Im Mekka des Schweizer Bogenschiesssports

Rolf Spriessler

Die Bogenschützen Juventas Basel-Riehen sind in jüngster Zeit zum führenden Schweizer Verein im olympischen Recurve-Bogenschiesssport aufgestiegen. Sie haben nationale Titel und Rekorde gesammelt, waren an Europa- und Weltmeisterschaften vertreten und sind Anfang Juni 2019 mit dem Sportpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2018 ausgezeichnet worden.

Als der Verein der Bogenschützen Juventas Basel am 26. Januar 1974 gegründet wurde, ging es in erster Linie darum, Bogenschiessen als Schulsport zu etablieren und den Nachwuchs für diese noch relativ unbekannte Sportart zu sichern. Das Bogenschiessen war bereits von 1900 bis 1908 und dann nochmals 1920 Teil des olympischen Programms gewesen. Erst 1972 in München wurde es wieder olympisch – und ist es seither geblieben. Mitte der 1970er- Jahre ging es also nicht zuletzt darum, das damals wieder neu als olympiawürdig erachtete Bogenschiessen innerhalb der Schweiz als ernstzunehmende Sportart zu etablieren und vom Image des ‹Indianerlis›-Spielens und der Robin-Hood-Romantik zu lösen. Zu den Vorkämpfern des sportlichen Bogenschiessens in der Schweiz gehörte damals Othmar Klopfstein, der Schülerkurse organisierte, zu den ersten diplomierten Bogenschiesstrainern der Schweiz gehörte und erster Technischer Leiter des frisch gegründeten Vereins wurde. Gründungspräsident war Roland Probst, der dem Verein während 14 Jahren vorstand und sich auch auf nationaler Ebene engagierte, als der Schweizerische Bogenschiessverband in eine Führungskrise geraten war. Komplettiert wurde der Gründungsvorstand von Juventas durch Monika Niederhauser, Gilbert Fahrni und Karl Florian. Insgesamt 16 Mitglieder hatte der Verein am Gründungstag.

DIE JUGEND IM VEREINSNAMEN
Das erklärte Ziel der Jugendförderung schlug sich auch im Vereinsnamen nieder – mit ‹Juventas› wurde die römische Göttin der Jugend zur Namenspatin erkoren. Juventas hatte den offiziellen Vereinssitz zwar zunächst in Basel, war aber schon immer in Riehen zu Hause, denn im Stettenfeld konnte der Verein ein Gelände übernehmen, auf dem schon in den Jahren zuvor das Bogenschiessen gepflegt worden war. Der junge Verein profitierte von einer grosszügigen Starthilfe eines Sportgeschäfts, stellte noch im Herbst des Gründungsjahrs im Stettenfeld ein Klubhaus auf und rüstete den Schiessplatz mit Zielscheiben und weiteren Einrichtungen aus. In Zusammenarbeit mit lokalen Sportgeschäften und weiteren Vereinen der Region präsentierte Juventas in den Jahren nach der Vereinsgründung das Bogenschiessen im Rahmen der Basler Herbstmesse. Dass die Weltmeisterschaften 1975 in Interlaken ausgetragen wurden, machte die Sportart auch in der Schweiz bekannter und populärer. So fand das Bogenschiessen sogar Aufnahme in den freiwilligen Schulsport. In der Folge erhielt Juventas die Gelegenheit, in den Räumlichkeiten des Schweizerischen Paraplegikerzentrums in Basel ein Indoor-Trainingszentrum einzurichten. Damit wurde neben dem Haupttraining, das im Stettenfeld unter freiem Himmel stattfand, auch ein regelmässiges Wintertraining möglich, was vor allem für die sportlich ambitionierten Vereinsmitglieder wichtig war. Bald wurde der junge Verein auch Mitorganisator des Internationalen Turniers um den Goldenen Bogen von Basel. Im Jahr 1979 gab es an diesem ‹Heimturnier› auf den Sportanlagen St. Jakob einen ersten sportlichen Erfolg zu feiern, nämlich einen Podestplatz im Teamwettkampf gegen internationale Konkurrenz.

RECURVE-WELTMEISTERSCHAFTEN UND COMPOUND-SCHWEIZERMEISTERTITEL
In den 1980er-Jahren folgten erste grössere sportliche Erfolge an nationalen Meisterschaften und erste internationale Einsätze mit dem Recurve-Bogen. Im Jahr 1981 gewann die Juventas- Schützin Rita Kappeler an den Schweizermeisterschaften eine Bronzemedaille und sechs Vereinsmitglieder fanden Aufnahme ins Schweizer Nationalkader. Neben Rita Kappeler, die B-Kader-Athletin wurde, waren dies als C-Kader-Angehörige Cornelia Kappeler, Rita Lauria, Martin Geyer, Daniel Oeschger und Angelo Vasile. Im Jahr 1982 wurde mit Dominik Faber erstmals ein Juventas-Mitglied Junioren-Schweizermeister und im Oktober 1983 errang Angelo Vasile als erster Juventas-Schütze den Elite-Schweizermeistertitel. Vasile nahm in der Folge an den Weltmeisterschaften in Los Angeles (USA) teil und belegte dort den 45. Platz. Juventas erlebte daraufhin eine erste Blütezeit sportlicher Erfolge. Im Jahr 1984 feierte der Verein nicht nur das zehnjährige Bestehen. Es war auch das Jahr, in dem er die ersten zwei Team-Schweizermeistertitel errang, und zwar draussen durch Dominik Faber, seine heutige Ehefrau Rita Lauria und seinen Bruder Christoph Faber und in der Halle durch Dominik Faber, Christoph Faber und Angelo Vasile. Die zunehmenden Erfolge boten Anlass, das Schiessgelände im Stettenfeld zu verbreitern und das Angebot für Wettkampf- und Hobbyschützinnen und -schützen beträchtlich auszubauen. Juventas feierte weitere Nachwuchs-Schweizermeistertitel und Elite-SM-Medaillen; die Faber-Brüder Dominik und Christoph fanden Aufnahme ins Schweizer Nationalteam und nahmen an den FITA-Europameisterschaften teil, die 1986 in der Türkei stattfanden. Juventas erhielt damals auch Zuwachs von Mitgliedern, die dem Jagdschiessen frönten (mit Wettkämpfen im Gelände auf Tierattrappen) oder dem Schiessen mit dem Blankbogen, das sich am japanischen Zen-Bogenschiessen orientiert. Zu jener Zeit wurden die offiziellen Bogenschiess-Wettkämpfe noch nach dem FITA-System ausgetragen: Es wurde auf vier verschiedene Distanzen eine bestimmte Anzahl Pfeile geschossen, auf jede Distanz jeweils gleich viele. Das war zwar ein sehr faires, aber auch sehr zuschauerunfreundliches System, da es praktisch unmöglich war, den Wettkampfverlauf zu verfolgen, wenn alle gleichzeitig schossen. Das Publikum konnte seine Aufmerksamkeit also nur auf einen einzelnen Athleten oder eine Athletin fokussieren oder einfach die spannende Atmosphäre geniessen. Vor allem für Meisterschaften, die im Fernsehen übertragen werden sollten, war das natürlich nicht sehr attraktiv. Für die FITA-Europameisterschaften des Jahres 1988 in Luxembourg qualifizierten sich gleich drei Juventas-Mitglieder, nämlich Rita Lauria, Dominik Faber und Angelo Vasile. In der Qualifikationsrunde belegte Rita Lauria mit aussergewöhnlichen 1285 Punkten den 3. Rang. In der Finalrunde reichte es dann aber leider doch nicht für eine Medaille. Im Sog der erfolgreichen Recurve-Schützen schaffte mit Jeff Abt auch ein Juventas-Mitglied mit dem international zunehmend aufkommenden, aber nach wie vor nicht olympischen Compound-Bogen den Sprung an die nationale Spitze. Im Gegensatz zum Recurve-Bogen wird die Zugkraft beim Compound-Bogen durch ein Rollensystem umgelenkt, damit der Schütze bei voll gespanntem Bogen nur noch einen kleinen Teil der Zugkraft selber halten muss. Damit kann der Schütze ruhiger zielen. Da hier auch die Kraft, die beim Loslassen der Sehne auf den Pfeil wirkt, wesentlich grösser ist als beim Recurve-Bogen, fliegt der Compound-Pfeil schneller, wird durch äussere Einflüsse und die Schwerkraft weniger abgelenkt und hat eine höhere Durchschlagskraft. Deshalb lässt sich mit dem Compound-Bogen auf grössere Distanz präziser schiessen. Jeff Abt wurde mehrmals Compound-Schweizermeister, nahm an den Weltmeisterschaften in Indonesien teil und wurde in England Fünfter der Hallen- Weltmeisterschaft. Juventas war inzwischen zum zweitgrössten Bogenschiessklub der Schweiz aufgestiegen und gewann im Jahr 2002 erstmals die drei sportlich bedeutendsten Schweizermeistertitel: im Recurve Einzel der Männer durch Dominik Faber, im Recurve-Einzel der Frauen durch Rita Faber-Lauria und mit dem Recurve-Team in der Besetzung Dominik Faber, Rita Faber und Angelo Vasile. Im Vereinsvorstand hatte das Präsidium über Marcel Faber zu Felix Meier gewechselt und im Jahr 2004 trat mit Dominik Faber einer der der bis heute erfolgreichsten Sportler des Vereins an die Vereinsspitze.

VOM SCHIESSMARATHON ZUM SCHÜTZEN-DUELL
In den folgenden Jahren wurde die Wettkampfform des Bogenschiessens revolutioniert. Man hatte nach Wegen gesucht, das Bogenschiessen für das Publikum attraktiver zu machen und die Komponente eines sportlichen Zweikampfs hereinzubringen. Deshalb wurden die Distanzen vereinheitlicht. Standard-Wettkampfdistanz der Elite – Männer wie Frauen – sind heute 70 Meter. Geschossen wird eine Qualifikation mit zweimal 36 Pfeilen. Eine definierte Anzahl der Teilnehmenden erreicht die Finalrunde, für die ein Tableau erstellt wird, ähnlich wie im Tennis, wobei die Besserplatzierten der Qualifikation jeweils auf Schlechterklassierte treffen. Es finden nun K.-o.-Runden statt bis zum Bronze-Match der Halbfinalverlierer und dem Gold-Final um den Turniersieg. Bei grossen Turnieren werden die letzten Runden einzeln vor Publikum geschossen, und zwar in Sätzen zu jeweils drei Pfeilen. Ein Satz-Sieg bringt zwei Punkte, ein Unentschieden je einen. Wer zuerst fünf Punkte erreicht, gewinnt. Bei einem 5:5 gibt es ein Stechen mit je einem Pfeil – wer näher beim Zentrum ist, gewinnt. Mit diesem neuen System ist es nicht mehr entscheidend, über alle Pfeile hinweg eine Toppunktzahl zu erreichen. Nun zählt Präzision im richtigen Moment und Nervenstärke. Eine schwache Qualifikation bringt zu Beginn stärkere Gegner, aber der Qualifikationssieger kann schon in der ersten Runde aus der Entscheidung fallen. Umgekehrt lässt sich ein einzelner Fehlpfeil in einem einzelnen Satz im folgenden Satz korrigieren. Was das bedeuten kann, haben verschiedene Juventas-Mitglieder schon im Positiven wie Negativen erlebt. Inzwischen hat bei Juventas ein Generationenwechsel stattgefunden. Rita Faber engagiert sich stark als Trainerin im Nachwuchsbereich und Dominik Faber nimmt nicht mehr so häufig als Athlet an Turnieren teil. Dafür sind die beiden Söhne Adrian (Jahrgang 1994) und Florian Faber (1997) an die Schweizer Spitze vorgestossen und haben auch international für Spitzenresultate gesorgt. Adrian belegte zum Beispiel als einziger Schweizer Teilnehmer an den ersten European Games, den Europäischen Olympischen Spielen 2015 in Baku (Aserbaidschan), den 33. Platz und machte als Teilnehmer des Weltcupfinals 2014 in Lausanne dem Weltranglistenersten Rick van der Ven aus den Niederlanden im Viertelfinal das Leben unerwartet schwer. Florian siegte im Berlin-Hallen-Open Ende 2014, wurde Dritter am Junioren- Weltcupturnier Anfang 2015 in Nîmes (Frankreich) und Siebter (und damit Diplomgewinner) an den Olympischen Weltjugendspielen 2014 in Nanjing (China). Ausserdem hat sich mit Olga Fusek eine junge Frau innert kurzer Zeit erst bei den Juniorinnen und jüngst auch bei den Elite-Frauen an der Schweizer Spitze etabliert. Und mit Rajan Kalapurayil nahm 2019 ein weiterer Juventas-Schütze erstmals an einer Elite-Weltmeisterschaft bei den Männern teil.

EINE EINZIGARTIGE INFRASTRUKTUR IM STETTENFELD
Die zahlreichen Erfolge der jüngsten Zeit lassen sich in der Sportchronik dieses Jahrbuch- Bandes nachlesen. Wichtig für den Entscheid, den Bogenschützen Juventas Basel-Riehen – die mit der Namenserweiterung die Verlegung des offiziellen Vereinssitzes nach Riehen dokumentiert haben – den Sportpreis der Gemeinde Riehen als Gesamtverein zuzuerkennen, waren für die Jury nicht nur die grossen sportlichen Erfolge, sondern auch die ausserordentlich hohe Leistungsdichte, die kontinuierliche Nachwuchsförderung, das Engagement in der Organisation von Wettkämpfen und nicht zuletzt auch die hohe Qualität der Infrastruktur, die Juventas mittlerweile erreicht hat. Das Trainingszentrum im Rehab Basel – wie das ehemalige Paraplegikerzentrum heute heisst – ist zwar Geschichte, weil die Spezialklinik die Räumlichkeiten inzwischen anderweitig nutzt. Kurz vor dieser Umnutzung ist es Juventas aber rechtzeitig gelungen, direkt neben dem schon bestehenden Outdoor-Trainingsgelände mit einem Containerbau eine Trainingshalle mit der Indoor-Wettkampfdistanz von 18 Metern zu erstellen. Damit verfügt der Verein im Moment über die beste Infrastruktur aller Schweizer Bogenschiessklubs und das Stettenfeld kann mit Fug und Recht als ‹Mekka des Schweizer Bogenschiesssports› bezeichnet werden.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2019

zum Jahrbuch 2019