge der Mechanisierung und Intensivierung der Landwirtschaft auch die letzten Wässermatten. So erhielten die Langen Erlen das heutige Erscheinungsbild.
Grundwasser aus dem Wiesetal
Als die Bevölkerung von Basel im Verlaufe des 18. und 19. Jahrhunderts immer mehr zunahm und Cholera- und Lyphusepidemien grassierten, reichten Sodbrunnen und die teilweise schon fünfhundert Jahre alte Versorgung mit Quellwasser nicht mehr aus. Neue, saubere Wasserquellen mussten erschlossen werden. Hier bot sich der Grundwasserstrom aus dem Wiesetal an. Deshalb wurde 1882 durch das damalige Gas- und Wasserwerk Basel in den Langen Erlen ein Grundwasserwerk in Betrieb genommen, das sich bald zum tragenden Pfeiler der Basler Lrinkwasserversorgung entwickelte. Durch die ständige Nutzung und die Kanalisierung der Wiese nahm der Grundwasserspiegel aber rapide ab. Also begann man zwischen 1910 und 1920 das Grundwasser künstlich anzureichern, indem man Wasser aus der Wiese in eigens dazu eingedämmten Wässerstellen versickern liess. Der Name «Wässerstelle» leitet sich aus der früheren Bewirtschaftung der Wieseebene mit Wässermatten ab.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Wasserverbrauch erneut stark zu. Deshalb gründeten die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft 1955 die Hardwasser AG, welche im Hardwald bei Muttenz das mit Rheinwasser künstlich angereicherte Grundwasser bis heute nutzt. Als die Qualität des Wiesewassers durch die zunehmende Industrialisierung im Wiesetal immer schlechter wurde, musste man ab 1964 auch in den Langen Erlen Rheinwasser versickern lassen.
Mit dem Grundwasser aus den Langen Erlen decken die Industriellen Werke Basel heute etwa 50 Prozent des Trinkwasserbedarfs der rund 210 000 Einwohner von Basel, Riehen, Bettingen und Binningen. Das sind gesamthaft 30 Millionen Kubikmeter im Jahr. Weitere 45 Prozent des Lrinkwassers stammen aus dem Hardwald und die restlichen 5 Prozent werden durch Juraquellwasser aus dem Pelzmühle- und Kaltbrunnental abgedeckt.
Das Rheinwasser für die Grundwasseranreicherung in den Langen Erlen wird im Staubereich des Kraftwerks Birsfelden gefasst und beim Eglisee in einer Schnellfilteranlage über 85 Zentimeter tiefe Sandfilter geleitet. Dort werden die Schwebstoffe entfernt. Das Filtratwasser wird anschliessend in elf bewaldete Wässerstellen geleitet, die im schweizerischen Feil der Wieseebene verteilt sind und gesamthaft eine Fläche von rund zwanzig Hektaren bedecken. Diese Wässerstellen sind hauptsächlich mit Hybridpappeln, Eschen, Erlen und Weiden bestockt und meist in drei Felder unterteilt: Ein Feld wird in der Regel während zehn Lagen bewässert, worauf eine Abtrocknungsperiode von zwanzig Tagen folgt. Das Wasser sickert zuerst durch eine Humus- und Auenlehmschicht von je rund zwanzig bis dreissig Zentimetern Dicke und anschliessend durch eine 2,5 Meter mächtige Kies- und Sandschicht, bis es das Grundwasser erreicht. Bei dieser Bodenpassage wird das Wasser durch mechanische, chemische und biologische Prozesse gereinigt. Das so angereicherte Grundwasser wird nach zirka zweihundert bis achthundert Metern Fliessstrecke an die Oberfläche gepumpt und nach Zugabe von Chlordioxid zur Verhinderung von Verkeimungen und von Fluorid zur Kariesprophylaxe ins über fünfhundert Kilometer lange Leitungsnetz der Industriellen Werke Basel eingespeist.
Gleichbleibende Versickerungsleistung
Künstliche Grundwasseranreicherung ist vor allem in Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, den Niederlanden und den USA weit verbreitet. Doch dort werden grosse, im Boden eingelassene und nach unten offene Sandfilterbecken verwendet, die während mehrerer Monate überstaut sind. Der überwiegende Anteil der Reinigung findet an der Filteroberfläche statt. Es bildet sich dabei eine schleimig-gelatinöse Schicht, die aus Bakterien, Algen und einzelligen Organismen besteht: der Biofilm. Mit der Zeit werden dadurch die Filter so undurchlässig, dass die obersten zwei bis fünf Zentimeter des Sandkörpers abgetragen werden müssen, um die ursprüngliche Versickerungsleistung wieder zu erreichen. Diese Anlagen sind grossflächige technische Bauwerke, die einen Fremdkörper in der Flusslandschaft darstellen - ganz im Gegensatz zu den für Auenlandschaften zum Teil standorttypischen Waldgemeinschaften in den Wässerstellen der Langen Erlen.
Die naturnahe Art der Anreicherung, der Bewässerungszyklus und die bis 80-jährige, problemlose Betriebsdauer mit einer gleichbleibenden Versickerungsleistung machen das System in den Langen Erlen europaweit einzigartig. Langjährige Untersuchungsprogramme der Industriellen Werke Basel zeigen, dass das so gewonnene Trinkwasser qualitativ einwandfrei ist. Jedoch liegen über die konkreten Reinigungsprozesse in den Böden bisher nur wenige naturwissenschaftlich gesicherte Daten vor. Deshalb wurden am Institut für Natur-, Landschafts- und Umweltschutz (Abteilung Biogeographie) und am Geographischen Institut (Abteilung Physiogeographie und Landschaftsökologie) der Universität Basel in Kooperation mit den Industriellen Werken Basel seit 1996 mehrere Forschungsarbeiten über die Wässerstellen der Langen Erlen durchgeführt.
Bestes Trinkwasser dank langer Fliessstrecke
Im Rahmen einer von den Industriellen Werken Basel unterstützten und seit 1997 laufenden Doktorarbeit wurden nun durch den Verfasser dieses Textes erstmals die Reinigungsmechanismen in den Wässerstellenböden eingehend untersucht. Dabei wurde insbesondere das Verhalten von organischen Stoffen studiert. Es sind dies kohlenstoffhaltige Substanzen, die sowohl von Menschen erzeugt (zum Beispiel öl oder Lösungsmittel) als auch natürlichen Ursprungs sind und etwa aus dem Boden oder dem Abbau von Pflanzen stammen. Die Konzentration dieser Stoffe, summarisch ausgedrückt als gelöster organischer Kohlenstoff (DOC), ist im Rheinwasser rund dreimal so hoch wie im Grundwasser. Absolut gesehen ist der Gehalt aber in beiden Gewässern sehr gering (1,5 bis 2,0 beziehungsweise 0,5 bis 0,7 Milligramm pro Liter). Bisher ging man davon aus, dass die Konzentrationsabnahme des DOC vom versickernden Rheinwasser bis zum Grundwasser fast vollständig innerhalb der obersten zehn bis dreissig Zentimeter der Bodenpassage erfolge. Für diese Reinigung sind Bodenbakterien verantwortlich, welche die organischen Stoffe abbauen.
Um diesen Vorgang zu untersuchen, hat man Bodenund Wasserproben aus verschiedenen Bodentiefen entnommen. Dabei zeigte sich, dass selbst in zwei Metern Bodentiefe die organische Belastung nur geringfügig abnahm. Der effektive Ort der Reinigung des versickernden Rheinwassers blieb damit weiterhin unklar. Doch aufwändige und teure Methoden brachten dann die Lösung: In der Wässerstelle «Verbindungsweg» beim Sportplatz Grendelmatte und entlang des Fliesswegs des Grundwassers dieser Wässerstelle zum untenliegenden Brunnen wurden acht Grundwasserbeobachtungsrohre installiert.
Innerhalb der Wässerstelle nahm die Konzentration organischer Substanzen im Versickerungswasser zwischen einem bis fünf Meter Bodentiefe um rund zwei Drittel ab. Dies ist auf mikrobiellen Abbau zurückzuführen.
- Auf der Fliessstrecke von der Wässerstelle zum Brunnen (etwa 250 Meter), wozu das Grundwasser knapp zehn Tage braucht, wurden weitere zwanzig Prozent entfernt. Dafür ist vermutlich vor allem die Verdünnung des Versickerungswassers mit unbelastetem Grundwasser verantwortlich. Mikrobieller Abbau scheint hier eher nebensächlich zu sein.
- Die restlichen 15 Prozent des mit dem Rheinwasser ins Grundwasser eingetragenen DOC konnten bis zum Brunnen nicht entfernt werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das versickerte Rheinwasser also die gesamte Fliessstrecke von der Wässerstelle bis zum Brunnen benötigt, damit eine gute Reinigung erfolgt und an die Verbraucher bestes Trinkwasser abgegeben werden kann. Dies gilt allerdings nur für organische Substanzen: Bei den ebenfalls untersuchten krankheitserregenden Keimen reichte schon eine Fliessstrecke von etwa 150 Metern, um eine einwandfreie Trinkwasserqualität zu erhalten.
Die Bedeutung von Mäuse- und Regemvurmgängen
Was sind nun die Gründe für diese unerwarteten Ergebnisse? Im Gegensatz zu konventionellen GrundwasserAnreicherungsanlagen kann sich in den Wässerstellen der Langen Erlen wegen der langen Lrockenphasen kein dichter Biofilm an der Bodenoberfläche entwickeln, der eine effiziente Reinigung ermöglichen würde. Und wo sonst das Wasser gleichmässig und langsam im Sandfilter versickert, führen in den Waldböden der Langen Erlen grosse Poren wie Mäuse- und Regenwurmgänge das Wasser relativ schnell in grössere Tiefen (ein bis zwei Meter; Andreas Dill, 2000, siehe Anmerkungen). Diese ständig erneuerten Poren im Waldboden haben somit eine schlechtere Reinigung in oberflächennahen Bodenschichten zur Folge, was aber durch den langen Fliessweg bis zum Brunnen wieder korrigiert wird.
Genau diese Poren sind aber auch, zusammen mit dem Wässerungszyklus, für die jahrzehntelange konstante Sickerleistung hauptverantwortlich und damit von zentraler Bedeutung für das wartungsarme Funktionieren des gesamten Systems. Dies im Unterschied zu den konventionellen Anlagen, welche durch oftmalige Filterregenerationen hohe Betriebskosten aufweisen. Die Wälder der Wässerstellen werfen durch ihre forstwirtschaftliche Nutzung sogar noch einen kleinen Ertrag ab.
Die naturnahen Waldflächen in den Wässerstellen sind übrigens auch ein wertvoller Lebensraum für gefährdete Tier- und Pflanzenarten. Sie fügen sich bestens in die Landschaft der Langen Erlen ein, was nicht zuletzt den Reiz dieses Naherholungsgebietes ausmacht.
So ergibt sich ein intensives und gut funktionierendes Zusammenspiel zwischen Technik und Natur. Es ist letztlich dafür verantwortlich, dass wir tagtäglich bestes Trinkwasser zur Verfügung haben. Tragen wir Sorge dazu!
Ausgewählte Literatur:
Der Autor dankt den Industriellen Werken Basel für die Unterstützung der Forschungsarbeiten.
Rüetschi, Daniel (in Bearbeitung): Reinigungsmechanismen in den Waldböden der künstlichen Grundwasseranrcicherungsanlage «Lange Erlen» der Trinkwasserversorgung Basel (Arbeitstitel), Dissertation am Departement Geographie, Universität Basel Rüetschi, Daniel (2000): DOC-Removal in Recharge Water by Soil-AquiferTreatment. In: Poul L. Bjerg et al. (Eds.) Groundwater 2000, Balkema, Rotterdam, S. 279-280 Rüetschi, Daniel, Schmid, Markus, Geissbühler, Urs & Wüthrich, Christoph (1999): Trinkwassergewinnung in bewaldeten und offenen Wässerstellen der Langen Erlen, Mikrobielle Aktivität und Biomasse im Boden, Regio Basiliensis 40/2, S. 151-153 Rüetschi, Daniel, Schmid, Markus, Geissbühler, Urs & Wüthrich, Christoph (1998): Biological purification of recharge water by forested soils. In: Peters Jos H. et al. (Eds.) Artificial Recharge of Groundwater, Balkema, Rotterdam, S. 457-459 Dill, Andreas (2000): Die Böden der Langen Erlen und ihr Infiltrationsvermögen, Diplomarbeit am Departement Geographie, Universität Basel, S. 1-148