Von Ziegeleien, Hugenotten und den Mory in Riehen

Michael Raith

Früher bedeuteten neue Leute im Dorf oft zusätzliche handwerkliche Konkurrenz: Sie zogen nicht nur nach Riehen, sondern bauten hier auch ihre Existenz auf. So vor rund anderthalb Jahrhunderten die Zieglerfamilie Mory.

 

Bei heutigen Einbürgerungen spielt der Beruf der Bewerber eine untergeordnete Rolle. Früher bedeuteten ins Dorf Zugezogene oft verschärfte handwerkliche Konkurrenz: Sie kamen nicht nur zum Wohnen nach Riehen, sondern hatten auch im Sinn, hier ihre berufliche Existenz aufzubauen. Das führte zu Widerständen. Als 1867 die Familie Mory in Riehen Heimatrecht erhielt, erhoben sich dagegen kaum Einwände. Sie zählte quasi schon zu den Eigenen, verknüpften doch manche verwandtschaftlichen Bande die neue mit den alten Sippen.

 

Seit etwa 1755 lebten die Mory nur wenige Schritte vom Riehener Bann entfernt am Grenzacher Horn. Dorthin waren sie aus der Holee bei Binningen gekommen. Ihre eigentlichen Ursprünge führen jedoch in die französische Picardie zurück, die sie als verfolgte Hugenotten 1685 verlassen hatten. Treu blieben sie auf ihrem langen Weg mit seinen verschiedenen Stationen dem Zieglerhandwerk. Es gedieh in unserer Region wegen günstiger geologischer Voraussetzungen. Seit Generationen dienten und dienen Angehörige der Familie Moiy der Gemeinde Riehen in verschiedenen öffentlichen ämtern.

Vom Ziegelbrennen

Das Wort Ziegel kommt vom lateinischen «tegula» und dieses von «tegere» (bedecken). Ziegel sind künstliche, aus Lehm oder Ton geformte und gebrannte Steine. Die mehrtausendjährige Geschichte des Ziegelbaus vom posaunenbedrohten Jericho bis zu chinesischen Kaiserpalästen und dänischen Backsteinkirchen kann hier nicht geschildert werden. Aber selbst wenn man sich auf Riehen beschränkt, so Findet sich dieser Beruf während der längsten Zeit der Dorfgeschichte.

Das erste Mal hören wir von ihm noch vor dem Rütlischwur, nämlich 1268. Und vermutlich in der Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg ging das Gewerbe ein. Das Zieglerhandwerk dürfte also zu den ältesten nicht- oder nebenbäuerlichen Erwerbstätigkeiten in unserer Gegend gehören. An sich hatten es schon die ja auch hierzulande siedelnden Römer gekannt. Aber ihr Wissen ging verloren. Die Alemannen bauten ihre Häuser aus Holz und deckten sie mit Stroh. Erst im 13. Jahrhundert - und das stimmt mit der erwähnten Jahreszahl überein - folgte eine neue Blüte. Es dauerte aber noch Jahrhunderte, bis Backsteine an die Stelle von Holz oder Bruchsteinen getreten waren und bis Dachziegel Schindeln oder Stroh verdrängt hatten. In Ziegelhütten oder Ziegelscheuern stellte man von Hand etwa Biberschwanzziegel her.

Die Ziegeleien bildeten zunächst keine privaten Firmen, sondern obrigkeitliche Einrichtungen. Das von ihnen benötigte Rohmaterial barg der lösshaltige Boden: Seine obersten Schichten im östlichen Gemeindegebiet Riehens setzen sich weitgehend aus erhaltenem Löss und aus verwittertem Löss in Gestalt von Lösslehm zusammen. Löss entstand nach der Eiszeit aus Sand und Staub. Stürme hatten diese Teilchen aus Feldspat, Quarz, Glimmer und Kalk vom Schwarzwald und von den Alpen herab geblasen und so fruchtbare Erde geschaffen (RJ 1994, S. 92 f.). Aus Lösslehm stellte man Ziegel, Backsteine, Töpfe und Fliesen her. Vor allem zwischen 1870 und 1900 gelangten in der Schweiz neue Ziegelöfen und -maschinen zum Einsatz. Die vielen kleinen Ziegeleien für den lokalen Bedarf konnten nicht mehr mithalten. An ihre Stelle traten Grossbetriebe. Das war auch in Riehen und Umgebung so.

Ziegeleien in und um Riehen

Heute befinden sich die Riehen nächsten Ziegelfabriken im Kandertal des Markgräflerlands. Früher aber besass fast jedes Dorf seine eigene Ziegelei, so etwa das benachbarte Stetten gleich mehrere. Eine - ursprünglich allerdings aus Lörrach stammende - Weiler Dorfsippe trägt den Namen Ziegler. In Grenzach standen schon im 17. Jahrhundert zwei Ziegelhütten, eine davon am Horn, nahe dem heute zwischen Rauracherwegli und Wiesentalbahn lokalisierten Gebiet «In der Ziegelgrube» auf der Flur Landauer im Riehener Niederholzquartier. Es handelt sich, wie bereits erwähnt, um das schon 1268 als «Ziegelschür» urkundlich erwähnte Gebiet, 1673 und später hiess es dann «ziegelgruoben». Ob diesem Namen die Ziegelei am Grenzacher Hörnli oder eine auf Basler - dort zwischen der Strasse Im Rheinacker und dem Bahngleis die Flur «Ziegeläcker» beziehungsweise Riehener Seite Pate stand, lässt sich heute nicht mehr sicher sagen.

Ein jüngeres Unternehmen dieser Branche befand sich im Gebiet Hinterengeii im Norden Riehens. Die schon 1490 bezeugte «Kalchdarre» - also eine Vorrichtung zum Trocknen von Kalk, damit man diesen für den Hausbau verwenden konnte - gehörte vielleicht zu ihrer Geschichte. Diese Ziegelei kam 1905 in den Besitz von Karl Gustav Schiile (geb. 1869). Ihm folgte 1913 Eugen Schott (geb. 1879), der das Haus Steingrubenweg 162 baute. Die Erinnerung an diesen wohl im oder nach dem Ersten Weltkrieg aufgegebenen Betrieb - Schott zog 1920 weg - wahrt das 1974 benannte Ziegelhüttenwegli. Auch im eigentlichen Dorf konnte man vor hundert Jahren eine Ziegelei sehen, und zwar hinter der Liegenschaft Baselstrasse 5. Ihr Kamin ist auf alten Ansichten noch zu erkennen, steht jedoch schon seit über achtzig Jahren nicht mehr. Man stösst aber noch heute im Hinterland auf das alte und kleine Industriegebiet, zu dem sie einst gehörte.

Hugenotten und Waldenser

Hugenotten sind französische Reformierte. Sie wurden in ihrem Land seit den 1560er-Jahren und vor allem nach der Rücknahme des Schutzediktes von Nantes am 16. Oktober 1685 unterdrückt und flohen - deswegen ihre zusätzliche Bezeichnung «Refugianten» - zu Glaubensverwandten auch in die Eidgenossenschaft. Zu den Hugenotten gesellten sich die Waldenser. Diese bildeten seit dem 12. Jahrhundert eine nach dem Vorbild Jesu in Armut lebende Laiengemeinschaft, welche sich vor Nachstellungen in piemontesische Bergtäler zurückzog. Später schlössen sich die Waldenser der Reformation an, gerieten nach 1685 ebenfalls unter zunehmenden Druck und wanderten teilweise aus. Diese hugenottischen Franzosen und waldensischen Italiener brachten Bildung, Reichtum, Weitläufigkeit und Kunstfertigkeit mit.

Die Stadt Basel verlieh den in ihr niedergelassenen Flüchtlingen das Bürgerrecht und bald finden wir sie auch in Riehen und anderswo als Landgutbesitzer. Zwischen den Neuen und den Altbürgern entwickelte sich ein zwar kritisches, aber gegenseitiges Geben und Nehmen. Allmählich heirateten die Refugianten auch in alte Basler Familien ein. Offensichtlich beachtete man aber in der Stadt gewisse soziale Unterschiede: Einzelne Glaubensflüchtlinge erhielten nicht das Heimatrecht Basels, sondern dasjenige einer Landgemeinde.

Wenige Monate vor der Aufhebung des Edikts von Nantes, nämlich am 9. März 1685, heiratete Esaïe Moru (16501694) in der Predigerkirche zu Basel, wo die französische Gemeinde der Stadt ihre Gottesdienste hielt, Françoise de FArbre (1663-1690) aus Sedan, unweit der heutigen Grenze zu Belgien. Moru selbst stammte aus der an der Oisne gelegenen Festungsstadt Guise (heute Département Aisne) in der Landschaft Picardie am Nordrand des Pariser Beckens.

Die Herzoge von Guise gingen als Parteiführer der antihugenottischen katholischen Liga in die Geschichte ein. Moru übte wie schon sein Vater, der «briqu[et]ier Adrien», das Zieglerhandwerk aus. Neben Moru ist die Schreibweise «de la Morue» (kaum = Kabeljau, wohl eher verwandt mit «marais» = Moor) belegt. Sofern es sich hier um ein Adelsprädikat handeln sollte, ging es in einem bäuerlichen Umfeld bald verloren, was von einer gleichnamigen Familie, die im bernischen Kallnach Aufnahme fand, überliefert ist. Dort setzte sich übrigens die Schreibweise «Mori» durch, hier «Mory». Ob weitere Träger des Namens Mory in Frankreich nicht oder teilweise zur Verwandtschaft gehören, blieb ununtersucht. Alle anderen Mori und Mory zählen wohl kaum zur Sippe und sind meist welschfreiburgischen oder italienischen - ja vielleicht sogar türkischen oder japanischen - Ursprungs.

Françoise de FArbre starb nach der Geburt von vier Kindern und vermutlich im Jahre 1691 heiratete Esaïe Moru Susanne Jordane aus Torre Pellice, dem Zentralort der Waldensertäler in den Cottischen Alpen südwestlich Turins. Aus dieser zweiten Ehe stammen die überlebenden Nachkommen.

Holee

Der Basler Ratsredner und Rathausknecht Johann Rudolf Faesch (1630-1691) erwarb 1663 - übrigens von einem Hugenotten - das im Binninger Bann gelegene Schlossgut Holee (= Anhöhe). Er verlieh im November 1686 Esaïe Moru und seinen Erben «aus Barmherzigkeit und Mitleiden» einen Teil des Guts zum Ziegeln.

Die geologischen Verhältnisse entsprachen durchaus denjenigen, welchen die Nachkommen später in Riehen antrafen, was Flurnamen wie «Im Holeeletten» dort und «Lettacker» hier belegen. Nach dem am 1. Juli 1694 in Binningen erfolgten Tod von Esaïe Moru gebar die Witwe Susanne Jordane am 27. Dezember einen postumen Sohn, der drei Tage später in der französischen Gemeinde zu Basel auf den Namen Louis Jean getauft wurde. Im Jahre 1718 ging er die Ehe ein mit der frommen «Krunnnholz»-Tochter Barbara Schweighauser (1693-1756) aus altem, ursprünglich in Bottmingen beheimateten Geschlecht und erwarb das Bürgerrecht seiner Wohngemeinde Binningen.

Louis Jean oder - wie man ihn auch nannte - Hans beziehungsweise Johannes Ludwig Moru oder Mori ziegelte weiter im Holee, wurde Vater von 13 Kindern und kaufte sich 1754 - um auszuwandern? - von der Leibeigenschaft los, muss aber bald darauf das Zeitliche gesegnet haben. Als seine Witwe an der Wassersucht ebenfalls starb, wurde im Kirchenbuch vermerkt «war eine brafe Frau». Ein Sohn, Hans Rudolph Mory (1734-1807), übernahm die Ziegelei von seinem Vater und wirkte auch als Seifensieder. Er heiratete 1759 in Binningen Verena Blattner oder Plattner (1736-1814) von Bottmingen. Ihr Vater kam aber ursprünglich aus Lupsingen und eine ihrer Grossmütter Verena Jundt geborene Mettler (1664-1748) - aus Riehen. Auch der Ehe Mory-Blattner wurden 13 Kinder geschenkt. Aber trotz dem Eindruck einer geglückten Integration ursprünglich Fremder im Baselbiet wuchsen die alten Wurzeln nach.

Neubad

Der Mediziner und Botaniker Benedikt Stähelin (16951750), Professor und Rektor der Universität Basel, entdeckte 1742 beim Holee eine Heilquelle mit angeblich blasensteinzermalmendem Wasser. Zwanzig Jahre später erwarb sie Hans Rudolph Mory und erbaute 1765 ein «Neues Badhaus», das bald stark besucht wurde. Allerdings stand seine Funktion als Kurhaus im Konflikt mit der ebenfalls überlieferten als beliebtes Tanzlokal. Unerlaubtes Tanzen beschäftigten 1769 und gar eine Messerstecherei 1776 die Obrigkeit. Es gelang aber Hans Rudolph Moiy, ein dauerndes Verbot öffentlichen Tanzens in seinem Lokal zu verhindern. Doch der Ruf des Lokals blieb beschädigt.

Und trotzdem passte der «Neubad»-Wirt nicht ins Schema des blossen Unterhaltungsunternehmers, Hess er doch an einem Türsturz seines Bauwerks die Inschrift «NIS1 LEX TUA SOLAMEN MEUM ESSET IAM IN ABJECTIONE PERISSEM Ps. 119,92» (Wäre dein Gesetz nicht mein Trost, so wäre ich bereits in Betrübnis zugrunde gegangen) anbringen. Vers und lateinische übersetzung stellen zwar keinen Courant normal dar, aber das Anbringen von Bibelsprüchen steht in klarer hugenottischer Tradition.

Das «Neubad» blieb bis 1857 im Besitz der Familie Mory, die heute noch in Binningen blüht. Zwei Brüder heirateten zwei Schwestern: der Beck und jüngere «Neubad»-Wirt Rudolph Mory (1770-1826), ein Sohn aus der Ehe MoiyBlattner, die Witwe Anna Maria Ziegler (1769-1847) aus Weil und sein Bruder, der Metzger Hans Heinrich Moiy (1763-1823), deren Schwester Brigitta Ziegler (17661834). Hans Heinrich bekleidete während der kurzlebigen Helvetik (1798-1803) als Agent in Binningen das höchste Dorfamt. Er wanderte mit seiner Familie - was im «frommen» Stadtbürgertum Basels jener Zeit im Trend lag, hier aber auch für die Landbevölkerung belegt wird - in die thüringische Kolonie Ebersdorf, der vom Pietisten Zinzendorf begründeten Herrnhuter Brüdergemeinde, aus (1813). Einer seiner Söhne ehelichte eine Tochter seines Bruders Rudolph. Obwohl die Kinder dieser Ehe Mory-Mory deswegen nur zwei statt vier Urgrosselternpaare besassen, gründeten sie einen ansehnlichen ostdeutschen Ast am Stammbaum. Der uns interessierende spätere Riehener Zweig wohnte damals aber schon lange «hinter dem Horn» in Grenzach.

Am Hörnli

Der Kinderreichtum der Familie, die Tradition, als Sohn den Beruf des Vaters weiterzuführen, und der Umstand, dass es nicht für alle Nachkommen am selben Ort Platz zum Ziegeln hatte, führte zu Wegzügen aus dem Holee. Zwei Brüder des «Neubad»-Wirts Hans Rudolph Mory wanderten ins Markgräflerland aus: Johann Jakob Moiy (1732-1781) vor 1760 nach Kirchen und Johannes Mory (1730-1814) spätestens 1755 nach Grenzach. Ein Sohn des Kircheners heiratete eine Tochter des Grenzachers, es gab also wieder eine Ehe Mory-Mory unter Nächstverwandten. Ob dahinter Zufall oder System steckt?

Im alten Weiler am Horn, Hörnli oder Hörnle in der heutigen Gemeinde Grenzach-Wyhlen steht nur wenige Schritte von Schweizer Gebiet entfernt noch immer die alte Ziegelscheuer (Hörnle 66), ursprünglich im Besitz der Dorfherren aus der Familie von Bärenfels. Diese verkauften sie und mit ihr gewisse Vorrechte 1734 an einen Basler Ziegler. Wenig später meisselte man an diesem Haus die Jahreszahl 1738 ein. über ihr befinden sich wohl als Handwerkszeichen Ziegelformen. Es wird heute als Familienwappen geführt.

Der vermögliche Johannes Mory erwarb die aus Wohnhaus und Stallungen bestehende Liegenschaft und zog mit seiner Frau Susanne Plattner (1727-1801) von Lampenberg neun Kinder auf. Sechs starben allerdings früh. Trotz der in jener vormotorisierten Zeit beachtlichen Entfernung vom Bürgerort Binningen hielt man Kontakt. So holte sich der älteste Sohn Johannes Mory (1759-1824) seine Frau Anna Barbara Wiesner oder Wissner (1763-1829) aus der Heimat. Allerdings auch aus der Verwandtschaft, war sie doch die Nichte der genannten «Neubad»-Wirtin Verena Moiy-Blattner. Die Hochzeit fand am 15. März 1784 im Binninger Margarethenkirchlein statt.

Aus der erwähnten Ehe des - wie es in den Quellen heisst «untersten» Zieglermeisters und Gerichtsbeisitzers Johannes Mory-Wiesner entstammten auch wieder 13 Kinder. Eines davon, Johann Jacob Moiy (1786-1855), der als Ziegler, Bauer und Schutzbürger am Hörnli wirkte, heiratete nun erstmals eine Grenzacherin, und zwar die Vogts und Richterstochter Anna Maria Hartmann (1791-1818). Aus einer nach ihrem frühen Tod geschlossenen zweiten Ehe Johann Jakobs stammten mehrere Söhne, die über den Rhein nach Birsfelden zogen, wo Angehörige der Familie Moiy noch heute leben. Eine Tochter, Elisabeth HurstMory (1822-1901), kam als Frau eines Bauern nach Eimeidingen und blieb trotz Kinderlosigkeit wegen eines auffälligen Augenleidens in bleibender Erinnerung. Mit Riehen verband sich ihre Halbschwester - aus der Ehe Mory-Hartmann - Anna Maria (1814-1877) durch die Heirat mit dem Küfermeister Johann Friedrich Löliger (1810-1883; RJ 1978, S. 18, 20). Sie wurden Stammeltern einer zahlreichen Nachkommenschaft (RJ 1993, S. 152, 163). Auch der jüngere Bruder von Johannes Mory-Wiesner, Johann Rudolph Mory (1768-1843), ebenfalls Ziegler, orientierte sich nach Riehen und nahm 1801 Maria Magdalena Stump (1768-1838) aus der bekannten (RJ 1964, S. 49; RJ 1996, S. 22 f.) «morganatischen» Ehe Stump-Burckhardt zur Frau. Vielleicht hatte der Metzger und Wirt des unmittelbar an der Grenze gelegenen Gasthauses «Zum Waldhorn» Hans Georg Stump (1769-1819) aus Riehen, ein Nachbar der Ziegelei, diese Verbindung mit seiner Cousine vermittelt. In jene Zeit fällt die Wirksamkeit der erweckten Baronin Barbara Juliana von Krüdener (1764-1824). Nach ihrer Ausweisung aus Basel predigte sie im «Waldhorn» am Hörnli zu Grenzach eindrucksvoll und erfolgreich. Sie tat in jenen Hungerjahren von 1816 auf 1817 Notleidenden viel Gutes (RJ 1982, S. 30). Hans Georg Stump und Johannes Mory müssen mit ihren Angehörigen Augenzeugen der damaligen Volksaufläufe gewesen sein.

Eine auch wieder im Binninger Margarethenkirchlein am 2. Mai 1809 gefeierte Hochzeit führte Anna Barbara (17801837), ein Kind des «Neubad»-Wirts Rudolph Mory-Ziegler, an die Seite des Rieheners Martin Sieglin (1782-1840). Beider Tochter Verena Sieglin (1810-1848) heiratete den Zimmermann Johannes Schultheiss (1801-1874; Bild RGD S. 347), der 1848/9 das Amt des Gemeindepräsidenten versah. Unter ihren vielen Kindeskindern befinden sich auch die Angehörigen der 1909 in Riehen eingebürgerten Familie Stolz.

Rudolf Mory (1805-1875), Bauer und Ziegler am Horn sowie ein wesentlich jüngerer Bruder von Johann Jakob Moiy-Hartmann, ehelichte - was nun nicht mehr überrascht - Anna Löliger (1806-1887), die Schwester seines angeheirateten Neffen Johann Friedrich Löliger-Mory von Riehen. Das Paar Moiy-Löliger zog zwischen Grenzach und Riehen hin und her, liess sich zuletzt aber definitiv bei den Kindern in letzterem nieder. Ihre ältere Tochter Anna (1827-1842) starb unglücklich durch Ersticken, die jüngere, Anna (1845-1926), wurde die Frau des Herrschaftsgärtners Jean Cochard (1838-1885), der unter anderem im Napoleonischen Schloss Arenenberg am Untersee in Diensten stand, und der einzige Sohn Johann Jakob Moiy (1832-1916) verpflanzte die Familie definitiv vom Rhein an die Wiese.

In Riehen

Der «Waldhorn»-Wirt Hans Georg Stump, Sohn einer geborenen Bertschmann und Enkel einer Seidenmann, hatte einen mit einer Fischer verheirateten Bruder und dieser einen in die Familie Singeisen heiratenden Sohn. So kamen Sippen, ämter und Wirtschaften zusammen (RJ 1971, S. 44-59). Aus der Ehe Stump-Singeisen ging die Tochter Anna Maria (1829-1906) hervor. Sie trat am 9. Juni 1858 in der Riehener Dorfkirche in den Stand der Ehe mit Johann Jakob Mory. Das Paar liess sich mit den inzwischen geborenen Kindern definitiv 1863 in Riehen nieder, wo die Familie 1867 - zusätzlich zu dem von Binningen das Bürgerrecht erlangte. Man passte neue Namen gern altbekannten an. Und vielleicht weil es eine - inzwischen ausgestorbene - Familie Müri schon gab, wurde der Ziegler «Muhri Jokcheb» angesprochen.

Johann Jakob Mory-Stump kaufte 1862 das Haus Baselstrasse 5 und errichtete die erwähnte Ziegelhütte. Nach Erbgang und Tausch erwarb er zusätzlich den Hof Baselstrasse 1, den er 1880 neu bauen liess. Diese Liegenschaft erfuhr auch später noch manche Veränderung. Zur Familie zählten Kinder, Eltern und die Grosseltern Mory-Löliger, auch die Schwester Anna Cochard-Moiy, Mägde und mehrere Knechte für Landwirtschaft und Ziegelei.

Wir lesen im Nekrolog auf Johann Jakob Mory in der «National-Zeitung» vom 1. August 1916 über diese «markante, charaktervolle Persönlichkeit ..., welche es wohl verdient, dass ihrer ... öffentlich ehrend und dankbar gedacht wird: Im Hause seiner Eltern erhielt er eine Erziehung ..., wie sie seinerzeit in den bessern Familien auf dem Lande übung war. Durch eine gute Volksschulbildung, die in der französischen Schweiz ihren Abschluss erhielt, wurde bei ihm der Grundstein gelegt zum tüchtigen Geschäftsmann und Landwirt ... Der Verstorbene brachte den Fragen ... der gesunden Gemeindeentwicklung stets ein volles Verständnis entgegen.

So finden wir ihn unter den ersten, welche in der Gemeinde eine allgemeine Wasserversorgung anregen, welche den Gedanken zur Einführung von Gas und elektrischem Licht und Kraft aufnehmen ... auch war ihm der Besuch landwirtschaftlicher Ausstellungen ein Bedürfnis, und wo es in der Gemeinde galt, in dieser Beziehung etwas zu unternehmen, war er bei den Organisatoren zu finden. Auch rein idealen Bestrebungen zeigte er sich zugänglich und gehörte zu den Gründern des Gesangvereins <Liederkranz>. Es ist wohl kein Verein in der Gemeinde, den er nicht durch seine Mitgliedschaft unterstützte ...» Die Liste seiner ämter in Schule, Gerichtswesen, Landpfrundhaus, Kanton, Kirche und Gemeinde beeindruckt. Er beschloss die politische Laufbahn 1903 mit seinem Rücktritt als Gemeindepräsident und Grossrat (RZ 1990 Nr. 6, RJ 1999, S. 18-20). Politisch und kirchlich galt er als konservativ. Er liess seine Kinder nicht durch den freisinnigen Dorfpfarrer, sondern von einem altgläubigen Theologen in Basel konfirmieren. Popularität und Bedeutung für das Dorf müssen bedeutender gewesen sein, als es das nur dreijährige Verweilen an der Gemeindespitze und die hämische Kritik von Gegnern ahnen lassen, war Mory doch der Einzige in Riehen, der noch zu Lebzeiten (1909) eine inzwischen auf 700 Meter Länge angewachsene Strasse erhielt (RJ 1969, S. 85, Anmerkung 110). Das politische Interesse ging auf einige seiner Nachkommen über.

Leben im Dorf

Aus der Ehe des Zieglers Johann Jakob Mory mit Anna Maria Stump gingen neun Kinder hervor. Anna (18651866), das Sechste, starb im Alter von fünf Monaten, alle übrigen wurden erwachsen. Anna Maria (1858-1915), die älteste, heiratete 1879 den Landwirt und nachmaligen Bettinger Gemeindepräsidenten Friedrich (Fritz) Basler (1856-1927): Ein Schwiegersohn der beiden war der spätere Hausvater des Landpfrundhauses und «Rössli»-Wirt Fritz Aebin (1891-1973, RJ 1982, S. 70 f.), ein anderer der Architekt und Baumeister Karl Braun (1877-1965).

Johann Jakob Mory (1860-1939) junior, das zweite Kind, trug nicht nur den gleichen Vor-, sondern auch Allianznamen wie sein Vater, heiratete er doch durch seine Ehe mit Anna Katharina Stump (1859-1934) in die gleiche Sippe wie sein Vater ein. Er übte den Beruf eines Bautechnikers und Architekten aus, stellte seine wertvollen Kräfte als Gemeinde- und Bürgerrat sowie als Mitglied des Kirchen Vorstandes, Einzelrichter (angeblich wünschte er mit «Herr Friedensrichter» angesprochen zu werden), Schatzungsbeauftragter und - wie es in einer biographischen Notiz heisst - «regsames Kommissionsmitglied des Verkehrsvereins» der öffentlichkeit zur Verfügung. Auf dem väterlichen Areal erbaute er das Haus Aeussere Baselstrasse 4, wohnte darin und hinterliess zwar keine eigenen Kinder, dafür aber eine Familienstiftung. Der Dorfkirche vermachte er zwei Abendmahlskelche.

Bei ihm wuchs ein Sohn seiner Schwester Elise (18641951) auf, nämlich Ernst Mory (1891-1939), eine kräftige Gestalt, später mit dem Allianznamen Mory-Heggendorn genannt, Mitarbeiter der Oeffentlichen Krankenkasse Basel von Anfang an, als Anhänger der Alkoholabstinenzbewegung Blaues Kreuz kirchlich engagiert, Mitgründer und Leiter der Evangelischen Volkspartei Riehen (EVP, heute VEW), die er im Gemeindeparlament seit Beginn und bis zu seinem frühen, durch eine Blinddarmentzündung verursachten Tod vertrat.

Das dritte Kind, Johannes Mory-Basler (1861-1937), übernahm den väterlichen Landwirtschafts- und Ziegeleibetrieb, in dem seine zu Jahren gekommenen zwei Mädchen und vier Knaben tüchtig mithelfen mussten. Die Söhne engagierten sich in der Bewegung des Christlichen Vereins junger Männer (CVJM): vor allem der Schlossermeister Johann Jakob Mory (-Stettier, 1892-1972) als humorvoller Präsident (RJ 1975, S. 75 f.), der Architekt Jean Mory (-Brüderlin, 1894-1961; RJ 1980, S. 94) als Erbauer des CVJM-Hauses zum Kornfeld sowie der besonders um die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verdiente Mechaniker Wilhelm (Willy) Mory (-Wiedmer, 1901-1990).

Jean Moiy führte zusammen mit dem bereits erwähnten Karl Braun, einem angeheirateten Cousin, einige Jahre ein Baugeschäft. Seine architektonische Handschrift tragen beispielsweise die Häuser der Heimstätte-Genossenschaft an der Schäfer- und Römerfeldstrasse oder die Geschäftsliegenschaft Wenk an der Baselstrasse 46. Der Gemeinde stellte er sich als Parlamentarier, Einzelrichter und Kirchensynodale zur Verfügung.

Louise Moiy (1863-1907), das vierte Kind, ehelichte Emil Weber (1864-1929), einen Cousin ihrer Schwägerin Anna Katharina Mory-Stump. Weber erlernte den Beruf eines Drogisten, wirtete später auf dem «Gambrinus» (heute UBS, Baselstrasse 48), fungierte als letzter nebenamtlicher Gemeindeschreiber Riehens und zog dann - lungenkrank nach Arosa, wo er in der «Alten Post» ein Gemischtwarengeschäft führte und der reformierten Kirchgemeinde als Präsident diente. Seine zweite Frau war die jüngste Schwester der ersten und das neunte Kind ihrer Eltern MoryStump: Lydia Mory verwitwete Baumann (1871-1939).

Das fünfte Kind Elise haben wir bereits kennen gelernt. Es heiratete 1896 den Landwirt Johann Jakob Schweizer (1864-1935), mit dem es 1913 an die Rössligasse 19, ins «Schweizerhaus», zog (RJ 1993, S. 168-175). Emil Mory (1868-1957), siebtes Kind und dritter Sohn, lebte von seinen Geschwistern am längsten. Erst trat er in die Spuren des Vaters, wurde Landwirt und Ziegler, dann war er vor seinem angeheirateten Neffen Fritz Aebin Hausvater des Landpfrundhauses (RJ 1982, S. 70 f.) Er ehelichte die Markgräflerin Maria Katharina Sütterlin (1865-1945) aus Wollbach. Aus dieser Verbindung gingen der nachmalige Schlosser Emil Mory (-Meyer, 1895-1961), der Gärtner und Bademeister Hermann Moiy (-Flad, 1897-1962) sowie die Hausfrau Martha (Brunner-) Mory (1899-1981) hervor.

Anna Mory (1870-1946), das achte Kind, verband sich mit dem Spediteur Karl Friedrich Basler (1866-1917), den sein Beruf nach Chiasso, Horgen und Binningen brachte. Im Gegensatz zu seinem Schwager Friedrich Basler-Moiy aus der Bettinger Basler-Sippe gehörte er wie seine Schwester - und gleichzeitig Schwägerin! - Louise Mory-Basler (1861-1938) zur Riehener Sippe gleichen Namens. Da diese möglicherweise einmal separat im Jahrbuch vorgestellt werden soll, erübrigen sich weitere Ausführungen.

Vom Gemeindepräsidenten zum Einwohnerratspräsidenten

Drei Dinge fallen bei der Betrachtung der Riehener Familie Mory auf: erstens ihre Bodenhaftung. Ziegeln, bauern und bauen legen davon Zeugnis ab. Dann ihre Treue über Generationen hinweg zum CVJM, die in ihrer Intensität so beeindruckte, dass irgendein Spassvogel einmal bemerkte, das M in CVJM müsse für Mory stehen. Und drittens die Bereitschaft, in Gemeinde, Kirche und Staat Verantwortung zu tragen. Der Bauingenieur und CVJM-Sportler Hans Moiy (geb. 1928), ein Sohn des Architekten Jean, vertrat die VEW im Gemeinde- und Kantonsparlament. Der Lehrer Werner Moiy (geb. 1937), ein Bruder von Hans, stand dem CVJM vor, gehört der Kirchensynode und seit über zwanzig Jahren ebenfalls als VEW-Vertreter dem Einwohnerrat an, den er gegenwärtig (2002-2004) präsidiert. Rund ein Jahrhundert nach seinem Urgrossvater, der als Gemeindepräsident auch Präsident der Gemeindeversammlung war, trat er in dessen Nachfolge, was der Nachkomme in seiner Antrittsansprache mit einem launigen Hinweis auf eine zeitgenössische Kritik der Verhandlungsführung durch den Familienpatriarchen würdigte.

Die Riehener Mory-Sippe kommt heute rein zahlenmässig gesehen eher bescheiden daher. Sie lebt aber über Abstammungen und sonstige Verwandtschaften in einem fast unübersehbaren Netz ursprünglich dörflicher Beziehungen. Und, das Wichtigste zuletzt, ihre Angehörigen tragen seit 125 Jahren in unserer Gemeinde immer wieder öffentliche Verantwortung, damit eventuell unbewusst den wesentlichen Gedanken des Hugenottenvaters Calvin über die Notwendigkeit gerechten Tuns auch heute noch verwirklichend. Es bleibt der Gemeinde, dafür Dank zu sagen.

Literatur und Quellen: Hans Bühler et al.: Heimatkunde Binningen, Liestal 1978 Gemeindearchiv Riehen (Familien- und Niederlassungsregister) GKR Historisches Grundbuch Riehen (Genealogische Kartei. Häuser Baselstrasse 1-9) L[udwig] Emil Iselin: Geschichte des Dorfes Riehen, Basel 1923 Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Landschaft, Band I, Basel 1969, S. 237-239 Ortssippenbiicher Efringen-Kirchen (1959), Eimeidingen (1979) und Grenzach (1974) RGD RJ passim Carl Roth: Das Holee, BJ 1914, S. 274-301 Staatsarchiv BL (Kirchen- und Familienbücher Binningen-Bottmingen), Staatsarchiv BS (Kirchenbücher Riehen-Bettingen. Sammlung biographischer Zeitungsausschnitte) E[rnst] St[aehelin): Eine bedeutsame Inschrift am Neubad, Sonntagsblatt der «Basler Nachrichten» Nr. 17 vom 30. April 1950 Paul Wenk-Löliger: Ausschnitt aus der Vorfahrentafel von Dora Wenk-Mory, (Riehen) 1953 Paul Wenk-Löliger: Nachlass, im Speziellen Album Mory-Brüderlin

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2002

zum Jahrbuch 2002