Wie selbstverständlich zum Erfolg

Rolf Spriessler-Brander

Die Mountainbike-Europa- und -weltmeisterin Katrin Leumann wurde für ihre grossen Erfolge mit dem Sportpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2010 ausgezeichnet. Mit ihren Erfolgen hat sie neue Massstäbe gesetzt.

Die Mountainbikerin Katrin Leumann habe keine Schwächen, sagte ihr Trainer Andi Seeli anlässlich der Übergabe des Riehener Sportpreises am 20. Juni 2011 im voll besetzten Lüschersaal im Haus der Vereine. Sie fahre gut bergauf und bergab, auch wenn es technisch schwierig werde, sei sie mental stark, eine Schnellstarterin, habe eine enorme Ausdauer und sei eine extrem gute Sprinterin. «Mit Katrin zusammen fährt niemand gern Richtung Zielgerade», meinte er schmunzelnd, als er auf der Bühne interviewt wurde. Das bekam auch die Polin Maja Wloszczowska zu spüren, als sie sich mit Katrin Leumann um den Europameistertitel duellierte. Leumann wartete bis zur Zielkurve, holte dort den entscheidenden Schwung und gewann den Schlussspurt um Zentimeter. Katrin Leumann verstehe es, intelligent zu fahren und ihre Kräfte gut einzuteilen. Einzig ihre Rollerqualitäten liessen etwas zu wünschen übrig, sagte Seeli, aber das sei im Mountainbikesport sekundär, denn da gehe es ja meistens entweder bergauf oder bergab.

Ihre eigene Aussage, sie sei manchmal etwas trainingsfaul, mochte Andi Seeli so nicht stehen lassen: Seine Trainingspläne erfülle sie immer sehr genau. Ab und zu lasse er ihr aber bewusst Freiheiten. Genau das schätze sie an ihrem Trainer, sagte Leumann, die im Winter Radquerrennen bestreitet, auch schon ‹Bike-O› fuhr – quasi Orientierungslauf auf dem Velo – und mit dem Strassenvelo ebenfalls schon grosse Rundfahrten, die Schweizermeisterschaft und diverse Weltcuprennen bestritten hat. Alles eigentlich nur so nebenbei, denn Katrin Leumanns Hauptsportart ist und bleibt das Mountainbiken, auch wenn sie in manch anderer Disziplin ebenfalls grosses Potenzial hätte. Aber Mountainbiking macht ihr am meisten Spass.

Die Freude am Sport ist das, was sie antreibt. Katrin Leumann war einmal Leichtathletin beim Turnverein Riehen, trainierte auch in den Reihen der Skisektion des TV Riehen, des heutigen Ski- und Sportclubs Riehen, und spielte Fussball beim FC Amicitia. Weil ihr Bruder Christof ein Bike bekommen hatte und sie «kein Schmucktyp» sei, wie sie sagt, wünschte sie sich auf die Konfirmation ein Bike. Und so machte sie fortan immer wieder Ausflüge mit ihrem Bruder und der Nachbarfamilie Schmutz.

Lange bevor Katrin Leumann auch nur ahnte, was in ihr stecken könnte, war der damalige Mountainbike-Nationaltrainer Andi Seeli auf sie aufmerksam geworden und hatte sie dazu ermuntert, Rennen zu bestreiten. Das tat sie zunächst nur auf Plauschniveau. Denn mehr traute sie sich nicht zu. Die anderen machen ja viel mehr, dachte sie sich, da könne sie mit dem bisschen Training ja unmöglich mithalten. Doch weit gefehlt: Schon damals liess sie lizenzierte Fahrerinnen hinter sich. Also löste sie im Jahr 2001 erstmals eine Lizenz, bestritt ihre Rennen fortan in der Elitekategorie der Frauen und qualifizierte sich für ihr erstes Weltcuprennen, das sie in Leysin bestritt.

Von da an ging es steil bergauf. Den Durchbruch auf nationalem und internationalem Parkett schaffte sie 2003, als sie Gesamtsiegerin des Swisspower-Cups wurde, im Weltcup erstmals unter die ersten zehn fuhr und den Gesamtweltcup auf dem 21. Platz beendete. Diese ersten Erfolge der damals noch nicht 23-Jährigen führten dazu, dass Katrin Leumann mit dem Sportpreis der Gemeinde Riehen für das Jahr 2003 bedacht wurde, im Sinne eines Förderpreises und zusammen mit einer anderen Sportlerin, der Bogenschützin Rita Faber.

Der Förderpreis war gut investiert. Inzwischen hat Katrin Leumann viel erreicht. Sie wurde bis 2010 dreimal Schweizer Meisterin in der olympischen Disziplin Mountainbike Crosscountry, erstmals 2004 in Les Crosets und danach 2008 in Seon und 2009 in Chur. Ausserdem nahm sie bis 2010 an acht Europa- und sieben Weltmeisterschaften teil. Sie fuhr – als kurzfristige Ersatzfahrerin für eine verletzte Teamkollegin – das Olympiarennen von Athen 2004 und gewann die Gesamtwertung des Racer Bikes Cups und des Vorgängerwettbewerbs Swisspower-Cup, der bedeutendsten Schweizer Mountainbike-Rennserie mit sehr guter internationaler Besetzung. Dabei konnte sie immer auf ein tolles persönliches Umfeld zurückgreifen – ihre Eltern, ihren Bruder, ‹Jenzer Fleischwaren›, deren ‹Goldwurst› sie propagiert, den Velo-Club Riehen, für den sie nach wie vor lizenziert ist, und viele Freundinnen und Freunde.

Katrin Leumanns Olympiaabenteuer im Jahr 2004 ist bezeichnend für das unkomplizierte, stets optimistische und aufgestellte Naturell der Athletin. Sie nimmt alles, wie es kommt und macht aus jeder Situation das Beste.

Wohl nicht viele hätten sich am Tag vor dem Rennen, das sie verpasst zu haben glaubten, und ohne vernünftigen Trainingsaufbau für diesen Karrierehöhepunkt noch zur Anreise motivieren lassen. Kurz zuvor hatte sich Petra Henzi bei einer Trainingsfahrt verletzt und so war plötzlich ein Schweizer Olympiastartplatz frei geworden. Leumann hatte die Olympia-Qualifikationskriterien eigentlich erfüllt, weil aber die Schweiz nur Anrecht auf zwei Startplätze hatte und sich drei Athletinnen qualifiziert hatten, musste eine zu Hause bleiben. Am Abend vor dem Rennen wurde Katrin Leumann in einer Blitzaktion ins Flugzeug gesetzt, kam mitten in der Nacht in Athen an, wurde von einem Funktionär daran gehindert, am Morgen des Renntags die Strecke wenigstens noch besichtigen zu können, und begann das Rennen mit der denkbar schlechtesten Vorbereitung und auf einem Startplatz, der nicht im Entferntesten ihren Fähigkeiten entsprach – als nachgemeldete Athletin musste sie ganz hinten einstehen. So verlor sie in der Anfangsphase viel Zeit damit, deutlich schwächere Konkurrentinnen überholen zu müssen. Obwohl sie als Neunzehnte nicht ihr wahres Potenzial zeigen konnte, gehörte sie zu den glücklichsten Fahrerinnen, als sie die Ziellinie überquerte. Dieses spezielle Erlebnis konnte ihr niemand mehr nehmen. Und der Schweizer Verband hatte wenigstens eine Athletin im Ziel – die andere Schweizer Fahrerin hatte aufgegeben.

Dann kam das Jahr 2010. Ein Jahr, in dem Katrin Leumann im Riehener Sport neue Massstäbe setzte. Es begann damit, dass sie im Winter 2009/2010 an den Radquer-Europameisterschaften als gute Zwölfte einfuhr, kurz danach Schweizer Radquer-Vizemeisterin wurde und die Radquer-Weltmeisterschaften auf dem 22. Platz beendete. Und das eigentlich nur so trainingshalber. Denn Radquerrennen sind für sie wettkampfmässiges Training. Anfang Juni gewann Katrin Leumann ‹L’Hexegonal›, eine Art Tour de France auf dem Mountainbike. Im Mountainbike-Weltcup bestritt sie sechs Rennen und fuhr dabei fünfmal in die Top Ten, was ihr in der Weltcup-Gesamtwertung den 10. Platz einbrachte. Im Racer Bikes Cup gewann sie ein Rennen, stand fünf weitere Male auf dem Podest und wurde Gesamtzweite. In Haifa, Israel, wurde sie Anfang Juli sensationell Europameisterin im Einzelrennen und holte zusammen mit Thomas Litscher, Roger Walder und Ralph Näf den Europameistertitel in der Teamstaffel. In Mont Sainte-Anne, Kanada, holte das Schweizer Team Anfang September in derselben Besetzung den Weltmeistertitel. In der Mountainbike-Weltrangliste stiess Katrin Leumann bis auf Platz 5 vor.

Mit diesen Erfolgen weckte Katrin Leumann auch langsam das Interesse des Schweizer Fernsehens. Als Mitte Juli 2010, kurz nach den Europameisterschaften, der Donnschtig-Jass in Riehen zu Gast war, führte Moderatorin Monika Fasnacht ein Live-Interview mit Leumann, die in ihrem Europameisterschafts-Trikot gekommen war. Im März 2011 widmete ihr das Sportpanorama ein Filmporträt. Auch ihre Heimatgemeinde liess sich nicht lumpen: Nach dem Gewinn des Team-Weltmeistertitels organisierte die Gemeinde Riehen ein Fest für Katrin Leumann und stellte dafür eigens ein Zelt auf dem Gemeindehausplatz auf. Leumann wurde 2010 zur Basler Sportlerin des Jahres gekürt und als eine der zehn erfolgreichsten Einzelsportlerinnen zu den Swiss Sport Awards eingeladen, wo die Schweizer Sportler des Jahres 2010 gekürt wurden.

Katrin Leumann ist zwar Weltklasse in einer Olympiasportart, aber Profisportlerin ist sie nicht. Zusammen mit Christa Conti führt sie den Kindergarten Glögglihof und schöpft aus der Arbeit mit den Kindern viel Kraft. Auf jeden Fall macht ihr das Kindergärtnern mehr Freude, als es Belastung wäre, und was gibt es Schöneres, als wenn die ganze Kindergartenklasse extra zum Bahnhof kommt, um ihre ‹Heldin› nach der Ankunft von den Weltmeisterschaften willkommen zu heissen?

Auch ihre kulturelle Ader pflegt Katrin Leumann, die Klarinettespielen, Lesen und Kochen und zu ihren Hobbies zählt, mit grosser Freude. Sie staune, wie Katrin alles unter einen Hut bringe, sagte Aline Cousin anlässlich der Sportpreis-Verleihung über ihre Musikkollegin. Die beiden spielen seit rund zehn Jahren gemeinsam Klarinette. In ihrem Ensemble ‹Beaufort› hätten alle eine spezielle Funktion, erzählte Aline Cousin, und Katrins Talent liege darin, für das leibliche Wohl zu sorgen. Das tue sie auf eine hervorragende Weise. Und mit ihrer aufgestellten Art sorge sie stets für eine gute Stimmung.

Im Hinblick auf die Saison 2011 hat sich Katrin Leumann sportlich verändert. Sie schloss sich dem Ghost Factory Racing Team an, dem auch die Österreicherin Elisabeth Osl angehört, Weltranglistenerste der Vorsaison. Eigentlich wollte sie ihren Titel an der Mountainbike-Tour-de-France verteidigen, doch das Etappenrennen wurde kurzfristig abgesagt. So reisten ihre Eltern nach Paris, wo die Tour hätte enden sollen, während Katrin Leumann stattdessen die Alpentour Trophy im österreichischen Schladming bestritt und sich dort den Gesamtsieg holte. Nächstes grosses Ziel der Athletin sind die Olympischen Spiele 2012 in London. Dort will sie sich erstmals ohne Wenn und Aber qualifizieren und ein Topergebnis herausfahren.

 

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2011

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