In Riehen wird wieder Bier gebraut


Sibylle Meyrat


Die ersten Brauversuche in Riehen im Jahr 1820 stiessen noch auf Widerstand. Die jüngste Hausbrauerei erntet dagegen viel Sympathie. Sie verdankt sich der Initiative zweier Brüder, ihr verwinkeltes altes Haus im Dorfzentrum zu einem belebten Ort zu machen. 


Im Vergleich zum Rebbau führt die Bierproduktion in Riehen ein Nischendasein. Die ersten Brauversuche im Jahr 1820 stiessen auf erbitterten Widerstand der Weinbauern. Ab 1844 befand sich im Lindenhof an der Baselstrasse 11 eine Brauerei und Mälzerei, deren Produktion 1886 nach Basel verlegt wurde.1 Doch dank der Initiative von Andreas und Martin Schultheiss kann seit fünf Jahren wieder Bier aus Riehener Produktion getrunken werden.


«Wir haben einen Vogel», beantworten die beiden die Frage nach ihren Beweggründen augenzwinkernd. Wenn sie von den Hürden erzählen, die sie auf dem Weg vom ersten Brauversuch bis zur Gaststube ‹Zur grünen Amsel› mit eigener Bierproduktion zu überwinden hatten, wird schnell klar, dass es dafür tatsächlich eine gute Prise Verrücktheit brauchte. Doch mit dem Namen hat es noch etwas anderes auf sich. ‹AMSeL› steht als Abkürzung für die Suche der Brüder nach einer geeigneten Nutzung des geerbten Bauernhauses: «Andreas und Martin Schultheiss entwickeln Liegenschaftskonzepte». Zum anderen enthält auch ihr Familienwappen einen Vogel. Das weisse Wappentier bekam seine Farbe vom dunkelgrünen Scheunentor, das der Fassade an der Schmiedgasse ihr charakteristisches Aussehen verleiht.


Von der Festhütte zur Gaststube


Als Kinder waren die Brüder Andreas, Martin und Christian oft im verwinkelten Haus der Grosseltern zu Besuch. Ab den 1950er-Jahren hatten ihr Vater und ihr Grossvater die Räume im Erdgeschoss zu einem Treffpunkt für Familien- und andere Feste ausgebaut. Die Wände zieren seither ein Sammelsurium aus landwirtschaftlichen Geräten, altem Geschirr, Laternen, Bildern, historischen Fotografien und Urkunden: Stoff für Erzählungen und Geschichten, die über Generationen weitergegeben wurden. Während der Dorffeste stand das Scheunentor jeweils weit offen und die Schützengesellschaft, die hier jahrelang Gastrecht hatte, betrieb im Hause das ‹Patronehülsli› als Festbeiz.


Für Andreas und Martin Schultheiss stand fest, dass die Räume auch nach dem Tod ihres Vaters weiterhin für gesellige Anlässe nutzbar sein sollten. Sie wollten aber auch Neues ausprobieren und landeten nach mehreren Umwegen bei der Idee einer Hausbrauerei. Anstoss gab das Dorffest 2009, als die Räume in ein Kölsches Brauhaus verwandelt wurden. Musste das Bier damals noch eingekauft werden, sind heute in der Amselstube bis zu zwölf selbstgebraute Sorten im Angebot. Andreas Schultheiss kümmert sich neben seinem Beruf als Lehrer um die Öffentlichkeitsarbeit des Hauses und stellt als studierter Biologe sein Fachwissen für den Brauprozess und dessen Vermittlung in Kursen zur Verfügung. Martin kümmert sich als gelernter Detailhändler um das Brauen, Abfüllen, Lagern und Ausschenken des Biers und betreibt gemeinsam mit seiner Nichte Lena die Gaststube.


Boom der Kleinbrauereien


Mit 170 Hektolitern Bier im vergangenen Jahr ist der Betrieb an der Schmiedgasse eine Klein- oder gar Kleinstbrauerei. ‹Unser Bier›, inzwischen die grösste Brauerei Basels, stellte im vergangenen Jahr 5863 Hektoliter Bier her. Diese Menge wiederum nimmt sich winzig aus im Vergleich zu den beiden internationalen Konzernen, die rund 60 Prozent des Biermarkts in der Schweiz unter sich aufteilen. So produziert die Carlsberg-Brauerei Feldschlösschen rund 2 Millionen Hektoliter pro Jahr.


Bis 1991 war der Biermarkt in der Schweiz durch ein Kartell streng reguliert. Dessen Auflösung führte dazu, dass viele Traditionsbetriebe von internationalen Konzernen übernommen wurden. Als Gegenbewegung entstand ein Boom von Klein- und Kleinstbrauereien. Gab es kurz vor dem Zusammenbruch des Kartells im Jahr 1985 nur 
34 Brauereien, waren es im Jahr 2000 bereits 98.2 Gemeint sind Betriebe mit mehr als 400 Litern Jahresproduktion, die eine Biersteuer entrichten müssen. Für das Jahr 2014 führt die Schweizerische Zollverwaltung schon 514 aktive Brauereien auf.


Während Grossbrauereien mit vollautomatischen Anlagen arbeiten, ist die Bierproduktion an der Schmiedgasse weitgehend Handarbeit. Es beginnt beim Malz, das in 
Säcken aus Bamberg geliefert wird. Gerne würde man mit Malz aus lokaler Produktion brauen, doch gibt es in der Schweiz seit den 1980er-Jahren keine Mälzereien mehr. Jeden einzelnen Sack Malz trägt Martin Schultheiss durch den Innenhof über eine schmale Treppe in den ersten Stock. Hier wird das Malz mit einer Mühle geschrotet. Ein paar Schritte weiter befindet sich die ehemalige Waschküche, die zur Braustube umgebaut wurde.


An den drei Brautagen pro Woche steht Martin Schultheiss jeweils um 4 Uhr morgens auf, erwärmt das Wasser im Braukessel und mischt es mit dem geschroteten Malz zur Maische. Mehrere Arbeitsschritte sind nötig, bis die im Malz enthaltene Stärke vollständig ausgewaschen und zu Zucker verwandelt ist. Nun wird die Flüssigkeit, die sogenannte Würze, von den Malzrückständen, dem Treber, getrennt. Ein Teil des Trebers ist die Grundlage für ein aromatisches Brot, das in der Grünen Amsel gebacken und den Gästen zum Essen gereicht wird. Der Rest wird als hochwertiges Viehfutter an den Maienbühlhof abgegeben. 


Die Würze wird nun so lange eingekocht oder verdünnt, bis der gewünschte Zuckergehalt erreicht ist. Anschliessend wird sie unter Zugabe von Hopfen gekocht, gefiltert und abgekühlt, bevor sie über Schläuche in die Gärfässer im Erdgeschoss gelangt. Hier wird das Jungbier mit Hefe versetzt und nach rund einer Woche in Flaschen abgefüllt, wiederum in Handarbeit. Die Zeiten, als die Harassen zur Nachgärung im Haus gelagert werden konnten, sind aufgrund der gestiegenen Produktionsmenge vorbei. Inzwischen müssen sie in ein externes Lager transportiert und von dort nach mindestens einem Monat Lagerzeit wieder abgeholt werden. 


Stetiges Experimentieren


«Bierbrauen ist ein stetiges Experimentieren», sagen Andreas und Martin Schultheiss. Sobald sich die Menge, die verwendeten Zutaten, die Brau- oder Gärtemperatur verändern, hat dies Auswirkungen auf den Geschmack und die Beschaffenheit des Gerstensafts. Die heikelste Phase ist das Abkühlen. Hier kann es leicht zu Infektionen kommen, wenn der Kühlprozess nicht rasch genug erfolgt. Das geschah bisher nur selten, kann aber den Verlust einer gesamten Gärmenge bedeuten. Entsprechend wichtig ist die Hygiene im Betrieb. Einen grossen Teil seiner Arbeitszeit wendet ein Kleinbrauer für die Reinigung der benutzten Geräte auf.


Erfindergeist ist nicht nur beim Entwickeln neuer Biersorten gefragt, sondern auch bei der Frage, wie eine Kleinstbrauerei langfristig wirtschaftlich betrieben werden kann. Hier setzen die Brüder Schultheiss auf die Kombination mit der Gaststube und die Treue zum Standort. Ihre Gäste kommen nicht nur aus Riehen, sondern reisen auch aus der weiteren Umgebung an, um hier in einer unverwechselbaren Atmosphäre das Amselbräu zu trinken. Auch die wachsenden Mitgliederzahlen des Vereins ‹Freunde der Grünen Amsel› und das rege Interesse an den Braukursen zeugen von den Sympathien für das Familienunternehmen. Mit der Belieferung von Läden und Restaurants ist man bisher zurückhaltend. Einzig im Restaurant ‹Berowergut› steht das Amselbräu fest auf der Karte und lockt so immer wieder Bierinteressierte aus aller Welt an die Schmiedgasse. Langfristig dürfte die Grüne Amsel um die Frage des Wachstums nicht herumkommen. Diese würde aber grosse Investitionen voraussetzen und wäre aufgrund der Platzverhältnisse am Standort Schmiedgasse nur beschränkt zu realisieren. Das Bier an einem anderen Ort zu brauen, wie das manche Kleinstbrauereien tun, die zu wenig Kapazität oder keine eigene Flaschenabfüllanlage besitzen, ist für die Brüder Schultheiss bis jetzt aber kein Thema. Zu sehr hängen sie am Haus, das sie von ihrem Vater geerbt haben.


1 Michael Raith: Gemeindekunde Riehen, Riehen 1988, S. 98.


2 Matthias Wiesmann: Bier und wir. Geschichte der Brauereien und des Bierkonsums in der Schweiz, Baden 2011, S. 211.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2015

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