Wie Glorian Kling beinahe nach Amerika fuhr

Felix Moeschlin

Frühlingssturm tollte über das Bruderholz. Wolken ballten sich schwarz und zerrissen wieder in blendendem Licht über den tiefblauen Jurabergen. Die Bäume bogen und schüttelten sich. Das war mir gerade recht. Nichts konnte mir willkommener sein als ein paar ausgerissene Bäume. Eine kleine Geste, bitte Natur, die deine Allmacht beweist. Laß die Welt schwanken und beben.


Aber die Bäume blieben stehen. Die Welt schwankte und bebte nicht. Nur ein paar Ziegel klapperten in der Steinenvorstadt. Und auf der Bayrischen Bierhalle war ein Kaminaufsatz weggerissen worden. Das war alles. Keine Spur von einem Erdbeben. Und dabei wäre doch ein Erdbeben so leicht zu machen gewesen. Die Bruchränder der oberrheinischen Grabenversenkung boten ja die schönsten Angriffspunkte. Nur ein bißchen den Hebel angesetzt, Natur, wie anno 1356. Aber sie begnügte sich mit dem Kaminaufsatz der Bayrischen Bierhalle. Jeglicher Maßstab war kleinlich geworden. Ich hatte kein Glück.


Und doch brauchte ich ein Erdbeben. Ich zweifelte an all dem, was vom Bürger als Ordnung, Vollkommenheit und Lebenszweck gepriesen wurde. Unsicher stand ich in allen verwirrenden Dingen und Geschehnissen. Fragwürdig war jegliches. Die naturwissenschaftliche Abteilung der vielhundertjährigen Universität schien mir eine recht zweifelhafte Einrichtung zu bedeuten, um die Rätsel des Lebens zu lösen. Das Geheimnis lag viel tiefer. Ihm war mit Goniometer und Polarisationsmikroskop und auch mit chemischer Analyse nicht im geringsten beizukommen. Man konnte mit dem Steinhammer noch soviele Petrefakten aus dem Fels herausklopfen, mit dem Kompaß Streichen und Fallen der Schichten messen, mit peinlicher Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit Antiklinalen und Synklinalen auf den Karten eintragen, das Geheimnis blieb so undurchdringlich wie vorher. Der Sinn entschleierte sich nicht. Man konnte Erscheinungen konstatieren, man konnte lernen, diese Erscheinungen immer rascher, genauer und zuverlässiger zu konstatieren, man hatte alle Aussicht, dereinst die Deutung dieser Erscheinungen wirtschaftlich verwerten zu können. Aber schon bei der

wissenschaftlichen Diskussion der mutmaßlichen Ursache kam man ins Ungewisse. Und gar beim Sinn... Die Universität gab keine Antwort auf den Sinn all des Verwirrenden, das uns umgibt, einhüllt, durchdringt, das uns trägt wie das Wasser eines Stromes. Erschütternd war es schon, nur an Worte zu denken wie Seele und Herz. Konnte es für den Jüngling etwas wichtigeres geben als Seele und Herz? Aber die Fakultät verlangte, daß man Dünnschliffe in polarisiertem Licht untersuche, und die menschliche Gesellschaft forderte, daß man sich damit die Berechtigung zum alleinseligmachenden Doktortitel erwerbe. Ein Erdbeben, Natur, daß Seele und Herz wieder zu ihrem Rechte kommen könnten!


Versunken die paradiesische Zeit des jungen Botanikers, da die Entdeckung des Myosurus minimus ein Ereignis bedeutet hatte. Dahin die Zeit, da man vor Erwartung klopfenden Herzens Steinplatte um Steinplatte gehoben hatte, um Equisetum, Pterophyllum und Neuropteris der Keuperzeit ans Licht der Gegenwart zu bringen. Ach, nun kannte man auch noch die Farne, Lepidodendren und Sigillarien der Carbonformation, die mitteldevonischen Korallen und Crinoiden, die obersilurischen Crustaceen und Cephalopoden. Man konnte mit Angehörigen der gleichen Zunft eine Sprache sprechen, die kein Mensch verstand. Und doch wußte man immer noch nichts von dem andern, dem wichtigen. Man würde auf diesem Wege nie zum Wissen gelangen. Man war ein Feigling, daß man nicht die Konsequenzen zog, nicht über diese Mauer der Bürgerlichkeit sprang, denn draußen irgendwo mußte das Wissen, mußte das Leben sein. Das Leben! Hatte man nicht die Pflicht, Wäldern und Strömen brüderlich zugesellt, unter Sternen schlummernd, vor Morgenröten erwachend, dürstend unter der steilen Mittagssonne den Quell suchend, ein Wanderer des offenen Herzens und ein Sucher des ewigen Geheimnisses zu sein? Statt dessen ging man jeden Tag seinen Weg, jetzt Barfüßerplatz, jetzt Münsterberg, jetzt Münsterplatz, pfui Teufel. O, ein Erdbeben, Natur, nur ein kleines Erdbeben, da es dir hier doch so leicht gemacht ist, noch sieht man ja die Risse am Münster, und der Zwiespalt wäre gelöst, der unerträgliche, mörderische Zwiespalt der sehnsüchtigen Seele.


Zugegeben um der Wahrheit willen, daß ein Mädchen nicht unbeteiligt war. Aber es hieße seine Bedeutimg überschätzen, wenn man seiner Mitwirkung eine ausschlaggebende Rolle zuschreiben wollte. Ein Mädchen und gerade ein solches Mädchen gehörte zu dieser Zeit. Hoffnungsloses mußte dabei sein, weil etwas anderes im Widerspruche zum seelischen Zustande gewesen wäre. Es war schmerzhaft, aber erträglich. Kein Wort mehr davon.


Mit jener unerschütterlichen überzeugung und selbstbewußten Energie, die in diesem Alter nur bei einem Mädchen zu finden ist, sagte sie, daß ich Schulmeister werden müsse. Zuerst etwas sein, dann könne man immer noch über das Leben nachdenken. Sie hatte die beste Absicht, mir zu helfen. Obwohl sie nicht zu wissen schien, was mir am besten geholfen hätte. Sie gab mir gute Ratschläge, statt mir etwas ganz anderes zu geben. Aber weiß Gott, was da alles im Wege war, Mutter, Tanten, Verwandte. Sie war mit der halben Stadt irgendwie verschwistert und verschwägert. Schon ihr altes Haus hatte etwas Kühles und Vernünftiges. Kurz und gut, sie überschüttete mich mit Ratschlägen. Halbe Nächte lang schrieb sie mir belehrende Aufsätze über Lebensführung und Arbeitspflicht mit ausführlichen Literaturnachweisen, die sich bis auf Originaltexte aus Emerson erstreckten. Ihr Eifer war rührend. Es war gegen die Ratschläge nicht das geringste einzuwenden. Bloß daß ich darauf pfiff. Es lohnt sich wirklich nicht, davon zu reden!


Ich glaube, daß ich einmal eine Nacht vor ihrem Hause stand. Niemand störte mich. Die Landjäger schienen Verständnis zu haben und gingen in rücksichtsvollem Schweigen an mir vorbei. In der dritten Nacht grüßten wir uns. Jede Nacht grüßten wir uns. Seither kann ich es nicht mehr aushalten, daß man über die Landjäger schimpft. Sie hätten ja auch über mich schimpfen können. Da stand ich und rührte mich nicht vom Fleck. Seltsam, so eine Nacht unter den Sternen. Da sind die Milliarden Sterne. Und die Erde ist auch so ein freischwebendes Kügelchen. Und auf der Erde sind Millionen und Millionen Menschen. Und einer von diesen steht auf einem Trottoirstein und schaut zu einem Haus hinauf. Das ist ihm das allerwichtigste. Dabei geht ihr Zimmer auf den Garten hinaus. Sie kann mich nicht sehen. Aber sie braucht mich auch gar nicht zu sehen. Ich stehe bloß der Sterne wegen da und weil es mir eine liebe Gewohnheit geworden ist, ein Bedürfnis sozusagen, diese beiden Landjäger zu grüßen, von denen nur der eine ein richtiger Landjäger ist, während der andere am Tage in einem Speditionsgeschäft als Packer arbeitet. Er sagt, er habe sich das Schlafen schon ganz abgewöhnt, denn er habe fünf Kinder. Wir drei wußten so ziemlich, wer wir waren. Ich hatte zwar natürlich nicht erzählt, aus war für einem Grunde ich dastand. Aber die Polizisten sind nicht so dumm, wie man meint, wenn man das erste

Mal eine Scheibe eingeschlagen hat, ohne erwischt zu werden. Auf dem Lande habe man es einfacher, sagten sie, da nehme man eine Leiter, aber in der Stadt sei alles komplizierter. Ich mußte ihnen Recht geben. Das Leben war in der Tat nicht einfach.


Und doch war es eigentlich ganz einfach. Man mußte sich nur einfügen und alles ging wie am Schnürchen. Da lag das Manuskript der halbvollendeten Doktorarbeit. Nur um ein paar Monate handelte es sich noch. Ich überlas die Blätter mit Notizen: «Losgerissene Bruchstücke ... kryolithisches Gestein ... exogene Einschlüsse ... oder integrierende Teile ... Urausscheidungen ... endogene Einschlüsse ... vor dem eigentlichen Eruptionsakt» ... Es war nämlich die Frage, ob es sich um endogene oder exogene Einschlüsse handelte. Die Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß ... ja, daß es sich sowohl um das eine, als auch um das andere handeln konnte. An dem Worte Eruptionsakt blieb ich hängen. Es paßte so gut zu meiner Stimmung. Feuerflüssige Schmelzmasse des Erdinnern plötzlich emporgeschleudert. Wenn sich der Münsterplatz unversehens öffnete! Aber die Zeit der Vulkane schien für uns auf immer vorbei zu sein. Vor der Eiszeit war man besser dran gewesen. Auch die Erde hatte sich in unsernBreitegraden leider seither sehr verbürgerlicht. Es war nichts mehr zu erwarten. Alles stand fest und sicher da. Widerlich fest und sicher. Man mußte schon selber Vulkan und Erdbeben sein. Und hatte den Mut nicht. Denn die Bürgerlichkeit belohnte mit Geld und Amt, Ehre und Achtung. Halte dich still, schweifende suchende Seele, wir wollen entscheiden, ob diese im übrigen höchst gleichgültigen Einschlüsse endogener oder exogener Natur sind. Mit Geist und Phantasie war etwas aus dieser Frage zu machen. Das hatte auch der Professor gesagt. Ich mußte erkenntlich sein, daß er mir eine so dankbare Aufgabe zugewiesen hatte. Die zweifelhafte Natur dieser Einschlüsse reichte gewissermaßen für ein ganzes Leben. Mit etwas Geduld und Ausdauer konnte man darüber wohl selbst noch zum Professor werden. «Der bekannte Spezialist für kryolithische Gesteinseinschlüsse ist gestern anläßlich seines siebzigsten Geburtstages zum Ehrendoktor der philosophischen Fakultät der Universität Basel ernannt worden...» nicht übel, Glorian Kling. Was willst du noch mehr. Der Weg liegt eben und geradlinig vor dir. Und auch das Mädchen wird einverstanden sein.


Tod und Teufel! Der Sturm riß das Fenster auf und jagte die Papiere in alle Ecken. Flammend wie ein Feuer zeigte das Münster unendlich hoch in den Himmel. Mit gewaltigem Rauschen rief der Rhein in die Ferne. Der rote Stein war lebendig geworden. Der Strom hatte eine Stimme. Die Welt lag offen. Das Polarisationsmikroskop aber glänzte wie ein unbedeutender Glasscherben. Die Handstücke mit den endogenen oder exogenen Einschlüssen kicherten vernehmlich. Dicke Lehrbücher der Gesteinskunde zerfielen wie Zunder. Eine geologische Karte des Tafeljuras verwandelte sich in Böcklins Flora. Das Gipsmodell der Glarner Doppelfalte wurde zum Rücken der Venus von Syrakus. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, ganz abgesehen davon, daß die Glarner Doppelfalte zu den wissenschaftlich überwundenen Theorien gehörte. Man lebte jetzt im Zeitalter der überschiebungen. Man war nicht mehr so genügsam, daß man sich mit bescheidenen Auffaltungen zufrieden gab. Die Geologie hatte Schwung bekommen, das mußte man ihr lassen. Man schob die halbe Schweiz übereinander. Kleinigkeit für Leute, die gewohnt waren mit Kontinenten zu hantieren und mit Jahrbillionen zu rechnen. Verführerische Wissenschaft für einen Menschen mit Phantasie.


Aber ich ließ mich nicht mehr verführen. über die Blätter meiner Doktorarbeit hinweg schritt ich entschlossen zur Türe des Professors, klopfte an und trat ein. Die Stube war voll Rauch. Aber durchs Fenster sah ich auch hier das Münster und in der Tiefe hörte ich den Rhein rauschen. Ich weiß nicht, ob ich ohne Münster und Strom den Mut gehabt hätte, den Mund aufzutun.


«Herr Professor», sagte ich, «entschuldigen Sie, aber ich habe die Absicht, mit dem Studium aufzuhören ...»


«So, so», sagte er «bin ich Ihnen nicht mehr gut genug? Haben Sie übrigens die Profile zu meinem Gutachten über die ölfelder von Schodnica, Mraznica und Boryslaw gezeichnet?»


«Jawohl, Herr Professor...»


«Ist die Karte für mein Gutachten über die Kohlenvorkommnisse im Wallis fertig?»


«Jawohl, Herr Professor...»


«Und die Zusammenstellung der Bohrprofile für mein Petroleumgutachten von Bornéo?»


«Auch fertig, Herr Professor.»


«Und nun wollen Sie also Ihr Studium an den Nagel hängen. Warum denn, Herr Kling?»


Ich glaube nicht, daß ich mich in meiner ausführlichen Antwort sehr deutlich ausgedrückt habe. Ich sprach ja auch von Dingen, die streng genommen nichts mit Mineralogie, Petrographie und Geologie zu tun hatten. Aber das Münster leuchtete unermüdlich und der Strom blieb bei seiner mächtigen Stimme. Das half mir über die Verlegenheit hinweg. Je länger ich sprach, um so stärker rauchte der Professor. Schließlich sah ich ihn nur noch ganz undeutlich und verschwommen. Das machte mir das Reden leichter. Ich kam in einen ganz hübschen Schwung hinein. Als es mir noch gelang, die Forderung, daß man vor allem der innern Stimme gehorchen müsse, so zu fassen, daß sie in dieser aufs Praktische, auf Eisen, Kupfer, Kohle, Petroleum abgestimmten Atmosphäre nicht ungebührlich und lächerlich wirkte und doch eindrücklich blieb, war ich mit meiner oratorischen Leistung ganz zufrieden.


Er hustete eine Weile und sagte dann: «Sie sind jung und verrückt.»


Ich war bereit, beides gelten zu lassen.


«In einem halben Jahr haben Sie Ihr Examen gemacht. Ich kann Ihnen eine sehr gut bezahlte Stelle in Sumatra oder Bornéo verschaffen. In drei Jahren werden Sie ein Vermögen verdienen. Und nun wollen Sie davon laufen?»


O, ich wußte noch Verführerisches als die gute Bezahlung auf den Sundainseln. Neben den Petroleumquellen sah ich Urwald, Palmen, Geheimnisse des primitiven Lebens, Märchen des Dschungels. Aber wenn es nur mit Konzessionen an die Bürgerlichkeit erkauft werden konnte, dann mußte ich verzichten. Ich wollte bloß Mensch sein. Abzuwerfen war alles, was Titel, amtliche Berechtigung hieß. Von vorn anfangen, ganz von vorn. Sich das Recht herausnehmen, dieses Leben des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts von außen her zu beschauen und zu prüfen. über das Zeitliche hinweg, jede Verkleidung abstreifend, das Wesentliche zu erfassen. Leichten Fußes in die Welt hinauszugehen wie der Mensch am ersten Tage, ohne Vorrecht, ohne Begünstigung, als irgendeiner, Genosse den Genossen, Kamerad den Kameraden, Bruder den Brüdern. Ich sehnte mich nach einem Opfer. In diesem Geiste legte ich den Doktortitel und jegliche Anmaßung auf den Altar des Verzichts.


«Ja, dann ist halt nichts zu machen», sagte der Professor, «jeder muß selber wissen, was er zu tun hat.»


Ein vernünftiger Mann. Ein prächtiger Mann. Man konnte mit ihm reden. Er hielt keine sentimentalen, lügenhaften Reden über die hohe Mission der Wissenschaft. Er sagte nur, was nötig war. Er überließ mir das volle Selbstbestimmungsrecht. Ich brauchte kein Erdbeben mehr.


«Wenn Sie vor Ihrem Verschwinden noch Ihre Handstücke für unsere Sammlung einordnen wollen», sagte er und beugte sich rauchend wieder über seine Arbeit, ein Gutachten über das Kupferbergwerk von Rio Tinto. Ein vielseitiger Mann. Ich beneidete ihn um seine Art, das Leben anzugreifen. Auch das war eine Lösung. Aber jeder nach seinem Vermögen. Ich etikettierte meine endogenen oder exogenen Einschlüsse, legte sie säuberlich in Pappschachteln und überließ es einem Berufeneren, die Frage endgültig, das heißt für die Dauer von ungefähr zehn Jahren zu lösen.


Ich war frei. Dank der Mitarbeit an den Gutachten über Schodnica, Mraznica, Boryslaw und Bornéo verfügte ich über ein bescheidenes Kapital. Die Welt stand mir offen. Grüß Gott, Münster, grüß Gott, Rhein! Aber als das Mädchen nasse Augen bekam, zauderte ich wieder. Werde ein Schulmeister, sagten ihre Tränen vernehmlich, dann, dann... Sie war ein schönes Mädchen. Es waren wohl junge Leute um geringerer Dinge willen Schulmeister geworden. Aber ich stellte mich unbeugsamer und tapferer als ich war und sagte: «Komm mit». Wenn sie mitkäme... Sie kam natürlich nicht mit. Dafür schenkte sie mir Carlyles «Arbeiten und nicht verzweifeln». Ich dankte. Auf den Abschiedskuß verzichtete ich. Schon war ich ganz berauscht vom Entsagen. Und hinter der Entsagung kam größere Erfüllung: Nicht ein Mädchen, nein, die ganze Welt zu lieben. Verschwenderisch zu sein mit der Liebe. Wer alpenmäßige köstliche Freiheitsluft atmete, konnte großmütig und freigebig sein. Ich durfte auch die Bürgerlichkeit lieben, weil ich nichts mehr mit ihr zu tun hatte. Ich durfte alle lieben, weil ich keine Befehle mehr anerkannte. Es war eine Freude zu leben, ganz jung zu sein, seine Sache auf nichts zu stellen. Ich wäre am liebsten in die russischen Steppen gewandert. Aber da es zu weit weg war, fuhr ich nach Italien. Carlyles Buch schenkte ich den Sonnenbrüdern, die auf den Bänken bei der Heuwaage so taten, als ob sie auf Arbeit warteten. Ich weiß nicht, was sie damit gemacht haben. Aber ich hatte das Bedürfnis, ihnen etwas zu schenken. Ich war ja nun selber ein Sonnenbruder geworden. Selige Brüderschaft. Leuchtete nicht in Verklärung Franz von Assisi über uns? Zog ich nicht in seinem Zeichen nach Süden? In meinem Rucksack aber stak als einziges Büchlein Tolstois Schrift «Widerstrebe nicht dem Bösen». Ich hatte die beste Absicht, ein ähnlicher Heiliger zu werden.


In Novara hießen die Lokomotiven Dante, Penelope, Orfeo. Göttliches Volk! Welche überlegenheit, eine rauchende, rußige Lokomotive ganz unbekümmert und fröhlich Orfeo zu nennen. In Alessandria schenkte mir ein dicker Italiener, dem ich beim Hineinheben des Koffers geholfen hatte, ein gebratenes Huhn. Gütige und gute Welt! Daß mir kurz darauf ein deutscher Handwerksbursche erzählte, es sei ihm in Genua während der Rettimg eines über die Hafenmauer gefallenen Kindes die Tasche gestohlen worden, konnte mich nicht irre machen. «Haben Sie nicht gefürchtet, daß Ihnen die Tasche gestohlen werden könnte?» «Doch», sagte er. «Sehen Sie», sagte ich triumphierend, «dann mußte sie gestohlen werden. Durch ihre eigenen Gedanken waren Sie am Diebstahl schuld. Er schaute mich mißtrauisch von der Seite an. «Man muß nur an das Gute glauben», fuhr ich fort. «Ja, schon recht», machte er, «aber wenn wieder ein Kind ins Wasser fällt, dann mag es meinetwegen ertrinken.» «Aber es ist doch ganz unwichtig, ob ihnen die Tasche gestohlen wird oder nicht», sagte ich. Und ich erzählte ihm von Tolstoi. Aber er wollte nichts davon wissen. «Das ist ein Verrückter», sagte er bestimmt, «und Sie übrigens auch.» Ich mußte an den Professor denken und lächelte.


Als ich in Genua sah, daß beim Legen einer Gasröhre zwanzig Männer zuschauten, wie zwei Männer höchst umständlich und ausführlich, immer wieder auf die guten und wohlgemeinten Ratschläge der Zuschauer horchend, stundenlang mit dem Eisenstück hantierten, ohne irgendwie weiterzukommen, empfand ich vollste Sympathie. Schon aus lauter Opposition zu den moralischen Briefen meines Mädchens und zum Buche Carlyles. Das war südliche Luft. Mit Staunen und Befriedigung machte ich die Beobachtung, daß man nicht schrie und schimpfte, als ein Möbelwagen in einer wichtigen, aber engen Straße stecken blieb, für Dutzende von Fuhrwerken jede Weiterfahrt sperrend. Man plauderte, man rauchte, man hielt ein Schläfchen, man schien froh zu sein, mit voller Berechtigung eine Arbeitspause machen zu dürfen. Hier empfand man wahrhaftig schon das Leben selber als eine Freude. Man hatte nicht das Bedürfnis, erst noch aus Amt und Arbeit Berechtigung und Inhalt zu holen. Ich hätte die Kutscher umarmen mögen.


Mittags stand ich am Hafen. Da gab es nun wahrhaftig Männer, die schwere Arbeit verrichteten. Unglaubliche Lasten von Kohle trugen sie auf die Schiffe. Aber wo fünfzig arbeiteten, faulenzten auch fünfzig. Lang ausgestreckt lagen sie auf dem Pflaster. Ich setzte mich zu ihnen. Man nahm keine Notiz von mir. «Haben Sie keine Arbeit finden können?» fragte ich meinen Nachbar. Er drehte langsam den Kopf und schaute mich verwundert an. «Viel Arbeit, viel Arbeit», sagte er dann und machte mit der Hand eine Geste nach den schwarzen Schiffen hin, «für jeden Arbeit, aber ich habe heute schon genug gearbeitet.» — Ich begriff ihn nicht recht. Vielleicht handelte es sich um einen ganz geregelten Schichtenbetrieb. «Wie lange müssen Sie arbeiten?» fragte ich. «Nicht müssen», antwortete er lachend, «ich arbeite bloß solange, bis ich genug Geld habe für einen Tag und eine Nacht.» Und er zeigte lachend auf eine Artischocke und ein großes Stück Brot, das neben ihm lag. «Nicht viel Stunden nötig», fügte er mit einem gewissen Stolz hinzu.


Das war Lebensweisheit! Man lebte nicht, um zu arbeiten, sondern man arbeitete, um zu leben. Schon kam ich der Wahrheit näher. Ich war auf dem rechten Weg. Der Mann mit der Artischocke war der Lehrer, den ich suchte. Ein paar Stunden Arbeit und dann an der Sonne liegen und aufs Meer hinausschauen. Ich kaufte auch eine Artischocke und ein Stück Brot. Und die Sonne schien und die Wellen plätscherten und kräftig roch es nach Teer und Farben. Das Dasein war köstlich. Am nächsten Tage wollte ich probieren, irgendeine Arbeit zu finden. Ecco, der Gemeinschaft den Tribut entrichten und dann frei sein, seinen Gedanken nachhängen, das Ewige bedenken, blühen, Knospendes sich entfalten lassen, wie es nicht nur Blumenart, sondern auch Menschenart sein müßte!


Abends stieg ich gegen die Festung hinauf. Ich mußte das freie Meer sehen. Aber die Mauern zur Linken und Rechten waren lange im Wege. Endlich fielen die Terrassen so steil ab, daß das Meer offen dalag. Ich empfand Andacht wie auf einem Alpengipfel. Hier wollte ich übernachten. Pinien standen hinter Mauern. Rosen dufteten von irgendwo her. Da kletterte ich über die Mauer. Ich zerschnitt mir die Hände an den Glasscherben, die auf der Mauerkante einzementet waren. Aber dafür stand ich nun in einem verwachsenen Garten. Ich muß zwar sagen, daß mich die Glasscherben etwas irre machten. Es stimmte nicht zu meiner Auffassung von Italien, und es stimmte auch nicht zu Tolstoi. Ich fand es nicht recht, daß die Leute auf den Mauern Glasscherben pflanzten, statt Blumen. Aber ich war müde und gab das Grübeln auf. Noch stieg ich die paar Schritte zu den Pinien empor, legte mich zu ihren Füßen nieder, deckte mich mit dem Mantel zu, schaute noch einmal auf das unendliche Meer hinaus, in den unendlichen Himmel über mir, in dem plötzlich die Sterne herausbrachen, hörte noch eine Weile irgendein bäurisches Werktagsgeräusch und schlief dann ruhig ein. Ich hatte meine wahre Heimat gefunden.


Aber als ich in der Morgenkühle erwachte, flog meine Sehnsucht über das Meer. Amerika stieg lockend aus den Wellen. Warum nur Italien? Die ganze Welt erleben, durch den Sinn gehen lassen. Alle Winde verspüren, aus allen Quellen trinken. Hier gab es noch Mauern mit Glasscherben drauf. Noch war nicht jegliche Freiheit. Da unten aber lagen hundert Schiffe, bereit mich wegzutragen. Ich wollte den Mann mit der Artischocke fragen, ob man nicht mit irgendeinem Schiffe wegkommen konnte.


Am Hafen war der Italiener nicht zu finden. Er schien zu arbeiten. Dafür machte ich die Bekanntschaft eines Deutschböhmen. Auch er war Student, von gleicher Statur wie ich, auch blond und blauäugig, auch er war davongelaufen, weil ihn das Studium nicht befriedigt hatte. Der rechte Kamerad. Er wußte Bescheid. Natürlich könne man auf einem Schiffe irgend eine Beschäftigung finden, man müsse sich zwar auch für die Rückfahrt verpflichten, aber drüben könne man schon ausreißen. Er habe den gleichen Plan. Er wolle nach St. Louis am Mississippi, um die Weltausstellung anzusehen. Das Wort Mississippi tat es mir an. Man brauchte nur dem Worte zu lauschen, um eine Welt der riesigen freien Weite vor sich zu sehen. Gut, Mississippi! Er sei früher Kellner gewesen, ich könne es vielleicht als Kochsmaat versuchen. Der Lohn sei zwar nicht groß, aber dafür sei auch die Arbeit erträglich, Kartoffeln schälen und Geschirr abwaschen. Man sei wenigstens sicher, daß man immer gut zu essen kriege. Und das sei wichtig, sobald man die Seekrankheit hinter sich habe. Ich dachte an Dünnschliffe und Polarisationsmikroskop und fand die Abwechslung und Natürlichkeit, die im Kartoffelschälen liegen mußte, verlockend. Es galt nur noch ein Schiff zu finden. O, das werde sich schon machen lassen. Er sei schon mit drei Dampfern in Unterhandlung, zwei deutschen und einem italienischen. Aber die deutschen seien doch besser, nur müsse man einen Paß haben. Den hätte ich. Und fünfzig Franken, um eine wasserdichte öljacke und dergleichen, für eine Seereise wichtige Dinge, zu kaufen. Die hätte ich auch. Gut, dann wollten wir gleich auf die Suche gehen.


Eine Stunde später war ich Kochsmaat auf einem Hamburger Dampfer, der am Tage darauf abgehen sollte. Zwei Stunden später besaß ich auch die ganze Ausrüstung. Sie sollte bei der Ablieferung auf dem Schiffe bezahlt werden. Mein Freund ordnete alles aufs Beste. Dann bummelten wir. Ich mußte doch noch etwas von Genua gesehen haben. Den Campo Santo fand ich scheußlich. Mein Freund war der gleichen Meinung. Gemeinsam lachten wir über das Grabmal eines mit unsäglichem, nie erlöschendem Schmerze beweinten Gatten, wo die Naturtreue der figürlichen Darstellung in der genauen Nachbildung einer Warze am Kinn ihren Höhepunkt erreichte.


Noch nie hatte ich einen Menschen getroffen, mit dem ich im Denken und Fühlen so übereinstimmte wie mit diesem Deutschböhmen. Auch für Tolstoi interessierte er sich sehr. «Widerstrebe nicht dem Bösen» gehört zu seinen Lieblingsbüchern. Wir versprachen einander, gemeinsam um die Erde zu wandern, so sehr waren wir ein Herz und eine Seele. Nur war er nicht damit einverstanden, daß ich wieder im Freien übernachte. Ich werde mir eine Malaria holen, das könne er nicht dulden. Er wisse eine ganz billige Matrosen-Nachtherberge im Vico San Bernardo. Dort könne ich auch Rucksack und Mantel einstellen.


Die Matrosenherberge lag in einem alten Palast. In hohen Sälen standen eiserne Bettstellen mit schwarzen Wolldecken. Es sah unsauber aus. Aber dafür kostete es auch bloß fünfzig Centesimi und war nicht ohne romantischen Reiz. Da wir den Abschied von Europa feiern mußten, gingen wir mit einem Matrosen, der sich uns im Vico San Bernardo angeschlossen hatte, in eine kleine Wirtschaft nicht weit vom Hafen. Eine Damenkapelle spielte. Als ein Straußwalzer an die Reihe kam, wurde ich sentimental. Erst vor zwei Monaten hatte ich zur gleichen Melodie im Basler Musiksaal mit meinem Mädchen getanzt. Es war doch nicht so einfach. Die beiden Kameraden tranken und wurden ausgelassen. Ich fühlte mich einsam und verlassen. Aber ich biß die Zähne zusammen. Jetzt nur keine läppische Weichherzigkeit. Man hatte Rückfälle. Selbstverständlich. Wenn nur mein Freund nicht so getrunken hätte. Ich mußte mit ihm reden, wenn er wieder nüchtern war. Jetzt hörte er auf keine Ermahnung. Er sang Lieder, an deren Gemeinheit der Wein schuld sein mußte, und schrie, daß zum Leben auch die Liebe gehöre. Die gebe es im obern Stock. Wir sollten mitkommen. Er bezahle. Er habe Geld. Der Matrose war gleich dabei. Ich hatte schon an der widerlichen Damenkapelle genug und lief in die Nacht hinaus.


Jetzt schlief sie in ihrem wohlbehüteten weißen Bett. Ich aber irrte heimatlos in fremden Gassen umher, bald auf schwankendem Schiff im unendlichen Meere allen Stürmen preisgegeben. Ich hatte wahrhaftig Bedauern mit mir. Unter einer Laterne blieb ich stehen und schrieb ihr ein paar wilde Zeilen. Die Nacht hätte ich in den Armen einer Dirne verbracht. Eine augenscheinliche Lüge, aber es verschaffte mir eine gewisse Befriedigung, ihr das Wort Dirne ins Gesicht zu schleudern. Ob sie nun zufrieden sei? Soweit habe sie es gewissermaßen mit ihrer kühlen Vernunft gebracht. In ein paar Stunden sei ich weit von Europa. Nie mehr komme ich zurück. Aber es sei ja gleichgültig, wenn ich untergehe. Und so weiter. Ein ganz rührender Brief. Wahrheit, und auch viel Lüge. Aber mochte sie meinetwegen auch ein bißchen zittern und beben und leiden, es war wahrhaftig nicht ein reines Vergnügen, mutterseelenallein in fremdländischer Nacht zu stehen. Mochte sie ruhig weinen, recht tüchtig weinen und ein paar Stiche in der Herzgegend verspüren. Sie könne mir noch nach Gibraltar schreiben, poste restante, wenn sie mir etwas zu schreiben habe, fügte ich hinzu. Aber es komme alles aufs Gleiche heraus.


Als der Brief frankiert im Kasten lag, suchte ich mit einer gewissen Befriedigung die Matrosenherberge auf. In der Nacht erwachte ich ein paar Mal. Es stach mich, als ob ich nackt in frischem Heu liege. Zuerst kümmerte ich mich nicht darum. Schließlich zündete ich die Kerze an und sah bei ihrem Schein ganze Triumphzüge von Wanzen die Palastwände herabmarschieren. Da ich mir aber sagte, daß es von nun an gelte, mit gewissen Vorurteilen des bürgerlichen Lebens entschieden zu brechen, und ich schließlich auch nur fünfzig Centesimi bezahlt hatte, wickelte ich mich in meinen Mantel und legte mich wieder hin. Auch meine Kameraden, die derweil nach Hause gekommen sein mußten, schliefen ja, ohne sich um die Wanzen zu kümmern.


Als ich in der Morgendämmerung erwachte, war es mir, als ob mein Freund vor meinem Bett stehe und meine Hosen durchsuche. Aber schon war er weggehuscht und tat, als ob er schliefe. Ich wußte nicht recht, ob ich geträumt hatte oder nicht. Aber aus einem unbestimmten Argwohn heraus richtete ich mich auf und griff nach meinem Rucksack. Mein Paß und fünfzig Franken waren drin. Ich suchte sie und konnte sie nicht mehr finden, Geld nicht und Paß nicht. Der Deutschböhme hatte mich schon am Abend vorher bestohlen! Jetzt hatte er sein Glück auch noch an meinen Kleidern probieren wollen. Ins Taschentuch eingeknüpft trug ich ein Goldstück. Es war noch da. Ich konnte es greifen. Aber das andere, der Paß! Der Schuft! Als ich auf ihn los sprang, warf er sich mir entgegen. Handkehrum waren wir in der schönsten Rauferei drin. Und doch weiß ich, daß es nicht des Geldes wegen war, daß ich raste. Die Täuschung verletzte mich. Das Leben brach zusammen, als dieser Mensch, den ich liebte, mich bestahl. Ich weinte, da ich auf ihn losschlug. Aber schon kam der Wirt ins Zimmer und trennte uns. Ich konnte lang reden, der andere sprach zehnmal besser und schneller. Soviel ich ihn verstand, bezichtigte er mich des Diebstahls, während der Wirt, der solche Geschichten gewohnt zu sein schien, bloß lächelte. Der Matrose war verschwunden. Man hielt mich fest, bis der Deutschböhme, immer noch schimpfend, davon gegangen war, dann durfte auch ich mich ankleiden.


Aus meiner Abreise wurde nun natürlich nichts. Ohne Paß war ich gezwungen, in Europa zu bleiben. Aufrichtig gestanden war ich über diese Lösung gar nicht so ungehalten. Es eilte ja nicht mit Amerika. Ich konnte ebensogut nach Florenz und Rom wandern. Zuerst aber mußte ich um Geld telegraphieren. Ich hatte ja immer noch die zwanzig Franken. Doch als ich den Knoten öffnete, sah ich, daß das Goldstück aus einem schmutzigen Soldo bestand. Aber nun war mein Zorn schon verraucht. Ich machte mir Vorwürfe, daß ich den Dieb nicht anders behandelt hatte. Wie schön wäre es gewesen, wenn ich ihn zur Einsicht hätte bringen können, daß er nicht recht gehandelt habe. Was nützt es, Tolstoi im Rucksack mitzutragen, wenn die Lehre nicht im Herzen lebt? Ich war doch noch kein Heiliger.


Am Nachmittag sah ich mit einer gewissen Befriedigung den Hamburger Dampfer ohne mich abfahren. Ich hatte meine Uhr versetzt und telegraphiert. Am andern Morgen durfte ich Antwort erwarten. Die Nacht würde ich wieder oben bei den Festungen verbringen. Ich mußte mich bloß in Acht nehmen, nicht beim Laden vorbeizugehen, wo ich die öljacke und die andern Dinge gekauft hatte.


Damit ist diese Geschichte eigentlich zu Ende. Beifügen muß ich nur noch, daß ich drei Tage nachher eine Karte von meinem Professor bekam, auf der er mich fragte, wieso es komme, daß ich aus Italien Grüße schicke, da ihm doch eben ein Detektiv mitgeteilt hätte, daß ich in Luzern wegen Hoteldiebstahls verhaftet worden sei! Der Paß, der Paß, Der Kerl war nach Luzern gefahren und bei seiner Statur war die Glaubwürdigkeit des Passes bei der Verhaftung nicht anzuzweifeln gewesen.


Beifügen muß ich auch noch, daß ich in einem erneuten Anfall von Menschenliebe nach Luzern schrieb, man möge mir den Aufenthaltsort des Verhafteten mitteilen, da ich immer noch die Hoffnung hege, ihn auf bessere Wege bringen zu können. Als man mir aber antwortete, es handle sich um einen vorbestraften Raubmörder, gab ich meine Absicht, ihn im Gefängnisse zu besuchen, vorläufig auf.


Endlich muß noch um der Wahrheit willen gesagt werden, daß ich drei Monate drauf am Schalter des Mailänder Bahnhofs fragte, wieviel ein Billet nach Basel koste, und ich nach erhaltenem Bescheid ausrechnete, daß mein Geld bis ölten reiche und ich den Rest des Weges zu Fuß gehen müßte. Was ich auch tat. Jetzt trug ich in der Tasche einen wundervollen, sichtbarlich tränenüberströmten Brief meines Mädchens nach Gibraltar, wie man sich ihn nicht schöner wünschen konnte. Merkwürdigerweise aber war mir das Mädchen ganz gleichgültig geworden. Und nicht nur das war anders geworden. Aber damit beginnt eine neue Geschichte, von der nur soviel verraten werden möge, daß darin das Polarisationsmikroskop keine Rolle mehr spielt.


Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1967

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