Peter Stettler Erica Schnell Stettler

Dorothea Christ

Sie sind während ihrer Ausbildungszeit an der Allgemeinen Gewerbeschule Basel (heute «Schule für Gestaltung») nicht nur beide Schüler des Riehener Künstlers Gustav Stettier gewesen, sondern mit diesem auch zu einer Familie zusammengewachsen: Peter Stettier (geboren 1939), der Sohn, und Erica Schnell (geboren 1940), die Schwiegertochter. Beide sind sie stolz darauf, Schüler von Walter Bodmer, Martin Christ und Gustav Stettier gewesen zu sein, die sie als ausserordentlich anregende Lehrer empfanden, und sie stehen auch in aller Selbstverständlichkeit dazu, dass sich in ihren frühen Werken der Einfluss der Lehrer deutlich bemerkbar macht. Warum soll man übersehen oder gar negieren, dass man in einer Tradition steht? Dass Walter Bodmers phantasievolle Linienkompositionen, Martin Christs Farbbegabung und frische Malerei, Gustav Stettiers tonige Graumalerei und Figurenkonzept starke Triebfedern in der eigenen Entwicklung waren? Die eigene Entfaltung setzte folgerichtig ein mit dem Erlangen technischer Beherrschung und mit dem Hineinwachsen in die eigene, persönliche Thematik - bei jedem der heute mitten in ihrer Arbeit stehenden Künstler nach der Prägung der eigenen Persönlichkeit.

Erica Schnell Stettier wollte schon als Schulkind gestalten und formen. Dem Wunsch des Vaters entsprechend absolvierte sie jedoch nach Schulabschluss eine Ausbildung zur Sekretärin - «...man muss auch in einem sicheren Beruf auf eigenen, festen Füssen stehen können». Gleichzeitig schrieb sie sich aber an den Abendkursen der Gewerbeschule ein, arbeitete später halbtags als wissenschaftliche Zeichnerin am Institut für Ur- und Frühgeschichte in Basel und verdiente sich so die Mittel zur weiteren künstlerischen Ausbildung und freien Tätigkeit.

Wie zahllose Basler Künstler tauchte auch Erica Schnell während der Monate vor der Fasnacht in den hektischen Betrieb des Larvenateliers Tschudi ein. Dort lernte sie ihren Ehemann Peter Stettier kennen. Weder Fasnachtssujet noch baslerische Stadtbilder sind zum Ausgangspunkt für die Thematik geworden, die Erica Schnell am tiefsten bewegt. Auch nicht das Figürliche, sondern Landschafts- und Naturerlebnisse. Geäste und Gezweige mit Blättern, Häusergruppen in Bäumen, Wege, eine Landschaft durchziehend wie schöne Bahnen, auf welchen der Blick durchs Bild folgen kann - das sind Erica Schnells Motive. Neben ölmalerei und der in den letzten Jahren besonders gepflegten Aquarellmalerei reizten sie aber auch immer wieder andere Ausdrucksmittel: Sie pröbelt gern, sie hantiert mit verschiedenen Materialien und Formsprachen. Da kann sie sich mit unglaublicher Sorgfalt und Exaktheit ans Arbeiten machen.

Einmal - wohl dem Einfluss des bewunderten Lehrers Walter Bodmer zuzuschreiben - entdeckte sie den Draht als reizvolles Darstellungsinstrument. Sie schnitt und lötete und es entstanden Reliefkompositionen auf weissem Grund, die immer noch Struktur und Raum einer luftigen Landschaft zum Thema haben - aber das Motiv wird jetzt ins Ungegenständliche übersetzt. Oder es entstanden Objekte wie «Mondgarten», wo ein rundlicher Kieselstein den Sockel einer luftigen Drahtkomposition bildet. Illustrativ? Ja - in gewissem Sinne. Denn Thema und Motiv fallen zusammen und man spürt, wie dankbar Erica Schnell die belebende Kraft einer im Aspekt immer wieder wechselnden Natur erfährt. Das drückt sich auch aus in den späteren Landschaftsbildern: Das Gegenständliche wird nicht verlassen - aber «umgesetzt» bis nahe an die Abstraktion. Aus Farbflächen, meist in verzogenen Rechtecken und Quadraten und Dreiecken, baut die Malerin eine Farbkomposition. Dazu tritt die Strichzeichnung einer Linienstruktur. Beide, Farbfläche und Strichzeichnung, kommen in ein harmonisches Gleichgewicht - sie übertragen auf den Betrachter das Miterleben eines klaren Motivkonzepts, das auch Bewegung, Luft, Raum und Wandel des zu Grunde liegenden Naturthemas beinhaltet. Es ist eine stille und zurückhaltende Kunst eigener Prägung, die sich da in aller Ruhe entwickelte. Sie basiert auf einer ursprünglichen Formbegabung und phantasievoller, fleissiger Arbeit.

Eine ursprüngliche Formbegabung und ein unglaublich waches Aufnehmen von Augeneindrücken und die zugehörige Gabe, dies in eine bildnerische Formensprache zu bringen, eignet auch Peter Stettier. Er zählt zu den erstaunlichen «Wunderkindern», die - ohne jemals speziell dazu angehalten worden zu sein - zeichnen und färben längst bevor sie lesen und schreiben können. Das begann mit dreieinhalb Jahren. Vom Vater konnte das Einzelkind Peter damals nicht animiert oder geformt werden; das waren ja die Jahre harten Existenzkampfes für Gustav Stettier mit Militärdienst während der Grenzbesetzung, mit Arbeitslosigkeit und dem Ringen um eigene Entfaltung. Aber das Kind Peter zeichnete und zeichnete - «.. .wahrscheinlich, weil ich nichts anderes konnte...». Die eigene Phantasiewelt und was dann der Aufwachsende erlebte, kommt auf den Zeichnungen zum Ausdruck, manchmal in sorgfältig aus Blatt um Blatt des Zeichenblocks zusammengesetzten grossen Formaten: Schlösser, Burgen, Landschaften, Tiere, Menschen, das Städtchen Colmar mit den Riegelbauten und Ziegeldächern, so wie es der Achtjährige erlebte. Oder Menschen, die den Jungen beeindruckten, wie das Porträt von Maler Paul Stöckli, der damals in Riehen nahe bei der Franziskus-Kirche wohnte und den Vater und Sohn Stettier ab und zu als Kollegen aufsuchten. Dann vollzog sich langsam der übergang ins Erwachsenenalter, und mit 15 Jahren erfolgte 1954 der Eintritt in die Kunstgewerbeschule der AGS. Und nach sechs Jahren Ausbildung dann die ersten eigen ständigen freien Arbeiten. Diese Figurenbilder zeigen nun stark den Einfluss des Vaters - wie das nicht anders möglich ist. Aber zielsicher und folgerichtig findet Peter Stettier zu seinen eigenen Themen: Landschaften, architektonische Kompositionen, Fensterbilder, Stilleben. Besonders fruchtbar auf dem Weg zur Eigenständigkeit waren die Monate im Basler Atelier der Cité des Arts in Paris, wo Stettier und seine Frau 1967 arbeiten konnten. Kontinuierlich hat Peter Stettier die technische Beherrschung seiner Mittel in Malerei und Graphik entwickelt. Das hat ihm auch Anerkennung, Ankäufe und Stipendien eingetragen. In den letzten 15 Jahren entstanden sehr grossformatige Landschaften, dann Interieurs und schliesslich riesige «Stilleben-Kompositionen», bei denen aber nicht mehr das einzelne Objekt, sondern die in einen Raster aus Etalagenstreifen und -kästchen gebrachte Flächenkomposition den Ausschlag gibt. Dem Detail wird, sowohl in bezug auf das (oft skurrile) Objekt als auch auf die Technik der Darstellung, peinliche Sorgfalt gewidmet. Stettier hat es zu einer wundervoll sensiblen ölmalerei gebracht - wie auch zu meisterlicher graphischer Kunst. Schwimmt er darin gegen den Strom? Weil er seinen schöpferischen Impetus zügelt, bis er sich sicher auf dem Fundament soliden Könnens entwickelt? Weil er eine figürliche Bildwelt schafft und erfindet oder abliest aus dem erlebten Alltag? Manchmal muss es bestürzend sein zu erleben, wie andere Zeit- und Modeströmungen hochkotiert in den Handel gehen. Aber das bedrängt Peter Stettier nicht. Er weiss, dass er auf seinem Weg und in seinen Dimensionen bleiben muss. «Ich bin ein Outsider in der modernen Kunstszene...» Das stimmt und stimmt auch wieder nicht: einer Gruppe, wie die 33er oder die 48er (zu denen sich Gustav Stettier zählt) sie bildeten, gehört Peter Stettier nicht an. Das gibt es in dieser Form nicht mehr. Freundschaft verbindet ihn mit Kollegen wie Andreas His (*1928) und anderen. Und «Kollege» ist dabei ein Stichwort: Es sind die Basler Künstler, die als Lehrer an der Schule für Gestaltung ihr gesalzenes Pensum erfüllen, die Hälfte der Woche unterrichten, um dann um so intensiver in der anderen Hälfte im Atelier frei zu arbeiten. Peter Stettier ist Lehrer an der Schule für Gestaltung, in gewissem Sinn Nachfolger seines Vaters, denn auch er unterrichtet vor allem Zeichnen und Druckgraphik. Er wirkt an der Fachklasse für Graphik. Das bedeutet kontinuierliche Auseinandersetzung mit etwa 16 erwachsenen Schülern, die nach strengen Aufnahmeprüfungen aus einer vielleicht fünfmal so grossen Zahl von Bewerbern um die Aufnahme schliesslich diese Klasse bilden. Peter Stettier findet seine Tätigkeit an der Schule nicht besonders erwähnenswert. Aber sie ist doch wichtig. Sie bietet eine ständige Quelle der Anregung; die Arbeit mit den erwachsenen Schülern bringt auch dem Lehrer viel. Sie lehrt ihn, sich andern gegenüber verständlich zu machen, sie verhilft zur Klärung des eigenen Standortes. Würde man einmal, was überaus reizvoll wäre, eine Retrospektive vom Schaffen Stettiers zeigen, die auch die Kinderzeichnungen einschliesst, dann käme man zur Beobachtung, dass in der Anlage des Kindes bereits der Geist der Werke des heutigen Peter Stettier enthalten ist: dieselbe Art phantasievoller Behandlung von Themen und Sujets, derselbe Ordnungssinn im Organisieren einer Bildfläche, dieselbe unermüdliche Sorgfalt in der Ausführung - und dieselbe Zielsicherheit im Erfassen des Typischen. Darin liegt etwas Beeindruckendes und Befriedigendes; es kann uns als Garant dafür gelten, dass eine Persönlichkeit sich aus den eigenen Grundlagen entwickelte, keine fremden Anleihen überwuchern liess.

Das Künstlerpaar Stettier wohnt und arbeitet in einem Riehener Haus, über dem gute Geister walten. Dort, an der Paradiesstrasse, liess sich 1921 bis 1924 Numa Donzé sein Wohn- und Atelierhaus bauen. Nach seinem Tode 1950 bezog es Dr. Lucas Lichtenhan, der Konservator der Basler Kunsthalle. Nach dessen Tod fand Gustav Stettier dort im Räume von Numa Donzé sein Atelier. Schliesslich konnten die Stettiers das Haus erwerben, und nun beherbergt es die Arbeitsräume zweier Künstler: in Numa Donzés Raum arbeitet Peter Stettier, im Obergeschoss wirkt Erica Schnell Stettier. Eine Künstlerfamilie, in der jedes seinen eigenen Weg geht, ohne gemeinsamen Werkstattbetrieb, aber in ständiger Fühlungsnahme und Wertschätzung der Arbeit des andern.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1993

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