Eine Afrikanerin in Riehen Susanna Luise Anjama (1846-1882)

Hans Werner Debrunner

Am 30. März 1982 jährte sich zum 100. Mal der Todestag der Afrikanerin Susanna Luise Anjama, deren Leben und Wirken eingeflochten ist in die Geschichte des Dorfes Riehen und der Stadt Basel. Im Rahmen des Riehener Jahrbuches ist es nicht möglich, das ergreifende Schicksal dieser jungen Afrikanerin in seinem kultur- und religionsgeschichtlichen Zusammenhang darzustellen. Auch kann die Anwendung pietistischer Erziehungsgrundsätze bei der Formung jugendlicher Afrikaner in Europa hier nicht ausgewogen beurteilt werden. Der zeitgenössische Ton soll in den Zitaten aus der Biographie J. Kobers sowie durch die Originalbriefe und Dokumente zum Schwingen kommen. Die Untertitel sind im Geist dieser Vorlage formuliert.

Anjamas Hingabe hat ihren Sinn darin gefunden, dass sie mitgeholfen hat, Vorurteile gegenüber Afrikanern sowohl bei ihren Zeitgenossen als auch bei uns abzubauen und ein neues Verständnis liebend zu erhellen.

Edle Saatkörner aus Afrika

Als Christian Friedrich Spittler im August 1858 das 12jährige weinende Afrikanermädchen Anjama in der Kutsche von Basel nach Riehen führte, dachte wohl niemand, dass Anjama bis zu ihrem Tode 1882 den Sommer in Riehen und den Winter in Basel verbringen werde.

Afrikanische Kinder waren seit den Zeiten Ludwig XIV. in Europa als «lebendige Raritäten» zu Zeitvertreib und Prestigeerhöhung beliebt. Als daher im Laufe des 19. Jahrhunderts durch die Basler Mission und die Pilgermission St. Chrischona 27 Afrikaner nach Riehen und Basel kamen, wurden sie von der Bevölkerung bestaunt und manchmal sogar belästigt. Anjama hat sich nach ihrer Ankunft in Basel oft in einen stillen Winkel zurückgezogen, um nicht gestört zu werden.

Die Erweckungsbewegung, aus der die Missionswerke Basels hervorgegangen waren, verfolgten mit den Afrikanern in Europa ganz bestimmte Ziele. Die Erziehung und Schulung afrikanischer Kinder und junger Leute sollte diese «mit geordneten christlichen Hauswesen» bekannt machen, so dass sie nachher in Afrika als Gehilfen der Missionare wirken konnten. Die nach Riehen und Basel gebrachten Afrikaner fühlten sich aber hier oft fremd. Sie waren für europäische Krankheiten ebenso anfällig wie die Missionare in Afrika für die Malaria.

Fünf Afrikaner wurden in Riehen beerdigt, vier davon waren an der Tuberkulose gestorben: am 14. September 1855 Pauline Johanne Fathme, eine ehemalige Sklavin aus dem Oromo- (Galla) Land, Patenkind Christian Friedrich Spittlers, verstorben mit 24 Jahren; am 5. August 1871 Samuel Entoro, ein 15jähriger Exsklave aus dem Sudan; am 22. Juli 1872 der 17jährige Missionszögling Wailu Wosan aus äthiopien; am 11. Januar 1873 Willy Ambilla, ehemaliger Sklave aus dem Sudan, 18jähriger Missionsschüler auf St. Chrischona; im April 1895 Henriette Alexander, eine Mulattin aus Württemberg.

Von Fathme wurde an ihrer Beerdigung gesagt: «Wir säen heute als eine Saat für die Ewigkeit ein edles Saatkorn aus, das aus weiter Ferne zu uns herübergekommen. Möge die unter uns bestattete Negerin den noch so vielfach schlafenden Missionssinn unter uns wecken.» Zwei weitere der 27 erwähnten Afrikaner starben in Basel, zwei noch in Europa vor der Heimkehr; nur 18 kehrten nach Afrika zurück, viele davon mit angeschlagener Gesundheit. Einzig Anjama weilte 24 Jahre bei uns und wurde dadurch in den frommen Kreisen Riehens und Basels eine wohlbekannte Persönlichkeit.

Das Königskind als Kindermädchen Anjama wurde im November oder Dezember 1846 in Akropong, Ghana, geboren. Sie stammte aus der Familie der Omanhene (Oberhäuptlinge) des Akwapimstammes. Als solche hätte sie nach Akanerbrecht die Mutter eines Omanhene werden können. Ihre Mutter Afro Pedei war sich dieser Möglichkeit, durch Anjama im Akwapimstaat eine wichtige Stellung einnehmen zu können, wohl bewusst. Die energisch-gütige Frau befreundete sich mit den Basler Missionaren, die seit 1842 ihre Hauptstation in Akropong hatten.

Anjama sprach immer mit Hochachtung von ihrer Mutter, von der auch die Missionare viel hielten. Es machte in Basel Eindruck, dass die heidnische Frau «ihren Kindern besonders die Liebe zur Wahrheit und Redlichkeit einschärfte» und «dass eine grosse Anhänglichkeit der Kinder an ihre Eltern und nächsten Verwandten» in Akropong beobachtet werden konnte, «mehr als dies sonst bei diesen Heidenvölkern Sitte ist». Klimatische Verhältnisse machten es nötig, dass die Missionare afrikanische Kinder als Hausburschen und Hausmädchen aufnahmen. Die Kinder halfen in der Küche, trugen Wasser und Feuerholz herbei, reinigten Zimmer, wuschen Wäsche, hüteten Kleinkinder. Dafür zahlten die Missionare den Eltern für die Kost und ermöglichten den Kindern regelmässigen Schulbesuch.

Auch erhielten die Hauskinder etwas zusätzlichen Unterricht im Missionarshaushalt. Anjamas älteste Schwester Dede diente bei Missionar G. Widmann, eine zweite Schwester bei Missionar J. Mohr, Anjama bei Missionar J. G. Christaller. Johann Gottlieb Christaller war einer der bedeutendsten Ghana-Missionare. Ihm verdanken wir die schriftliche Festlegung der Akansprache, indem er die massgebende Grammatik, ein umfassendes Wörterbuch, eine grossartige Sprichwörtersammlung und eine Bibelübersetzung verfasste. Christaliers Akanbibel ist eine der besten Bibelübersetzungen in eine afrikanische Sprache überhaupt.

Christaller war 1858 schwer erkrankt. Er musste nach Europa heimkehren. Frau Christaller war froh, dass sie die Pflege ihres in diesem Jahr geborenen Kindes weitgehend der 12jährigen Anjama anvertrauen konnte. Euphemistisch schreibt Anjamas Biograph Johannes Kober: «Da wurde mehrfach der Gedanke erwogen, ob es nicht zweckmässig wäre, Anjama mitzunehmen, um ihr, neben der Fortsetzung der kaum begonnenen Unterrichtsarbeit an ihr, Gelegenheit zu geben, europäisches Leben und Arbeiten aus eigener Anschauung kennen zu lernen.» Afro Pedei und Omanhene Kwadade gaben die Erlaubnis zu dieser Reise. Man dachte an einen kürzeren Aufenthalt in Europa. Die überfahrt von Ghana nach Europa auf einem Bremer Segelschiff war sehr mühsam - sie dauerte 63 Tage, der Kapitän starb unterwegs, der Steuermann konnte nur mit Mühe und Not den Weg nach Bristol finden, und der Proviant wurde knapp, besonders für die Versorgung des drei Monate alten Christallerkindes. Anjama bewährte sich auf der langen Reise. Von Bristol reisten Christallers und Anjama über London nach Rotterdam, auf dem Rhein nach Mannheim und mit der Bahn nach Basel, wo sie am 4. Juni 1858 eintrafen.

Anjama findet eine Freundin Christallers brauchten weitere Erholung. Ihre Abreise nach Württemberg fand Ende Juli statt. Nach Beschluss des Komitees der Basler Mission sollte Anjama mit dem Missionsschiff Dahome baldmöglichst nach Afrika zurückkehren. Die Anfälligkeit von Afrikanern für europäische Krankheiten veranlasste die Missionsleitung, das 1857 begonnene Experiment der Ausbildung ausgewählter Afrikaner in Europa nicht weiterzuführen. Bis zur Abfahrt des Schiffes im Herbst wurde Anjama in die Voranstalt des Missionshauses gebracht zur Familie des Hausvaters Kolb. «Da sie jedoch noch fast kein Deutsch verstand, war sie anfangs ziemlich scheu und zog sich oft in einen Winkel auf der Laube zurück. Mit aller Liebe wurde ihr zu verstehen gegeben, dass man es gut mit ihr meine, und bald fühlte sie es auch und wurde zutraulich und äusserst anhänglich an die Familie. Besondere Freude machte es ihr, wenn sie mit derselben schöne Spaziergänge in die Umgebung machen durfte. Den Töchtern des Hauses, von denen eine ungefähr gleich alt war, schloss sie sich nach und nach mit ganzer Liebe an und fing an, sich bereits hier recht heimatlich zu fühlen.» Die Freundschaft mit Sophie Kolb dauerte bis zu Sophies Tod im Jahre 1874.

Anjama gefällt es nicht in Riehen Ziemlich unerwartet für Anjama und «teilweise auch für die liebe Kolbsche Familie» fuhr gegen Ende August ein Wagen vor dem Kolbschen Haus vor, dem der greise 76jährige Christian Friedrich Spittler und dessen 48jährige unverheiratete Adoptivtochter Jungfrau Susette Spittler entstiegen, um Anjama mitzunehmen nach Riehen in das Spittlersche Landhaus zum Klösterli bei der Kirche.

Voll Misstrauen betrachtete Anjama den Wagen und «flüchtete weinend zu Vater Kolb und rief: Papa, ich nicht fortgehen, dableiben!» Nur mit Mühe konnte Vater Kolb sie beruhigen. Immer noch weinend, führte sie der Wagen zunächst ins Bäumlihofgut, wo bei der Familie Merian ein Zwischenhalt gemacht wurde, und dann nach Riehen. Am 17. August hatte Spittler vom Komitee der Basler Mission, dem er als ältestes Mitglied angehörte, die Erlaubnis erhalten, Anjama «für das nächste Jahr bei sich aufzunehmen und für ihre Erziehung und Unterricht zu sorgen».

Als Spittler für Anjama die Verantwortung übernahm, suchte er seinen alten Plan der «Erziehung von heidnischen Kindern in christlicher Liebe und Zucht» der Verwirklichung näherzubringen. Wohl uneingestanden war der Gedanke, dass Susette für den grossen Spittlerschen Haushalt mit seinen vielen Gästen eine Hilfe und für einsame Stunden eine Gefährtin brauchte, mit im Spiel.

Mit Anjama wiederholte er gewissermassen mit einem Heidenkind, was er 1813 mit einem Arbeiterkind erfolgreich begonnen hatte. Damals hatte der kinderlose Spittler das Kind Susette Gerber, dreijährige Tochter eines Chemiearbeiters, der damals samt Frau und mehreren Kindern krank war, an die Hand genommen und in sein Haus am Fälkli geführt, um es nachher zu adoptieren. Nur war Spittler damals 31 Jahre alt und seine Frau lebte noch, auch war das kleine Susettli mit Basler Verhältnissen und deren religiösen Grundsätzen vertraut und musste nicht erst eine andere Sprache lernen.

Für Anjama kamen schwere Wochen in Riehen. Vater Spittler war «eine mehr ernste, als rasch entgegenkommende Persönlichkeit für sie und fand inmitten der zahlreichen Reichsgottesarbeiten wenig Zeit, dem Kinde sich zu widmen».

Jumpfer Susette, eine eifrige Mitarbeiterin Spittlers, Mitgründerin des Diakonissenhauses, Betreuerin der Pilgermission St. Chrischona, «übernahm zum erstenmal in ihrem Leben Verantwortung für ein Kind» und war zudem von ihrer öffentlichen Tätigkeit her gewohnt, ihren Willen und ihre Pläne ziemlich reibungslos in den Anstalten verwirklicht zu sehen.

Sie teilte die ganz bestimmten Vorstellungen ihrer Zeit und ihres pietistischen Milieus hinsichtlich der Kindererziehung: Man muss immer konsequent sein, und neben der christlichen Liebe gilt es vor allem, «christlichen Gehorsam ins Herz zu pflanzen». Typisch für diese Einstellung war die Schrift von Thiersch «Christliches Familienleben». «Da nun zu dem Gebot des Gehorsams der Kinder - wie Thiersch sagt - kein Verzeichnis von Ausnahmen gegeben ist, so kam es zuweilen vor, dass es dem ehrwürdigen Papa Spittler schien, er habe mit der übernahme der Erziehung des willenstarken Negermädchens doch zuviel gewagt. Auch Anjama selbst machte mehrmals den Versuch, dieser, wie ihr damals schien, unleidlichen Erziehungsmethode sich durch die Flucht zu entziehen und musste mehrmals gesucht und zurückgeholt werden.»

Was für erfahrene Eltern nichts Aussergewöhnliches ist, wurde für Spittler und Sette zum geistlichen Drama - so als Anjama im Unmut beim Hereintragen einer Suppenschüssel diese «mit solcher Wucht auf den Tisch setzte, dass die Speise in Anwesenheit der Tischgesellschaft über den Rand lief. Ein tiefer Seufzer entrang sich der Brust des schmerzlich bewegten Hausvaters. So konnte es nicht weiter gehen». Anjama erhielt Hausarrest «und zerfloss am Abend in Reue und Schmerz». Dass aber auch andere Leute fanden, Anjama werde nicht richtig behandelt, zeigte sich bei ihrem letzten Fluchtversuch. «Ein befreundetes Haus nahm Anjama auf, und diese gedachte, diesmal nicht so bald wieder zurückzukehren. Allein die Macht der Liebe siegte; denn als Fräulein Spittler sie persönlich aufgefunden hatte und nun statt der gefürchteten Strafe Vergebung und Mutterliebe ihr entgegen brachte, da brach ihr Eigensinn und willig folgte sie der treuen Pflegemutter, um nun niemals wieder in dieser Weise sich zu verfehlen.»

Alles Theoretische fiel ihr schwer Im Herbst 1858 zog Spittler mit seinem Haushalt nach seiner Gewohnheit ins Winterquartier im Fälkli am Schlüsselberg. Anjama begann die Schule in der ersten Klasse zusammen mit kleineren Mitschülern oben beim Münster. Sie hatte Mühe, mitzukommen, besonders beim Erlernen der deutschen Sprache. Buben verfolgten und verspotteten das grosse Mädchen, so dass «der ehrwürdige und fromme Lehrer Buser» Anjama vor Schulschluss heimliess, damit sie unangefochten ins Fälkli entkommen konnte.

Anjama erhielt Taufunterricht von Missionslehrer Pfarrer Karl Lorenz Peter (1812-1897). Zuhanden des Basler Staates musste das Komitee der Basler Mission eine schriftliche Erklärung abgeben, «dass aus der Taufe keinerlei politische Ansprüche wollen abgeleitet werden und dass Anjama seiner Zeit nach Afrika zurückkehren werde». Die Taufe fand am Missionsfest des Jahres 1859 statt. Taufzeugen waren der Präsident der Basler Mission, Ratsherr Adolf Christ-Sarasin, Anjamas Primarschullehrer J. Buser, Anjamas Pflegemutter Susette Spittler und eine Freundin des Spittlerschen Haushaltes, Fräulein Luise Bischoff zur Kapelle (Augustinergasse 1).

Zu Anjamas Taufe dichtete Lehrer Buser ein 13strophiges Lied «Der Herr ist mein, ich bin die Seine»: «Er ist mein Heil, ich bin sein Kranker, in seiner Gnade werf ich Anker. - Du hast aus tiefen Finsternissen, mich armes Heidenkind gerissen, und an dein helles Licht gebracht durch deine grosse Wundermacht. - Du kennest mich, mein Licht und Leben! Ertöte alles Widerstreben.»

Anjama besuchte im Winter weiter die Schule, «wobei es in den Realfächern nur langsam vorwärts ging.» Um so mehr Freude hatte Anjama am Singen von Kirchenliedern zusammen mit ihren Freundinnen Sophie Kolb und Luise Buser. Die Mädchen bildeten ein «Vereinli, wobei für die Mission gearbeitet und die heilige Schrift gemeinsam gelesen wurde».

Luise Buser, «eine sanfte, fromme Tochter fühlte sich besonders mächtig zu Anjama hingezogen... die beiden Mädchen schlössen einen Freundschaftsbund miteinander. öfters nannte man sie im Scherz <die zwei Verliebtem, worüber sie selbst später einmal an ihre liebe Luise schrieb <Ach wollte Gott, wir wären miteinander in den lieben Heiland verliebt>» - eine Ausdrucksweise, die uns heute kaum mehr verständlich sein dürfte.

1862 wurde Anjama konfirmiert und durfte eine Reise zu Spittlers Verwandten in Württemberg machen, wo sie in Emma Kober ihre dritte Freundin fand, mit der sie jahrelang korrespondierte. Auszüge aus den Briefen an Emma Kober sind im Spittlerarchiv erhalten.

Anjama besuchte nun die «treffliche Schule von Madame Mojon am Spalenberg» und erhielt Privatunterricht im Englischen, der harzig genug ging. Im Sommer gab ihr ein Chrischonabruder, für den sie schwärmte, Klavierunterricht, doch kam sie wenig zum üben.

Wenn es in Kobers Biographie der Anjama heisst, alles Theoretische sei ihr stets schwer geworden, so mag das auch seinen Grund in der mannigfachen Beanspruchung im Spittlerschen Haushalt gehabt haben. «Anjama fand in Spittlers Haus keineswegs Gelegenheit zu einem behaglichen und beschaulichen Leben; vielmehr wurde sie sehr früh und fleissig durch Wort und Vorbild täglich dazu angehalten, andern zu dienen und überall Hand anzulegen, wo es galt, in dieser gastfreien Herberge an Hohen und Niedrigen, die hier ein- und ausgingen, Liebe zu üben. Bald da, bald dort musste sie einstehen und mithelfen, wobei ihre vorsichtige Erzieherin stets dafür sorgte, dass sie sich nirgends in den Vordergrund stellte, sondern ihre Verrichtungen möglichst im verborgenen geschahen und bei ihr jeder Keim der Eitelkeit unterdrückt wurde und jede Gelegenheit, Aufsehen zu erregen, vermieden wurde.»

Anjamas Prüfungszeit 1862 war Anjama 16 Jahre alt und frisch konfirmiert. Ihr Cousin David Asante reiste in diesem Jahr als ausgebildeter Missionar nach Akropong heim. Sollte Anjama mitreisen? So fragte man sich im Basler Missionskomitee. Afro Pedei wünschte ausdrücklich die Heimkehr ihrer Tochter. Das Komitee beschloss, Anjama solle mit Frau Christaller nach Afrika zurückkehren.

Im gleichen Sommer erhielt Anjama durch ein leider verlorengegangenes Schreiben einen Heiratsantrag. Von Anjamas Antwortschreiben an den Vermittler dieses Antrages ist ein undatiertes Brouillon im Spittlerarchiv vorhanden. Der Briefentwurf hat viele Schreib- und Grammatikfehler, ganze Zeilen sind durchgestrichen und Worte wurden eingefügt. Er lautet: Geehrter Herr in dieser Brüfungszeit in welcher ich mich zu entscheiden hatte war gewiss nicht ohne ersten Nachdenken und doch ist mir von Anfang an bis auf den heutigen Tag ganz ungeäntert geblieben. Und zwar in diesem Sinn dass ich noch zu jung und unerfahren bin, so ist es mir jetzt ganz unmöglich ja zu sagen und zweitens dass ich vor drei bis fier Jahren wenn der Herr mich noch länger leben lässt mich nicht vorher zu verheiraden gedenken. Was dann die Zukunft einmal mit sich bringt, das kann ich nicht versprechen darum will ich es in die Hände des treuen Heilandes legen der wird was für mich gut ist vollführen. Er hat mich bis hierher nie verlassen oder vergessen, also wird er mich auch in Zukunft nicht verlassen. Eine lange Zeit verlobt zu sein ist nicht mein Wunsch. Geehrter Herr sie würden fielleicht sagen wenn du in Afrika wärest so hättest du dich schon verheiradet oder bis für deine Landsleuten erfahren genug allerdings wäre dies wahr, aber jetzt bin ich nicht daheim weil ich in Europa und da erzogen worden bin und die hiesige Sitte kennen gelernt habe. So bedachte ich die ganze Sache als etwas Unreifes bei mir. Verzeihen Sie mir, geehrter Herr, dass ich Ihnen so lange haben warten bis die genauere Antwort von mir kann und ich hoffe das sie mir bekreifen kann warum ich diesen wichtig Endschloss nicht gleich ja gesagt haben, ihre ergebene Anjama* * aber der Dawied soll ganz frei und ungebunden handeln wie er will.

Der «Dawied» des Briefes und damit der Freier dürfte David Asante gewesen sein; er hatte Anjama einen langen Brief nach seiner Heimkehr geschickt, sowie ein Photo von Afro Pedei und Anjamas Geschwistern. An Fräulein Spittler schickte David Asante, vielleicht um seine Werbung indirekt zu unterstützen, «eine Kiste Kaffee zusammen mit andern afrikanischen Früchten» auf dem Missionsschiff Dahome. Wegen der Ablehnung des Heiratsantrages reiste Anjama nicht mit Frau Christaller nach Akropong - auch Aufforderungen Christallers, als Lehrerin oder als Hilfe für Frau Missionar Mohr nach Akropong zu kommen, fruchteten nichts. Spittler war gegen Anjamas Heimkehr, weil sie als Königskind in die Hofintrigen und in das Heidentum mit seinen sexuellen Versuchungen zurückversucht werden könnte.

Als Afro Pedei durch die Missionare dringend wiederholt die Rückkehr ihrer Tochter verlangte, wurde Anjama 1866 vor das Komitee der Basler Mission zitiert und äusserte in Gegenwart Spittlers ihren Entschluss, nicht nach Afrika zurückzukehren. Als Lehrerin tauge sie nichts, weil sie das wenige, was sie gelernt habe, nicht weitergeben könne. Spittler musste eine schriftliche Erklärung abgeben, dass weder das Missionskomitee noch die Basler Missionare an dem Verbleiben Anjamas in der Schweiz schuld seien. Das Komitee der Basler Mission hat unter den gegebenen Verhältnissen damit sachlich unanfechtbar, wenn auch psychologisch und kulturpolitisch eurozentrisch-zeitbedingt gehandelt. In Akropong betrachtete man nun Anjamas Verbleib in Europa als Menschenraub.

Selbst die dringende Bitte ihres verwitweten Schwagers Theophil Opoku in Akropong, doch nach Afrika zu kommen und sich der verwaisten drei Kinder, an denen Anjama Patenstelle angenommen hatte, zu erbarmen, fruchtete nichts. Anjama blieb in Europa, auch wenn sie mit Akropong brieflich Verbindung aufrechterhielt.

Die oft vom Husten geplagte Mitarbeiterin Anjamas weiteres Leben in Riehen und Basel verlief ohne grosse dramatische Ereignisse. Für Sette Spittler wurde Anjama «eine treue, eifrige und mehr und mehr unentbehrliche Mitarbeiterin: mit grösster Pünktlichkeit und gewissenhafter Benützung jedes freien Augenblicks war sie darauf bedacht, zunächst so manches, was bei der ungewöhnlichen Vielgeschäftigkeit und dem vielseitigen Inanspruchgenommensein ihrer lieben Pflegemutter unerledigt blieb, zu vollenden und zu ergänzen und so im eigentlichen Sinn des Wortes Handlangerdienste zu leisten in allen Dingen.»

Die Aufregungen wegen des Heiratsantrages und des Drängens der Mutter und der Missionare in den Jahren 1862-1866 hatten Anjama seelisch doch so sehr mitgenommen, dass sich seit 1866 Anzeichen einer Tuberkulose zeigten. Erholungsreisen nach Württemberg und zusammen mit Susette Spittler aufs Rigi Klösterli verschafften ihr zeitweise Erleichterung. Der Tod Vater Spittlers (1867), den sie in seiner letzten Krankheit gepflegt, setzte ihr zu. Und doch waren ihr Riehen und Basel eine Heimat. Vom Rigi Klösterli schrieb sie 1868: «Mein Husten hat sich ganz verloren, ich kann dem Herrn nicht genug dankbar sein... Wir gedenken am 1. August wieder in Basel zu sein. Ich freue mich königlich nach Hause! Heimat geht doch über alles.»

Anjama hatte 1868 - sie war 22j ährig - neuen Mut, weil man ihr eine selbständige Arbeit angewiesen hatte: als Hausmutter im Wasserschlössli Inzlingen, welches Spittler noch kurz vor seinem Tode für drei Jahre vom Basler Ratsherrn Kern gepachtet hatte. Durch einen Basar hatte Anjama Geld zum Ankauf einer Kuh für Inzlingen zusammengetragen. Inzlingen war von Spittler als Schule für schwarze Jünglinge und als Aufenthaltsort für Missionare im Urlaub gedacht gewesen und wurde Missionsherberge genannt. Die Pilgermission hatte in den 1860er Jahren begonnen, Afrikaner auszubilden - Inzlingen sollte eine Erziehungsvoranstalt werden.

Allein die Sache kam nicht recht in Schwung, und Anjama kehrte zu Sette Spittler ins Klösterli Riehen und ins Fälkli zurück, wo sie inzwischen unentbehrlich geworden war. Sie pflegte dort auch krank gewordene Afrikaner, wie den Oromo Rufo und das Oromomädchen Genome Duro. Genome Duro weilte von 1868-1873 im Spittlerschen Haushalt bei Sette und Anjama. Genome, ein ernstes Kind, das von Chrischonamissionaren aus der Sklaverei freigekauft worden war, hatte ehrgeizige Pläne gehabt und sich bemüht, den Anforderungen der Basler Schulen gerecht zu werden. Es war ihr gelungen, in die höhere Töchterschule aufgenommen zu werden; sie bestand aber die Abschlussprüfung nach dem ersten Jahr an dieser Schule nicht. Daraufhin erkrankte Genome Duro an Tuberkulose und wurde von Anjama bis zu ihrem Tode gepflegt.

Anjama ging es einigermassen besser, bis sie 1878 einen Rückfall erlitt, von dem sie sich nur schwer erholte. Im Fälkli war Anjama sehr beliebt und hatte im jungen Theodor Kober einen stillen Verehrer gefunden. Die Hausgenossen im Fälkli waren mit Geschäften der Buchhandlung und des Verlages C. F. Spittler, mit Bibelstunden und Sonntagschulgeben im Vereinshaus und mit der Betreuung der Gäste vollauf beschäftigt. Politisch engagierte man sich gegen die Radikalen, in denen die Fälklileute nur «Schreier und Feinde» sahen.

Ein Ende mit Schmerzen Sette Spittler und Anjama waren unzertrennlich geworden. Erstmals in ihrem 70. Lebensjahr liessen die Kräfte Sette Spittlers nach - sie erkrankte an einem unheilbaren Magenleiden.

Der Staat Basel sorgte während Settes Krankheit noch dafür, dass Anjamas Stellung rechtlich geklärt wurde. Schon 1873 hatte Sette Spittler einen Kautionsschein für Anjama hinterlegen müssen, und 1880 wurde ihr die Aufenthaltsbewilligung für Handwerksburschen, Arbeiter und Dienstboten erneuert. Als Dienstbote durfte Anjama in Basel bleiben. Nach Riehen, wo das Klösterli zu einem Spittlerstift für alleinstehende ältere Damen umgewandelt worden war, kam Anjama nur noch zur Erholung.

Im Mai 1880 starb Sette Spittler. Anjama hatte sie bis zuletzt betreut. Nach dem Tode Settes stellte sich bei Anjama «ein ziemlich zäher, zuweilen recht quälender Husten ein». Ein Ferienaufenthalt in St. Antonien und eine stille Zeit im Spittlerstift, Riehen, halfen nicht mehr. Auch eine Reise 1881 zu ihrer Freundin Emma, die in Ostelsheim mit einem Pfarrer verheiratet war, brachte nur geringe Linderung. Anjama musste sich schonen und fand es demütigend, nichts tun zu dürfen.

Im Frühjahr 1882 verschlimmerte sich Anjamas Zustand. Sie fand in Henriette Alexander * eine hingebende Pflegerin. Nach qualvollen Wochen heisst es: «Der treue Herr war ihr gnädig und überhob sie der einzigen Sorge, dass sie am Ende ersticken müsse, indem ER sie am 30. März 1882 abend halb sechs Uhr ganz sanft vollendete und, nachdem sie ihren Geist in seine Hände befohlen hatte, heimbrachte zu der unzählbaren Schar. Ihr Pilgerlauf hienieden währte 35 Jahre und 3 Monate.»

* Henriette Alexander (1817- 1895), Tochter von Harry Alexander, dem afrikanischen Kammerdiener bei König Wilhelm II. von Württemberg und der fulie geb. Weber von Löwenstein, Kammerzofe bei Minister von Otto in Stuttgart. Ihr bewegtes Leben führte sie von Pflegeeltern in Stuttgart in die Mustergemeinde Kornthal, Württemberg, nach Beuggen bei Rheinfelden als Arbeitsschullehrerin (1845-1870), sowie in verschiedene Häuser als Haushaltsgehilfin, u. a. ins Fälkli, Basel (1870-1872 und 1882-1885). Die tüchtige und fröhliche gelernte Schneiderin verbrachte ihr Lebensende im Spittlerstift (Klösterli, Riehen).

Quellennachweis

Archivquellen zu Anjama im Basler Staatsarchiv: 1. Spittlerarchiv P.A. 653 1,17, V,9, XXX III, 2, B 12 No 9 2. Kirchenbücher und Erziehungsakten 3. Leichenreden auf Susette Spittler (1810-1880), Luise Bischoff (1811-1882).

Archivbücherei der Basler Mission: Johannes Kober: Anjama. Bild des äusseren und inneren Lebens einer Tochter Afrikas. Mit 5 Bildern und einer Karte, 103 Seiten, Basel, C. F. Spittler 1884, mit beigeheftetem handschriftlichem Anhang: Auszüge aus den Komiteeprotokollen der Basler Mission über Anj ama 18 59-1867, von K. Ninck 1971, Archiv gh. 17573. Gedruckte Quellen: Johannes Kober: Christian Friedrich Spittlers Leben, 356 Seiten, Basel, C. F. Spittler 1887 H.W. Debrunner: Presence and Prestige. Africans in Europe, a History of Africans in Europe before 1918, Basel, Basler Afrika Bibliographien 1979, Seiten 301-323.

Fritz Hoch: Ein Leben im Dienste des Bruders. Christian Friedrich Spittlers Beziehungen zu Riehen und Bettingen. Riehener Jahrbuch 1970.

Monatsblatt von Beuggen, 1895, Nr. 4, April, S. 30-32: Nachruf auf Henriette Alexander

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 1982

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