Unterwegs zum Masterplan Hochwasserschutz

Christian Jann und Salome Leugger Arnold

Das Klima verändert sich. Eine erwartete Auswirkung davon sind zunehmende Wetterextreme wie Starkregen-Ereignisse in den Sommermonaten und, damit verbunden, häufigeres Hochwasser. Auch wenn die Riehener Dorfbäche schon früher immer mal wieder über die Ufer getreten sind: In Zukunft ist wohl vermehrt mit solchen Ereignissen zu rechnen.

Wie in anderen dicht besiedelten Gebieten sind auch die Gewässer in Riehen geprägt durch Eindolungen, hart verbaute Ufer und monotone Gewässerbettstrukturen mit einer entsprechend geringen Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren. Diese Defizite entstanden mehrheitlich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, als die Gewässer in ihr heutiges Profil gezwängt wurden. Mitte des 20. Jahrhunderts wurden ausserdem zahlreiche kleinere Gewässer überdeckt, verbaut oder – wie der Hungerbach, der früher dem Steingrubenweg entlang verlief und nur zeitweise Wasser führte, – ganz aufgehoben. Vorrangige Gründe für die partiellen Eindolungen und Eingrenzungen der Gewässer waren der Schutz vor Hochwasser und Epidemien. Gleichzeitig entstand neuer Raum für Bauten, Verkehrswege sowie für die Landwirtschaft. Dank des gestiegenen Umweltbewusstseins und der entsprechenden Neuausrichtung vieler gesetzlicher Grundlagen wurden gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Gestaltungskriterien für urbane Fliessgewässer verändert und die Verbesserung dieses Lebensraums samt tierischer und pflanzlicher Besiedlung gefordert. Seither wurden in vielen kleinen, aber auch einigen grossen Projekten Renaturierungen umgesetzt. In den vergangenen Jahren wurde die Naturnähe der Fliessgewässer beim alten Teich im Brühl und des Aubachs vom Bachtelenweg bis zum Mühleteich wiederhergestellt. Der Schutz des Riehener Siedlungsraums vor Hochwasser stellt beim grössten Gewässer der Gemeinde, der Wiese, praktisch kein Problem dar. Bei den drei aktiven Bächen Aubach, Bettingerbach und Immenbach jedoch schon. Sie fliessen durch das Siedlungsgebiet und können bei sehr starken Hochwasser-Ereignissen grossen finanziellen Schaden verursachen.

WIEDERKEHRWAHRSCHEINLICHKEIT EINES NATUREREIGNISSES
Hochwasser sind natürliche Ereignisse. Sie bilden sich als Folge langer, grossflächiger Dauerregen oder kurzzeitiger, kräftiger Starkniederschläge. Sie treten regelmässig auf und sind charakteristisch für das Abflussverhalten von Flüssen und Bächen. Durch den Klimawandel dürfte sich in Zukunft die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Hochwasser erhöhen. Die sogenannte ‹Jährlichkeit› gibt statistisch an, in welchem Zeitraum dieser Wert im Mittel erreicht oder überschritten wird: Bei einem 100-jährlichen Abfluss ist das im Schnitt alle 100 Jahre (HQ100) einmal der Fall, bei einem 30-jährlichen Abfluss (HQ30) im Schnitt alle 30 Jahre et cetera. Das Schutzziel für den Siedlungsraum beträgt gemäss den Vorgaben des Bundes mindestens HQ100 (Abkürzung HQ: H von ‹hoch›, Q als wissenschaftliche Bezeichnung der Abflussmenge). Beim Bettinger-, Immen- und Aubach kann die heutige Kapazität der Gerinne (Gewässerbetten) ein HQ100 nicht aufnehmen – im Gemeindegebiet Riehen besteht also eine potenzielle Überflutungsgefahr. Um dieser entgegenzuwirken, wurde ein Masterplan Hochwasserschutz ausgearbeitet (vgl. unten), der entsprechende Massnahmen vorschlägt. Neben Hochwasser in Bächen können Starkniederschläge auch Probleme verursachen durch Oberflächenwasser abseits der Bachläufe. Dieses kann ebenfalls zu Überflutungen von Strassen, Plätzen und Gebäuden führen. Die Wassermengen des Oberflächenwassers sind bei starken Ereignissen zu gross, als dass diese vom Boden aufgenommen, respektive von den Entwässerungsleitungen der Strassen und Plätze abgeführt werden könnten. Versiegelte Flächen und eine geneigte Topografie begünstigen diese Abflussbildung. Im Gebiet Hungerbachhalde–Rotengraben wurden in den letzten Jahren regelmässig grosse Oberflächenabflüsse beobachtet. 2014 führte der Oberflächenabfluss zu Schäden entlang des Steingrubenwegs bis zum Schulhaus Hinter Gärten. Auch im Moostal führt Oberflächenwasser immer wieder zu Schäden im angrenzenden Siedlungsraum.

HOCHWASSEREREIGNISSE IN RIEHEN
Verfügbare Forschungsergebnisse des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) weisen auf eine signifikante Zunahme schwerer Regenereignisse in Zukunft hin. Starkniederschläge werden häufiger und intensiver auftreten. Das zeichnet sich in Riehen bereits ab und hat Auswirkungen auf die Hochwassergefahr. Obwohl Hochwasser ein natürliches Ereignis ist, beeinflusst auch der Mensch, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Hochwasser eintritt, wie es verläuft und welche Schäden es anrichtet. Trotz eingeleiteter Massnahmen zum Schutz des Klimas dürften die bisherigen und zukünftigen Emissionen an Treibhausgasen die Durchschnittstemperatur weiter ansteigen lassen. Die Temperaturerhöhung führt dazu, dass sich der Wasserkreislauf intensiviert und beschleunigt: Je höher die Temperatur in der Atmosphäre, desto mehr Wasser kann verdunsten und als Niederschlag fallen. Dabei ist die Veränderung des Niederschlags nicht gleichmässig über das ganze Jahr verteilt. Die vergangenen Jahrzehnte ergeben ein relativ klares Bild der typischen meteorologischen Ursachen für Hochwasser und Oberflächenabflüsse im Gebiet der Gemeinden Riehen und Bettingen. Gewitterzüge mit kurzen, aber sehr hohen Niederschlagsmengen, die das Einzugsgebiet der Riehener und Bettinger Dorfbäche ganz oder teilweise treffen, gehören gerade in der jüngeren Vergangenheit zu den häufigsten meteorologischen Auslösern von Hochwassern und Oberflächenabflüssen. Unwetter mit Schäden durch Hochwasser und Oberflächenwasser gab es in der Vergangenheit immer wieder. In diesem Jahrhundert besonders zu erwähnen ist das Gewitter vom 22. Juli 2004, das im ganzen Einzugsgebiet der Gemeinde Riehen zu Überflutungen von Kellern führte. Aber auch am 20. Juli 2014 entlud sich abends nach 21 Uhr ein heftiges Gewitter über Riehen und Bettingen. Zwischen 21.20 Uhr und 21.50 Uhr fielen 33 Millimeter Regen. Das entspricht 33 Liter Regen pro Quadratmeter Boden, was in Riehen etwa alle 10–15 Jahre einmal auftreten kann. Ein letztes grosses Unwetter ereignete sich am 8. Juni 2016. Zwischen 12.40 Uhr und 13.10 Uhr fielen 26 Millimeter Regen.

BODENFRUCHTBARKEITSPROJEKT UND RECHENUMBAU
Aufgrund der Erfahrungen mit Ereignissen der letzten 10–20 Jahren wurden in Riehen bereits verschiedene Massnahmen für eine verbesserte Ableitung von Oberflächenund Bachwasser umgesetzt. Zwei sollen hier vorgestellt werden: das Bodenerosionsprojekt und der Umbau der Rechen vor den Eindolungen. Zu Schäden nach Oberflächenabflüssen kam es in der Siedlung hauptsächlich unterhalb der Ackergebiete im Moostal, aber auch in den Gebieten Rotengraben, Hungerbachhalde und Hinterengeli. Grössere Schäden an Gebäuden und Gärten ereigneten sich beispielsweise 2004 am Steingrubenweg und 2006 an der Inzlingerstrasse. Braunes, erdiges Wasser trat nach starken Regenfällen aus den Äckern und ergoss sich über Strassen und Wege bis weit ins Siedlungsgebiet. Die tiefgründigen Lössböden am Fuss des Dinkelbergs sind zwar gute Ackerböden, aber auch stark erosionsgefährdet. Stellenweise besteht bereits ab 2 Prozent Geländeneigung bei starken Regenfällen die Gefahr, dass die feinkörnige Bodenoberfläche verschlämmt und sich verschliesst, sodass die grossen Wassermengen nicht versickern können und sich oberirdisch ihren Weg Richtung Tal suchen. Schon vor 2007 wurde an diesen gefährdeten Stellen einiges unternommen, um die Schäden im Siedlungsgebiet zu minimieren: An der Hungerbachhalde fand eine Geländemodellierung statt und es wurden Ablaufrinnen mit Auffangbecken und Wiesenstreifen angelegt, andernorts müssen die Bewirtschaftenden auf den Maisanbau verzichten. Es zeigte sich aber, dass das Problem grossflächig und umfassend angegangen werden muss. 2007 startete Riehen deshalb gemeinsam mit dem Kanton Basel-Stadt und der Gemeinde Bettingen ein Bodenfruchtbarkeitsprojekt mit dem Ziel, die Erosion zu reduzieren und dadurch die Fruchtbarkeit der Böden zu sichern. Nach einer umfassenden Kartierung und Untersuchung der Böden wurde eine Bodenerosionskarte erstellt. Diese zeigt auf, an welchen Orten die Böden stark erosionsgefährdet sind. Mithilfe dieser Gefährdungskarte wurden anschliessend gemeinsam mit den betroffenen Landwirten Massnahmen erarbeitet, um die Erosion zu reduzieren. Dazu gehörten die Aufgabe von Ackerflächen in besonders stark gefährdeten Hanglagen und ihre Umwandlung in Dauergrünland sowie spezielle Ansaatmethoden (sogenannte Streifenfräs- und Mulchsaaten). Diese Massnahmen werden bis heute umgesetzt. Auch wenn es immer noch vereinzelt zu Abflüssen aus dem Landwirtschaftsland kommt, hat sich die Situation stark verbessert. Nach den Sommer-Hochwassern 2014 und 2015 zeigte eine Analyse, dass die Bäche hauptsächlich vor den Eindolungen über die Ufer traten, obwohl die Kapazitätsgrenze der Eindolungen an den meisten Orten nicht ausgeschöpft wurde. Eigentlich hätte also mehr Wasser abfliessen können. Was war passiert? Mitgeschwemmtes Material hatte sich vor den Eindolungen angesammelt, den Durchfluss verstopft und so zum Übertreten der gestauten Bäche geführt. Solche ‹Verklausungen› können die Abflusskapazität des Gerinnes deutlich mindern. Generell verhindern Rechen vor den Eindolungen das Einschwemmen von Material in die Rohrleitungen, damit es diese nicht verstopft. Die bisher senkrecht gestellten Rechen am Immen- und Bettingerbach wurden nun durch stark schräggestellte Rechen ersetzt. So wird das Schwemmgut auf dem Rechen nach oben transportiert und es kommt zu weniger Verklausung. Auch am Aubach wurde der Rechen erneuert, um bestehende Hindernisse zu entfernen. Der Rechenumbau ist als Sofortmassnahme zu verstehen, die es ermöglichen soll, zumindest ein 10-jährliches Hochwasserereignis ohne ein Übertreten der Bäche abzuleiten. Für ein stärkeres Ereignis reichen die Kapazitäten der Eindolungen jedoch bei Weitem nicht aus. Die Situation am Steingrubenweg war übrigens vergleichbar mit dem Verklausen der Rechen: Auch dort flossen grosse Wassermengen die Strasse hinunter, obwohl die Kanalisation für mehr Wasser angelegt gewesen wäre. Mitgeschwemmtes Material verstopfte die Einlaufschächte. Als Sofortmassnahmen wurden hier im Rahmen der Strassensanierung grössere Einlaufschächte gebaut sowie Notfallkästen aufgestellt. Darin finden die Anwohnerinnen und Anwohner das nötige Material, um im Ereignisfall die Gitter über den Schächten zu entfernen und so ein besseres Abfliessen in die Kanalisation zu ermöglichen. Aber auch hier sind weitere Massnahmen nötig, um bei einem starken Regenereignis Schäden im Siedlungsgebiet zu verhindern.

BLICK IN DIE ZUKUNFT: EIN MASTERPLAN HOCHWASSERSCHUTZ FÜR RIEHEN
Wie ausgeführt, reichen die umgesetzten Massnahmen nicht aus, um ein grosses Regenereignis mit einem 100-jährlichen Hochwasser abzuführen. Verschiedene Engpässe innerhalb der Siedlung führen bereits bei einem 30-jährlichen Hochwasser zum Überlaufen der Bäche. Die 2014 veröffentlichte Naturgefahrenkarte des Kantons Basel-Stadt (Prozess Hochwasser) weist für die Gemeinde Riehen bei einem 100-jährlichen Hochwasser ein grosses Überschwemmungspotenzial mit damit verbundenen Sachschäden aus; Menschenleben sind gemäss den Modellierungen im Szenarienbericht der TK Consult AG von 2013 jedoch nicht gefährdet. Mit der Veröffentlichung der Naturgefahrenkarte und weiteren Untersuchungen zum Oberflächenabfluss 2017 waren die Grundlagen für einen umfassenden Masterplan Hochwasserschutz der Gemeinde Riehen geschaffen. Bis 2019 erarbeitete das kantonale Tiefbauamt gemeinsam mit den Fachbehörden von Bettingen und Riehen in einem Variantenstudium mögliche Hochwasserschutzmassnahmen in den beiden Gemeinden. Für die drei Dorfbäche Immen-, Bettinger- und Aubach sowie den Oberflächenabfluss im Bereich Rotengraben wurde geprüft, ob das Wassers schon oberhalb der Siedlung vollständig in Retentionsbecken zurückgehalten werden kann, wie ein Gerinneausbau für das Ableiten eines 100-jährlichen Hochwassers aussehen müsste oder ob eine Kombination der beiden Massnahmen Gerinneausbau und Retention sinnvoll ist. Die Gemeinde Inzlingen wurde in das Variantenstudium einbezogen, um die Hochwasserschutzmassnahmen grenzüberschreitend zu koordinieren. Aufgrund der engen Platzverhältnisse sowie der Eigentumsverhältnisse – die Riehener Bäche sind nicht als solche parzelliert und fliessen in der Regel durch Privatgrundstücke – zeigte sich, dass ein Vollausbau der Bachrinnen zur Bewältigung von 100-jährlichem Hochwasser sehr schwierig zu realisieren wäre. Demnach soll der Bau von Rückhaltebecken weiterverfolgt werden. Ergänzende Gerinneausbauten an einzelnen Bachabschnitten und der Ausbau bestehender Eindolungen sind in Riehen jedoch unumgänglich. Retentionsbecken liegen sinnvollerweise knapp oberhalb der Siedlung, um möglichst viel Wasser auffangen und aufhalten zu können. Zugleich sollen sie sich aber auch möglichst gut in die Landschaft einfügen. Im Variantenstudium wurden verschiedene Standorte für Retentionsbecken geprüft. Sinnvollerweise kommt dasjenige für den Aubach oberhalb des Reservats Autal zu liegen, das für den Bettingerbach oberhalb des Hellrings und jenes für den Immenbach oberhalb der Dinkelbergstrasse. Die genaue Lage und Dimensionierung dieser Becken sowie desjenigen am Wendeplatz Steingrubenweg wurden 2020 im Rahmen eines Vorprojekts erarbeitet. Am Aubach ist insbesondere die Dimensionierung des Retentionsbeckens sehr abhängig von den geplanten Massnahmen in der Gemeinde Inzlingen. Hier erfolgt deshalb eine enge Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg. Da alle geplanten Rückhaltebecken in beliebten Naherholungsgebieten liegen, wird die Umsetzung der Hochwasserschutzmassnahmen wohl noch zu einigen Diskussionen führen. Mit dem vermehrten Auftreten von Extremereignissen aufgrund des Klimawandels wird der Hochwasserschutz die Gemeinde Riehen allerdings in Zukunft zunehmend beschäftigen und vor grosse Herausforderungen stellen.

Diesen Artikel finden Sie im Jahrbuch z'Rieche 2020

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